Helmuth von Moltke
Unter dem Halbmond
Helmuth von Moltke

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55.
Reise nach Egin an den Frat

Malatia, den 8. April 1839

Ich bin vor ein paar Tagen von einer kleinen Reise zurückgekehrt, die ich diesmal auf eigene Faust und einzig für den Zweck unternommen habe das Terrain zwischen den beiden Armen des Euphrat kennen zu lernen, das noch von keiner Karte auch nur ungefähr richtig dargestellt wird.

Um die zurzeit noch für Reiter ungangbaren Höhen zu umgehen, machte ich einen Umweg nach Akrabir, einer größeren Stadt mit schönen Obstgärten in einer tiefen Schlucht; sie liegt nicht am Frat, sondern an einem fast ebenso großen Wasser, dem Arabkir-Suj. Ich zog dann nördlich, immer den scharfen Gebirgsrücken des Munsur-Dagh zu; die Gegend ist ein Plateau und man würde nicht ahnen, auf einer so hohen Gebirgsebene sich zu befinden, wenn der Schnee und die furchtbar tief eingeschnittenen Felsschluchten, in denen ganz kleine Bäche fließen, nicht daran erinnerten. Die Sonne schoss glühende Strahlen auf die endlos scheinende Schneefläche, was die Augen, besonders bei der türkischen Kopfbedeckung, schrecklich blendet; ich folgte dem Gebrauch der Tataren, Schießpulver unter die Augen zu schmieren, was eine große Erleichterung gewährt.

Da uns die Nacht überraschte, so mussten wir wieder eine bedeutende Höhe erklimmen, um das nahe gelegene schöne Dorf Habunos zu erreichen; es war heller Vollmondschein, der Frat glänzte tief unter uns und die Schneegipfel schlossen uns bald ganz nahe wieder ein. Am folgenden Morgen hatte ich daher das Vergnügen auf einem Fußweg längs der Talwand hinzureiten, der sich fast senkrecht 1500 bis 2000 Fuß über den Fluss erhob, zu dem wir allmählich wieder hinabstiegen. Die Felsen treten nun immer näher zusammen und nötigen die Straße an einer scharfen Wendung des Stroms den Talweg zu verlassen und in endlosen Zickzacks eine sehr bedeutende Höhe zu ersteigen; sobald man den schroffen Kamm erreicht hat, erblickt man vor sich wieder das Tal des Frat und tief unten die Stadt Egin; diese Stadt und Amasia sind das Schönste, was ich in Asien gesehen. Amasia ist seltsamer und merkwürdiger, Egin aber großartiger und schöner, die Berge sind hier gewaltiger, der Strom bedeutender. Egin besteht eigentlich aus einer Gruppe aneinander stoßender Dörfer; da alle Häuser mitten in Gärten liegen, die von Nuss- und Maulbeerbäumen, Pappeln und Platanen überschattet sind, so bedeckt die Stadt einen sehr großen Flächenraum. Von oben gesehen, scheint sie ganz im Tal zu liegen, aber wenn man unten am Fuß angekommen ist, so erblickt man einen Teil derselben hoch über den Köpfen auf allerlei seltsamen Klippen und Felskuppen und die steilen Wände des Tals bis zu einer Höhe von 1000 Fuß mit Obstgärten und Weinbergen bekleidet; zahlreiche kleine Gebirgswasser rauschen herab und an einem derselben zählte ich fünf Mühlen, von denen der Fuß der einen, immer auf dem Dach der anderen steht, sodass das Wasser von Rad zu Rad fiel. Zur Zeit der Blüte muss der Anblick von oben unbeschreiblich schön sein.

Abweichend von der Bauart der asiatischen Städte sind die Häuser hier statt der flachen Erdterrassen mit Dächern versehen; jedes Haus steht auf einem steinernen Unterbau, in dem niemand wohnt, auf dem sich aber zwei oder drei Stockwerke erheben, wovon das obere stets die unteren überragt. Oberhalb der großen Fenster befindet sich eine Reihe kleinerer, runder Fenster; mit einem Wort, wenn man nur die Häuser sieht, glaubt man in Konstantinopel zu sein.

Der hohe Schnee und die Kürze meines Urlaubs hinderten mich weiter vorzudringen; ich kehrte über Tschimischgesek, eine ansehnliche Stadt, zurück, welche noch keine Karte angibt. Nahe bei der Stadt bemerkte ich einen schönen Wasserfall; ein Bach stürzt über ein vorspringendes Gestein an die 60 Fuß tief und kommt unten als Tropfregen an, doch glaube ich, dass dieser Bach nur bei der Schneeschmelze fließt.

Ich richtete nun meinen Weg auf das alte hohe Kastell von Pertek, wo ich den südlichen Arm des Murad, der vom Ararat herabkommt, überschritt und dann über Karput nach Malatia zurückkehrte.


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