Helmuth von Moltke
Unter dem Halbmond
Helmuth von Moltke

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

20.
Die Wasserleitungen von Konstantinopel

Bujukdere, den 20. Oktober 1836

Gerade so wie bei uns ein Weinschmecker das Gewächs und den Jahrgang herauskostet, so schmeckt dir ein Türke, ob ein Trunk Wasser von dieser oder jener besonders geschätzten Quelle kommt, ob er in Tschamlidje, der Fichtenquelle, auf Bulgurlu in Asien oder aus Kestenes-suj, dem Kastanienborn bei Bujukdere, oder aus der Sultanquelle in Beykos geschöpft ist.

Konstantinopel ist auf einer felsigen, vom Meer umspülten Höhe erbaut; die Brunnen, die man dort gegraben hat, geben sämtlich nur wenig und bitteren Zufluss. Das Trinkwasser für mehr als eine halbe Million Menschen, die nichts als Wasser trinken, der ungeheure Bedarf für die vielen Bäder, für die Moscheen und für die fünf täglichen Waschungen, welche die Religion jedem Moslem vorschreibt, musste daher von außerhalb herbeigeführt werden.

Man benutzte für diesen Zweck das drei Meilen nördlich gelegene Waldgebirge von Belgrad, an welches die Wolken im Winter und Frühjahr eine ungeheure Wassermenge in Gestalt von Schnee und Regen absetzen. Dieses Wasser wird in großen künstlichen Behältern gesammelt, indem man eine starke Mauer quer durch ein Tal führt und so hinter derselben eine Anstauung bewirkt. Ein solches Reservoir heißt »Bend«, ein persisches Wort, das sich eigentlich auf die Mauer oder das Wehr bezieht und gleichbedeutend ist mit dem deutschen »Band«.

Die bedeutendste und älteste der Wasserleitungen von Konstantinopel ist diejenige, welche schon Kaiser Konstantin anfing und die später Kaiser und Sultane erweiterten. Sie wird aus fünf großen Teichen gespeist, die sich rings um das Dorf Belgrad gruppieren; der größte unter diesen, der »Bujuk-Bend«, liegt zunächst unterhalb jenes von Bulgaren bewohnten Ortes, deren Voreltern einst als Kriegsgefangene aus Belgrad an der Donau hierher verpflanzt wurden und den Namen ihrer Vaterstadt auf die neue Heimat übertrugen. Jener Bend hat, wenn er gefüllt ist, eine Länge von mehr als 1000 Schritt, er fasst allein 8 bis 10 Millionen Kubikfuß Wasser und ersetzt seinen Vorrat aus dem Inhalt eines zweiten Reservoirs dicht oberhalb Belgrads.

Auch aus dem quellenreichen Hügelland, westlich von Konstantinopel, schöpft die ungeheure Bevölkerung einen Teil ihres Wasserbedarfs durch kürzere, minder mächtige Leitungen.

Endlich muss ich noch die große Wasserleitung erwähnen, die Pera und Galata, das Arsenal, Kassim-Pascha, kurz, alle die Vorstädte auf der nördlichen Seite des Goldenen Horns ernährt. Die Behälter dieser Leitung, der »Valideh« und »Jeni Mahmud-Bend«, liegen ebenfalls in dem oben erwähnten Waldgebirge, unweit Bagtsche kjoi, dem »Gartendorf.«


 << zurück weiter >>