Helmuth von Moltke
Unter dem Halbmond
Helmuth von Moltke

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4.
Fahrt von Konstantinopel auf dem Bosporus nach Bujukdere

Konstantinopel, den 3. Dezember 1835

Nachdem wir eine Nacht in Pera geruht hatten, setzten wir uns in einen der äußerst zierlichen leichten Nachen (Kaik), die zu hunderten im Hafen, dem Goldenen Horn, herumfahren. Die Ruderer sitzen schon fertig und warten: »Buirun captan. Hekim baschi. St!«, rufen die Türken, die von jemandem, der den Hut trägt, voraussetzen, dass er ein Schiffskapitän oder ein Arzt sein müsse; »Ellado tscheleby!« – Hierher, gnädiger Herr! – die Griechen. Sobald man sich entschieden hat, wem man den Vorzug geben will, und unten auf dem Boden des schwankenden Fahrzeugs Platz genommen hat, versetzen ein paar Ruderschläge den Nachen aus dem Getümmel der Wartenden hinaus ins Freie.

Aber, wie soll ich dir den Zauber schildern, der uns jetzt umfing. Aus dem rauen Winter waren wir in den mildesten Sommer, aus einer Einöde in das regste Leben versetzt. Die Sonne funkelte hell und warm am Himmel und nur ein dünner Nebel umhüllte durchsichtig den feenhaften Anblick. Zur Rechten hatten wir Konstantinopel mit seiner bunten Häusermasse, über welche zahllose Kuppeln, die kühnen Bogen einer Wasserleitung, große steinerne Hanns mit Bleidächern, vor allen aber die himmelhohen Minaretts emporsteigen, welche die sieben riesengroßen Moscheen Selims, Mehmeds, Suleimans, Bajasids, Valideh, Achmeds und Sophia umstehen. Das alte Serai streckt sich weit hinaus ins Meer mit seinen phantastischen Kiosken und Kuppeln mit schwarzen Zypressen und mächtigen Platanen. Der Bosporus wälzt gerade auf diese Spitze zu seine Fluten, die sich schäumend am Fuß der alten Mauer brechen. Dahinter breitet sich der Propontis mit seinen Inselgruppen und felsigen Küsten aus. Der Blick kehrt aus dieser duftigen Ferne zurück und heftet sich auf die schönen Moscheen von Skutari, der asiatischen Vorstadt; auf den Mädchenturm (Kiskalessi), welcher zwischen Europa und Asien aus der tiefen Flut auftaucht; auf die Höhen, die noch mit frischem Grün prangen, und auf die weiten Begräbnisplätze im Dunkel der Zypressenwälder.

Wir eilten zwischen großen Kauffahrern mit den Wimpeln aller Nationen und riesenhaften Linienschiffen hindurch aus dem Goldenen Horn in den Bosporus. Zahllose Kaiks glitten in allen Richtungen über das unbeschreiblich klare, tiefe Wasser; jetzt wendeten wir uns links um das Vorgebirge, welches Pera, die Frankenstadt und Galata mit seinen alten Mauern und dem gewaltigen runden Turm trägt, von welchem einst die Genueser der Eroberung Konstantinopels teilnahmslos zuschauten.

Wegen der heftigen Strömung halten sich die Nachen beim Hinauffahren ganz dicht an das europäische Ufer und wir betrachteten mit Vergnügen die Sommerwohnungen (Jalys), die von den Wellen bespült werden. Die Fenster sind mit dichten Rohrgittern geschlossen und die Gärten von Lorbeer- und Granatbäumen beschattet und mit zahllosen Blumentöpfen besetzt. Eine Menge blühender Rosen lachte den Vorüberfahrenden aus den Gitterfenstern der Gartenmauern entgegen und Delphine sprangen schnaubend dicht neben dem Kahn über die glatte Fläche empor. Auf beiden Ufern des Bosporus reiht sich eine Wohnung an die andere, eine Ortschaft folgt der anderen und die ganze, drei Meilen weite Strecke von Konstantinopel bis Bujukdere bildet eine fortgesetzte Stadt aus zierlichen Landhäusern und herrlichen Palästen, aus Fischerhütten, Moscheen, Cafés, alten Schlössern und reizenden Kiosken.

Besonders schön liegt Therapia, wo die Botschafter Englands und Frankreichs wohnen. Der Ort schaut aus den von jetzt an felsigen und unbebauten Bergwänden des Bosporus hinaus ins Schwarze Meer. Links um eine weite Bucht reihen sich die Häuser von Bujukdere mit den Gebäuden der österreichischen, russischen, preußischen und anderen Gesandtschaften.

Wir gingen in Bujukdere an Land und stellten uns unserem Gesandten vor, der uns mit der ausgezeichnetsten Güte und Freundlichkeit empfing und uns sogar eine Wohnung in seinem reizend gelegenen Haus einräumte.


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