Helmuth von Moltke
Unter dem Halbmond
Helmuth von Moltke

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48.
Die orientalische Nacht

Hauptquartier Asbusu bei Malatia, den 2. September 1838

Ich habe dir jetzt über die letzten sechs Wochen meines Aufenthalts zu berichten. Eine kleine Exkursion an die Quellen des Tigris ausgenommen, wurden sie größtenteils in Karput zugebracht, auf einer Klippe 1000 Fuß über der reichen weiten Ebene von Mesireh, die rings von hohen Bergen eingefasst ist.

Die Hitze unten zwang uns nach diesem Adlerhorst zu flüchten, von dem wir die Dörfer, die Wege und Bäche, die Baumwollfelder und Weingärten, die Maulbeerwäldchen und die Lager der Truppen wie auf einer großen Landkarte überblickten. Dieser Aufenthalt war indes sehr einförmig; täglich kühlte ein heftiger Wind, von dem man unten in der Ebene nichts ahnte, die Hitze bedeutend ab, aber Wind ist immer ein unangenehmes, widerwärtiges Wetter; dabei war die Sonnenhitze doch so brennend, dass man den ganzen Tag das Zimmer hüten musste, und nur Geschäfte trieben mich von Zeit zu Zeit in die Ebene hinab. Erst wenn die glühende Scheibe sich hinter die hohen armenischen Berge gesenkt hat, auf deren Gipfel hin und wieder noch ein silberglänzendes Schneeflöckchen ihren Strahlen trotzt, dann lebt man auf; nach und nach erscheinen dann auf allen Dächern die Familien, um Luft zu schöpfen. Dort werden die Teppiche ausgebreitet und Kissen gelegt für den Hausherrn; er lässt sich von den jungen Mitgliedern der Familie bedienen, welche ehrerbietig vor ihm stehen bleiben, während er die Pfeife raucht; dann erscheint die große runde Messingplatte mit zahllosen zinnernen Schüsseln, die das Mittagsmahl enthalten, und endlich der Kaffee. Nach guter Sitte geht man früh schlafen, nichts als den prachtvoll funkelnden Sternenhimmel über sich, um früh, wenn die aufgehende Sonne den höchsten Gipfel rötet, vor ihr die Flucht zu ergreifen und an sein Geschäft zu gehen.

Herzlich froh war ich, als der Pascha mich in Karput aufforderte mit ihm in seiner vierspännigen Kalesche nach Malatia zu fahren; das musst du dir vorstellen ungefähr, als wenn man bei uns jemandem vorschlägt, mit ihm in einem Luftballon aufzusteigen, die Sache ging vortrefflich bis an den nächsten Berg; dort erkannten wir, dass in diesem Land ein Maulesel eine weit zuverlässigere Reisegelegenheit ist als ein Wiener Wagen.

Nachdem der Pascha die Truppen gemustert und das Lager besichtigt hatte, gingen wir nach Asbusu, der Sommerstadt von Malatia. Über diesen wunderschönen Aufenthalt habe ich dir schon in früheren Briefen geschrieben; man kann sich einbilden in der lombardischen Ebene zu sein, so viel frisches Grün der Maulbeerbäume und Weingärten, so zahllose kleine Kanäle mit klarem, rauschendem Wasser gibt es hier. Mein Konak (Wohnung) ist klein, aber einer der hübschesten, die ich hier gefunden habe.

Seit vier Monaten haben wir hier keinen Regen, kaum nur ein Wölkchen am Himmel gesehen. Mein kleines Palais hat ein flaches Dach und nur drei Wände, und diese auch nur des Schattens wegen; dieses ganze Haus habe ich meinen Leuten eingeräumt, einem Tschausch oder Sergeanten als Ehrenwache, einem türkischen Soldaten, meinem Bedienten und zwei Seïs oder Pferdewärtern; ich selbst wohne auf einer Brücke, unter einem Baum, nämlich auf einer bretternen Estrade, die, um der Kühle willen, über dem darunter fortrauschenden klaren Gebirgsbach erbaut ist, welcher dieses ganze Paradies geschaffen. Teppiche und Polster bedecken den Boden meines Salons und den Plafond bildet ein Geländer von prächtigen Weinreben voll Trauben, die, vereint mit den nahe stehenden Nuss- und Mastixbäumen, zu allen Tageszeiten einen köstlichen Schatten auf diesen Sitz werfen. Hier schreibe, lese, esse, rauche und schlafe, kurz, wohne ich seit Wochen Tag und Nacht, außer wenn ich ausreite oder beim Pascha bin; eine Wand von himmelhohen Pappeln trennt zwei kleine Hofräume ab, in welchen meine Pferde und Maulesel sich befinden, und rings um das Ganze verbreiten sich Gärten voll riesenhafter Kürbisse, Melonen, Pasteken, Mais, Gurken und Bohnen, überschattet von Aprikosen-, Nuss-, Pflaumen-, Birnen-, Äpfel- und Maulbeerbäumen.

Die Witterung hat sich schon etwas abgekühlt; wir haben aber doch mittags selbst hier auf meinem schattigen Sitz über dem Wasser noch 25 Grad, nachts sinkt die Temperatur hingegen sehr bedeutend und kurz vor Sonnenaufgang haben wir regelmäßig 11 bis 12 Grad. Dieser so bedeutende Temperaturwechsel, verbunden mit dem Genuss des reichlich vorhandenen Obstes, mag die Hauptursache zu den vielen Krankheiten sein, die unsere Soldaten heimsuchen.

Ich habe früher nicht begreifen können, wie die Türken imstande sind Pelze zu tragen und ich selbst, der ich daheim nie einen brauchte, habe ihn hier den ganzen Sommer nicht abgelegt. Nachdem man den Tag über bis 28 Grad Hitze ertragen hat, findet man es bei 14 oder 15 Grad abends empfindlich kalt; viele der Einheimischen tragen zwei bis drei Pelze übereinander, Sommer und Winter, mittags und nachts, denn der Türke schläft fast ganz angekleidet; er behauptet, dass eben die Menge der Kleider gegen Wärme so gut wie gegen Kälte schützt.

Mir ist die Hitze eigentlich nie unerträglich geworden, nur macht sie träge; jede Bewegung ist eine Kraftanstrengung, und die größte von allen ist einen Brief zu schreiben. Meine Tracht zu Hause ist ein großer weißer Mantel von dünnem wollenem Zeug, wie er bei den Kurden üblich ist und wie ihn die Malteser-Ritter aus diesen Ländern nach Europa mitgebracht haben. Nichts Zweckmäßigeres und Angenehmeres als diese Tracht; man kann unter dem Mantel anhaben, so viel und so wenig man will, er schützt beim Reiten gegen Sonne wie gegen Regen; nachts dient er als Bettdecke und je nachdem man ihn umhängt, anzieht oder umbindet, ist er Mantel, Kleid, Gürtel oder Turban. Die Konstruktion dieses Gewandes ist die einfachste, nämlich die eines in der Mitte aufgeschlitzten Sackes; dessen ungeachtet drapiert er sehr gut und die irreguläre Reiterei mit solchen Mänteln, bunten Turbanen und langen Flinten sieht wirklich malerisch aus.

Die Türken steigen in demselben Anzug zu Pferde, in dem sie schlafen, und brauchen weder Sprungriemen noch Sporen anzulegen. Niemand braucht ein anderes Kleid anzuziehen, weil er zu einem vornehmen Mann geht, ausgenommen die reichen Rajahs, welche sich zu diesem Anlass einen zerlumpten Rock borgen.

Hier sieht man überall noch das schöne alte Kostüm; der Turban ist ebenso kleidsam wie zweckmäßig. Je nachdem man sich gegen die Sonne oder den Regen von der einen oder der anderen Seite schützen will, wird der Schal anders gewickelt, mit dem Hut hingegen liefe man beständig Gefahr einen Sonnenstich zu bekommen.

Das Beinkleid ist ein oft neun Ellen weiter Sack, der um den Leib zusammengeschnürt wird und an dessen unteren Ecken zwei Löcher sind, aus denen die Füße mit bunt gestrickten Socken hervorkommen; zwei, drei, sechs oder acht Jacken von leichtem Zeug, oft reich gestickt, schützen den Körper nach Maßgabe des Bedürfnisses; ein breiter Gurt oder ein Schal um den Leib nimmt Geldkatze, Tabaksbeutel, Handschar, Messer, Pistolen und Schreibzeug auf; eine Pelzjacke und darüber ein langer Pelz vervollständigen den Anzug, und ein Mantel von Ziegenhaar oder Filz schützt gegen Unwetter und dient als Lager.

Jede Bewegung des Mannes in diesem faltenreichen Anzug gibt ihm ein stattliches Ansehen und alle Augenblick sieht man eine Figur, die man zeichnen möchte.

Du siehst, dass ich dir eigentlich Neues nicht zu berichten habe. Der Aufenthalt hier in Malatia ist wie die kleinen Wirbel in einem reißenden Strom, in dem Strohhälmchen und Blätter einen Augenblick stillstehen und dann weiterschießen. Während des Restes der Sommerhitze lasse ich es mir schon gefallen; wohin dann, weiß ich nicht, denn wir erfahren hier nur, was der nächste Tag bringt.


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