Helmuth von Moltke
Unter dem Halbmond
Helmuth von Moltke

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40.
Malatia und Asbusu – Pass über den Taurus – Marasch

Marasch, den 28. März 1838

Infolge eines Auftrags des Paschas trat ich am 23. nachmittags eine Reise nach der syrischen Grenze an. Mein Gefolge war so klein wie nur möglich und bestand aus einem Tataren-Aga, meinem Bedienten, einem Surudschi mit einem Pack- und einem Reservepferd. Aus der weiten, von hohen Schneebergen umgebenen Hochebene von Karput stiegen wir in ein enges, tiefes Gebirgstal zum Euphrat hinab; die Nacht überraschte uns und wir fanden Unterkommen und freundliche Aufnahme in einem kleinen Kurdendorf, das wir in irgendeiner Felsschlucht entdeckten.

Noch vor Sonnenaufgang ritten wir eine steile Höhe hinab an den Euphrat (den die Türken den Fluss des Murad nennen); an dieser Stelle durchbricht er einen der vielen Arme des Taurus-Gebirges, und nachdem er oberhalb schon 250 bis 300 Schritt Breite hatte, verengt er sich hier auf 80 und schießt pfeilschnell zwischen hohen schwarzen Felswänden fort, deren Gipfel mit Schnee gekrönt sind.

In Is-oglu überschritten wir den Strom und kamen mittags nach Malatia, einer bedeutenden Stadt von 5000 aus Lehm erbauten Häusern, mit Terrassen statt Dächern; selbst die Kuppeln der Moscheen und Bäder sind mit Lehm überzogen, alle Höfe mit Lehmmauern umgeben und die ganze Stadt von derselben umformen grauen Farbe. Die Erfindung der Fensterscheiben ist für diesen Teil des Erdballs noch nicht gemacht.

Malatia steht im Sommer unbewohnt; alles zieht nach Asbusu, einem Dorf von 5000 Häuschen, die in einem zwei Stunden langen Wald von Kirsch-, Apfel-, Aprikosen-, Nuss- und Feigenbäumen begraben liegen. Überaus schlanke Pappeln mit weißen schnurgeraden Stämmen heben sich über diesen Wald wie die Minaretts einer Stadt empor und ein prächtiger Gebirgsbach mit kristallklarem Wasser rauscht durch alle Straßen.

Am 26. waren wir genötigt, Maulesel zu besteigen; die Tiere gehen sehr gut, nur muss man ihnen gestatten am äußersten Rand der Abgründe zu spazieren und sie nicht mit Zügel oder Sporen inkommodieren. Wir erkletterten an einer sehr steilen Berglehne den Kamm des Taurus und über ein Geröll von Steinen hinunter, welches in der Tat halsbrecherisch genug aussah. In einer wundervoll wilden Felsschlucht klebt an einer Berglehne das Dörfchen Erkeneh, tief unten schäumt ein Bach von Klippe zu Klippe und die schwarzen Felswände scheinen jedes Hinabsteigen unmöglich zu machen. Im Dorf Belveren bildet ein flacher Rücken die Wasserscheide zwischen den Zuflüssen des Arabischen und denen des Mittelländischen Meeres.

Gestern hatten wir einen mühsamen Ritt über hohe Gebirge, es schneite und regnete; als wir aber abends in das weite, prachtvolle Tal von Marasch hinabstiegen, änderte sich die Szene: Die Weide sprosste ihre ersten Blätter, das saftigste Grün färbte die breiten Felder und Wiesenflächen, in welchen sich zwei silberne Flüsse schlängeln, und Allahs goldene Sonne funkelte über der Stadt, während dicke schwere Wolken an den Schneegipfeln des Giaur-Gebirges hingen.

Heute war Ruhetag nach fünfundsechzig Stunden Ritt. Schon gestern Abend, durchnässt und halb erstarrt an dem südlichsten Punkte, den ich je erreicht, erquickte ich mich im heißen türkischen Bade; heute ordnete ich meine Papiere, ritt mit dem Pascha, der mir seine Rediff-Bataillone zeigte, und schreibe dir dies im Hofe eines armenischen Bankiers an einer sprudelnden Fontäne unter blühenden Mandelbäumen.


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