Helmuth von Moltke
Unter dem Halbmond
Helmuth von Moltke

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29.
Stillleben von Bujukdere – Der Tschibuk

Bujukdere, den 13. Juni 1837

Da bin ich denn wieder in den ruhigen Hafen von Bujukdere eingelaufen. Ich bewohne für ein paar Wochen ein Kiosk am Bosporus; die Kaiks gleiten geräuschlos unter meinem Fenster vorüber und die Berge rings umher sind mit Grün bedeckt, während um Konstantinopel schon alles von der Sonne versengt ist. Aus welchem meiner zahlreichen Fenster ich auch hinausschaue, überall sehe ich in die Pracht eines weiten Seegemäldes, einer Gebirgslandschaft oder in ein enges ummauertes Gärtchen voll blühender Rosen und Oleander. Der duftende Jasmin drängt sich durch die Gitter der Fenster und Geißblatt und wilder Wein überranken die Mauern. Auf dem Meer aber fängt der Tag sich zu regen an; die Sonne ist schon über die asiatischen Berge emporgestiegen, der Nordwind, der den ganzen Sommer hindurch weht und den Aufenthalt hier so kühl und angenehm macht, streift über die blanke Spiegelfläche des Wassers; die großen, ganz dicht am Ufer liegenden Schiffe lichten die Anker und das Klappern der Spille und der einförmige Gesang der Matrosen verhallen, wie ein Segel um das andere sich entfaltet und das Fahrzeug langsam den breiten Strom des Bosporus hinabgleitet. Wenn ich das Plätschern der Wellen höre, von denen ich mit dem gemächlichen Diwan nur durch die Fensterscheiben in der hölzernen Wand getrennt bin, so ist mir, als ob ich mich in der Kajüte eines großen Schiffs befände, und wenn ich mich umdrehe, so glaube ich in ein Klostergärtchen zu schauen, nur dass statt eines Franziskaners ein breiter Türke am Torweg sitzt und sein Nargileh, die Wasserpfeife, raucht.

Man begreift nicht, wie die Türken haben leben können, ehe die große Erfindung der Pfeife gemacht wurde. Wirklich waren die Gefährten Osmans, Bajasids und Mehmeds ein turbulentes Volk, das beständig im Sattel lag und Länder und Städte eroberte. Seit Suleimans Zeiten haben sie ihre Nachbarn auch wohl noch manchmal heimgesucht, sind aber doch ein wesentlich sitzendes und heute ein wesentlich rauchendes Volk geworden, denn selbst die Frauen »trinken« den Tschibuk.

Ich war kürzlich zum Kjat-hane oder dem Tal der süßen Wasser geritten und hatte mich dort auf einen kleinen niedrigen Rohrschemel, hinter dicken Platanen, so nahe an eine Gruppe Frauen herangesetzt, wie die türkische Etikette es erlaubt. Diese Damen erregten sich sehr über eine Gruppe Jüdinnen, die ebenfalls in einem Kaik von Konstantinopel herübergekommen waren und auf dem grünen Samtteppich der Wiese saßen; denn einmal waren sie so schrecklich entschleiert, dass man das ganze Gesicht von den Augenbrauen bis zur Oberlippe zu sehen bekam, und dann tranken diese Ungläubigen Branntwein oder wohl gar Wein. »Schickt sich das?«, fragte eine breite »Kokonnah«, eine türkische Frau. »Was ziemt sich für eine anständige Frau? Eine Tasse Kaffee, eine Pfeife Tabak et voilà tout!«

Zwei Dinge sind in Konstantinopel zur Vollkommenheit gebracht: die Kaiks, von denen ich dir schon schrieb, und die Pfeifen. Ein gewisser Grad von Unübertrefflichkeit führt zur Uniformität; ein Kaik ist genau wie das andere, so ist es mit den Pfeifen auch, und ich brauche dir nur eine zu beschreiben, so kennst du die ganze Kategorie von 28 Millionen (denn in diesem Land hat jeder seine Pfeife).

Das Weichselkirschrohr ist 2 bis 6 Fuß und darüber lang, je länger und je dicker, umso kostbarer. Wenn der unwissende Franke (die Türken sagen Jabandschi – »der Wilde«) einen Tschibuk kauft, so erhält er in der Regel ein aus Ahornholz gedrechseltes und mit Kirschbaumrinde plattiertes Rohr. Die Türken erkennen den Europäer auf den ersten Blick, besonders wenn er den Fes aufsetzt und mit Sommersprossen, rotem Bart und blauen Augen, mit Handschuhen und Brille auf der Nase den Anspruch erhebt für einen echten Gläubigen zu gelten.

Das zweite Requisit ist der Kopf (Luleh); der rote Ton wird in bleierne Formen gepresst, getrocknet und gebrannt. Du findest ganze Straßen von Läden, wo nur solche roten Köpfe, andere, in denen nur die Röhren feilgeboten werden; dieser Umstand bewirkt, dass man nie überteuert werden kann.

Das letzte und kostbarste Stück der Pfeife ist die Bernsteinspitze (Takkim). Am geschätztesten ist der milchweiße Bernstein ohne Adern oder Flecken, und wenn eine solche Spitze aus großen Stücken besteht, so kostet sie vierzig, fünfzig, selbst hundert Taler. Ich glaube, dass der größte Teil alles seit Jahrhunderten gefundenen Bernsteins in die Türkei gewandert ist, denn auch der geringste Türke sucht dabei ein Stückchen für seine Pfeife an sich zu bringen. Wahr ist es, dass keine andere Substanz so angenehm für die Lippen ist wie der Bernstein, von dem man sich noch überdies überzeugt hält, dass er keinen ansteckenden Stoff annimmt; dies ist zur Zeit der Pest beruhigend, denn wenn ein besonders geschätzter Gast eintritt, so gibt der Türke ihm sogleich seine eigene Pfeife zu rauchen.

Der Tabak (Tütün) ist vortrefflich und besonders der syrische von Ladik geschätzt; er wird sehr dünn geschnitten, brennt leicht und knistert wie Salpeter.

Ein eigener Diener hat nichts anderes zu tun, als seinem Herrn, der selbst nichts zu tun hat, die Pfeife rein zu halten, sie zierlich zu stopfen, eine glühende Kohle genau mitten auf den Tabak zu legen, den Tschibuk anzurauchen und mit einer gewissen Zeremonie zu überreichen; er fasst dabei das Rohr oben mit der rechten Hand, die linke aus Ehrfurcht vorn über den Leib gelegt, so schreitet er schnell auf dich zu und setzt den Kopf genau so an die Erde, dass, wenn er die Spitze herumschwenkt, sie dir an die Lippen reicht; dann schiebt er eine kleine Messingschale unter den Kopf, um den kostbaren Teppich vor der Kohle zu bewahren, und zieht sich rückwärts an die Tür zurück, wo er stehen bleibt und wartet, bis er wieder stopfen kann.

Die Türken sagen, die Pfeife »trinken« (tschibuk itschmek), und wirklich schlürfen sie sie wie wir ein Glas Rheinwein; sie ziehen den Rauch ganz in die Lungen ein, lehnen den Kopf zurück, schließen die Augen und lassen den berauschenden Dampf langsam und mit Wohlbehagen durch Nase und Mund ausströmen.

Ich habe früher nie rauchen können und als ich beim Seraskier die ersten Tschibuks zu genießen nicht vermeiden konnte, dachte ich mit Schrecken an eine wahrscheinlich bevorstehende Seekrankheit. Indes habe ich mich an die hiesige Art zu rauchen schnell gewöhnt und finde sogar ein Vergnügen daran, unter einer schattigen Platane den Blick über Meer und Berge schweifen zu lassen und halb träumend, halb wachend den expansiblen Trank aus der Pfeife zu leeren.

Um das Kapitel des Rauchens vollständig abzuhandeln, muss ich noch die Wasserpfeife (Nargileh) erwähnen. Der Rauch eines sehr schweren, etwas angefeuchteten Tabaks (Tümbeki) wird durch Wasser geleitet und gelangt kalt durch einen viele Ellen langen dünnen Schlauch in den Mund des Rauchers. Das Wasser befindet sich in einer gläsernen Urne; der Türke tut eine Rose oder eine Kirsche hinein und hat seine harmlose Freude daran, wie diese bei jedem Zuge auf der bewegten Oberfläche tanzt. Ein solcher Nargileh, ein schattiger Baum, eine plätschernde Fontäne und eine Tasse Kaffee sind alles, was der Türke bedarf, um sich zehn bis zwölf Stunden des Tages köstlich zu unterhalten. Der »Kjef« oder die gute Laune des Orientalen besteht in einer gleichmütigen Seelenstimmung mit gänzlicher Vermeidung aller Emotionen. Eine lebhafte Unterhaltung oder nur eine weite Aussicht sind schon Störungen; dagegen erhöht es sehr die Laune, wenn zur Romaika oder Zither der Armenier eine der einförmigen, durch das ganze weite Reich gleich tönenden Weisen singt, deren Refrain stets »Amann, Amann« – »Erbarmen« – ist, oder wenn griechische Knaben ihre nach unseren Begriffen höchst anstößigen und ungraziösen Tänze ausführen. Aber selbst zu singen oder selbst zu tanzen kommt keinem Moslem in den Sinn; man könnte ihm ebenso gut zumuten sich zu geißeln oder spazieren zu gehen.


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