Helmuth von Moltke
Unter dem Halbmond
Helmuth von Moltke

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13.
Der Frühling am Bosporus – Türkisches diplomatisches Mittagessen

Pera, den 20. Mai 1836

Seit einigen Tagen ist es plötzlich so kalt geworden, dass wir heizen müssen, und erst mit der Sonnenfinsternis am 15. Mai hat sich der Frühling aufs Neue eingestellt. Die Nähe des Schwarzen Meeres macht es, dass jeder Nordwind bis zum Juni Kälte mit sich bringt. Die Obstbäume haben zwei Monate geblüht, jetzt sind wir bei den Jasminen und den zahllosen Rosen, die alle Gärten füllen, auch fängt man schon an Erdbeeren und Kirschen anzubieten. Im Ganzen muss ich doch gestehen, dass ich den Frühling nicht so schön wie bei uns finde; es ist nicht dieser schnelle, zauberische Übergang und es fehlt die Hauptzierde, der Laubwald. Zur Zeit der griechischen Kaiser waren noch beide Ufer des Bosporus mit Wald bedeckt, jetzt sind sie kahle und unangebaute Höhen.

Viel Vergnügen macht es mir immer, den Bosporus hinauf zu wandern, bald zu Fuß, bald im Kahn, bald auf der europäischen, bald auf der asiatischen Seite. Um den Rückweg braucht man sich nicht zu kümmern; man setzt oder legt sich in eins der zierlichen leichten Kaiks, die alle Gewässer hier bedecken. Der Bosporus, welcher mit großer Schnelligkeit stets nach Konstantinopel zu fließt, führt uns, selbst wenn die Ruderer nicht wären, in kurzer Zeit wieder heim.

Vor einigen Tagen waren wir wieder die Gäste des Sultans oder vielmehr seines Defterdars oder Schatzmeisters. Man feierte auf einer großen Wiese ein Volksfest, wegen Beschneidung der jungen Prinzen, zu welchem man auch das diplomatische Korps eingeladen hatte. Da diese Feier echt türkisch ist, so gab man uns auch ein echt türkisches Diner, natürlich ohne Messer und Gabeln und ohne Wein. Den Anfang der Schüsseln machte ein gebratenes Lamm, mit Reis und Rosinen gefüllt. Jeder riss sich ein Stück ab und langte mit den Fingern hinein; dann folgte Helwa, eine süße Mehlspeise aus Honig, dann wieder Braten und wieder ein süßes Gericht, bald warm, bald kalt, bald sauer, bald süß. Jede einzelne Schüssel war vortrefflich, die ganze Kombination aber für einen europäischen Magen schwer verdaulich, und das alles ohne Wein. Das Eis wurde in der Mitte der Mahlzeit gereicht; endlich forderten wir dringend den Pillaw, welcher stets den Beschluss der Mahlzeit bildet. Dann wurde noch eine Schüssel Wuschaff oder ein Aufguss auf Obst auf die große runde Scheibe gestellt, an der wir aßen, und mit Löffeln geleert.

Vor und nach der Mahlzeit wäscht man sich. Es sah sehr possierlich aus, die Diplomaten in gestickten europäischen Uniformen an einer solchen Tafel zu sehen. Man band jedem ein langes, gesticktes Tuch um den Hals, als ob er rasiert werden sollte, und überließ ihn dann seinem Schicksal. Vor den Zelten waren Seiltänzer, arabische Gaukler, armenische Sänger, griechische Tänzer und walachische Musik. Abends wurde ein Feuerwerk abgebrannt, wie man es auf dem Kreuzberg bei Berlin ebenso gut sieht. Zwei Ballons, die aufsteigen sollten, rissen, ehe sie gefüllt waren.

Vor acht Tagen schrieb ich, dass ich am 10. des Monats zurückreisen würde, heute aber muss ich dir melden, dass dies alles sich wieder geändert hat. Der Großherr befahl dem Seraskier mich zu veranlassen einstweilen noch zu bleiben. Ich werde mit Halil Pascha (Schwiegersohn des Sultans und Großmeister der Artillerie) nach Varna gehen, das gegenwärtig befestigt wird. Wir reisen übermorgen ab und später werde ich dann die Dardanellen wieder besuchen. Was die Ankunft der preußischen Offiziere betrifft, so ist die Angelegenheit auf die lange Bank geschoben und wird vielleicht so bald noch gar nicht stattfinden. Ich hoffe daher gewiss den Winter in Berlin zu sein.


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