Helmuth von Moltke
Unter dem Halbmond
Helmuth von Moltke

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54.
Konzentrierung der Taurus-Armee

Malatia, den 5. April 1839

Unser Hauptquartier bricht in acht bis zehn Tagen von hier auf und sämtliche Truppen des Korps vereinen sich in einem Übungslager am Südfuß des Taurus, unweit Samsat. Durch die lange Anwesenheit beträchtlicher Massen sind die Vorräte in den bisherigen Unterkünften aufgezehrt und der Mangel an Fourage macht es nötig, eine wärmere Gegend aufzusuchen, wo die Pferde bereits Grasung vorfinden. Zudem gestatten die Strenge des Winters und die große Hitze des Sommers nur während des Frühlings und Herbstes anhaltend zu exerzieren und der Kommandierende hat deshalb beschlossen den nächsten Monat zu größeren Truppenübungen zu benutzen.

Neben diesen Gründen wird die Konzentrierung des Korps allerdings auch noch durch andere Rücksichten notwendig.

Es ist bekannt, dass die Pforte ihre Streitmacht in Asien in zwei Hauptlagern aufgestellt hat, zu Konieh und in Kurdistan. Wenn Ibrahim-Pascha einen Angriffskrieg beschließt, so ist es immer noch am wahrscheinlichsten, dass er trotz aller Hindernisse über den Kulek-Boghas hervorbricht, weil diese Richtung ihm die schnellen und entscheidenden Erfolge bietet, deren er in seiner prekären Lage für die Fortdauer seiner Existenz bedarf. Hadschi-Aly-Pascha nun steht auf jener kürzesten und wichtigsten Straße von Syrien nach der Hauptstadt; er ist der Schwächere und, geschützt durch Verschanzungen, wird er sich ohne Zweifel auf ein bloßes Abwehren des Gegners beschränken.

Fragen wir nun, welches für den vorausgesetzten Fall das Verhältnis Hafiz-Paschas sein kann. Mit einem so bedeutenden Korps untätig stehen zu bleiben wird niemand in den Sinn kommen; sich dem eingedrungenen Gegner vorschieben ist unmöglich. Nachdem ich diese Gegenden in allen wichtigen Richtungen durchreist habe, darf ich behaupten, dass man nur auf einem weiten Umweg über Kalsarieh sich mit Hadschi-Aly-Pascha vereinen könnte.

Die Nachrichten aus Syrien verdichten sich dahin, dass Ibrahim-Pascha Vorbereitungen zu einer Ansammlung seines Heeres in der Gegend von Aleppo trifft: Wie viel davon bereits ausgeführt ist, bedarf noch einer näheren Bestätigung, da wir mit unseren Nachrichten sehr im Finstern tappen und meist unter den extremsten Angaben zu wählen haben. So viel ist aber klar, dass Hafiz bei dieser Lage der Dinge nicht in Unterkünften verbleiben kann, die unter sich durch ein schwieriges Gebirge und einen großen Strom getrennt sind, dass er seine Kräfte wird vereinigen und vielleicht die militärisch wichtigen Punkte an der Grenze verschanzen müssen; denn, wie ich es für wahrscheinlich halte, dass Ibrahim-Pascha, um gegen Konstantinopel vorzudringen, die Operationslinie über Konieh jeder anderen vorziehen werde, so setze ich dabei als unerlässlich voraus, dass er sich zuvor durch eine kurze, kräftige Offensive gegen uns Luft mache, ohne welche ein Unternehmen auf Konstantinopel unausführbar wäre. Auf einen solchen plötzlichen Angriff muss Hafiz-Pascha nunmehr gefasst sein.

Schließlich noch fühle ich mich veranlasse zu wiederholen, dass die Kriegsfrage, von unserem Standpunkt aus gesehen, eine sehr drohende Gestaltung gewinnt; die vereinte Dazwischenkunft der Großmächte mag allerdings den Ausbruch noch einmal zurückzuschieben vermögen, dann wäre aber dringend zu wünschen, dass der Friede auf haltbarere Grundlagen gestützt würde, als der Status quo sie gewährt. Nach allem, was ich sehe, muss ich glauben, dass man in Konstantinopel ernstlich entschlossen ist, es auf die Waffenentscheidung ankommen zu lassen, und wirklich kann der gegenwärtige Zustand unmöglich noch fortdauern.


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