Helmuth von Moltke
Unter dem Halbmond
Helmuth von Moltke

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18.
Der Boghas oder der nördliche Teil des Bosporus

Bujukdere, den 20. September 1836

Ich habe dir schon früher von der Schönheit des südlichen Teils des Bosporus geschrieben. Er bildet eine breite, prachtvolle Straße mitten durch eine drei Meilen lange Stadt, deren eine Hälfte in Europa, die andere in Asien liegt. Auch der nördliche Teil ist schön; aber er ist es in einer ganz anderen Art. Statt des reichen Anbaus, des lebhaften Gewühls zeigt er eine wilde, einsame Natur und das Geräusch der Hauptstadt verhallt an den öden Bergen, welche die Meerenge einschließen.

Zwischen Therapia und Bujukdere erhebt sich in einer kleinen Schlucht eine Gruppe köstlicher Bäume. Eine silberhelle Quelle sprudelt unter ihrem Schatten, und ein kleines Kaffeehaus, aus dessen Dach mächtige Stämme hervorwachsen, enthält die unentbehrlichen Pfeifen, die kleinen Tassen, niedrigen Rohrschemel und Bastmatten, auf welche man sich gemächlich hinstreckt. Von dort blickt man zwischen steilen Felswänden gerade hinaus in den nur anderthalb Meilen entfernten pontus inhospitalis, der doch ein so lachendes, einladendes Aussehen hat. Den ganzen Sommer hindurch erhebt sich gegen Mittag der Seewind und je heißer die Sonnenglut draußen, je kühler rauscht es hier durch die Zweige, je lieblicher sprudelt der Quell. Der Ort heißt Kiretsch burun, die Kalkspitze: Er ist mein Lieblingsplätzchen, zu dem ich zu Wasser im bequemen Kaik oder zu Pferde über die Berge oder zu Fuß auf einem schmalen, vom Meer bespülten Pfad längs der steilen Bergwand wallfahrte. Dort habe ich manches Stündchen verträumt.

Wohin du deinen Blick richtest, fällt er auf klassische Gegenstände. An diesen Gestaden pflückte Medea ihre Zauberkräuter; in jenem weiten Tal, an dessen oberem Ende eine türkische Wasserleitung schimmert, lagerten die Ritter des ersten Kreuzzuges, und eine Gruppe von neun riesenhaften Stämmen trägt noch heute den Namen: die Platanen Gottfrieds von Bouillon.

Auf den Höhen zu beiden Seiten ragen die Trümmer zweier genuesischen Kastelle. Sie standen durch lange Mauern mit den Ufern des Bosporus und den dortigen Batterien in Verbindung, denn das mächtige Handelsvolk legte dem byzantinischen Reich seine Fesseln auf, bis es mit Byzanz zugleich von den Türken verschlungen wurde. Das Schloss auf der europäischen Seite ist beinahe schon verschwunden, aber das asiatische ragt noch mit hohen Türmen, Mauern und Zinnen, zwischen denen eine köstliche Vegetation von Feigen- und Lorbeerbäumen sich hervordrängt. Ungeheure Efeustämme steigen empor und scheinen mit tausend Armen das alte Gemäuer zusammenhalten zu wollen.

Nördlich von dem Schloss Karibsche bildet das schwarze Gestein eine Kluft, die sich rückwärts trichterförmig zu einer Röhre gestaltet, die am Ende eine Öffnung nach oben hat. Bei hoher See wälzen sich die Wogen in diesen Spalt hinein; sie schießen mit Ungestüm in den stets schmaler werdenden Raum vorwärts und spritzen mit lautem Getöse in einer wohl 20 Fuß hohen Dampfsäule aus der engen Öffnung hervor.


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