Helmuth von Moltke
Unter dem Halbmond
Helmuth von Moltke

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26.
Die Pest

Konstantinopel, den 22. Februar 1837

Ich habe soeben meine Aufnahme von Konstantinopel beendet; gewiss in keiner anderen Hauptstadt hätte ich so unbelästigt wie hier in den Straßen arbeiten können. »Harta«, meinten die Türken, »eine Karte«, und gingen ruhig weiter, als ob sie sagen wollten: »Wir verstehen doch nichts davon.« Zuweilen wurde ich auch mit meiner Messtischplatte für einen »Moallbidschi«, einen Mann, der Süßigkeiten auf einer weißen Scheibe in den Straßen zum Verkauf herumträgt, gehalten und als solchen suchten die Kinder Freundschaft mit mir zu machen. Am neugierigsten sind die Frauen, diese wollten durchaus wissen, was auf dem Papier stände, wozu der Padischah das brauchte, da er ja schon hier gewesen sei, ob ich nicht Türkisch spräche oder wenigstens Römisch (nämlich Griechisch). Da meine Bedeckungstruppe dies verneinte, so betrachteten sie mich wie eine Art Halbwilden, mit dem man sich nur durch Zeichen verständigen könne. Großes Vergnügen machte es ihnen, vielleicht nur, weil es verboten ist, wenn man sie abzeichnete; nun ist nichts leichter als das: ein großer weißer Schleier, aus dem zwei schwarze Augen, ein Endchen Nase und breite zusammenstoßende Augenbrauen herausschauen, hätte ich eine Lithographie davon gehabt, so hätte ich es jeder Einzelnen als ihr Porträt überreichen können und alle würden es sehr ähnlich gefunden haben. Etwas zudringlicher als die Türken waren die Griechen und Juden, aber ein bloßes »Jassak dir« – »es ist verboten« – von meinem Tschausch (Sergeanten) war genug, um sie wie einen Schwarm von Sperlingen zu verscheuchen.

Jetzt brechen die Frühlingsstürme über uns herein, der Weißdorn, der Kirsch- und Mandelbaum stehen in Blüte, die Krokusse und Primeln drängen sich aus der Erde hervor und ich würde dir gern ein konstantinopolitanisches Veilchen schicken, wenn selbiges nicht an der Grenze von Kaiserlich Königlichen Sanitätsbehörden als pestfangender Gegenstand inhaftiert werden würde. Da gegenwärtig die Pest beinahe erloschen ist oder die Gefahr doch nicht größer ist als die, in welcher jeder Mensch jeden Tag schwebt, muss ich dir doch ganz aufrichtig über diesen Gegenstand ein paar Worte schreiben, damit du dir keine unnötige Sorge machst, denn man fürchtet am meisten die Gefahr, die man nicht kennt, weil man sie überschätzt.

Ob die Pest aus Ägypten oder aus Trapezunt kommt oder wie sie und wo sie sonst entsteht, darüber will ich dir nichts sagen, weil ich und weil kein Mensch das weiß. Die Pest ist ein noch unerklärtes Geheimnis; sie ist das Rätsel der Sphinx, welches dem das Leben kostet, der sich an die Lösung wagt, ohne sie zu finden. So ging es mit den französischen Ärzten bei der Armee Napoleons in Ägypten, so ging es unlängst einem jungen deutschen Arzt, der sich hier dreißig Tage lang den erdenklichsten Proben aussetzte, endlich in ein türkisches Dampfbad ging, sich zu einem Pestkranken legte und binnen vierundzwanzig Stunden tot war.

Während der diesjährigen Pest, der heftigsten, die seit einem Vierteljahrhundert hier gewütet hat, bin ich ganze Tage in den engsten Winkeln der Stadt und der Vorstädte umhergegangen, bin in die Spitäler selbst eingetreten, gewöhnlich umgeben von Neugierigen, bin Toten und Sterbenden begegnet und lebe der Überzeugung, mich einer sehr geringen Gefahr ausgesetzt zu haben. Das Wichtigste ist Reinlichkeit; sobald ich nach Hause kam, wechselte ich von Kopf bis Fuß Wäsche und Kleider und Letztere blieben die Nacht durch im offenen Fenster aufgehängt. Wie sehr überhaupt die einfachste Vorsicht schützt, dies beweist die geringe Zahl von Opfern, welche die Pest unter der fränkischen Bevölkerung dahinrafft, indes die Türken und die Rajahs zu tausenden sterben.

In diesem Brief ist so viel von der Pest die Rede gewesen, dass ich denke, man wird ihn an der Grenze ganz besonders durchräuchern müssen.


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