Balduin Möllhausen
Die Mandanen-Waise
Balduin Möllhausen

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

34

Schluß

»Was ist aus dem armen Anton geworden, nachdem er in dem Oberstleutnant seinen Beschützer verloren hatte,« brach ich nach einer Weile das Schweigen, in das Wandel nach der Schilderung der schrecklichen Begebenheit versunken war.

»Für Anton ist gut gesorgt worden,« antwortete mein Gastfreund mit einem tiefen Seufzer, als ob er die trüben Bilder, die der Schluß seines Berichtes vor seine Seele heraufbeschworen, mit Gewalt hätte verscheuchen wollen; »doch es ist am besten, Sie lesen den letzten Brief von meinem unvergeßlichen väterlichen Freunde,« fügte er hinzu, mir das vor ihm auf dem Tisch liegende Schreiben reichend; »er gibt nicht nur Aufschluß über alles, was zu wissen Sie noch wünschen können, sondern er charakterisiert den alten Herrn auch besser, als ich es mit endlosen Schilderungen zu tun vermöchte. Es ist übrigens der längste, den er jemals an mich schrieb, und wie Sie sich überzeugen werden, schrieb er ihn wie im Vorgefühl, daß es auch wohl sein letzter sei.«

Ich hatte unterdessen den Brief entfaltet; die große, steile, altmodische Schrift war schon etwas vergilbt, jedoch noch immer leserlich. Mit warmer Teilnahme und inniger Verehrung betrachtete ich die mit unsicherer Hand gleichsam gemalten Worte des alten Kriegers, dessen ehrwürdige Gestalt ich versuchte, hier zu verbildlichen, und dann begann ich zu lesen.

Soweit der Inhalt des Briefes sich auf diese Erzählung bezog, lautete er folgendermaßen:

»Seit meine alte brave Lisette – Gott habe sie selig – zur großen Armee abmarschiert ist, hat mir immer etwas gefehlt. Drum freue ich mich, sie wiederzusehen, und da im Himmel das Fluchen von selbst fortfällt, so wird sie wohl mit ihrem Alten zufrieden sein. – Der Anton ist mir in den letzten Jahren ein rechter Trost gewesen: erstens ist er nicht so dumm, wie er aussieht, und dann glaube ich auch, würde er sich mit Freuden für mich in hunderttausend Stücke zerhacken lassen. Meine Pfeifen haben immer Luft, der Ofen ist stets warm, ich meine, wenn es draußen kalt ist – unter uns gesagt, mein Blut hat in den letzten dreißig Jahren viel von seiner Hitze verloren – die Hunde erhalten, was ihnen zusteht, und dann, mein lieber Gustav, sind die Gräber meiner Lisette und unserer Johanna jederzeit so sauber gejätet und mit so hübschen Waldblumen und Efeu bepflanzt, daß es eine Freude ist. Ja, an dem Anton ist ein Gärtner verdorben, und er hat mir versprochen, daß, wenn ich erst zwischen den beiden Lieben meine morschen Knochen ausruhe, er auch mein Grab in Ordnung halten und mit Buchsbaum die Umrisse eines eisernen Kreuzes oben darauf pflanzen will. Die Zeichnung dazu habe ich selbst entworfen und um ihm die Arbeit zu erleichtern und zu verhüten, daß er die Ecken mit Schnörkeln versieht, aus starker Pappe ausgeschnitten.

Aber da fällt mir ein, für den Anton braucht Dir nicht bange zu sein, denn da Du jetzt in guten Verhältnissen lebst, kann es Dir auf die paar hundert Taler, die ich allmählich erübrigte, nicht ankommen. Ich habe daher das Geld und sonstige Kleinigkeiten dem Anton in einer Weise vermacht, daß er, solange er lebt, die Zinsen davon bezieht. Er soll dafür im Pfarrhause wohnen und unsere Gräber beaufsichtigen. Er braucht also nicht wieder betteln zu gehen, und wenn die Zinsen nicht ganz ausreichen, wird er sich durch leichte Gartenarbeit noch etwas dazu verdienen. Er befindet sich übrigens ganz wohl und munter und grüßt den lieben jungen Herrn, der mit ihm an demselben Tisch gesessen und seinen Jakob vom Tode errettet hat – dankbare Seele – Apropos! Jakob ist noch immer derselbe, die Bestie scheint gar nicht älter zu werden; er schimpft auf die ganze Welt, und flucht wie ein Dragoner, da sage mir einer, daß solch Vieh nicht seinen gesunden Menschenverstand habe! Diana – ich meine die jüngste Tochter der verstorbenen Diana, die Du noch gekannt hast – und Jakob sind endlich doch noch ganz gute Freunde geworden; nur zuweilen fallen noch kleine Scharmützel um einen Knochen vor, bei denen der Hund, der bereits ins Greisenalter getreten ist, beständig den kürzeren zieht.

Antons Uhr hängt noch immer an ihrem alten Nagel; sie geht so richtig, wie die Uhr eines Wachtmeisters, und wird wohl bald die Stunde anzeigen, in der ich mich zum Rapport bei unserm lieben Herrgott melden muß. Sage doch dem Hans, dem schreibfaulen Schlingel, daß ich Quartier für ihn machen werde. Er braucht sich indessen nicht zu übereilen; ein so junges Blut – er kann noch nicht aus den Sechzigern heraus sein oder ist er schon? – muß vorher sein Leben noch ordentlich genießen. Wäre ich so jung wie er, dann sollte mich nichts in der Welt abhalten, Euch einen Besuch abzustatten. Möchte gar zu gern Deine Frau kennen lernen und die kleine Johanna. Der alte Gott muß doch noch leben oder alles hätte nach dem vielen Kummer nicht so gut werden können. Soll mich wundern, ob ich im Himmel mein Auge wiederfinde, das mir der unvorsichtige Granatsplitter ausgeschlagen hat; schere mich indessen den Henker darum; habe ich auf Erden so lange ohne dies Auge zugebracht, brauche ich's auch im Himmel nicht mehr. Hauptsache bleibt die Lisette und Johanna und endlich mein Bruder, der bei Jena fiel. – Bald achtzig Jahre ist eine lange Zeit, und dennoch, wie kurz erscheint mir mein Leben. Wären meine Knochen nicht bereits so mürbe und müßte ich mir das Pferd nicht immer ganz dicht an die Haustürschwelle heranbringen lassen, um in den Sattel zu klettern, so würde ich gar nicht glauben, daß ich schon so alt sei. Doch ich kann immerhin zufrieden sein. Der Kummer meines Lebens ist mir allmählich so lieb geworden als des Lebens Freuden, denn bei beiden sprach und spricht heute noch das Herz gleich aufrichtig mit. Meine letzte Freude aber ist die über Dich und die Deinen, und dann, daß ich mit dem Gefühl eines herzlich Ermüdeten an die ewige Ruhe denke. Gott segne Euch alle! Küsse in meinem Namen Deine Frau und unsere Johanna und drücke dem Hans die Hand.«

»Der liebe alte Mann,« sagte ich, nachdem ich den Brief zu Ende gelesen hatte und wieder zu Wandel aufschaute.

»Und doch ist dieser Brief nur ein schwacher Abglanz seines Wesens, wie es in Wirklichkeit war,« fügte mein Gastfreund hinzu; »zwar hat er geschrieben, wie und was er dachte, allein den Ton seiner Stimme mußte man hören, um ermessen zu können, welch unbegrenztes Wohlwollen, welch weiches Herz, welch unerschütterliche Treue unter der rauhen Hülle wohnten.

Gern hätte ich ihn noch einmal wiedergesehen, ihn gern noch einmal auf der Oberförsterei in seinem patriarchalischen Wirken überrascht, allein die Umstände verboten das.

Und es ist vielleicht gut so; denn so, wie der liebe Vater Rhein mit seinen herrlichen Ufern meinem Geiste noch immer vorschwebt, würde ich ihn doch nicht wiederfinden. Die Eindrücke, die der von romantischen Ideen übersprudelnde Jüngling damals in sich aufnahm, gestatten keinen Vergleich mit denjenigen, denen der gereifte Mann unterworfen sein würde.

Warum auch noch einmal alte Wunden aufreißen, noch einmal nach Punkten hinpilgern, auf denen die bittersten Gefühle gegen einen Teil der Menschheit wachgerufen würden?

Ich lebe versöhnt mit der ganzen Welt, und aus innigster Überzeugung wiederhole ich die Worte meines verstorbenen redlichen Vormundes: der Kummer meines Lebens ist mir so teuer geworden wie meines Lebens Freuden, denn von beiden wurde mein Herz gleich tief, gleich nachhaltig berührt. Und dann,« fuhr Wandel nach längerem Sinnen wie zu sich selbst sprechend fort, »in der eigenen Heimat bin ich ein Fremdling geworden, während hier, in der Heimat meiner Lieben, hier, wo meine ganze irdische Freude, mein ganzes irdisches Glück erblühte, alles, was mich umgibt, von der bescheidenen Feldblume bis zur strotzenden Rebe, mir so heimisch, so lieblich entgegenlächelt, als ob ohne meine Anwesenheit die Blumen verwelken, die Weinstöcke verdorren müßten.

Wen aber würde ich dort drüben finden, der sich meiner noch erinnerte, mir mit einem zum Herzen dringenden Willkommen die Hand entgegenreichte? Niemand, niemand; denn diejenigen, mit denen ich einst in Liebe verbunden gewesen war, schlummern in ihren Gräbern, und die andern, in deren Gesellschaft ich nur frohe Stunden genoß, sind nach allen Himmelsrichtungen hin zerstreut worden.

Freilich, jemand lebt noch dort, den es beglücken würde, mich wiederzusehen; ich meine den armen Anton. Der treue ehrliche Mensch ist zu einfältig, um einen Jugendfreund oder empfangene Wohltaten zu vergessen.

Auch Fräulein Brüsselbach, wenn sie noch unter den Lebenden weilt, würde mich vielleicht wiedererkennen; und erzählte ich ihr sogar, daß ihre Weissagung wörtlich in Erfüllung gegangen sei, wie würde das arme Geschöpf dadurch von Stolz über ihre Sehergabe beseelt werden?

Und ein merkwürdiges Zusammentreffen ist es in der Tat, daß schließlich dennoch die ›Tochter ihres Vaters‹, die Schwester meiner armen Johanna, mir zum Altar folgte.«

So sprechend strich Wandel mit der Hand über seine Stirne, wie um sich aus der Vergangenheit wieder in die Gegenwart zurückzuversetzen, und dann füllte er die vor uns stehenden Gläser, die so lange unberührt geblieben waren, mit dem perlenden Kataubawein.

»Hier ist meine Heimat,« begann er feierlich, »hier will ich leben und, wenn meine Stunde einst schlägt, auch begraben sein. Was ich am Rhein aus vollem Herzen sang, wenn die Wanderlust sich in meiner Brust regte und die Arme jugendfrischer Kommilitonen sich mit erhobenem Becher ineinanderverschlangen, das wiederhole ich hier aus dankbarem Herzen:

»Und Liebe, sie folgt ihm, sie geht ihm zur Hand,
Und macht ihm zur Heimat das ferneste Land!«

Die Gläser erklangen.

»Und Liebe, sie folgt ihm, sie geht ihm zur Hand,
Und macht ihm zur Heimat das ferneste Land!«

wiederholte ich, und dann leerten wir die Gläser.

Wandel war plötzlich schweigsam geworden; doch entsprang sein Schweigen nicht etwa einer traurigen Stimmung, denn indem seine Blicke durch den Eingang der Laube nach dem Hause hinüberschweiften, vor dem Frau Jeannette und ihre Tochter sich eben damit beschäftigten, dem durcheinanderschwirrenden Federvieh des Tages letzte Mahlzeit zu verabreichen, bemerkte ich, daß aus seinen Augen ein Ausdruck leuchtete, wie ihn nur ein wahrhaft zufriedener und innig beglückter Mensch zur Schau tragen kann.

Ich wagte nicht, ihn in seinen Betrachtungen zu stören; sie betrafen offenbar seine Lieben und den Segen, der auf seinem häuslichen Herde ruhte. Erst als er sich mir wieder zuwandte, nahm ich die Unterhaltung von neuem auf.

»Nun ist noch jemand da, über dessen Geschick ich gern Aufschluß erhalten hätte,« begann ich zögernd, »ich meine –«

»Sie meinen die liebe Kate mit dem lachenden Antlitz und den guten freundlichen Augen,« unterbrach Wandel mich schnell. »Ja, die meine ich,« entgegnete ich erfreut darüber, daß mein liebenswürdiger Gastfreund sich so bereitwillig zeigte, meinem Wunsche entgegenzukommen, »und es kann Sie nicht überraschen, daß ich nach Lesung ihres Manuskriptes von herzlicher Teilnahme für die mutige Jägerin erfüllt bin.«

»Ah, ich entsinne mich, ich habe das brave Mädchen mit sehr warmen Worten geschildert,« versetzte Wandel gutmütig lachend, »aber glauben Sie mir, ich habe sie lange noch nicht so enthusiastisch geschildert, wie sie es verdient. Ja, ja, die Kate, die liebe gute Kate ist noch immer das ewig heitere, lachende Kind von früher. Aus der Kate Dalefield ist aber bereits vor zwölf Jahren eine Kate Halbert geworden, und zwar eine Kate Halbert, deren glückliches Lachen in nicht weniger als vier kleinen holden Gesichtern einen lieblichen Abglanz findet.

In unserm Verhältnis zueinander hat sich indessen nichts geändert, es sei denn, daß es noch herzlicher geworden ist, und ihr Gatte und meine Jeannette dem Bunde, den wir einst am obern Missouri unter so seltsamen Umständen schlossen, beigetreten sind.

Sie betrachtet sich noch immer als meine Schwester, und ich hänge wieder mit wahrer brüderlicher Liebe an ihr. Wir sehen uns häufig, und wiederum möchte ich es mehr als einen bloßen Zufall nennen, der uns fast zu Nachbarn gemacht hat. Ja, denken Sie nur, die Familie Halbert lebt nur wenige Meilen von hier auf einer umfangreichen und prachtvoll eingerichteten Besitzung. Schade, schade, daß sie sich augenblicklich im Norden an den Süßwasserseen befindet, Sie hätten sie sonst unbedingt kennenlernen müssen.

Daß wir so nahe beieinander wohnten, erfuhr ich erst, nachdem ich schon ein Jahr auf dieser Stelle zugebracht hatte. Und ich würde es auch dann wohl kaum erfahren haben, wenn Kate und ihr Gatte nicht Nachforschungen nach mir angestellt hätten, die, am obern Missouri beginnend, endlich nach vielem Hin- und Herschreiben hier auf meinem Grundstück endigten. Welche Freude aber auch, als Halbert und seine junge Gattin hier vorfuhren und ich ihnen in der Mandanen-Waise meine Frau vorstellte.

Kate war freudig erstaunt, indessen weniger über meine Verheiratung, von der sie bereits gehört hatte, als über die Veränderung, die in dem kurzen Zeitraum von nicht ganz zwei Jahren mit Jeannette vor sich gegangen war; kaum vermochte sie sich zu überreden, daß die gebildete, liebliche junge Frau mit dem holden, etwas befangenen Wesen dasselbe freundliche Indianermädchen sei, das noch immer als die kühne Retterin ihres Gatten, als die Forelle des Missouri in ihrer Erinnerung fortlebte.

Selbstverständlich wurde seit jenem Tage unser Verkehr mit der Familie Halbert ein sehr reger. Widerwärtigkeiten und Gefahren hatten uns zusammengeführt, und Glück und Zufriedenheit vereinigten uns immer fester miteinander.

Das Verhältnis zwischen Kate und Jeannette gestaltete sich bald in ein sehr inniges, und namentlich in Dingen, in denen der Mann keine klare Einsicht haben kann, erwies sich der Einfluß der ersteren auf meine Frau als ein wahrhaft segensreicher.

Doch Sie werden in den nächsten Tagen noch Gelegenheit genug haben, sich zu überzeugen, ob ich vielleicht, von blinder Liebe geleitet, übertrieb,« fügte Wandel mit einem unbeschreiblich herzlichen Ausdruck hinzu, indem er etwas zur Seite rückte und seine eben in die Laube tretende Gattin neben sich auf die Bank zog, die kleine Johanna dagegen auf seinen Schoß hob.

»Ich habe mich längst überzeugt,« antwortete ich, mit innigem Wohlgefallen die reizende Gruppe betrachtend.

»Darf ich mich an der Unterhaltung beteiligen und fragen, wovon mein Mann Sie zu überzeugen wünscht?« fragte Frau Jeannette in dem reizendsten, fremdländisch betonten Deutsch, wobei sie leicht errötete.

»Ich will dir's sagen, mein Kind,« kam Wandel mir schnell zuvor, mir verstohlen mit den Augen zuwinkend; »der fremde Herr da drüben oder vielmehr unser lieber Landsmann hegt die Überzeugung, daß mein altes Manuskript nebst allem, was ich ihm noch dazu erzählte, sich vortrefflich zu einem Buche eignen würde und beabsichtigt daher, die ganze Geschichte niederzuschreiben und drucken zu lassen. Habe ich recht?« schloß er dann, indem er sich mir zuwendete.

»Ich kann nicht leugnen, daß mir dergleichen im Kopfe herumging,« antwortete ich ausweichend, »doch bin ich weit entfernt davon, schon einen bestimmten Plan entworfen zu haben; vor allen Dingen würde ich Sie vorher um Ihre Erlaubnis –«

»Oh, entschuldigen Sie sich nicht,« fiel Wandel mir lachend ins Wort, »ich habe in der ersten Stunde unseres Zusammenseins Ihre Absicht erraten, und ohne Grund war ich nicht so ausführlich in meinen Berichten!«

»Sie wollten es mir gestatten?« fragte ich erfreut, meinem Gastfreunde die Hand über den Tisch darbietend.

»Und warum denn nicht?« fragte Wandel zurück, in meine Hand einschlagend, »ich erteile Ihnen nicht nur die Erlaubnis, sondern ich bin auch bereit, wenn Sie erst zur Ruhe gekommen sind und mit der Arbeit beginnen wollen, Ihnen mein Manuskript zur Verfügung zu stellen. Aber eine Bedingung! meine Jeannette ist die Hauptperson der Erzählung und muß als solche mit der gebührenden Wärme geschildert werden!«

»Ich?« fragte Frau Jeanette mit einer überaus reizenden Verwirrung.

»Ja, du mein Kind,« Versicherte Wandel heiter, indem er den Arm zärtlich um seiner Gattin Schultern legte.

»Aber wie kann ein armes Indianermädchen die Hauptperson in einem Buche sein?« fragte diese noch immer verlegen, »ja, wenn ich irgend etwas Besonderes geleistet und mich dadurch ausgezeichnet hätte; aber ich habe ja weiter nichts getan als meinen Mann über alles geliebt und verehrt.«

»Und glücklich gemacht hast du ihn auch,« fuhr Wandel wieder fort, »aber beruhige dich nur, mein gutes Kind, unsere Geschichte –«

»Und Sie liefern mir den Titel zu dem Buche,« unterbrach ich ihn, mich an seine Gattin wendend.

Frau Jeannette sah mich eine Weile überrascht und sinnend an; plötzlich aber leuchtete es in ihrem schönen Antlitz auf. »Nennen sie das Buch ›Der brave deutsche Student‹« sagte sie, mit einem fragenden Blick auf ihren Gatten.

»Oh, so war es nicht gemeint,« versetzte Wandel wiederum herzlich lachend, »du selbst, deine Person, dein Name soll den Titel liefern oder vielmehr bilden, und da rate ich denn sehr dringend zu sagen: ›Die Mandanen-Waise, eine Erzählung aus den Rheinlanden und dem Stromgebiet des Missouri‹«

»Von ganzem Herzen einverstanden!« rief ich erfreut aus. »Die Mandanen-Waise soll das Buch heißen und nicht anders.«

»Ist das dein unumstößlicher Wille?« fragte Frau Jeannette ihren Gatten leise.

»Mein unumstößlicher Wille,« antwortete dieser, seine Frau auf die Stirn küssend; »es bleibt bei der Mandanen-Waise, und nun ins Haus, Kinder, denn irre ich nicht, so wartet der gedeckte Tisch auf uns.«

Frau Jeannette, nunmehr über den Titel vollständig beruhigt, nickte ihrem Gatten zustimmend zu, und gleich darauf erhoben wir uns, um ihrer wiederholten Einladung Folge zu leisten.

Wandel, die kleine Johanna an der Hand, schritt vorauf, und Frau Jeannette und ich folgten auf dem Fuße.

»Wie lange dauert es, bis Sie mit der Ausarbeitung des Buches beginnen?« fragte meine Begleiterin mit unterdrückter Stimme.

»Leider noch sehr lange,« antwortete ich ebenso leise, obwohl ich vergeblich zu erraten suchte, was sie bezweckte, »es können sogar noch Jahre darüber hingehen.«

»Welch lange Zeit; Sie werden aber nicht vergessen, meinen Mann so zu beschreiben, wie er es verdient?«

»Gewiß nicht.«

»Beabsichtigen Sie, auch unsere kleine Johanna zu erwähnen?«

»Der kleine Engel soll mit als Hauptperson behandelt werden.«

Ein Lächeln des Stolzes glitt über Frau Jeannettes wunderschönes Antlitz.

»Dann beschreiben Sie auch wohl unser Haus?« fragte sie gleich darauf wieder lauter.

»Ihr Haus und Ihren Garten, Ihren Wein und Ihre Blumen, vor allen Dingen aber den holden Frieden, der Ihre traute Heimat umschwebt, und das Glück und die Zufriedenheit, die unter diesem gesegneten Dache wohnen.«

Wir waren bei der Haustür angekommen. Wandel kehrte sich nach mir um und reichte mir die Hand. Er sprach nicht, aber in seinen Augen stand geschrieben, daß er wenigstens den letzten Teil unserer Unterhaltung verstanden hatte.

Einige Minuten später saßen wir traulich um den weiß gedeckten Tisch, auf dem einige auf Mandanen-Art zubereitete Fleischschnitten das Hauptgericht bildeten.

Zwei Tage blieb ich noch auf der Farm, und als ich dann endlich von dannen zog, gaben Wandel, Frau Jeannette und die kleine Johanna mir eine Strecke das Geleite.

Der Abschied wurde mir schwer; auch meine lieben Gastfreunde sahen mich, wie ich allen Grund habe zu glauben, nur ungern scheiden. –

Zwölf Jahre sind, seitdem verstrichen. Wandels Haare sind zurzeit wohl schon ganz weiß, während seine schöne Gattin zur stattlichen Matrone geworden ist und ihre liebliche, viel versprechende Tochter ohne Zweifel den segensreich wirkenden Mittelpunkt einer neu begründeten Häuslichkeit bildet. Doch mögen die Jahre ihr Äußeres noch so sehr verändert haben, ihre Herzen sind dieselben geblieben, ich fühle es, ich weiß es, zu viel Aufrichtigkeit, zu viel innerer Friede sprachen aus ihren Worten, aus ihren Blicken.


 << zurück