Balduin Möllhausen
Die Mandanen-Waise
Balduin Möllhausen

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22

Ein Nachtmarsch

Dalefield und die Seinigen über unsere gemeinschaftliche Lage aufzuklären durfte ich nicht wagen, denn der argwöhnische Indianer wich mir nicht mehr von der Seite.

Ich entschloß mich daher, vorläufig nur die Rolle eines Reisehauptmanns zu übernehmen, dessen Anordnungen sich alle übrigen unbedingt zu unterwerfen hatten.

Meine geheime Unterhaltung mit Blackbird war nicht unbemerkt geblieben, und da ich allen ein heiteres, unbesorgtes Gesicht zeigte und zwischen dem Indianer und mir scheinbar ein gutes Einvernehmen herrschte, so beruhigte man sich allmählich wieder.

Außer Schanhatta war ich wohl der einzige, dem es auffiel, daß Blackbird, so frei er sich auch in unserer Gesellschaft bewegen mochte, keinen Augenblick seine Waffen ablegte, wodurch mir jede Gelegenheit genommen wurde, ihn unschädlich zu machen.

So rückte der Abend heran und nur noch in geringer Höhe stand die Sonne über dem Horizont. Zwischen meinen Gästen und mir hatte sich im Laufe des Nachmittags ein freundschaftliches Verhältnis gebildet; es befremdete daher niemand, als ich Kate Dalefield in scherzhafter Weise fragte, ob sie mich auf einem kurzen Spaziergange am Fluß hinunter begleiten wolle.

»Mit Freuden!« rief das heitere Mädchen aus, »denn da ich als eine gehorsame und pflichtgetreue Tochter meine einsamen Ausflüge aufgeben muß, kann ich Euer Anerbieten nur dankbar annehmen, vorausgesetzt, Ihr versprecht mir, daß unser Spaziergang nicht über eine Stunde dauern soll.«

»Ich verspreche es,« entgegnete ich lachend, und bald darauf schritten wir langsam auf dem Ufer des Flüßchens dahin.

Kaum aber befanden wir uns außer Hörweite, so fragte ich, ob sie, mit ihrem unerschütterlich heiteren Humor sich wohl stark genug fühlte, die Nachricht von einer drohenden Gefahr lachend entgegenzunehmen.

Ein Zug von Besorgnis glitt über das freundliche Antlitz, im nächsten Augenblick aber schüttelte sie mutwillig ihr schönes Haupt.

»Beinah hätte ich mich einschüchtern lassen!« rief sie jubelnd aus, »erzählt mir immerhin die grausigsten Dinge, und verrate ich auch nur mit einer Miene Furcht, so will ich zugeben, daß ich besser hinter den Nähtisch als in die Prärie passe.«

»Gut, Miß Kate, gebt Euch Mühe, ein sorgloses Äußere zu bewahren, und hört mir aufmerksam zu. Ich, oder vielmehr wir werden von feindlichen Augen aufmerksam beobachtet, seid daher auf Eurer Hut, vertraut mir blindlings und gehorcht meinem Willen, ohne nach dem Warum zu fragen. Wenn Ihr meinen Worten Glauben beimeßt und mir Euer vollstes Vertrauen schenkt, so pflückt zum Beweise dafür die erste beste Blume und gebt sie mir; Blackbird sieht uns, seine Adleraugen müssen getäuscht werden.«

Kaum hatte ich ausgesprochen, so trat Kate einige Schritte von mir fort, und nachdem sie eine rote Blume gepflückt, reichte sie mir diese mit einer anmutigen Verbeugung dar. Dabei lachte sie, doch entging mir nicht, daß ihre Wangen etwas bleicher geworden waren.

»Ihr seid von den Führern schändlich hintergangen worden,« fuhr ich fort, während ich die Blume auf meinen Hut steckte. »Sie sind mit einem Briefe an Euch abgeschickt worden, um Euch am Missouri hinaufzuführen. Den Brief unterschlugen sie und hegten die Absicht, Euch weit abwärts zu locken und Euch in der abgelegenen und von den Truppen nie besuchten Wildnis zu berauben.«

Als ich schwieg, sprang Kate wieder davon, und indem sie mir gleich darauf abermals eine Blume darreichte, fragte sie mit etwas erzwungenem Lächeln: »Wer hat den Brief geschrieben?«

Ich hatte unterdessen mein Messer aus dem Gurt gezogen und auf meiner Brust in den Lederkittel ein kleines Loch geschnitten. »Halbert, war der Brief unterzeichnet,« antwortete ich, die Blume mit dem Stengel in die eben geschnittene Öffnung schiebend.

Als ich wieder aufschaute, bemerkte ich, daß sich eine liebliche Röte über Kates Antlitz ausgebreitet hatte und ihre Blicke noch immer auf der Blume hafteten.

Eine Weile schritten wir schweigend nebeneinander hin; dann aber fuhr ich fort:

»Wie nahe die Gefahr ist, weiß ich nicht, doch nehme ich an, daß sie uns aus unmittelbarster Nähe bedroht. Wir müssen infolgedessen heute abend noch aufbrechen und die ganze Nacht hindurch unterwegs sein. Aber von dem argwöhnischen Indianer scharf bewacht, kann ich mit Eurem Vater keine Rücksprache nehmen. Um des Indianers Verdacht gegen mich einzuschläfern, bitte ich darum Euch, Eurem Vater zu sagen, daß er, als ob dies sein eigener Wille sei, das Zeichen zum Aufbruch geben solle. Sprecht aber nicht in Blackbirds Gegenwart zu Eurem Vater, er versteht etwas Englisch; wartet überhaupt, bis er sich mit mir entfernt hat, und zeigt ihm ein so fröhliches unbefangenes Antlitz, wie es nur in Euren Kräften liegt.«

Die mutige Kate versprach mir feierlich, für die pünktliche Ausführung meiner Anordnung Sorge zu tragen.

Sie war ein seltenes Mädchen, das der Ermutigungen nicht brauchte. Ihre Ruhe schien in demselben Grade zu wachsen, in dem sie einen klaren Einblick in die sie umgebenden Gefahren gewann.

Als wir ins Lager zurückkehrten, trafen wir Blackbird vor meinem Küchenfeuer sitzend.

Mich an seine Seite ins Gras werfend, versuchte ich eine Unterhaltung mit ihm einzuleiten, da er sich aber sehr einsilbig zeigte, so knüpfte ich ein Gespräch mit Schanhatta an, das vorzugsweise die Fortsetzung unserer Reise stromaufwärts betraf. Ob es mir gelang, den listigen Indianer zu täuschen, weiß ich nicht, doch hatte ich die Genugtuung zu bemerken, daß er überrascht emporschaute, als ich von Dalefield eingeladen wurde, zu ihm ins Zelt zu kommen.

Ich ging; Blackbird folgte, wie sich vorhersehen ließ, mir auf dem Fuße, und als ich neben Dalefield auf dem weichen Rasen Platz nahm, lag der Blackfoot-Krieger ihm bereits gegenüber zwischen den beiden jungen Leuten. Kate befand sich noch mit ihrer Negerin in dem kleinen Zelt, in dem sie ihrem Vater die betreffenden Mitteilungen gemacht hatte; es war mithin alles vermieden worden, was des Indianers Mißtrauen gegen mich hätte schüren können.

»Ihr kommt geradenwegs vom Missouri,« begann Dalefield nach einigen oberflächlichen Einleitungsformeln, »und müßt daher die Bodengestaltung zwischen hier und dort kennen; ist es wirklich so schwierig, in nächster Richtung an den Missouri zu gelangen, wie mein braver Freund und Führer versichert?«

»Der Weg ist schlecht und hindernisreich,« entgegnete ich, um dem Indianer nicht Unrecht zu geben, »doch bezweifle ich nicht, daß Ihr mit Euren guten Pferden die Schwierigkeiten leicht besiegen werdet.«

»Wollt Ihr uns nicht bis an den Missouri begleiten?« fragte Dalefield weiter.

»Mein Weg liegt stromaufwärts,« antwortete ich ausweichend.

»Nun, ich verlange nicht Euren Schaden und bin bereit, Euch in blankem Gelde soviel zu entrichten, wie Ihr für Eure Dienste fordert.«

»Das ist etwas anderes; ich lebe von der Jagd und die Zeiten sind zu schlecht, als daß ich einen kleinen Nebenverdienst ausschlagen dürfte.«

»Gut also, hier ist meine Hand; aber eine Bedingung, die hohe Sonnenglut macht das Reisen am Tage geradezu unerträglich, Ihr müßt heute abend noch mit mir aufbrechen.«

»Zu jeder Stunde bin ich bereit,« erwiderte ich, den scheinbar in tiefe Gedanken versunkenen Indianer verstohlen von der Seite betrachtend, »meine geringen Habseligkeiten sind bald gepackt und meine Pferde hinlänglich ausgeruht.«

»Wohlan, sagen wir also, zwischen jetzt und einer Stunde brechen wir auf.«

»Ich bin damit einverstanden, vorausgesetzt, mein Freund Blackbird hat keine wichtigen Einwendungen dagegen zu erheben. Sein Gefährte ist noch nicht eingetroffen.«

Die letzten Worte sprach ich ganz langsam und zu Blackbird gewendet, damit er sie verstehen sollte.

Die Änderung des Reiseplans schien ihn nicht im geringsten zu verdrießen; er nickte zustimmend mit dem Kopfe, woran er die Bemerkung knüpfte, daß sein Gefährte, wenn er eintreffen und uns davongegangen finden sollte, unverzüglich unserer Spur folgen würde.

Der Befehl zum Aufbruch wurde darauf ohne weiteren Zeitverlust gegeben, und alsbald bewegten alle sich geschäftig hin und her.

Auch Schanhatta, die mit meinen Sachen fast besser vertraut war als ich selbst, arbeitete eifrig. Sie erriet, daß auf meine Veranlassung der Reiseplan geändert worden sei, für sie der triftigste Grund, sich auf alle mögliche Weise zu beeilen. So kam es, daß unsere gesattelten und beladenen Pferde längst zum Aufbruch bereit umherstanden, während man in dem andern Lager sich noch immer mit den Zurüstungen beschäftigte.

Im Begriff, zu Dalefield hinüberzugehen und meine Hilfe anzubieten, gewahrte ich plötzlich auf der Felswand, auf der ich Kate zum erstenmal erblickt hatte, das Aufblitzen schwacher Funken. Überzeugt, daß sich dort oben niemand anders als der hinterlistige Blackfoot befinden könne, um durch Feuerzeichen seine Raubgenossen von unserem Vorhaben in Kenntnis zu setzen, ergriff ich meine Waffen, und Schanhatta durch einen Wink über meine Absicht beruhigend, eilte ich in die schwarze Regenschlucht hinein, von der aus ein zugänglicher Abhang nach der Höhe hinaufführte.

Schritt vor Schritt bewegte ich mich an dem schwarzen Abhange hinauf, und da Mokasins von dem weichsten Wildleder meine Füße schützten, mithin ein Luchs nicht leiser aufzutreten vermocht hätte, so gelangte ich unbemerkt so dicht an Blackbird heran, daß ich seine Bewegungen in dem schwachen Schein des kleinen, nunmehr bereits hell auflodernden Feuers genau beobachten konnte. Seine Büchse hatte er neben sich auf einen Felsblock gelegt und sorgfältig schichtete er immer neue dürre Reiser über den Flammen auf, um diese nicht in der Breite an Ausdehnung gewinnen, wohl aber recht hoch emporschlagen zu lassen.

Die Wirkung des Feuers zu vernichten war es mutmaßlich schon zu spät, die kleine Flammenpyramide konnte auf dem hervorragenden Punkte weithin wahrgenommen werden; dagegen glaubte ich hier die beste Gelegenheit zu finden, den Verräter unschädlich zu machen und ihm ein für allemal den Verkehr mit seinen Genossen abzuschneiden.

Da erhob jener sich, um unter dem das Gestein spärlich bedeckenden Gestrüpp noch einen neuen Vorrat von dürren Reisern zu suchen. Nur wenige Schritte weit ließ ich ihn fort, dann aber stürzte ich mit zwei Sätzen nach der frei daliegenden Büchse hin.

Der Indianer hörte, daß hinter ihm etwas Ungewöhnliches vorging, und stutzte; als er sich aber umwandte, um sich von der Ursache des Geräusches zu überzeugen, stand ich vor dem Feuer neben seiner Büchse, ihm die Mündung meines eigenen Gewehrs wie zufällig entgegenhaltend.

»Mein Freund liebt wohl nicht die Einsamkeit, daß er seinen abwesenden Gefährten herbeiruft,« begann ich in entschlossenem Tone, das Feuer mit dem Fuße auseinanderstoßend.

»Besitzt mein abwesender Gefährte die Augen eines Uhus, daß er uns in der Nacht aufzufinden vermöchte?« fragte der Indianer vollkommen ruhig zurück, doch entdeckte ich bei dem von den noch flackernden Reisern ausströmenden Schein, wie er durch eine kurze Bewegung der Schultern den auf seinem Rücken hängenden Köcher mit dem daran befestigten Bogen nach vorn in den Bereich seiner Hände warf.

»Mein Freund spricht mit zwei Zungen; warum lauten seine Worte hier oben anders als dort unten?« entgegnete ich, die Hände Blackbirds scharf bewachend.

»Blackbird ist ein Häuptling und der stärkste Krieger seines Stammes;« erwiderte der Indianer, »er hält es für unnötig, alle Fragen seines bleichen Freundes zu beantworten. Übrigens besitzt mein Freund eine sehr schnelle Zunge, er fragt mehr, als einem Manne geziemt; nur Weiber kümmern sich um Sachen, die sie nicht berühren; die junge weiße Squaw scheint meinem Freunde zuviel Weichheit ins Herz gegossen zu haben.«

»Ziehe mein Bruder die Hand von seinem Bogen zurück,« versetzte ich, indem ich den Hahn meiner Büchse spannte, denn ich glaubte eine verdächtige Bewegung bemerkt zu haben, »die Kugel in meiner Büchse ist lose, sie könnte den Blackfoot-Häuptling treffen.«

»Blackbird ist ein Häuptling unter den Blackfoot-Kriegern; wer hat ihm zu befehlen? Ein Blackfoot handelt, wie er will; er braucht niemand zu fragen. Will mein Freund einen Schritt zurückweichen, daß ich die Hand auf meinen Karabiner lege?«

»Nein, Häuptling, die Büchse erhältst du nicht eher zurück, als bis deine weißen Reisegefährten den Missouri wohlbehalten erreicht haben. Du warst ein Minetareh und jetzt bist du ein Blackfoot; du hast eine gespaltene Zunge, du bist ein Lügner, der verdient, mit der Peitsche eines Weißen gegeißelt zu werden.«

»Alle Weißen sind Lügner, ein Blackfoot-Häuptling brauchte einem Bleichgesicht die Wahrheit nicht zu sagen,« entgegnete Blackbird höhnisch, »weiche mein Freund zurück, meine Hand ist gewohnt, den Karabiner zu tragen; will aber mein Freund mit mir um seine antilopenäugige Squaw handeln, so ist es um soviel besser für ihn; denn Blackbird gebietet in der Prärie, er kann nehmen, was ihm beliebt, ohne ein Haar aus der Mähne seines elendesten Pferdes dafür hinzugeben.«

»Und ich gebiete wieder über dich, mein Freund,« antwortete ich, fest entschlossen, es auf das Äußerste ankommen zu lassen, um den Verräter unschädlich zu machen; »du erhältst die Büchse nicht, du wirst mich ohne Büchse bis an den großen Strom begleiten, und dann magst du hingehen, wohin du willst.«

»Zurück!« rief ich jetzt aus, als ich bemerkte, daß der Indianer einen Schritt nach vorne tat, »zurück, oder morgen spielen die Cayotas mit deinen Gebeinen!«

Ich hatte indessen kaum ausgesprochen, da fiel der Indianer, wie vom Blitz getroffen, zu Boden. Ich glaubte natürlich, er wolle sich seines Gewehrs bemächtigen, und bückte mich schnell nach diesem nieder, und zu meinem Glück, denn in demselben Augenblick fühlte ich, daß die Federn eines Pfeilschaftes den Rand meines Hutes streiften, er also die Absicht gehegt hatte, mich in das Gesicht zu treffen, was aus so geringer Entfernung wahrscheinlich von tödlichen Folgen begleitet gewesen wäre. Ein zweiter Pfeil streifte noch meine Schulter, und dann erriet ich aus dem Geräusch der unter seinen Tritten sich lösenden Steine, daß er sich eiligst entfernte.

Kaum hörte ich die Schritte des flüchtigen Indianers verhallen, so begab ich mich schleunigst in das Tal hinab. Das erbeutete Gewehr sowie der Bericht über mein Zusammentreffen mit Blackbird, dessen Feuer man allerdings von unten aus wahrgenommen, indessen für ein harmloses, dem abwesenden Gefährten geltendes Signal angesehen hatte, waren ganz geeignet, die Gemüter in ängstliche Spannung zu versetzen.

Die letzten Vorbereitungen zum Aufbruch wurden daher mit verdoppelter Schnelligkeit beendigt, so daß wir bald nach meiner Rückkehr von der Felswand unsere Pferde besteigen konnten. Meine beiden Lasttiere wurden mit Dalefields bepackten Handpferden von dem berittenen Neger an langen Leinen dicht hinter der vierspännigen Reisekalesche hergeführt. Der Fuhrmann, Dalefield und sein jüngerer Sohn bildeten die Sicherheitswache des Wagens, während der andere Arbeiter und der ältere Sohn in der Entfernung von ungefähr hundert Schritten folgten und ich mit meiner Mandanenwaise in derselben Entfernung dem Zuge vorausritt.

In dem Wagen saß nur Kates Dienerin; sie selbst behauptete, sich auf dem Rücken ihres sichern Pferdes am wohlsten zu fühlen, und daß ihre Büchse sich, im Fall der Not, als ebenso wertvoll wie die der Männer ausweisen würde.

Dagegen ließ sich nicht viel einwenden, und im Grunde befand sie sich auch im Sattel sicherer als im Wagen. Ich machte daher dem kurzen Wortwechsel dadurch ein Ende, daß ich mein Pferd antrieb und die Gesellschaft aufforderte, sich mir ohne Verzug, aber auch ohne zu großes Geräusch anzuschließen.

Schweigend zogen wir sodann durch die nächtlich stille Landschaft dahin; nur aus weiter Ferne drang das tiefe Geheul der großen weißen Wölfe und das Gekläffe der nicht minder raubgierigen, jedoch kleineren und furchtsameren Präriewölfe zu uns herüber. Es klang unheimlich, aber nicht drohend; im Gegenteil, eine gewisse Poesie lag in den Tönen, die an den Charakter der endlosen uns umgebenden Wildnis mahnten; denn im übrigen hätte man sich in einem angebauten Landstrich wähnen können oder auf dem Wege nach der heimatlichen Farm, nachdem man den Tag über in der Stadt zugebracht und durch einige gute Freunde ein Stündchen über die gewöhnliche Zeit aufgehalten worden.

Die Pferde schnaubten, wie auf den Landstraßen in belebteren Gegenden, und wie dort klapperten die eisernen Achsen des auf unebenem Wiesenboden einherschwankenden Wagens gegen die festbeschlagenen Räder.

Schanhatta ritt mir zur Seite. Bis jetzt hatte sie geschwiegen und, da wir nicht weit um uns zu spähen vermochten, alle ihre geistigen Kräfte gewissermaßen in ihr Gehör übertragen. Jetzt aber, da bei der zunehmenden Helligkeit die Augen den Dienst des Gehörs mehr als ersetzten, lenkte sie ihr Pferd dicht an das meinige heran, um mir durch ihr kindlich harmloses Geplauder die Zeit zu verkürzen und die Sorgen, von denen sie mich befangen glaubte, von meiner Stirne zu verscheuchen.

Sie wußte, daß, wenn ich ihr auch nicht antwortete, sie doch gern sprechen hörte.

So geschah es auch in dieser Nacht. Unfähig, etwas anderes auszusprechen, als was sie dachte, wählte sie zum Gegenstand ihrer Unterhaltung eben nur das, was ihren Geist gerade am meisten beschäftigt hatte und noch beschäftigte.

»Mein treuer Beschützer wird das schöne bleiche Mädchen samt den Ihrigen in Sicherheit bringen,« begann sie mit gedämpfter Stimme, nachdem wir uns durch einen Blick rückwärts überzeugt, daß die letzten des Zuges wohlbehalten nach der Ebene hinauf gelangt waren; »ich freue mich, denn es sind gute Menschen, die mein Beschützer der Rache des schlechten Blackfoot entrissen hat. Und die Amerikanerin ist so schön wie ein klarer Frühlingsmorgen; ihre Haare sind gefärbt von den Strahlen der aufgehenden Sonne, und der wolkenlose Himmel ruht in ihren Augen. Sie spricht nicht, sie singt; aber sie singt wie der muntere Spottvogel und nicht traurig wie der scheidende Schwan. Sie ist eine Frau, aber sie besitzt das mutige Herz eines Kriegers. Sie versteht es, fettes Wildfleisch auf Kohlen zu rösten, und dabei zittert ihre Hand nicht, wenn ihre Finger den Schaft der Büchse umklammern.«

Schanhatta hielt hier inne, als ob sie einige beipflichtende Bemerkungen von mir erwartet hätte. Ich dagegen verharrte schweigend; war ich doch nur allzusehr ihrer Meinung und ergötzte mich darum herzlich an der seltsamen Weise, in der Schanhatta die angestammten und ihrer Muttersprache entnommenen indianischen Bilder in ihr gebrochenes Englisch übertrug.

Nachdem sie eine Weile vergeblich auf eine Entgegnung von mir gewartet, begann sie von neuem:

»Mein Freund hat so klare Augen, aber sie sind heller gefärbt, als die Schanhattas; sieht er deshalb auch anders als seine Tochter? Sieht er nicht, daß die fremde bleiche Frau schön ist und ein Herz besitzt, so weich wie der Klageruf des Kuckucks?«

»Ja, mein Kind, ich halte die fremde junge Dame nicht nur für sehr schön, sondern ich weiß auch, daß sie neben ihrem wunderbaren Frohsinn ein braves, edles Gemüt besitzt,« antwortete ich mit Wärme.

»So fordere mein Gebieter das schöne himmelsäugige Mädchen zum Weibe, sie ist gut, sie wird den Weg, auf dem er wandelt, ebnen und von Dornen reinigen; sie ist gut, sie wird die arme Mandanen-Waise nicht verstoßen.«

»Weißt du denn, ob sie mir als Gattin folgen will?« fragte ich.

»Welches Mädchen würde nicht glücklich, nicht stolz sein, von meinem Gebieter zum Weibe verlangt zu werden?«

Ehe ich hierauf etwas erwidern konnte, wurden wir durch den Galopp eines Pferdes gestört, und gleich darauf sprengte Kate, ihre leichte Büchse vor sich auf dem Knie, an Schanhattas Seite.

»Dort hinten ist's langweilig,« hob sie halb lachend, halb schmollend an, als Schanhatta ihr Pferd anhielt, um Kate dadurch an meine Seite gelangen zu lassen; »mein guter Vater und meine Brüder spähen so ängstlich um sich, als ob hinter jedem Distelbusch ein feindlicher Krieger verborgen wäre, und meine schwarze Nelly klappert vor Furcht mit den Zähnen, daß man es zehn Schritte weit hört, ihr aber reitet hier vorne ruhig eures Weges und unterhaltet euch so lebhaft, als befänden sich die nächsten Indianer wenigstens hundert Meilen von uns entfernt.«

»Und Ihr wollt an dieser Unterhaltung teilnehmen, obwohl ein einfacher Fallensteller und eine indianische Waise Euch nur wenig Interessantes zu sagen vermögen?«

»O nicht so, nein, nicht so, ich habe bereits genug von Euch gehört, um zu wissen, daß Ihr nicht für die Wildnis geboren und erzogen seid. Ihr dürft auch nicht in der Wildnis verkommen, unbeachtet einen trüben Lebensabend erwarten, denn vermöge Eurer geistigen Überlegenheit seid Ihr für einen höhern und edlern Wirkungskreis bestimmt.«

»Meine Vergangenheit ist nicht der Art, daß ich noch besondere Ansprüche an die Welt erheben könnte,« antwortete ich ernst, obwohl Kates freundliches Zureden mich so sanft berührte, daß ich ihr noch lange hätte zuhören mögen.

»Aber gerade von Eurer Vergangenheit wünschte ich mit Euch zu sprechen,« versetzte Kate herzlich, »nur müßt Ihr nicht glauben, daß kleinliche Neugierde dergleichen Wünsche in mir wach gerufen habe; nein, gewiß nicht. Die ernste Antwort, die Ihr mir heute erteiltet, weckte zuerst meine Teilnahme an Eurer mutmaßlich sehr trüben Vergangenheit, die Teilnahme aber verwandelte sich innerhalb weniger Stunden in eine schwesterliche Zuneigung. Laßt mich nun auch in die Rechte einer Schwester eintreten und öffnet Euer Herz, wie es sich für einen vertrauensvollen Bruder ziemt.«

»Wie soll ich für soviel Güte danken,« antwortete ich tief ergriffen, denn dergleichen Worte waren mir im Laufe der Jahre so fremd geworden, daß sie mir wie eine freundliche Botschaft aus dem Jenseits erklangen, »ich nehme Eure Schwesterhand gerne an,« fuhr ich fort, die kleine Hand sanft in der meinigen drückend, »und wenn Euch das Bewußtsein, einen Mitmenschen beglückt zu haben, zur Freude gereicht, so vernehmt, daß es mich mehr als beglückt, meine Vergangenheit, die ich vor keinem sterblichen Ohr mehr glaubte berühren zu brauchen, rückhaltlos vor Euch aufzudecken.«

Darauf begann ich meiner lieblichen Gefährtin einen kurzen Abriß meiner Lebensgeschichte zu geben. Als ich mich aber erst in die Schilderung der vergangenen Tage vertieft hatte, da wurde ich allmählich ausführlicher. Meine hochfahrenden Jugendträume, meine getäuschten Hoffnungen und mein zerstörtes Lebensglück traten mir so lebhaft vor die Seele, wie seit den Erlebnissen selbst noch nie, und eine süße Freude, einen mildernden, mich warm durchströmenden Trost gewährte es mir zu bemerken, wie Kate hin und wieder ihr Tuch heimlich nach den Augen führte, aus denen sich helle Tränen hervorstahlen.

Hinter uns rasselte der Wagen und schnaubten die Rosse, in der Ferne jagten die Wölfe heulend ihre Beute; die Laubfrösche sangen eifrig unter ihrem grünen Blätterdach, die muntern Heimchen zirpten lustig zwischen Moos und Gestein und in sinnig angelegten Erdhöhlen, aber lauter als dies alles ertönte bald hier, bald dort traurig und klagend, jedoch durchdringend, des Ziegenmelkers melancholisches Wippoorwill.

Höher stieg der Mond, kürzer wurden unsere Schatten und still und friedlich zogen die Sternbilder auf ihren ewigen Bahnen dahin. Der bleiche Schimmer im Osten erinnerte an den Anbruch des Tages, und noch war ich nicht mit meiner Erzählung zu Ende gekommen. O, ich hätte tage-, ja wochenlang so fortfahren mögen zu schildern und zu beschreiben!

Aber hinter den fernen Hügelreihen, die den Lauf des Missouri bezeichneten, schossen die ersten Sonnenstrahlen hervor – ich mußte zu Ende kommen.

Kate beachtete den Sonnenaufgang nicht, und obwohl ich schwieg, hielt sie noch immer, wie lauschend, ihre Blicke fest auf die zottige Mähne ihres geduldigen Mustangs gerichtet.

In Milliarden von Tautropfen spiegelten sich die goldenen Sonnenstrahlen, die belebend über die weite Prärie dahinschossen; sie spiegelten sich in den Tautropfen und in zwei Tränen, die an Kates langen, seidenen Wimpern zitterten. Aber auch mit den wunderbar starken blonden Haaren und der Adlerfeder auf der keck nach der einen Seite hinübergeschobenen Mütze tändelten sie, und glänzend beleuchteten sie die anmutige, züchtige Gestalt, wie diese elastisch den Bewegungen des Pferdes nachgab, und das gute, liebe Gesicht, von dem die wehmütige Teilnahme das Lächeln des Frohsinns nicht gänzlich zu verdrängen imstande war.

»Jetzt, nachdem Ihr mir einen Blick in Eure Vergangenheit gestattet habt, bin ich Euch noch mehr Schwester geworden,« hauchte Kate mir mit leiser Stimme zu, denn sie erriet aus dem näher rückenden Hufschlag, daß ihr Vater oder einer ihrer Brüder sich dicht hinter uns befand.

»Die eine Nacht wäre glücklich überstanden!« rief Dalefield im nächsten Augenblick, mich dadurch zum Halten veranlassend; »von Indianern, soweit das Auge reicht, keine Spur, wir dürfen also hoffen, ungehindert den Missouri und demnächst Fort Union zu erreichen.«

»Je weniger sich unsere Feinde zeigen, um so mehr haben wir Grund, auf unserer Hut zu sein,« entgegnete ich laut, um von allen verstanden zu werden und zugleich zur fortgesetzten Wachsamkeit zu ermahnen, »ich müßte mich sehr in ihnen täuschen, wenn die Blackfeet ein mit soviel Überlegung eingeleitetes Unternehmen nach dem ersten Mißlingen schon wieder aufgeben wollten; jedenfalls aber haben wir die Aussicht, den Tag über ungestört zu bleiben. Auf jeden Fall wollen wir jetzt erst einmal Rast halten,« damit wies ich auf eine Wiesenfläche nahe am Flusse hin.


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