Balduin Möllhausen
Die Mandanen-Waise
Balduin Möllhausen

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23

Die Überfahrt

Ungefähr drei oder vier Meilen befanden wir uns noch von dem Missouri entfernt, als am dritten Morgen unserer Reise die aufgehende Sonne die über den feuchten Niederungen schwebenden Nebelstreifen zu zerteilen begann. Unsere Tiere waren zwar ermüdet, doch wurde mein Vorschlag, nicht eher zu rasten, als bis wir die gelben Fluten des Missouri vor uns sehen würden, bereitwillig angenommen.

Ich lenkte daher aus dem Tal des Flüßchens nördlich hinaus, um den von den beiden Gewässern gebildeten Winkel abzuschneiden und einen beträchtlichen Umweg zu ersparen.

Wir waren wieder einmal auf dem schroffen, aber nachgiebigen Abhange einer Regenschlucht hinabgezogen, als Schanhatta und ich, die wir der übrigen Gesellschaft eine kurze Strecke voraus ritten, plötzlich wie auf ein verabredetes Zeichen halten blieben und den Boden vor uns aufmerksam betrachteten.

In der nächsten Minute hielten Dalefield, Kate und deren beide Brüder neben mir, ihre überraschten Blicke bald fragend auf mich, bald auf eine größere Anzahl von Mokasin- Spuren gerichtet, die auf dem Boden der Schlucht im Sande deutlich und tief ausgeprägt waren.

»Sind dies die Spuren von Blackbirds Genossen?« fragte Dalefield, einen besorgten Blick auf seine Tochter werfend.

»Ohne Zweifel,« gab ich zur Antwort, »fragt nur Schanhatta; ein Kind vermag mit Leichtigkeit den Schnitt eines Blackfoot-Mokassins von dem eines Ponka- oder Pawnee- Halbstiefels zu unterscheiden. Sie hatten den Vorteil, ihren Weg in gerader Richtung wählen zu können, während wir des Wagens wegen gezwungen waren, uns größtenteils in dem gewundenen Tale des Flüßchens zu halten.«

»Der Wagen, der unselige Wagen, hätten wir ihn doch längst zurückgelassen,« bemerkte Dalefield, ratlos um sich schauend, »nehmen wir wenigstens jetzt noch die unentbehrlichsten Gegenstände heraus und lassen wir ihn hier stehen.«

»Unter keiner Bedingung,« versetzte ich entschieden, denn es leuchtete plötzlich in meinem Geiste auf, daß wir den Wagen möglichenfalls gerade zu unserer Rettung gebrauchen würden, »jetzt hängt alles davon ab, unsere Feinde im Ungewissen darüber zu erhalten, ob wir sie überhaupt entdeckten. So überlegen sie uns auch an Zahl sein mögen, so scheuen sie doch einen offenen Angriff. Sie sind zu hinterlistig, als daß sie sich den Kugeln unserer Büchsen aussetzen möchten. Sie wollten unsere Wachsamkeit einschläfern, aber verlaßt Euch darauf, in der ersten Nacht, in der wir wieder ein regelmäßiges Lager beziehen, steht ein Überfall zu erwarten.«

»Und was ist Euer Rat?« fragte Dalefield, während die Blicke aller, selbst die der sonst so sorglosen Kate, mit ängstlicher Spannung an meinen Lippen hingen.

»Zunächst rate und bitte ich darum, daß alle dicht zusammenbleiben, ohne indessen durch Benehmen oder ängstliches Schweigen ungewöhnliche Besorgnisse zu offenbaren. Wir müssen unsere Reise fortsetzen, als ob die verdächtigen Spuren gar nicht vorhanden wären, als ob wir überhaupt von keinem Menschen in der Welt bedroht werden könnten. Übrigens befinden wir uns glücklicherweise auf einem der mir am bekanntesten Jagdgründe,« fügte ich aufmunternd hinzu, »unsere Lage ist also nicht so bedenklich, wie man bei einem oberflächlichen Hinblick anzunehmen geneigt sein dürfte.«

Ansatt, wie ursprünglich meine Absicht gewesen war, über den nächsten Streifen Hochland fortzuziehen, folgte ich in der Schlucht selbst den Spuren der Indianer. Wie ich erwartete, führten diese schon nach einigen hundert Schritten nach dem nördlichen Abhange hinauf. Die Grashalme, die die daselbst Gewanderten niedergetreten hatten, waren vom Tau beschwert, dagegen hatte die Sonne des vorhergehenden Tages den aufgewühlten feuchten Sand noch nicht getrocknet. Die mutmaßlichen Räuber konnten daher nur in der ersten Hälfte der Nacht dort hinaufgegangen sein und befanden sich zur Zeit wahrscheinlich in dem Versteck, von dem aus sie uns in der nächsten Nacht zu überfallen gedachten.

Der Fluß war hier ungewöhnlich breit, doch wurde die heftige Strömung durch eine kleine Insel in zwei Hauptarme geteilt, von denen der eine dicht vor uns am Ufer brausend entlangschäumte, während der andere, soweit sich erkennen ließ, weniger gewaltig, ziemlich die Mitte zwischen der Insel und dem jenseitigen Ufer hielt.

Die Insel, ursprünglich aus gestrandetem Treibholz gebildet, hatte dem sandführenden Wasser Gelegenheit geboten, seine schwereren Bestandteile abzusetzen und den über den Fluten auftauchenden trockenen Flächenraum bis auf mehrere hundert Quadratruten zu vergrößern. Die noch lebenskräftigen verschlammten Bäume sandten sodann ihre jungen Schößlinge nach oben, andern Samen hatten die Fluten und die Vögel herbeigetragen, und so war allmählich ein kleines Dickicht entstanden, das auf drei Seiten bis in das seichte Wasser hineinreichte und nur auf der der Strömung zugekehrten Seite durch eine mächtige Anhäufung von gebleichten Treibholzstämmen von dem Wasserspiegel getrennt wurde.

Auf diese winzige Insel setzte ich meine ganze Hoffnung, und um sie zu meinen Zwecken benutzen zu können, zogen wir nach unserer Ankunft auf dem Ufer noch so weit stromaufwärts, daß die Insel ungefähr dreihundert Schritte weit hinter uns lag.

Unter einer Gruppe schattiger Bäume wurden alsbald die Zelte aufgeschlagen, überhaupt alle diejenigen Einrichtungen getroffen, die auf einen Aufenthalt von wenigstens vierund- zwanzig Stunden deuteten.

Gleich nach meiner Ankunft hatte ich meinen ganzen Vorrat von getrockneten Wildhäuten an einer geeigneten Stelle ins Wasser gelegt, damit sie ihre ursprüngliche Geschmeidigkeit, die zu meinen Zwecken unerläßlich war, zurückbekamen.

Die Sonne hatte die Mittagslinie noch nicht überschritten, da holte ich schon einen Teil davon wieder nach dem Ufer herauf, und nachdem ich das Maß des Wagenkastens genommen hatte, begann ich die Häute in möglichst regelmäßige Formen zuzuschneiden. Schanhatta und unter deren Leitung auch Kate und die Negerin hatten unterdessen eine hinlängliche Zahl von Wildflechsen in Fäden gespalten, und als die Häute erst hergerichtet waren, erforderte es keine großen Unterweisungen, alle Anwesende zum Zusammennähen der einzelnen Stücke zu verwenden. Harry Dalefield und der zweite Arbeiter bohrten mittels Pfriemen die Löcher vor, Schanhatta, Kate, ihr Vater und die Negerin fädelten die Flechsen durch die Löcher, und ich endlich zog die Fäden über die zusammengerollten Nähte straff, sie dann breitklopfend, um dem Wasser das Durchdringen zu erschweren. Des weiteren unterstützte ich den schwarzen Koch bei der Ausarbeitung von zwei leichten Ruderhölzern.

Eine Stunde mochte die Sonne noch zu scheinen haben, da waren nicht nur die einzelnen Häute zu einem festen Ganzen verbunden, sondern dieses hatte auch bereits die beabsichtigte Form erhalten, so daß man nur noch den Wagenkasten hineinzustellen und zu befestigen brauchte, um das echte Trapperboot für tauglich zur Fahrt auf dem Missouri zu erklären.

Die Verdeckstützen wurden abgeschnitten, die überflüssigen Eisenstangen, um das Gewicht zu ermäßigen, entfernt, und bald darauf hatte ich die große Freude mich zu überzeugen, daß Kasten wie wasserdichter Überzug vollkommen zueinander paßten und ich auf eine Tragkraft für wenigstens vier Menschen rechnen durfte. Nachdem wir sodann Munition und Lebensmittel hart am Rande des Ufers aufgestellt und alle vorhandenen Lassos zu einem langen zähen Tau zusammengeknüpft und mit dem einen Ende an dem Fahrzeug sicher befestigt hatten, gönnten wir uns erst einige Ruhe.

Die Zeit der Rast war indessen nur sehr kurz, der Dämmerung folgte schnell die Dunkelheit, und sobald wir annehmen durften, daß unsere Bewegungen nicht mehr aus der Ferne überwacht werden konnten, schritten wir ans Werk.

Die Pferde wurden von zwei bewaffneten Männern bewacht, während wir übrigen den Wagenkasten ins Wasser schoben und mit einem Teil der zur Überfahrt bestimmten Gegenstände befrachteten.

Alles ging nach Wunsch, und außerdem erwies sich das Boot von einer Tragfähigkeit, daß ich glaubte, die Fahrt anstatt mit vier Personen mit sechs antreten zu dürfen. Ich ließ daher Kate, ihren Vater, den Neger und die Negerin sich in dessen vier Ecken mit der strengsten Weisung, kein Glied zu rühren, niederkaüern. Schanhatta, mit dieser Art von Schifffahrt vertraut, mußte darauf mit ihrem Ruderholz noch im Vorderteil niederknien, während ich selbst in gleicher Weise im Hinterteil Platz nahm, und langsam stießen wir unser Fahrzeug in die Strömung hinein.

Die auf dem Rande des Ufers, jedoch weiter unterhalb, der Insel fast gegenüber, in Reifform zusammengelegte Leine rollte sich unter der Aufsicht des jungen Dalefield leicht ab, und nach einer kurzen, kaum zwei Minuten währenden atemlosen Spannung strandete unser Boot unmittelbar hinter der Insel im seichten Wasser.

Das Ausschiffen nahm nur kurze Zeit in Anspruch. Außer Schanhatta, die das Boot hielt, sprangen wir alle ins Wasser, und schneller, als das Einladen vonstatten gegangen war, beförderten wir die Ladung von Hand zu Hand auf trockenen Boden. Kaum hatte ich sodann dem mir zunächst stehenden Neger das letzte Stück zugereicht, so befand ich mich auch schon wieder bei Schanhatta im Boot, und mit vorsichtigen, geräuschlosen Stößen schoben wir dieses in die Strömung zurück.

Wie das erstemal begannen wir auch jetzt wieder damit, zuerst eine Ladung von Gütern als Ballast einzunehmen und gleichmäßig auf dem Boden des Kastens zu verteilen.

Außer Schanhatta und mir befanden sich nur noch der ältere Sohn Dalefields und der eine Arbeiter am Ufer. Ehe wir uns indessen einschifften, gedachten wir, die Pferde bis dicht ans Ufer heranzutreiben und sie dann mit Gewalt in den Fluß hineinzudrängen.

Die Pferde, in der Meinung, daß sie zur Tränke geführt werden sollten, schritten träge vor uns hin, und nur gelegentlich schnaubte das eine oder das andere, wenn beim Haschen nach einem Grasbüschel sich einige stärkere Halme in seine Nüstern schoben.

Plötzlich aber gaben einzelne unverkennbare Zeichen von Furcht von sich. Ich trat zwischen sie, um mich von der Ursache zu überzeugen, und gewahrte sofort, daß meine Pferde sich vollständig ruhig verhielten, während die Dalefields die Schweife emporreckten und mit lautem Geräusch den Atem von sich stießen.

Wären Wölfe in der Nähe gewesen oder ein grauer Bär, so würden alle Mitglieder der Herde von gleichem Schrecken befallen worden sein. Nach den Anzeichen zu schließen, konnten also nur Indianer in der nächsten Nachbarschaft umherschleichen, indem meine Pferde einst im Besitz von Eingeborenen gewesen waren und deshalb keine Scheu vor solchen hegten, während Dalefields Tiere, die aus den Ansiedlungen herstammten, sich noch nicht hinlänglich an deren Witterung gewöhnt hatten, um nicht durch das unverhoffte Erscheinen wilder Krieger beunruhigt zu werden.

Fast gleichzeitig trat aber auch der junge Dalefield mit der heimlich geflüsterten Meldung zu mir heran, daß er sechs oder sieben schattenähnliche Gestalten bemerkt habe, die eine kurze Strecke südlich von der Herde in gebückter Stellung nach dem Ufer hingeschlichen und dort verschwunden seien.

»Fort ins Boot!« antwortete ich ebenso leise und dringend, »aber langsam und ohne Besorgnis zu verraten; wir sind umgangen, und keine zwei Minuten bleiben uns mehr zur Rettung. Haltet alles zum augenblicklichen Abstoßen bereit und entfernt Euch auf meinen Ruf, gleichviel, ob ich bei Euch bin oder nicht!«

Der junge Mann folgte meinem Rat, worauf ich mich nach der Richtung hinwandte, in der ich den Arbeiter vermutete. Ich entdeckte ihn auch bald, wie er, die Büchse auf der Schulter, sich bemühte, einige zurückprallende Pferde heranzutreiben. Bevor er mich aber gewahr wurde oder ich ihm eine Warnung zuzuflüstern vermochte, bemerkte ich vor dem schwachen Schein der niedergebrannten Lagerfeuer, daß ein Mann sich hinter ihm aus dem Grase erhob und den Arm nach seiner Büchse ausstreckte.

Ein Strauch trennte mich von beiden, was mit dazu beitrug, daß keiner von ihnen mich vor dem dunklen Hintergrund sah, aber der Indianer hatte das Gewehr noch nicht berührt, da befand ich mich bereits vor ihm, meine Büchse beschrieb einen Kreis durch die Luft, und von dem zersplitternden Kolben schwer getroffen stürzte er lautlos zu Boden.

»Fort ins Boot!« rief ich dem verwirrten Arbeiter zu, »fort ins Boot, wenn Euch Euer Leben lieb ist!«

In demselben Augenblick erschallte aus dem nahen Dickicht ein schrilles Pfeifen, und diesem folgte unmittelbar ein so furchtbares indianisches Geheul nach, als ob das ganze Tal des Missouri von den wilden Gestalten raubgieriger eingeborener Krieger belebt gewesen wäre.

Der höllische Lärm war für den Arbeiter ein besserer Sporn zur Eile als meine dringendsten Befehle und Beschwörungen. Er stürzte davon, unbekümmert darum, ob ich ihm folge oder durch irgendeinen unglücklichen Umstand zurückgehalten werde. Letzteres geschah in der Tat, denn teils um selbst nicht waffenlos zu sein, teils um das geladene Gewehr nicht in den Händen der Indianer zurückzulassen, bückte ich mich nach meiner Büchse, die mir durch das Einsplittern des Schaftes entfallen war, und als ich mich dann wieder aufrichtete, gewahrte ich zu meinem Schrecken, daß zu beiden Seiten von mir mehrere Krieger vollen Laufs auf die Landungsstelle losstürzten.

»Fort! Schanhatta! Fort!« rief ich so laut, daß meine Stimme das Geheul der Wilden noch übertönte, und gleichzeitig drängte ich mich zwischen den erschreckt auseinanderprallenden Pferden hindurch, gerade auf das Ufer des Stromes zu. Zwei oder mehr feindliche Krieger folgten mir mit wütendem Gellen auf dem Fuße nach; andere sprangen hart am Rande des Ufers auf mich zu, um mir den Weg zu verlegen, noch andere machten sich bereit, mich zu empfangen, allein ich wußte zu genau, was meiner im Fall einer Gefangennahme harrte, als daß ich nicht das Äußerste zu meiner Rettung hätte wagen sollen.

Gerade als ich das Ufer erreichte, belehrte mich ein flüchtiger Blick, daß sich das Boot als schwarze Masse vom Ufer trennte und mit rasender Schnelligkeit und begleitet von dem Wutgeheul aus wenigstens zwanzig Kehlen in die Strömung hinein und mit dieser davonschoß.

»Schanhatta, ich komme!« rief ich aus, um meinen Schützling zu beruhigen und zugleich zu verhüten, daß sie irgendeinen Schritt zu meiner Rettung unternähme und dadurch sich und ihre Begleiter neuen Gefahren aussetze; »Schanhatta, ich komme!« und schneller noch, als das zum tödlichen Streich gehobene Kriegsbeil sich senkte, schneller, als die mit dem Messer bewaffnete Faust zum Stoß ausholte und die sichere Hand die mit dem befiederten Pfeil beschwerte Bogensehne ans Ohr brachte, sprang ich mit einem mächtigen Satz vom Ufer über die fast unmittelbar unter mir gellenden Krieger fort und in die wild schäumenden Fluten des Missouri hinein.

Das Wasser schloß sich brausend über mir, und halb von der Strömung fortgerissen, halb infolge meiner eigenen Anstrengungen, die ich machte, um den feindlichen Geschossen zu entgehen, tauchte ich erst zwanzig Schritte weiter wieder empor. Das Boot war bereits eine kurze Strecke voraus; es einzuholen, lag indessen nicht in meinem Plan. Besteigen konnte ich es ja doch nicht, ohne beim ersten Versuch das Gleichgewicht zu stören und den breiten Kasten umzuwerfen. Ich begnügte mich daher damit, unbekümmert um die Pfeile, die rings um mich her in das Wasser zischten, Schanhatta durch einen Zuruf aufzumuntern. Ein ähnlicher, aber schwächerer Ruf aus dem Boot belehrte mich, daß das treue Mädchen mich verstanden habe und uns als gerettet betrachte, und immer dieselbe Entfernung voneinander beibehaltend, schossen wir in Richtung auf die Südspitze der Insel dahin.

Plötzlich glaubte ich zu bemerken, daß sich der wohl dreißig Schritte lange Zwischenraum zwischen dem Boot und mir verringere, und ein wahres Entsetzen ergriff mich, als dieses gleich darauf heftig zu schwanken und sich mit großer Schnelligkeit dem Ufer wieder zu nähern begann.

»Haltet die Mitte der Strömung oder ihr treibt an der Insel vorbei! Hinein ins Wasser, wer schwimmen kann!« rief ich aus, denn ich vermutete, daß das Fahrzeug im Begriff sei zu sinken.

In demselben Augenblick verwickelten sich meine Füße in die Leine, die wahrscheinlich beim schnellen Einsteigen des Arbeiters über Bord gerissen worden war, und gleichzeitig erriet ich aus dem Jubelgeheul der auf der Abfahrtsstelle Versammelten, daß man dort den sich schnell abrollenden Strick entdeckt und sogleich begriffen habe, wie er sich zu unserm Nachteil verwenden lasse.

Ich hörte bereits das gepreßte Atmen unserer Verfolger, ich bemerkte eine Reihe schwarzer Punkte über dem grauen Wasserspiegel, und jetzt erst gelang es mir, das auf meinem Rücken im Gurt steckende Messer aus der Scheide zu ziehen.

»Einen Schuß auf die Schwimmer und dann stille gesessen!« rief ich nun Schanhattas Gefährten zu, und die Leine mit der rechten Hand nach dem Boot zu fest ergreifend, durchschnitt ich sie mit der linken Hand so weit, wie ich in der entgegengesetzten Richtung zu reichen vermochte.

Kaum fühlte das Boot sich von dem Druck befreit, so wirbelte es einmal um sich selbst herum, der Schuß krachte auf die Schwimmer, die bis auf wenige Schritte herangekommen waren, Schanhattas Ruderholz plätscherte in rascher Folge ins Wasser, das Boot gelangte wieder in die Gewalt der Strömung, und begleitet von dem Wutgeheul der Schwimmer, die durch den an sich erfolglosen Schuß zurückgescheucht worden waren, zog es schneller und schneller in schräger Richtung nach dem jenseitigen Ufer des Missouri hinüber.

Auf meinen Ruf sprangen nun die auf der Insel befindlichen Männer mir zur Hilfe, und mit leichter Mühe schleppten wir dann das Boot samt den wenigen Gegenständen, die wir noch gleich nach unserm Landen vor der alten Lagerstelle hineingeworfen hatten, ganz in den Schutz des dichten Weidengebüsches hinein.

»Ist niemand verletzt?« fragte Dalefield besorgt, sobald wir uns in Hörweite von ihm befanden, »ist niemand verletzt?« erschallte fast gleichzeitig Kates Stimme aus dem Gebüsch mit einem Ausdruck zu uns herüber, der mir alles Blut zum Herzen sendete.

»Niemand!« rief ich schnell zurück, um das liebe Mädchen zu beruhigen.

»Gott sei Dank!« antwortete Kate innig und aus überströmendem Herzen, eh ich fortzufahren vermochte.

»Nein, verletzt ist niemand,« wiederholte ich dann noch einmal, um meinen Ausspruch zu bekräftigen; »aber Schaden an unserm Eigentum haben wir erlitten, und, wie ich fürchte, unersetzlichen Schaden. Über meine Büchse rollten die Fluten des Missouri hin –«

»Wofür ich Euch meine Reservebüchse anbiete, ein so gutes Gewehr, wie nur je aus den Händen eines tüchtigen Meisters hervorging,« unterbrach mich Dalefield, mir, sobald wir uns auf trockenem Boden befanden, mit allen Zeichen tiefgefühlter Dankbarkeit die Hand drückend.

»Euer Anerbieten nehme ich natürlich an, wenn auch nur auf so lange, bis ich Gelegenheit gefunden habe, mich mit einem andern Gewehr zu versehen, denn Blackbirds Karabiner ist nicht zu rechnen,« fuhr ich fort, »aber denkt Euch, die Pferde sind alle in die Hände der Räuber gefallen, doch halte ich in diesem Augenblick für den herbsten Verlust, daß wir gezwungen wurden, die Leinen aufzugeben, ohne die es uns schwer werden wird, das jenseitige Ufer, auf das ich meine ganze Hoffnung baute, zu erreichen.«

»Sollte die Flucht denn noch in dieser Nacht fortgesetzt werden?« fragten jetzt mehrere Stimmen zugleich.

»Ursprünglich war dies meine Absicht,« antwortete ich, »wäre uns Zeit genug geblieben, die Pferde über den Strom zu schaffen, so hätten wir nichts Besseres tun können, als ihnen von hier aus augenblicklich nachzufolgen und ohne Zeitverlust uns stromaufwärts zu wenden. Jetzt aber, da wir allein auf unsere Füße angewiesen sind, vermögen wir keinen Vorsprung mehr vor ihnen zu gewinnen; außerdem fehlen uns die erforderlichen Leinen, um in schneller Reihenfolge nach dem ändern Ufer überzusetzen; wir müssen uns daher, gut oder übel, darein fügen, wenigstens einen Tag auf dieser Insel auszuharren.«

»Sind wir denn hier sicher?« fragte Dalefield abermals.

»So sicher, wie ein halbes Dutzend Büchsen, geführt von festen Händen und mutigen Herzen, nur immer eine kleine Landscholle wie diese hier zu machen vermögen,« erwiderte ich sorglos, »die Indianer hängen mit nicht weniger Liebe am Leben als wir, und wo sie befürchten müssen, einen der ihrigen zu verlieren, da trauen sie sich nicht so leicht hervor; denn keiner von ihnen möchte gerade dieser einzige sein. Lassen wir es nicht an der so dringend gebotenen Wachsamkeit fehlen, dann mögen wir hier acht, vierzehn Tage, ja, so lange unbelästigt bleiben, wie unsere Lebensmittel ausreichen oder bis wir durch irgendeinen befreundeten Jagdtrupp entsetzt werden oder Eure Freunde von Fort Union bei uns eintreffen.«

Da alle Vertrauen zu mir hatten, ließen sie sich auf diese Weise beruhigen und folgten ohne Einwendungen meinen Ratschlägen. Auf einer gegen die etwa vom Ufer aus zu uns herübergeschickten Kugeln ziemlich geschützten Stelle in der Mitte der Insel richteten wir uns häuslich ein, und während die Hälfte der Männer sich auf den gefährdeten Seiten der Insel aufstellte, um von dort aus das Treiben der Feinde zu überwachen, versuchten alle übrigen sich auf einige Stunden der Ruhe hinzugeben.

Die herrliche, warme Sommernacht machte übrigens das Feuer entbehrlich, und da auf meinen Rat, um die grimmigen Moskitos zu vertreiben, die rastenden Männer ihre Pfeifen rauchten, so erhielt die kleine nestförmig niedergedrückte Lichtung zwischen dichtem Schilf, Binsen und Weidengestrüpp mit den ausgebreiteten Decken und dem ringsum aufgestapelten Reisegepäck einen überaus friedlichen Charakter.

Da, wo wir jedesmal gelandet waren, saß halb versteckt unter einigen verkrüppelten Erlenbüschen Dalefields jüngster Sohn, während ich selbst mir ganz vorn zwischen den mächtigen gebleichten Treibholzstämmen, von wo aus ich am besten zu den Indianern hinüberzuspähen vermochte, meinen Sitz ausgewählt hatte. Zwischen dem jungen Dalefield und mir aber, hart am Rande des Wassers und inmitten der ihn verbergenden üppig wuchernden Binsen, hielt noch der eine Arbeiter Wache.

Es konnte also vom Ufer aus nichts gegen uns unternommen werden, ohne daß wir es rechtzeitig bemerkt und sogleich die entsprechenden Maßregeln zur Verteidigung getroffen hätten, wozu sich noch der glückliche Umstand gesellte, daß bald nach Mitternacht der Mond aufgehen mußte und unsere Feinde vor Eintritt der Helligkeit nicht imstande waren, ihre Vorbereitungen zu einem Angriff, welcher Art er auch sein mochte, zu beendigen.


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