Balduin Möllhausen
Die Mandanen-Waise
Balduin Möllhausen

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9

Der Schwur

Wie während eines Gewitters der Kampf der Elemente in dem einen banges Zagen weckt, während der andere zu enthusiastischer Bewunderung fortgerissen wird, so erging es auch mir, als ich, nachdem ich mich bei Königswinter über den Rhein hatte setzen lassen, dem mir auf so geheimnisvolle Weise bezeichneten Versammlungsort zuwanderte.

Ein leichtes duftiges Gewölk, das den größten Teil des Tages hindurch den südlichen Horizont bedeckte, hatte sich endlich zu schweren, wetterleuchtenden Massen verdichtet.

Als dann ein dem Ungewitter voraufeilender Sturmwind durch das Rheintal sauste, hier die eilenden Fluten des Stromes in unzählige kleine Wellen aufrührte, dort den Staub in dichten gelben Säulen emporwirbelte und sich sogar an den Halmen eines schwerbeladenen und im Trabe der Tenne zugeführten Heuwagens vergriff, wie da die Vögel des Waldes ängstlich ihren verborgenen Schlupfwinkeln zuflogen, die Krähen besorgt krächzten, die Rinder verstört brüllten und ihren Ställen und Schuppen zueilten; und wie die Bauernburschen so lustig lachten, wenn ein unverschämter Windstoß hier ein weißes Kopftuch, dort eine lose um die Schultern geschlungene Schürze entführte und die züchtig anschließenden Röckchen neckisch aufbauschte! Und als dann endlich der erste Wetterschlag das Echo ringsum in den Bergen wachrief und gleich darauf schwere Regentropfen klatschend auf die Erde schlugen, wie da alles seine Eile verdoppelte und die auf der Zunge schwebenden Scherzreden schnell verstummten! Ich aber schloß nur meine Faust fester um den glatten Knopf meines Ziegenhainers und bog wohlgemut in den nach der Höhe hinaufführenden Pfad ein.

Aber erst wenige hundert Schritte hatte ich an dem Abhange hinauf zurückgelegt, da brach der Regen mit einer wolkenbruchartigen Heftigkeit los, so daß nach kurzer Frist durch das auf dem Pfade niederströmende Wasser meine Schritte gehemmt wurden und ich mich auf dem schlüpfrig gewordenen Boden kaum noch vorwärts zu bewegen vermochte.

»Ein Römer würde diesen Regen als eine von den Göttern ausgehende Warnung betrachten und umkehren, anstatt sich tiefer in ein gefährliches Unternehmen einzulassen,« dachte ich, indem ich nach einem Schutz umherspähte.

»Weil ich aber kein Römer bin,« fuhr ich fort zu philosophieren, »will ich das böse Omen nicht weiter berücksichtigen und nur solange irgendwo untertreten, bis der Regen vorüber ist.«

Da fielen meine Blicke auf einen alten verlassenen Basaltsteinbruch, dessen Grenze bis auf wenige Schritte an die Straße heranreichte.

In zwei Sprüngen befand ich mich dort im Trocknen, und das Wasser von mir abschüttelnd, setzte ich mich auf einen Felsblock so hin, daß ich die volle Aussicht auf den Rhein und das dahinter sich erhebende, dicht verschleierte Siebengebirge genoß.

Meine nähere Umgebung hatte ich in der Hast nicht beachtet, war daher aufs äußerste überrascht, plötzlich ganz in der Nähe den Ton einer menschlichen Stimme zu vernehmen, ohne daß ich des Menschen selber ansichtig geworden wäre.

Die Rückwand des Steinbruchs zog sich nämlich in einem weiten Bogen herum, aber keineswegs in einer ununterbrochenen Fläche, sondern, je nachdem das Gestein schichtweise nachgiebiger befunden worden war, hatten die Arbeiter, Nischen bildend, sich mehr oder minder tief in den harten Basaltfelsen hineingearbeitet.

Ohne mich umzuschauen war ich also in die erste beste Nische hineingetreten und hätte erst um den mich von ihr trennenden Pfeiler herumblicken müssen, um jemand zu sehen.

Beim ersten Ton, den ich vernahm, hatte ich jedoch die Stimme erkannt und lauschte nun den Worten der unsichtbaren Wanderin.

»Die Blitze sprüh'n, der Donner kracht,
Vom Himmel strömt der Regen,
Ich halte auf dem Berge Wacht,
Umtobt von Wetterschlägen«,

sang sie die selbstgedichteten Verse nach einer wilden, offenbar selbstkomponierten Melodie.

Es war die unglückliche Brüsselbach!

Zu jeder andern Zeit würde ich sogleich vor sie hingetreten sein, um mit dem armen Geschöpf das Gewitter und den Regensturm zu verplaudern; an jenem Tage dagegen war mir um ihre wilden Poesien zu tun, die ich als ebenso viele Orakelsprüche betrachten und deuten konnte.

Diese Sprüche erhielten aber in meinen Augen dadurch einen erhöhten Wert, da ich annahm, daß sie mich gesehen habe.

Nach einigen Minuten, und nachdem ein furchtbarer Wetterschlag die Felsen ringsum erbeben gemacht hatte, sang Fräulein Brüsselbach mit verändertem Rhythmus und noch trüberem Ausdruck weiter.

»Was wollt Ihr auf dem Berge,
Ihr frisches, junges Blut?
Wollt Ihr zum Himmel steigen,
Wo Blitz und Donner ruht?«

Ich war betroffen; wußte sie um meinen Plan und die an mich ergangene Aufforderung, oder war es nur Zufall, daß der Sinn ihrer Worte auf meine heimlich eingegangenen Verpflichtungen anspielte? So fragte ich mich mit wachsender Spannung.

Nach einer längeren Pause, die die Irrsinnige offenbar zur Bildung eines neuen Verses verwendet hatte, hob sie wieder an:

»Was wir lieben, geht verloren,
Tritt oft an des Grabes Rand,
Gerade dann, wenn wir es glaubten
Sicher schon in unserer Hand.«

»Welch schauerliche Phantasien,« sprach ich in Gedanken, und mein Herz bebte, indem ich mir Johanna, namentlich aber die brennende, flüchtige Röte auf ihren Wangen vergegenwärtigte.

»Auf Sonnenschein folgt Regen,
Auf Regen Sonnenschein,
Dort oben auf dem Berge
Blüht dir verbot'ner Wein,«

hieß es jetzt weiter.

Die wiederholte Warnung vor dem Berge mußte mich befremden. Ich war nicht mehr imstande, Fräulein Brüsselbachs Poesien für das zu halten, was sie eigentlich waren; Ergüsse eines kranken Gemütes.

»Die Tochter ihres Vaters,
Sie ahnte, wer es war,
Beseligt und beglückend
Folgt sie ihm zum Altar!«

sprach sie darauf mit lautem Pathos und weniger feierlichem Ausdruck, als ob der Streifen Sonnenlicht, der dem davoneilenden schwarzen Gewölk folgte, sie heiterer gestimmt habe.

»Exzellenz,« fügte sie dann in ihrer gewöhnlichen zutraulichen Weise hinzu, »Exzellenz hätten etwas früher kommen müssen, Ihro Gnaden Samtröckchen würde alsdann keinen Schaden gelitten haben.«

»Fräulein Brüsselbach, ich begrüße Sie und mache Ihnen mein Kompliment über die gefällige Art, in der Sie den Pegasus zu tummeln verstehen,« rief ich mit erkünstelter Heiterkeit aus, indem ich um die Felsenecke herumsprang und zu ihr in die Nische trat.

Bei meinem Eintreten in die Nische erhob Fräulein Brüsselbach sich mit überaus komisch verschämtem Wesen von dem Felsblock, auf dem sie so lange gesessen hatte; ihre Hände fuhren ordnend über ihr grünes Barett und zupften das gestickte Unterkleid in malerische Falten, worauf sie eine kunstgerechte tiefe Verbeugung ausführte.

»Den Herrn Grafen habe ich die Ehre willkommen zu heißen,« sagte sie mit einem gutmütigen Lächeln auf den breiten ausdrucklosen Zügen.

»Behalten Sie Platz, Fräulein Brüsselbach,« entgegnete ich, mich ebenso förmlich verbeugend, »es freut mich, Sie einmal wiederzusehen, hat es doch fast den Anschein, als ob wir uns hier ein Rendezvous gegeben hätten.«

»Und das bezweifeln der Herr Graf noch?« fragte die Irrsinnige in vorwursvollem Tone, indem sie sich etwas höher aufrichtete und ihre graublauen Augen voll auf mich heftete. »Eure Exzellenz belieben nur mit Ihrer untertänigen Dienerin zu scherzen, indem Euer Gnaden unser wohlverabredetes Zusammentreffen dem Zufall zuschreiben. Nichts in der Welt ist Zufall, alles ist Bestimmung, und schon seit zwei Stunden harre ich auf den Herrn Grafen.«

»Was? auf mich gewartet haben Sie?« rief ich aus, »wie wollen Sie das erklären? Hegte ich selbst doch erst seit gestern die Absicht hierherzukommen.«

»Erklären, Herr Graf?« fragte Fräulem Brüsselbach, »erklären Eure Exzellenz mir vorher, warum es eben noch über uns donnerte und blitzte, während jetzt der Himmel sich wieder öffnet und die Sonnenstrahlen nach allen Richtungen hin den Regen aufzutrinken sich bemühen, und ich will dem Herrn Grafen erklären, warum ich hier bin.

Ich folge meinem Sterne,
Getrost und ohne Scheu,

darum bin ich hier und darum habe ich Ihro Gnaden bereits seit zwei Stunden erwartet.«

»Und so hätten Sie denn wirklich um mein Kommen gewußt?« fragte ich mit verstellter Bewunderung, »wohlan, ich will es glauben; dann müssen Sie mir aber auch sagen können, wohin ich gehe.«

»Der Herr Graf gehen hin, wohin die anderen gestreiften Käppchen gingen, immer hinauf, immer den Berg hinan; aber hüten sich der Herr Graf, auf dem Berge wächst verbotener Wein.«

»Ah, das läßt sich hören, ich gehe allerdings dahin, wo ich Kameraden zu finden hoffe; aber noch eins, Fräulein Brüsselbach, hatten Sie einen Zweck, als Sie mich erwarteten?«

»Einen Zweck?« fragte die Irrsinnige zurück, mich erstaunt von oben bis unten betrachtend, »ich hatte einen Zweck, einen sehr triftigen Zweck, warum ich hier einkehrte:- ich wollte nicht naß werden, wie der Herr Graf, der Zeug genug zum Wechseln besitzt; und als ich Ihro Gnaden dann bemerkte, wie Sie den Berg heraufkamen, da durfte ich doch wohl darauf rechnen, daß Sie nicht ohne einzukehren hier vorbeigehen würden.«

»Also dennoch alles Zufall,« murmelte ich verdrossen vor mich hin, und da der heftige Regenguß sich allmählich in einen schillernden Sonnenregen verwandelt hatte und, nach den Äußerungen der Irrsinnigen zu schließen, die mir noch unbekannten Verschworenen bereits oben eingetroffen waren, so bereitete ich mich zum Aufbruch vor.

»Wollen der Herr Graf nicht das Ende des Regens abwarten?« fragte Fräulein Brüsselbach, sobald sie mein Vorhaben bemerkte.

»Ich muß fort, mein liebes Fräulein,« entgegnete ich, »die paar Tropfen kümmern mich nicht mehr. Das Wasser in den Wegen hat sich verlaufen, und so wünsche ich Ihnen eine glückliche Reise, wohin Sie auch immer Ihre Schritte lenken mögen.«

So sprechend, steckte ich ihr ein kleines Geldstück zu, worauf ich mich umwendete, um zu gehen.

»Ich danke, Herr Graf!« rief Fräulein Brüsselbach mir nach, »reisen auch Sie glücklich und hüten Eure Exzellenz sich vor dem Schwarzen.«

»Was meinen Sie mit dem Schwarzen?« fragte ich hastig, noch einmal zurückschauend.

»Schwarze Haare, schwarze Augen, schwarze Kleidung und schwarze Seele.«

Unwillkürlich gedachte ich Bernhards, auf den diese Beschreibung hätte passen können, doch vermied ich weiter zu forschen aus Furcht, daß dadurch neue Zweifel in meiner Brust wachgerufen werden würden. Dagegen faßte ich den Vorsatz, Bernhard bei der nächsten Gelegenheit zu fragen, ob er jemals mit der Irrsinnigen zusammen getroffen sei.

»Ich werde vor dem Schwarzen auf meiner Hut sein!« rief ich lachend zurück, worauf ich hastig aus dem Steinbruch kletterte und auf dem rein gewaschenen Pfade meinen Weg aufwärts verfolgte.

Die Atmosphäre hatte sich gereinigt; ein erfrischender Luftzug wehte zwischen den Bergen hindurch; Bäume, Sträucher und Pflanzen prangten in ihrem schönsten, saftigsten Grün, und hoch oben im sonnigen Äther jubelten die dankbaren Lerchen so innig, so zum Herzen dringend, daß man in ihre heiteren Melodien hätte mit einstimmen mögen.

Oh, es war eine entzückende Wanderung den Berg hinauf! Wollüstig atmete ich die mit süßen Wohlgerüchen erfüllte Luft ein, und wie berauscht von so viel Schönheit ließ ich meine Blicke weit, weit in die Ferne schweifen.

In mächtigen Windungen verfolgte der majestätische Strom seine tausendjährige Bahn gen Norden, gerade da am Horizont verschwindend, wo seitwärts von den Gewitterwolken, mit einem duftigen Schleier verhangen, aber dennoch deutlich erkennbar die Türme und Zinnen des altehrwürdigen Köln emportauchten. Bewaldete Hügelreihen, hier gekrönt mit den malerischen Überresten zerfallender Burgen, wechselten anmutig mit grünen Saatfeldern und Weingärten ab. Strohgedeckte Dörfer erzählten von der Betriebsamkeit der Menschen, stattliche Villen von deren Reichtum; weiß übertünchte Häuser erinnerten an die Neuzeit, graue unregelmäßig angelegte Baulichkeiten an das Ehemals; und während der morsche Mauerbogen von Rolandseck und der zerbröckelnde Turm der Ruine Drachenfels von der Vergänglichkeit alles Irdischen zeugten, boten die stattlichen Bauwerke der Natur, das Siebengebirge mit seinen pittoresken Außenlinien und der alte Vater Rhein, noch immer dasselbe unveränderliche Bild, wie einst vor Jahrtausenden.

Nach ziemlich mühevoller Wanderung auf dem noch schlüpfrigen Pfade erreichte ich endlich den Gipfel des Berges. Die Sonne neigte sich stark den westlichen Höhen zu, als ich oben eintraf und vergeblich nach denjenigen spähte, die mich dorthin gefordert hatten.

Ich dachte schon daran, meine Anwesenheit durch einen lauten Ruf zu verkünden, als meine Blicke auf einen Stab fielen, der auf der Mitte des kleinen, den Berggipfel bildenden Plateaus in die Erde gesteckt worden war und auf dem oberen Ende einen Streifen Papier, wie ein Fähnchen, lustig in dem leisen Abendwinde flattern ließ.

»Das Papier muß unstreitig erst nach dem Regenguß dort befestigt worden sein,« dachte ich, es von dem Stäbchen lösend.

Ein Blick belehrte mich, daß ich mich nicht getäuscht hatte, denn ich enträtselte sogleich meinen in Chiffren geschriebenen Namen, dem noch mehrere Reihen mit Bleifeder geschriebener Zahlen beigefügt waren.

»Sei uns willkommen als Bruder und Mitkämpfer. Die Vorsicht gebietet uns, nicht eher von Angesicht zu Angesicht bekannt mit dir zu werden, als bis du durch einen heiligen Eid bekräftigt hast, daß du fest entschlossen bist, unserm Bunde beizutreten, und deinen Entschluß nicht bereust. Noch ist es Zeit zur Umkehr; wir wandeln auf gefährlichen Wegen; prüfe dich daher, und fühlst du den leisesten Zweifel, so laß diesen Zweifel maßgebend für dein ferneres Verhalten sein. Kehre um; vergiß, was du erfahren hast, bringe dieses Schreiben an dieselbe Stelle, von der du es fortnahmst, und trachte nicht danach, einen von uns kennenzulernen; es würde vergebliche Mühe sein. Bist du indessen bereit, dein Leben auf den Altar des Vaterlandes niederzulegen, dann zerbrich, als Beweis, daß du mit allen andern, dich in deinem Tun und Lassen möglichenfalls beeinflussenden Rücksichten gebrochen hast, den Stab vor deinem Knie und hebe, Gott zum Zeugen deines Willens und deines Versprechens anrufend, deine Hand empor.«

So lautete das Schreiben.

Ich ahnte, daß von allen Seiten prüfende Augen auf mich gerichtet seien, und schämte mich, die in meiner Seele wühlenden Zweifel vor diesen zu verraten. Bei dem Satz, daß ich mit allen andern Rücksichten zu brechen habe, gedachte ich meines greisen, wohlwollenden Vormundes, und ich zögerte mit meiner Entscheidung; sobald ich mir aber Johannas holdes Bild vergegenwärtigte, mir ins Gedächtnis zurückrief die traurige Geschichte, die sich an ihre Kindheit knüpfte, und daß sie wohl verdiene, nicht nur der geliebte Mittelpunkt einer glücklichen Häuslichkeit, sondern auch ein hochgeachteter und verehrter, leuchtender Stern im geselligen Verkehr zu werden, da fühlte ich alle Bedenken plötzlich von mir weichen.

Um den unbekannten Beobachtern darzulegen, daß für den Mutigen nichts zu gefährlich sei, zerriß ich das Papier schnell in kleine Stücke, und legte meine Hand mit festem Griff an den Stab. Ein kurzes Rütteln und er befand sich in meinem Besitz, mit ebenso entschiedenen Bewegungen zerbrach ich ihn darauf in der mir vorgeschriebenen Weise, und meine Hand feierlich emporhebend rief ich aus: »Ich schwöre!«

Alsbald begann es sich hinter den Stechpalmengruppen und den durch Brombeerranken fast undurchdringlich gemachten Wachholderbüschen zu regen. Farbige Mützen tauchten ringsum empor und treue Hände streckten sich mir von allen Seiten zum brüderlichen Gruß entgegen.

Das Erscheinen von fünfzehn oder sechzehn Studenten hatte ich erwartet, es überraschte mich daher nicht. Aber einen Ausruf des Erstaunens vermochte ich nicht zu unterdrücken, als ich in die vertrauten Gesichter von Kommilitonen schaute, mit denen ich so manches liebe Mal beim heitern Zechgelage vereinigt gewesen, so manches liebe Mal bei der ernsten Melodie des »Landesvater« die spitze Rapierklinge, zum Zeichen ewiger Treue, durch die hochgehaltene Korpsmütze gestoßen hatte.

»Also auch du!?« rief ich erstaunt aus, als meine Blicke zuerst einen alten Schulfreund trafen, »und auch du?« fuhr ich fort, einem flotten Burschen, dem ich einst im ernsten Duell gegenübergestanden hatte, die Hand drückend, »und du und du?« rief ich jedesmal, sobald ich in ein anderes befreundetes Antlitz sah.

»Und vor allen Dingen du selber,« hieß es von allen Seiten zurück, »du, unser Bruder auf Leben und Tod, du, unser treuer Gefährte bei dem ernsten Werke, das wir vorbereiten.«

Wäre ich über die von mir einzuschlagende Handlungsweise noch von Zweifeln befangen gewesen, in diesem Augenblick hätten sie gewiß ihr Ende erreicht. Denn ich sah mich nur von Freunden und Studiengenossen umgeben, die ich, ihrer ehrenhaften Führung wegen, stets mit Achtung zu betrachten gewohnt war, und die, hochgestellten wie auch bescheidenen Familien entsprossen, den Unterschied in ihrem Herkommen bis auf die letzte Spur vergessen hatten. Da zeigte sich nichts von finsterem Fanatismus oder überspannter Schwärmerei, dagegen sprach deutlich aus den enthusiastisch leuchtenden Augen die heilige Überzeugung, daß man sich ein edles, ein erhabenes Ziel gesteckt habe und mit Freuden bereit sei, zu seiner Erreichung alles, selbst Leben und Freiheit in die Wagschale zu werfen.

Ich blickte im Kreise umher, überall gewahrte ich denselben Ausdruck, an dem sich mein Herz erwärmte und meine leicht erregbare Phantasie sich entzündete. Da rief ich, von wildem Entzücken ergriffen, noch einmal laut aus, indem ich die Mütze von meinem Haupte zog: »Treue bis zum Tode! Treue über das Grab hinaus, und mag Gottes Segen auf unserm Beginnen ruhen!«

»Mag Gottes Segen auf unserm Beginnen ruhen!« antwortete im Chor die Schar der Brüder; die Häupter entblößten sich, wie zum Gebet, und die Augen erhoben sich andächtig zum Himmel, an dem eine Herde rosigglühender Wölkchen einherzog.

Die Sonne, bereits ihres blendenden Strahlenkranzes beraubt, beleuchtete magisch die mittelalterlich geschmückten Gipfel der Berge, und tief unten, in der Mitte des Rheines auf der grünen Insel, da rief nach alter gewohnter Weise vom Turm der Klosterkapelle das Vesperglöcklein zum gemeinsamen Ave-Maria.

Wie aus den Wogen des Rheines selbst tönten die feierlichen Klänge zu uns herauf; mochten sie auch in den leeren, längst für andere Zwecke eingerichteten, gespenstischen Klosterräumen ungehört verhallen, so erweckten sie doch unser Gemüt zu frommen Betrachtungen, und lange dauerte es, eh' einer daran dachte, das Wort zu ergreifen und in einer begeisternden Rede des uns zu einem mächtigen Ganzen vereinigenden Zweckes zu gedenken.

Zu weiteren Beratungen und Beschlüssen kam es an diesem Abend nicht. Es handelte sich vornehmlich darum, mich in die Geheimnisse der durch alle deutsche Gaue reichenden Verbindung einzuweihen. –

Es dämmerte, als wir unsere geheime Versammlung aufhoben und uns zur Heimwanderung nach Bonn rüsteten, und jetzt erst fiel mir auf, daß Bernhard sich nicht unter den Anwesenden befand.

Ich fragte nach ihm und hörte befremdet, daß er sich nur in den seltensten Fällen an den Zusammenkünften beteilige, deshalb aber nicht minder tätig für den glücklichen Erfolg des großen Werkes sei. Da er keine Kollegien mehr besuchte, so konnte, namentlich weil er Geistlicher war, sein zu häufiger Verkehr mit den Studenten leicht zu Argwohn Veranlassung geben. Er hatte daher, seine Unabhängigkeit benutzend, die schwierigere Rolle eines Vermittlers zwischen den verschiedenen Universitäten übernommen und ging bald hierhin, bald dorthin, um zu berichten und zu erfahren, was man, selbst in Chiffreschrift, dem Papier anzuvertrauen sich scheute.

So hatte er auch an diesem Tage erst einen unten vorbeifahrenden Wagen dazu benutzt, um nach Heidelberg und Frankfurt zu gelangen, wo er die nächste Zeit zuzubringen beabsichtigte.

»Ist er denn hier oben gewesen?« fragte ich im Laufe des Gesprächs, während wir langsam ins Tal niederstiegen.

»Er begleitete uns bis hinauf,« erhielt ich von mehreren Seiten zur Antwort, »dann kehrte er zurück, um den Wagen nicht warten zu lassen. Es hat sich nämlich ein Onkel von ihm, der, wie er selbst, ursprünglich aus Italien stammt, zu ihm gesellt, und um sich des ihm gleichgültigen, wahrscheinlich auch etwas zudringlichen Verwandten auf wenig auffällige Art zu entledigen, war er gewissermaßen gezwungen, bis Koblenz in dessen Gesellschaft zu reisen und seinen Wagen zu benutzen.«

»Habt ihr den Herrn Onkel gesehen?« fragte ich gespannt, denn ich dachte in diesem Augenblick an Fräulein Brüsselbach und die versteckte Warnung, die sie mir erteilt hatte.

»Ein echter Pfaffe mit feinem, glattem Wesen«, antwortete einer aus der Gesellschaft, »und ich verdenke es Bernhard nicht, daß er sich so wenig zu ihm hingezogen fühlt.«

»Hüten Sie sich vor dem Schwarzen,« summte mir die Warnung der Irrsinnigen in den Ohren, doch vergaß ich sie schneller wieder, indem ich überlegte, daß sie wohl schwerlich den fremden Geistlichen jemals gesehen haben könne.

Rüstig wanderten wir darauf dem in nächtliche Schatten gehüllten Bonn zu. Wie bei frühern Gelegenheiten heiterer Gesang dazu diente, uns die Zeit zu verkürzen, so gaben wir uns an diesem Abend, da nur Gleichgesinnte uns hörten, ausschließlich tief-ernsten Gesprächen und Beratungen hin, die förmlich berauschend auf mich einwirkten, denn als ich gegen Morgen endlich mein Schlafgemach beträt, da war ich wie umgewandelt. Des Oberstleutnants ehrwürdige Gestalt hatte nichts Schreckenerregendes mehr für mich; und heiß ersehnte ich die Zeit herbei, in der ich stolzerfüllt vor ihn würde hintreten und ihm Rechenschaft über mein Tun und Lassen ablegen können, die Zeit, in der ich die goldigen Früchte meines kühnen Entschlusses, gewonnen unter Gefahren und im fürchtbaren Kampfe um die höchsten Güter der Völker, Johanna zu Füßen legen durfte. < /p>


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