Balduin Möllhausen
Die Mandanen-Waise
Balduin Möllhausen

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31

Ein Heiratsantrag

Wenn mich am vorhergehenden Tage die Ungewißheit über Schanhattas und mein Geschick in einer beständigen fieberhaften Aufregung erhalten hatte, in einer Aufregung, viel schmerzhafter, als die Riemen, die tief in mein Fleisch eindrangen, und die hilflose Lage, zu der ich verdammt war, so diente das Zusammentreffen mit Werker am wenigsten dazu, mein schneller wallendes Blut zu beruhigen.

Zu wunderbar waren die verschiedenen Vorgänge und Entdeckungen aufeinandergefolgt, als daß ich mich schnell in alles hätte hineinfinden können. Die schwärzesten Befürchtungen für den Gemütszustand des armen unglücklichen Mannes bestürmten mich mächtig, und ebenso schnell, wie sie entstanden waren, sanken die mit Gewalt heraufbeschworenen Hoffnungsschimmer wieder in Nichts zusammen.

Dann folterte ich mich mit Mutmaßungen über die Mittel, die Werker zu unserer Befreiung gewählt haben könne, dann wieder mit schrecklichen Szenen, die, im Falle die Flucht mißlingen sollte, unausbleiblich folgen mußten. Vergeblich suchte ich zu schlafen und mich dadurch geistig und körperlich für die kommenden Dinge zu stärken; so bedürftig ich der Ruhe war, so blieb sie mir doch fern. Ich mochte die Augen schließen oder sie geöffnet halten, den Unterschied merkte ich kaum; stets marterten mich dieselben wirren Schreckbilder, dieselben bangen Besorgnisse.

So kam denn die Mittagszeit heran, und zu der kalten feuchten Luft, die mir in dem engen abgeschlossenen Raume empfindlich auf die Glieder fiel und mir das Atmen erschwerte, begann sich das Gefühl eines brennenden Durstes zu gesellen; denn das, was ich während der Nacht zu mir genommen hatte, war eben nur hinreichend gewesen, einen augenblicklichen Reiz zu befriedigen.

Nachdem Werker die Hütte verlassen hatte, war niemand hereingekommen, weshalb ich voraussetzte, daß man auf einer andern Stelle über Schanhatta und mich beratschlage.

Aber, es mochte Mittag sein, da wurde die Hütte plötzlich mit vielem Geräusch geöffnet und eine Anzahl Weiber unter der Leitung des ungeduldigen Blackbird stürmte herein. Ein Teil begab sich zu meinem nicht geringen Schrecken geraden Wegs zu Schanhatta, während ein anderer Teil die Steine und Pfähle von der Türe meiner Zelle forträumte. Die Anwesenheit Blackbirds beruhigte mich zwar darüber, daß Schanhatta vielleicht von der Wut der grimmigen Megären zu leiden haben könne, doch was vermochte selbst er, wenn eine derselben, von ihrer Leidenschaft fortgerissen, das Messer gegen das arme gefesselte Mädchen zückte?

Solche Befürchtungen erfüllten mich noch, als das letzte Hindernis von meiner Tür wich und im nächsten Augenblick fünf oder sechs Blackfoot-Weiber, von denen einzelne brennende Holzscheite in den Händen schwangen, zu mir hereinstürzten und sich keifend und schmähend um mich herum niederkauerten.

Ihre Augen glühten wild, doch erschienen sie mir bei weitem nicht so drohend als die hämische Freude auf den zinnoberroten Zügen Blackbirds, der in der Türöffnung stehengeblieben war und die ganze Szene mit unverhohlenem Wohlgefallen betrachtete.

»Das Mandanen-Mädchen ist zu schön für einen weißen Jäger,« sagte er grimmig, nachdem er den Weibern Stillschweigen geboten hatte, »es gehört in das Wigwam eines Häuptlings, der es besser zu schützen versteht als mein mutiger weißer Bruder. Aber mein weißer Bruder braucht nicht leer auszugehen, er kann wählen unter den Weibern der Blackfoot- Nation. Doch ich weiß, die Blackfoot-Weiber gefallen ihm nicht, er hat ein zu mutiges Herz, er wird es vorziehen, am Marterpfahl zu stehen und mit seinem warmen Fleisch die stumpfen Pfeile der Knaben aufzufangen.«

Diese Rede, die ganz darauf berechnet war, die mich umgebenden Weiber zu reizen und noch mehr gegen mich zu erbittern, riefen einen wahren Sturm von Verwünschungen und Schmähungen hervor, die indessen mehr dem Häuptling als mir galten. Als dieser aber hohnlachend davonschritt, um sich zu Schanhatta zu begeben, kehrte sich die ganze Wut gegen mich, und kaum gibt es in der indianischen Sprache ein Schmähwort, das mir nicht in den nächsten fünf Minuten von den übersprudelnden Lippen der tollen Gesellschaft zugeschleudert worden wäre. Doch bei dem bloßen Keifen ließen es die erbitterten Feindinnen nicht bewenden; heulend zogen sie ihre Messer hervor, und gewandt und ohne mich zu verletzen, zeichneten sie mit den scharfen Schneiden alle nur denkbaren Linien auf mir herum, die kundgaben, daß sie eine wahre Begierde hegten, mich zur gelegenen Zeit zu verstümmeln und zu zerhacken.

Doch schien mir, als wenn sie mich nur einschüchtern wollten, um mich zugänglicher für die bereits von Werker angedeuteten Vorschläge zu machen.

Ich täuschte mich nicht, denn sobald der erste tolle Lärm verstummt war, rückte die eine der Frauen noch dichter zu mir heran, und indem sie ein Gefäß mit zubereiteten Fleischstückchen und ein anderes mit gerösteten Maiskörnern auf meine Brust stellte, schickte sie sich an, mir ihr Anliegen in der gebräuchlichen Form vorzutragen.

»Grausamer weißer Mann,« begann sie im lauten Klageton, »du hast den erschlagen, der für mich und meine Kinder jagte; mein Wigwam ist leer, meine Kinder suchen in andern Zelten Nahrung, und statt des Fleisches vom Büffel und dem breitgehörnten Elch esse ich Maiskörner und Wurzeln, die ich in der Prärie mühsam ausgrabe. Ich sehne mich, jemand zu besitzen, der für mich jagt und meine Kinder lehrt die Waffen zu führen. Der bleiche Jäger hat einen starken Arm und ein mutiges Herz, und darum mußten die tapferen Blackfoot-Krieger vor seiner Büchse die Reise nach den glückseligen Jagdgefilden antreten. Sie liegen auf dem Boden des Missouri; das laufende Wasser spielt mit ihren Gebeinen. Der bleiche Jäger darf aber nicht ungestraft einen Blackfoot töten. Er muß sterben, wie es einem Krieger geziemt, unter Martern, wie sie nie schöner erdacht wurden. Aber ich habe Mitleid mit dem bleichen Jäger; er ist noch zu jung, um sein Fleisch den Wölfen vorzuwerfen. Mein Wigwam steht leer; ich will den bleichen Jäger zu mir nehmen; er soll für mich und meine Kinder jagen, und ich will seine Leggins schmücken und seine Mokasins reich verzieren. Ziehe der bleiche Jäger daher zu mir in mein Zelt, und ich löse seine Bande; er ist frei und die Knaben des Dorfes mögen ihre stumpfen Pfeile an einem Baumstamm versuchen.«

So ungefähr sprach die Blackfoot-Squaw zu mir, während ihre Genossinnen aufmerksam zuhörten und zugleich mein Gesicht prüfend beleuchteten und beobachteten, wie um die Antwort herauszulesen.

Der Vorschlag kam mir nicht unerwartet; auch hatte ich während der langen Rede hinlänglich Zeit, mich auf eine in Werkers Sinne gehaltene Antwort vorzubereiten.

»Warum sollte ein bleicher Jäger nicht in das Wigwam einer braunen Frau einziehen können?« fragte ich zurück, »aber ich bin mit leeren Händen in das Dorf der Blackfeet geschleppt worden, die Blackfeet nahmen mir alles, was ich besaß, meine Pferde, meine Waffen –«

»Die Blackfeet werden dem bleichen Jäger sein Eigentum zurückerstatten, sobald er einer der Ihrigen geworden ist«, unterbrach die Frau mich ungeduldig.

»Wohlan,« fuhr ich fort, scheinbar erfreut über diese Mitteilung, »ich erschlug der Blackfeet mehrere, mehrere Wigwams müssen durch meine Büchse ihren Herrn verloren haben.«

Ein zustimmender Klagelaut unter meinen Zuhörerinnen belehrte mich, daß alle Anwesenden darauf Anspruch machten, durch mich Witwen geworden zu sein.

»Ich bin bereit zu sühnen, soweit es in meinen Kräften steht,« erklärte ich weiter, »allein es ist nicht Sitte unter den Bleichgesichtern, sich mit mehr als einer Frau zu verbinden. Ich kann nicht wissen, nach welcher Richtung ich meine Hand ausstrecken soll. Ich bin kurzsichtig, aber im Dorfe der Blackfeet sah ich einen weißen Medizinmann, dessen Augen gefärbt sind wie der Himmel und schärfer blicken als die Augen des weißköpfigen Adlers. Er ist weise, er wird mir sagen, in wessen Wigwam ich einziehen, für wen ich jagen und frisches Fleisch herbeischaffen soll. Ich spreche die Wahrheit; ich kann nicht entfliehen, denn meine Glieder sind gefesselt; kommt morgen an das Lager des bleichen Jägers, vielleicht daß er Euch den Ausspruch des weisen Zauberers verkündet. Die Weiber der gefallenen Krieger werden mich noch gefesselt finden, aber ich hoffe, sie werden die Banden von meinen Gliedern lösen und mir die Waffen eines Mannes in die Hand drücken.«

Augenscheinlich hatten die Weiber erwartet, ich würde mit kurzen, bündigen Worten den Tod der Vereinigung mit einer aus ihrer Mitte vorziehen. Meine Antwort dagegen, welche sie im Grunde nur billigen konnten, verwirrte sie, und ratlos blickten sie einander an. Sie begriffen, daß alle weiteren Forderungen an meinem festen Willen scheitern würden, und enthielten sich nicht nur jeder Äußerung von feindseligen Gefühlen, sondern suchten sogar in der Darlegung von freundlichen Gesinnungen sich gegenseitig zu übertreffen.

Die eine lockerte die Riemen an meinen Füßen, die andere an meinen Händen; wiederum eine andere hielt einen mit Wasser gefüllten Flaschenkürbis an meine Lippen, während die Wortführerin mir abwechselnd zugerichtete Fleischstückchen und geröstete Maiskörner zwischen die Zähne schob.

Nachdem man mich gesättigt hatte, war der vorläufige Zweck der Weiber erfüllt, und indem ich nach der anderen Seite der Hütte hinüberlauschte, erriet ich leicht aus dem von dorther zu mir dringenden Geräusch, daß bei Schanhatta ebenfalls nichts weiter beabsichtigt worden war, als sie durch Speise und Trank zu erquicken, und Blackbird die Weiber nur begleitet hatte, um sie daran zu verhindern, daß sie dem gefesselten Mädchen ein Leid zufügten.

Die Frauen waren eben im Begriff, meinen Kerker zu verlassen, als Blackbird noch einmal in der Türöffnung erschien, um sich höhnisch zu erkundigen, ob ich auf die Vorschläge eingegangen sei.

Überraschte es ihn schon, mich in freundschaftlichem Verkehr mit den an mich abgeschickten Frauen zu finden, so wuchs sein Erstaunen, als er erfuhr, in welcher Weise ich sie beschwichtigt habe.

In der düsteren Wolke, die über sein grimmiges Gesicht hinzog, und in dem spähenden Blick, den er in meine Augen senkte, sprachen sich sein tief gewurzelter Haß und sein wachsendes Mißtrauen gegen mich aus. Ich fühlte, daß, wenn mir von einer Seite Gefahr drohe, diese allein von ihm ausgehe und er der einzige sei, der Werkers Pläne, und waren sie wer weiß wie schlau und tief angelegt, zu durchkreuzen vermöchte.

»Es ist gut«, sagte der wilde Krieger mit kalter Ruhe zu den Weibern, als diese endlich mit ihren Berichten zu Ende gekommen waren; worauf er sie durch ein Zeichen bedeutete, sich zu entfernen.

Diese gehorchten dem Befehl schweigend, als aber die letzte an ihm vorüberschlüpfte, entriß er ihr die Holzfackel. Er wartete sodann, bis es in der Hütte still geworden, und nachdem er den Feuerbrand zu helleren Flammen angefacht hatte, trat er zu mir heran.

Wiederum betrachtete er mich eine Weile forschend, wobei er die Fackel so hielt, daß sein Antlitz im Schatten blieb, mich dagegen der volle Schein der Flammen traf.

»Das Pferd geht nicht hin, um mit dem Büffel zu leben, der Wolf teilt sein Lager nicht mit dem grauen Bären der Gebirge und mein weißer Bruder will in das Wigwam einer alten Blackfoot-Squaw einziehen?« begann er dann, »ich habe meinen bleichgesichtigen Bruder für einen starken und mutigen Krieger gehalten, der es vorziehen würde, als Mann zu sterben und nicht der Sklave eines alten Weibes zu werden.«

»Hat mein Freund Blackbird mehr als ein Leben zu opfern?« entgegnete ich spöttisch, »ich besitze nur eins, und lieber will ich der Gatte einer Eingeborenen sein, als daß die Wölfe der Prärie und die Hunde der Blackfeet sich um meine Gebeine schlagen.«

Ein Zug unbeschreiblichen Hohnes umspielte Blackbirds zusammengepreßte Lippen. »Mein weißer Freund hat eine sehr glatte Zunge,« sagte er dann, »sie ist so glatt wie die schleimige Haut eines Aals und gespalten wie die Zunge einer giftigen Klapperschlange. Er hat auch einen klugen Kopf, er versteht die Menschen zu täuschen. Aber Blackbird hat mit den Weißen gelebt, hat gelernt, ihre Betrügereien zu durchschauen. Mein bleicher Bruder denkt, die Blackfeet sind Maulwürfe; ja, sie sind Maulwürfe, bis auf einen, und dieser eine liest in dem Kopfe seines mutigen weißen Freundes.«

»Ich habe dich immer für einen klugen Häuptling gehalten,« versetzte ich, ohne den Ton meiner Stimme zu verändern, »aber daß mein berühmter Freund in anderer Menschen Seelen zu lesen vermag, habe ich noch nicht gewußt. Hier sind meine Augen, Häuptling, blicke hinein und suche meine Gedanken zu erraten, soviel du willst. Ich brauche mich weder vor dir noch sonst jemand in der Welt zu scheuen.«

»Ich lese, daß der weiße Jäger den Wunsch hegt, das Dorf der Blackfeet heimlich zu verlassen und das Mandanen-Mädchen mit sich fortzuschleppen.«

»Es gehört wohl viel Scharfsinn dazu, dergleichen zu erraten?« erwiderte ich lachend; »ja, Häuptling, ich räume es ein, ich möchte fort von hier und das Mandanen-Mädchen mitnehmen. Aber sage, wie soll ich das ins Werk setzen? Du wirst dir das Mandanen-Mädchen ebensowenig rauben lassen, wie mir gelingt, diese Banden zu zerreißen. Ich bin ein weißer Jäger mit weißem Herzen; kann ich die Sonne nicht haben, so bin ich mit dem Monde zufrieden; und wird mir der Mond entzogen, so nehme ich mit den Sternen und endlich sogar mit deinem Feuerbrand fürlieb. Hier liege ich gefesselt; um die Banden von meinen Gliedern zu streifen und frei umherwandern zu dürfen, tue ich manches; du aber, Häuptling, traust mir nicht, ich kann dir daher nur raten, dich zu mir zu setzen und selbst über mich zu wachen.«

Blackbirds Antlitz leuchtete bei meinen letzten Worten in wildem Zorn auf, doch glättete es sich ebenso schnell wieder. »Draußen vor der Hütte befinden sich Leute genug, die den weißen Jäger bewachen; das Bewachen ist nicht Aufgabe der Häuptlinge,« sagte er geringschätzig, »ich habe mich in meinem weißen Freunde getäuscht; ich glaube jetzt, daß er keinen Fluchtversuch unternehmen wird. Er ist mir willkommen in der Nation der Blackfeet; er braucht daher nicht mehr so scharf bewacht zu werden.

Ich werde die Öffnungen seines Gefängnisses nicht verschließen, und meine Krieger sollen nur dafür sorgen, daß Weiber und Kinder nicht zu ihm hineindringen. Der Medizinmann von der Farbe meines bleichen Bruders wird mit Sonnenuntergang in das Dorf zurückkehren. Er ist gegangen, um an einem einsamen Ort das sprechende Papier kennen zu lernen und heilsame Kräuter für das halsstarrige Mandanen- Mädchen zu sammeln. Er ist sehr weise; seine Worte sind Medizin, möge er für meinen Freund eine gute Wahl unter den Weibern der leeren Wigwams treffen.«

»Ja, Häuptling, das ist das einzige, was ich von ihm wünsche, und dann vielleicht noch, daß er mir einen Trunk bereite, der mich die Mandanen-Waise vergessen macht,« entgegnete ich in gleichgültigem Tone; »ist das geschehen, so führen unsere Wege weit auseinander; er spricht zuviel Medizin, ist ein zu großer Zauberer, als daß ich lange an seiner Seite weilen möchte; er ist kein Mann und kein Krieger.«

»Er ist mehr wert als ein weißer Krieger, der sein Leben für Weiber erkauft,« versetzte Blackbird, und dann sich von mir abwendend, entfernte er sich mit ernster Würde, die Tür meines Kerkers, wie er versprochen hatte, hinter sich offen lassend. – Die Sonne war noch nicht lange zur Rüste gegangen, als Werker endlich wieder bei mir eintrat und seine Verwunderung darüber äußerte, die Pforten von Hütte und Kerker geöffnet zu finden.

Fast wider mein Erwarten sprach er durchaus klar und mit vieler Überlegung; die Beschäftigung, der er sich während des Tages hingegeben hatte, schien ihn ebensowohl körperlich angegriffen als auch geistig beruhigt zu haben. Nur an den trüben Falten, die in größerer Zahl auf seiner breiten Stirn lagerten, erkannte ich, daß schwere Sorgen ihn niederdrückten und die Hoffnungen, die ihn in der verflossenen Nacht beseelt hatten, sehr herabgestimmt waren.

Doch weilte er nicht lange genug in meinem Kerker, um viel von ihm zu erfahren. Er sagte nur, daß er auf seiner Hut sein müsse und am allerwenigsten von Blackbird in meiner Höhle angetroffen werden dürfe. Nach manchen dringenden Fragen erfuhr ich aber doch zu meiner Überraschung, daß die aufgehende Sonne uns entweder in voller Flucht nach dem Missouri oder, mich wenigstens, als starre Leiche erblicken würde.

Schanhatta besuchte er ebenfalls, um sie zu ermutigen und mit wenigen Worten auf die Flucht vorzubereiten, worauf er sich nach dem Hauptgemach der Hütte begab, um dort ein kleines, nur wenig Helligkeit verbreitendes Feuer in Brand zu erhalten und vor diesem, scheinbar mit größter Aufmerksamkeit, in einem Manuskript zu lesen.

Der Ausgang der Hütte befand sich gerade vor ihm; um indessen nicht von jedem zufällig Vorübergehenden gesehen und nicht von den jungen Kriegern, die vor der Tür lagen, beständig beobachtet zu werden, hatte er eine Büffelhaut von außen vor die Türöffnung gehangen, und eine zweite im Innern so ausgespannt, daß, wer auch immer unter der äußern Decke hindurchspähte, durch die zweite verhindert wurde, die nächste Räumlichkeit der Hütte zu überblicken.

Mit ängstlicher Spannung lag ich da; ein matter Schimmer, der von Werkers Feuer ausging, bezeichnete die im Schatten liegende schmale Öffnung meines Kerkers; das Blut kreiste mir stürmisch in den Adern, und in meiner an Verzweiflung grenzenden ungeduldigen Erwartung begann ich in Gedanken zu zählen, um danach die Minuten, die Viertelstunden und endlich die ganzen Stunden zu berechnen.

Voller Besorgnis prüfte ich, soweit es die Fesseln erlaubten, meine Arm- und Beingelenke; außer dem steifen Knie waren alle Glieder so beschaffen, daß ich mich auf sie verlassen konnte, und mit jeder neuen Minute hoffte ich, daß die Zeit zum Handeln gekommen sein möge.

Doch Werker rührte sich nicht; er war so still, als wenn er, nach den Anstrengungen des Tages und der vergangenen Nacht von Müdigkeit übermannt, einem tiefen Schlafe in die Arme gesunken wäre.

Mitternacht war nicht mehr fern, und im Dorf erschallte nur noch selten eine menschliche Stimme, als er endlich ein Zeichen des Lebens von sich gab und gleich darauf seine Gestalt den schwachen Schein in der Türöffnung verdunkelte.

»Mein Sohn, die Stunde ist gekommen,« flüsterte er mit fieberhafter Hast, indem er tastend nach meinen Fesseln suchte und diese durchschnitt, »erinnere dich deines mir gegebenen heiligen Versprechens; handle, als besäßest du einen Teil meines eigenen Lebens und Willens.«

»Gut, gut, mein edler Freund,« entgegnete ich ebenso leise, mit einem unbeschreiblichen Wonnegefühl mich aufrichtend und dann meine Arme, um deren Gelenkigkeit zu prüfen, weit von mir streckend, »sagen Sie mir, was ich tun soll, aber lassen Sie uns vor allen Dingen eilen, meiner armen Schanhatta Banden zu lösen.«

»Geduld,« flüsterte Werker zurück, »Jeannette darf erst im letzten Augenblick befreit werden, aber um Gottes willen, laß mich nicht unnötig Worte und Zeit verlieren. Tue, was ich dich heiße; hier, schlage das Leder auseinander, es befindet sich schwarze Farbe darin. Bestreiche dir Gesicht, Hals und Arme damit, aber vorsichtig, ein unvermutet auf dich fallender Lichtschein darf nicht soviel weiße Haut zeigen, wie eine Kugel braucht, um ein Loch durchzuschlagen. Hast du's?«

»Ja, ich habe es«, antwortete ich, bebend vor Spannung und Ungeduld, und zugleich begann ich die mir eingehändigte fettige Masse in der vorgeschriebenen Weise anzuwenden.

»Deine Haare sind dunkler als die meinigen, aber das schadet nicht; der Federschmuck wird sie verbergen. Beeile dich, beeile dich; nachdem du dich umgekleidet hast, will ich dir von der Pforte aus den Weg genau angeben, den du einzuschlagen hast. Irren ist nicht möglich; bei Tagesanbruch wirst du in dem Flußbett zwei gepflöckte Pferde finden; ein von dem ersten Pflock ausgehender dünner Riemen führt dich nach der Stelle, wo im Gebüsch Sättel und Zaumzeug verborgen liegen. Sattle die Tiere schnell und folge in gestrecktem Galopp der Richtung des Flüßchens. Nach zwei Stunden halte dich im Flußbett selbst, und du wirst abermals Pferde finden. Diese beiden gehören zu den ausdauerndsten Tieren des Dorfes. Laß die ermüdeten Pferde zurück; sattle die frischen sorgfältig, gib das schwächere an Jeannette, und dann reitet so, daß die Tiere wenigstens drei Tage aushalten. Nach Ablauf dieser Zeit, wenn Euch nicht ein besonderes Unglück trifft, könnt Ihr Euch als gerettet betrachten. Etwas Lebensmittel hängen auf dem Bäumchen, an dessen Stamm die Sättel niedergelegt sind. Reitet die ersten Pferde tot, aber geht haushälterisch mit den Kräften der andern beiden um. Die ersten sollen Euch zu einem tüchtigen Vorsprung verhelfen, den die andern nur zu erhalten brauchen. So, wenn du mit der Malerei fertig bist, wollen wir schnell die Kleider vertauschen; du mußt schlechterdings die Rolle eines Medizinmannes übernehmen –«

»Aber Sie, was beabsichtigen Sie? Doch nicht etwa zurückzubleiben?« fragte ich erschreckt, sobald ich Werkers Absicht erriet.

»Kümmere dich nicht um mich,« lautete die mit zitternder Stimme gegebene Antwort, »gönne mir nach so vielen erduldeten Leiden die einzige wahre Freude, zur Rettung meines letzten Kindes beigetragen zu haben.«

»Wohlan denn, wozu die Verkleidung?« sagte ich jetzt mit einer Entschiedenheit, die keinen Zweifel mehr über die Unerschütterlichkeit meines Entschlusses obwalten ließ; »Sie kennen den Weg, ich kenne ihn nicht, also vorwärts, erlösen wir schnell ihre Tochter, und suchen Sie das Weite. Retten Sie ihr Kind, und überlassen Sie mir es, meine Rolle als Gefangener zu Ende zu führen. Sie haben die Pferde heimlich an den bezeichneten Punkt gebracht und müssen sie daher auch mit Leichtigkeit wiederfinden, während ich sie verfehlen könnte.«

»Nie! nie, niemals!« erwiderte Werker röchelnd vor innerer Aufregung: »Bedenken Sie, ich bin Zauberer, ich kann mich unsichtbar machen, und wenn ich unsichtbar bin –«

»Vergessen Sie nicht Jeannette«, flüsterte ich Werker von namenlosem Entsetzen ergriffen zu, denn ich hörte, was einem minder geübten Ohr entgehen mußte, daß der äußere Vorhang behutsam von der Tür fortgeschoben wurde und jemand in die Hütte hineinkroch. »Vergessen Sie nicht Schanhatta, Ihre Tochter,« flüsterte ich noch einmal, indem ich meine Lippen Werkers Ohr näherte und zugleich nach der Türöffnung hinüberwies, »man kommt, besinnen Sie sich!«

Werker schauderte unter meiner Berührung heftig zusammen; ein tiefer Seufzer entrang sich seiner Brust, und die Gefahr, mit der seine krankhafte geistige Aufregung uns bedrohte, war vorüber. Er hatte angesichts des fast unvermeidlichen Verderbens seine volle Überlegung wiedergewonnen.


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