Balduin Möllhausen
Die Mandanen-Waise
Balduin Möllhausen

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5

Die geheime Verbindung

»Mein lieber Gustav, es liegt außer allem Zweifel, du bist verliebt, ernstlich verliebt, und es wäre wohl Zeit, daß du dich befleißigtest, etwas verständiger zu werden.«

Mit diesem Selbstgespräch begrüßte ich am Morgen nach jenem unvergeßlichen Pfingstmontage die Sonne, die gar holdselig, als ob sie sich über meine Trägheit habe belustigen wollen, durch das Fensterchen meines kleinen Schlafgemaches zu mir hereinlugte.

»Weil sie das aber gerade heute tut und so schöne Lichtstreifen um mich herum wirft, daß die gebenedeite und unbefleckte Jungfrau Maria in höchsteigener Person sich eines solchen Strahlenkranzes nicht zu schämen brauchte, so will ich den heutigen Morgen, dieweil die Morgenstunde eitel Gold und Schätze im Munde führen soll, vorzugsweise dazu verwenden, einen festen Plan für die Zukunft zu entwerfen.

»Ich studiere Jura, ohne Frage ein sehr langweiliges Studium – aber die Jurisprudenz ist ein schönes Studium, und wenn mich das Glück begünstigt, kann ich bereits nach fünfzehn bis achtzehn Jahren mich zu einer Stellung emporgeschwungen haben, die, zu einträglich, um dabei zu verhungern, bei weitem nicht genug abwirft, um eine Familie standesgemäß ernähren zu können. Achtzehn Jahre! Ein Sonnenstäubchen in der Ewigkeit, aber achtzehn Jahre auf die Verwirklichung süßer Hoffnungen harren zu müssen, ist kein Spaß. Und Johanna –«

Sonst, wenn ich den Namen eines weiblichen Wesens, das einen flüchtigen Eindruck auf mich gemacht hatte, in Gedanken wiederholte, folgte ganz gewiß die Aufzählung der am meisten in die Augen fallenden äußern Vorzüge. Indem ich aber Johannas gedachte, wurde ich plötzlich ernst. Im Geiste sah ich sie mit all ihrem Liebreiz umflossen vor mir stehen; ich fühlte, daß, um sie zu gewinnen, gute Vorsätze nicht hinreichend seien; und sie zu gewinnen, war ja die Aufgabe meines Lebens.

Damit lag eine schöne, eine verlockende Aufgabe vor mir, und aufjauchzen hätte ich mögen vor Entzücken, so oft ich mir Johanna mit ihrem sinnigen, zu holder Schwärmerei hinneigenden Wesen vergegenwärtigte, Johanna mit den dunklen Locken und den seelenvollen blauen Augen, Johanna, die ich einst meine eigene, meine einzige Johanna nennen sollte.

Sinnend schaute ich auf den Sonnenstaub, der so lustig in den schmalen Lichtstreifen durcheinanderwirbelte. Nach Hunderttausenden zählten die feinen Atome, und dennoch fanden sie alle Platz und jedes wanderte friedlich seiner Wege, ohne daß es durch einen Kameraden gehindert wordert wäre oder seinen Nächsten gehindert hätte, während in der menschlichen Gesellschaft die verschiedenen Fächer gar nicht so sehr überfüllt zu sein brauchten, um die Saat des Neides, des Hasses und des Haders üppig aufgehen und gedeihen zu lassen. Ich blickte auf den Sonnenstaub, ich beobachtete die sorglos umherschwärmenden Goldfliegen, wie sie, unbekümmert darum, ob ihr Dasein nach Stunden oder nach Jahren zähle, hier den warmen Sonnenschein aufsuchten, dort wieder mit außerordentlich selbstbewußter Haltung auf dem äußersten Rande meiner blechernen Zuckerdose spazieren gingen, sich behaglich die Füßchen rieben, ihre Gazeflügel sorgfältig putzten und gelegentlich durch die schmalen Ritzen einen Blick auf den wohlverwahrten süßen Inhalt zu erhaschen strebten.

»Und dennoch fühle ich die Kraft in mir, Welten zu erstürmen,« dachte ich weiter, »und ich werde Welten erstürmen, wenn ich meinem Ziele dadurch auch nur um einige Jahre näher gerückt werde. Aber wie?« fuhr ich fort, indem ich heftig in den nächsten Lichtstreifen hineinhauchte, daß der Sonnenstaub wie toll durcheinanderwirbelte und sogar die Fliegen erschreckt von dem Zuckerkasten flohen; »ja, das Wie, das ist der Felsen, an dem meine Willenskraft scheitert.«

Ein höfliches Klopfen an der Tür meiner Wohnstube störte mich in meinen Betrachtungen.

Ich sah nach der Uhr.

»Sollte es schon der Stiefelfuchs sein?« fragte ich in Gedanken.

Es klopfte zum zweiten Male.

»Oder ein Manichäer oder ein Kartellträger?«

Es klopfte zum dritten Male.

»Herein!« rief ich laut.

Die Tür öffnete sich leise. Ich vernahm, daß jemand eintrat und die Tür hinter sich zudrückte, doch lag ich so, daß ich nur einen kleinen Teil der Nebenstube zu überblicken vermochte.

»Kann ich die Ehre haben, Herrn Wandel auf ein halbes Stündchen zu sprechen?« ertönte eine Stimme, die mir sehr bekannt erschien, ohne daß ich sie mit einer befreundeten Persönlichkeit in Verbindung zu bringen vermochte.

»In zwei Minuten!« antwortete ich, hastig emporspringend, und wenn auch nicht gerade in zwei Minuten, so waren deren doch keine fünf verstrichen, als ich die Schwelle meiner Schlafkammer überschritt.

Befremdet, fast erschreckt blieb ich in der Tür stehen, als ich Bernhard erblickte, der sich am Fenster auf einen Stuhl niedergelassen hatte, sich indessen bei meinem Eintritt sogleich freundlich grüßend erhob.

»Wenn ich auch einer kurzen und bündigen Nachricht von Ihnen entgegensah, so erwartete ich doch am allerwenigsten, von Ihnen selbst aufgesucht zu werden,« sagte ich mit aller mir zu Gebot stehenden Kälte, ohne seinen Gruß zu erwidern.

»Ich glaube es wohl, Herr Wandel,« lautete die mit dem Anstande eines gebildeten Mannes erteilte Antwort; »Sie erwarteten von mir eine Herausforderung, und statt dieser erscheine ich selbst, um mich mit Ihnen über die zwischen uns schwebenden Differenzen zu verständigen.«

»Es ist sonst nicht Sitte« – begann ich, und zugleich spähte ich vergeblich in seinen Augen nach einem auf versteckte Absichten hindeutenden Ausdruck.

»Es ist sonst nicht Sitte,« wiederholte er, mir in die Rede fallend, »ich weiß es, Sie werden meine Handlungsweise aber billigen, nachdem Sie meinen Worten Gehör geschenkt haben. Obwohl mir mein Stand verbietet, jetzt noch einem Mitmenschen im tödlichen Kampfe zu begegnen, würde ich mich zur Rettung meiner Ehre dennoch mit Freuden über diesen Zwang hinwegsetzen, hätte ich nicht die Möglichkeit erkannt, die zwischen uns schwebende unangenehme Frage auf friedlichere und uns beide nichts weniger als erniedrigende Art zu erledigen. Unterbrechen Sie mich nicht, hören Sie mich zu Ende, eh' Sie entscheiden, ich bitte Sie darum,« fuhr er fort, sobald er bemerkte, daß ich im Begriff stand, etwas zu erwidern, »wir hatten bei unserem Zusammentreffen keine weitern Zeugen als die junge Dame« –

»Was nach meinem Dafürhalten hinlänglich gewesen wäre, Ihnen Mäßigung aufzuerlegen,« warf ich kalt ein.

»Ganz gewiß, aber da Sie, wenn ich nicht irre, in näheren oder gar verwandtschaftlichen Beziehungen zu der jungen Dame stehen, so dürfte es Ihnen nicht schwer werden, ihr eine entsprechende Erklärung zukommen zu lassen, bei ihr um Verzeihung für mich nachzusuchen.«

Erstaunt blickte ich auf Bernhard hin; seine Worte klangen offen und ehrlich, und in seinem Wesen entdeckte ich nichts, was Johannas unüberwindliche Scheu vor ihm gerechtfertigt hätte. Zwar ruhte in seinen Augen eine verborgene, unheimliche Glut, doch ebensowenig, wie ich in diesem Falle die zur Versöhnung dargebotene Hand zurückweisen durfte, fühlte ich die Verpflichtung und Neigung, mir über seine Denkungsweise und seinen ganzen Charakter genaueren Aufschluß zu verschaffen.

Ich erklärte mich daher mit seinem Entgegenkommen zufriedengestellt, nahm meine Beleidigung zurück, und teilweise dadurch geschmeichelt, daß er mir einen so großen Einfluß bei Johanna zuschrieb, versicherte ich sogar, bei dieser gelegentlich zu seinen Gunsten sprechen zu wollen.

»Was würden Sie sagen?« fragte er darauf, und die Glut in seinen Augen schien sich zu verstärken, »was würden Sie sagen, wenn ich Ihnen bewiese, daß ich gestern nur die Gelegenheit suchte, mich Ihnen zum Zweck einer höchst wichtigen Mitteilung zu nähern?«

»Ich würde meiner Verwunderung darüber Raum geben, daß Sie zur Erreichung Ihres Zweckes nicht einen einfacheren Weg einschlugen.«

»Und dennoch durfte ich nicht anders handeln; ich muß auf alle Fälle den Schein bewahren, als gehöre eine vertrauliche Annäherung zwischen uns zu den Unmöglichkeiten.«

Mit wachsender Spannung suchte ich abermals flüchtig in seinen Augen zu lesen, worauf ich ihn bat, Platz zu nehmen.

»Ich bin älter als Sie,« fuhr er in überzeugender Weise fort, »hatte also auch mehr Gelegenheit, Lebenserfahrungen zu sammeln und mich in der Beurteilung anderer Menschen, wenn ich mich so ausdrücken darf, zu üben. Deuten Sie es daher nicht falsch, wenn ich jetzt mein Urteil über Sie in ungeschminkter Form ausspreche; es ist notwendig zur Erläuterung meines Verhaltens Ihnen gegenüber.

Sie sind ausgerüstet mit einem Herzen, das warm für alles Gute und Edle schlägt; Sie besitzen den jugendlichen Mut und jenen zündenden Enthusiasmus, die unabweisbar erforderlich sind, andere Menschen nicht nur für sich zu gewinnen, sondern auch mit sich fortzureißen. Sie besitzen mit einem Wort alles, was Sie dazu befähigt, dereinst eine hervorragende Stellung unter Ihren Mitbürgern einzunehmen, vor allem aber einen so klaren Begriff von Ehre, daß ich mich nicht scheue, die Unterhaltung auf ein gefährliches Feld hinüberzuleiten und mich dadurch gewissermaßen auf Gnade und Ungnade in Ihre Gewalt zu geben.«

Hier schwieg Bernhard, und wenn er mich anblickte, um zu erforschen, welchen Eindruck seine Worte bei mir hinterließen, so geschah dies in einer Weise, die selbst ein erfahrenerer und romantischen Träumen weniger zugänglicher Mann nicht durchschaut haben würde.

»Ich, eine hervorragende Stellung?« fragte ich endlich, und vor meine Seele trat Johannas liebliches Bild.

»Unter den jetzigen Verhältnissen allerdings nicht,« lautete die mit tiefem Ernst gegebene Antwort, »wir aber, ich meine die jetzige Generation, sind dazu berufen, eine Umwälzung herbeizuführen, durch die es demnächst in jedes einzelnen Menschen Hände gelegt wird, seine Fähigkeiten entsprechend zu verwerten, anstatt sich von einer pedantischen Bureaukratie ans Gängelband nehmen zu lassen, die köstliche, unersetzliche Jugendzeit in erfolglosen Bestrebungen hinzuopfern und endlich, wenn die Kraft erlahmte und die Jahre, Kummer und Sorgen das Haar bleichten, sich glücklich zu schätzen, nach endlosen Täuschungen in irgendeinem staubigen Winkel eine dürftige Ruhestätte gefunden zu haben.«

»Sie sprechen von Umwälzungen, ohne Zweifel von politischen Umwälzungen,« entgegnete ich, meine Blicke auf den Fußboden gesenkt, denn wenn Bernhards Eröffnungen auf der einen Seite einen lauten Widerhall in meiner Brust erweckten, so erschien mir auf der andern Seite wieder die drohende Gestalt meines Vormundes, der vorwurfsvoll auf sein eisernes Kreuz deutete und mich vor einer verborgenen Gefahr warnte.

»Von politischen Umwälzungen,« antwortete Bernhard feierlich, seine Hand mit festem Druck auf meinen Arm legend. »Wer vermöchte um die Jetztzeit von andern Umwälzungen als politischen zu sprechen? »Freiheit!« tönt es von den fränkischen Gauen zu uns herüber; »Freiheit!« ruft es, wenn auch noch verhüllt, aus den Gesängen unserer gepriesensten Dichter; »Freiheit!« ruft jeder Pulsschlag in den Adern eines wahren Mannes. Ja, der Ruf nach Freiheit dringt durch die ganze Welt, und Zeit ist es, daß diejenigen, deren Geist noch nicht unter dem schweren Druck verkrüppelte, sich emporraffen, das Joch abschütteln und als leuchtende Beispiele mit kühn entfaltetem Banner ihren zaghafteren Mitmenschen voranschreiten!«

Noch immer blickte ich vor mich nieder; ich wagte nicht, meine Augen zu Bernhard aufzuschlagen, fühlte aber, daß das Blut stürmischer in meinen Adern kreiste, da seine Worte nicht auf unfruchtbaren Boden gefallen waren. Seine Vorschläge, obwohl erst allgemein gehalten, flößten mir zwar Besorgnis ein, doch erweckten sie zugleich den unbestimmten Wunsch, mehr zu hören, und nicht länger befremdete es mich, daß er, den ich sonst mit einem gewissen Widerwillen zu betrachten gewohnt war, mir so urplötzlich in einem ganz andern Licht erschien.

»Dann beabsichtigt man, wie in Frankreich, so auch hier die Regierungen zu stürzen?« fragte ich nach längerem Sinnen.

»Lassen wir die Regierungen noch unerwähnt,« entgegnete Bernhard hastig, »durch einen heiligen Eid gebunden, dürfen meine Eröffnungen eine bestimmte Grenze nicht überschreiten. Doch soviel kann ich Ihnen mitteilen, es handelt sich darum, ein freies, einiges Deutschland herzustellen, ein Deutschland, wie es unsern Sängern vorschwebt, wenn sie in heiliger Begeisterung ihren Gedanken Wort verleihen; ein Deutschland, wie es jeder Bürger mit Stolz sein Vaterland nennen würde, anstatt daß es jetzt dem Spotte fremder Nationen preisgegeben ist. O, unser großes, gemeinsames Vaterland! Es ist so unermeßlich reich, so reich an materiellen Hilfsquellen, so reich an Intelligenz, daß es verdient, unter allen Ländern der Erde den ersten Rang einzunehmen. Und dennoch müssen wir dulden, daß es, zerfahren und zerfallen, sich im Staube windet; daß seine Söhne in sklavischer Unterwürfigkeit, um des lieben täglichen, kärglichen Brotes willen, ihr Leben vertrauern, anstatt mit kühner Stirn und im Bewußtsein der eigenen Kraft dem Geschick zu begegnen und in selbstgeschaffener glücklicher Lebensstellung einen schönen Lohn für die redlichen Bestrebungen, und gewissermaßen einen freundlichen Abschluß der phantastischen, oft so beseligenden Jugendträume zu finden.«

»Hat er in meinem Herzen gelesen?« fragte ich mich in Gedanken, indem ich meine Augen langsam zu Bernhard aufschlug.

Eine Beantwortung meiner Frage lag in seinem Äußern nicht; sein Antlitz war hochgerötet, und aus der Art, in der sich seine Brust hob und senkte, ging hervor, daß er sich allmählich in eine Begeisterung hineingeredet hatte, die ich vorher an dem kalten Menschen für unmöglich gehalten hätte.

Aber seine Worte schienen aus heiligster, reinster Überzeugung zu entspringen, und bei der Aufregung, die damals alle Gemüter ergriffen hatte, war es nicht zu verwundern, daß ich seinen Offenbarungen einen viel höheren Wert beimaß, als ich wohl zu andern Zeiten getan haben würde.

»Überschätzen Sie aber nicht die Ihnen und Ihren Gleichgesinnten zu Gebote stehenden Mittel und Kräfte?« fragte ich nach längerem Schweigen mit einer Schüchternheit, die besser als alles andere bewies, in wie hohem Grade ich bereits in seine Gewalt gefallen war; »bedenken Sie, eine staatliche Umwälzung –«

»Sie unterschätzen unsere Kräfte, weil Sie noch keine Ahnung von ihrer Organisation haben,« antwortete Bernhard, seine glühenden Blicke gleichsam in meine Seele einbohrend, »vorläufig ist es nur der edelste Teil der deutschen Jugend, der sich, einen hohen und erhabenen Zweck verfolgend, zu einem unerschütterlichen, unauflösbaren Ganzen vereinigt hat. Lassen Sie dieses nur kleine Häuflein erst losgebrochen sein, und es wird, wie der Schnee der Alpengletscher im Niederrollen, durch das Heranziehen und Mitfortreißen aller gleichgesinnten Kräfte lawinenartig anwachsen, alle feindlichen Elemente dagegen im furchtbaren, unwiderstehlichen Anprall erdrücken und zerschmettern. Aber wir müssen sicher gehen, wir müssen noch manche Kräfte anwerben, und glauben Sie mir, es ist dies nicht die leichteste Aufgabe; denn nur wenige sind es, verhältnismäßig nur sehr wenige, denen wir uns anvertrauen dürfen, nur wenige, die Umsicht und Kühnheit genug besitzen, gerade zu Vorkämpfern der Freiheit auserkoren und den Führern des Volkes eingereiht zu werden.«

»Und hegen Sie die Absicht, mich für Ihre Pläne zu gewinnen?« fragte ich mit erkünstelter Ruhe, denn jugendliche Eitelkeit und eine unbestimmte Ahnung, daß ich am Wendepunkt meines Geschickes stehe, begannen schon alle übrigen Rücksichten zu überwuchern und weit in den Hintergrund zurückzudrängen.

»Ich hege die Überzeugung, daß Sie alle diejenigen Eigenschaften in sich vereinigen, die einen Führer des Volkes auszeichnen sollen, und wünsche daher, Sie zu den Unsrigen zu zählen. Fern sei es indessen von mir, Sie zu einem so gefahrvollen Unternehmen überreden zu wollen. Dagegen will ich Ihnen einen Blick in unsere geheime Verbindung verschaffen, Ihnen Gelegenheit geben, sich mit unsern Bedingungen, Hoffnungen und Aussichten vertraut zu machen, und es Ihnen demnächst anheimstellen, sich zu entscheiden.

»Wollen Sie ein Glied in unserer Kette werden, wohlan, so heißen wir Sie als Bruder und Mitarbeiter an dem großen Werke aus überströmendem Herzen willkommen; entgegengesetztenfalls habe ich nur die Bitte an Sie, alles, was ich Ihnen soeben mitteilte, auf ewig dem Grabe, der Vergessenheit zu überantworten.«

»Das Bild, das Sie vor meinem geistigen Auge aufrollen, ist in der Tat verlockend und wohl wert, daß man ihm Opfer bringt,« versetzte ich mit fester Stimme, »doch werden Sie mir es nicht als Mangel an Mut oder wahrer Vaterlandsliebe auslegen, wenn ich, bevor ich eine endgültige Entscheidung treffe, noch mit anderen Mitgliedern Ihrer Verbindung bekannt zu werden wünsche.«

»Sie sollen, Sie dürfen sich nicht binden, ehe Sie nicht einen klaren Begriff von dem bereits seit Jahren vorbereiteten Unternehmen gewonnen haben – und sollten Sie in nächster Zeit wieder einen Ausflug nach Godesberg beabsichtigen,« fuhr er, plötzlich in seinen gewöhnlichen gemessenen Ton verfallend, fort, denn er hörte, daß sich jemand der Tür näherte, »so rechne ich darauf, daß Sie mich benachrichtigen. Obwohl nicht in dieser Gegend geboren, glaube ich doch, Ihnen manche interessante Aufschlüsse über die älteste Geschichte dieses Teils des Rheintales geben zu können.«

Mein Aufwärter war unterdessen eingetreten, wodurch ich der Notwendigkeit überhoben wurde, sogleich antworten zu müssen. Dagegen fand ich Zeit, meine Erregung niederzukämpfen, denn mit Aufbietung meiner ganzen Willenskraft wäre ich nicht imstande gewesen, den Ausdruck meines Gesichtes so schnell zu ändern, wie Bernhard getan. Seine Geistesgegenwart und seine Fähigkeit, urplötzlich von einer ernsten Unterhaltung zu einem gleichgültigen Alltagsgespräch gewandt abzuspringen, flößten mir eine gewisse scheue Achtung vor seiner Überlegenheit ein, ohne daß ich dabei in Betracht gezogen hätte, wie gefährlich mir der nähere Verkehr mit einem solchen Charakter werden könne.

Als der Aufwärter sich mit den zu reinigenden Kleidungsstücken entfernt hatte, berührte Bernhard sogleich wieder den eigentlichen Zweck seines frühen Besuches.

»Es ist Zeit, mich zu empfehlen,« sagte er hastig, »ich möchte ungern von dem zurückkehrenden Aufwärter noch hier gefunden werden. Fernere Mitteilungen werden Ihnen brieflich zugehen, das heißt in einer für jeden Nichteingeweihten unauflösbaren Chiffreschrift. Ich gebe Ihnen hier den Schlüssel dazu,« fuhr er fort, mir ein zusammengefaltetes Blatt Papier reichend, »die Regeln sind sehr einfach; lernen Sie diese auswendig und verbrennen Sie das Papier; das Leben und die Freiheit von Tausenden hängen davon ab.

»Seien Sie ferner zu jeder Stunde, zu jeder Minute bereit, geheime Nachrichten entgegenzunehmen. Auf dem Ball wie beim Kommers, in der Kirche wie im Kollegiensaal, überall können Sie wichtige Anordnungen erwarten; empfangen Sie diese, ohne Überraschung zu verraten. Wenn wir uns begegnen, benehmen Sie sich kalt und fremd gegen mich; ein höflicher Gruß von beiden Seiten ist genügend, uns an unsere geheime Verbindung zu erinnern. – Und nun leben Sie wohl, Herr Wandel, vergessen Sie die unangenehme Szene von gestern, und gelingt es Ihnen nicht, meiner fortan freundlicher zu gedenken, so betrachten Sie mich einfach als ein Glied der ehernen Kette von Brüdern, die innerhalb nicht allzu langer Frist als die Verkünder der Freiheit aufzutreten bestimmt sind.«

Bei diesen Worten erhob sich Bernhard, um zu gehen.

Noch einmal reichten wir uns die Hände, und in der nächsten Minute hatte er das Haus verlassen.

Ich blieb in einer fieberhaften Aufregung zurück. Wie ein wüster Traum erschien es mir, daß ich mit ihm, den ich von allen Menschen der Erde mit der größten Abneigung zu betrachten gewohnt war, mich in ein so enges Bündnis eingelassen hatte. Doch indem ich seiner gedachte, wiederholte ich mir auch seine begeisternden Worte, und schnell beschwichtigte ich dadurch alle Bedenklichkeiten. Das Bewußtsein, auf gefährlichem Boden zu wandeln, stählte meinen Mut; die Hoffnung, daß Johanna dereinst, beseelt von Stolz und Bewunderung, zu mir emporblicken würde, erhob meine Lebensgeister bis über die Wolken, und sogar das Bild meines Vormundes hatte seine Schrecken für mich verloren, seit ich mich zu überreden suchte, daß er sehr bald sich an die neuen Zustände gewöhnen und, wie er selbst einst als Held und Befreier des Vaterlandes begrüßt worden war, mich ebenfalls als einen solchen betrachten und aufs neue und noch inniger in sein Herz schließen würde.

»Die Tochter ihres Vaters,
Sie folgt ihm zum Altar.«

sprach ich leise vor mich hin, als der Aufwärter wieder hereintrat und mit einem scheuen Seitenblick an mir vorbei in das Schlafkabinett hineinschlüpfte.

Ich beachtete ihn nicht, bemerkte daher auch nicht den Ausdruck der Verwunderung in seinen einfältig verschmitzten Zügen. Erst als er sich wieder zum Gehen anschickte, sah ich ihn an, ein Zeichen für ihn, einige Worte an mich richten zu dürfen.

»Ein feiner Herr, der Herr Bernhard,« begann er, mit den Augen blinzelnd, »schade, daß er die Kollegien so fleißig besuchte, hätte ein prächtiges bemoostes Haupt abgegeben.«

»Wirklich ein feiner Herr?« fragte ich, um überhaupt etwas zu sagen, »ich hätte gedacht, er sei zu ernst, um von einem heitern Stiefelfuchs sehr bevorzugt zu werden.«

»Nicht so ernst, wie er aussieht; hat immer ein freundliches Wort und ein Kastemännchen für seinen gehorsamen Diener in Bereitschaft.«

»So«, entgegnete ich gedehnt, was für den alten Patron die Bedeutung hatte, sich zu empfehlen.

»Morjen, Herr Wandel.«

»Morjen, Herr Fischer«, ertönte es, und ich war wieder allein und mir selbst überlassen.


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