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Fünfundzwanzigstes Kapitel.
Die Überraschung

. Der alte Gale, seine beiden Söhne und die Milizen hatten, geführt von dem Kahuilla, ihren Weg nach dem oberen Ende des Passes fortgesetzt. Sie waren weder von Spuren von Toby Ring, noch auf die der übrigen Desperados gestoßen.

So waren sie bis dahin gelangt, wo der Kahuilla einst die Bärenfamilie beobachtete, und also der einzuschlagende Weg nördlich in das Gebirge einbog.

Bootjack hatte die wasserschweren Schöße seines langen Gehrockes unter die Arme genommen und schritt so sicher dahin, als wenn er plötzlich alle Furcht vor den Bären verloren hätte.

Zu entfliehen versuchte er nicht, es lag dies ja auch gar nicht in seiner Absicht. Durch freiwillig geleistete Dienste wollte er sich eben vom Galgen loskaufen, wie der alte Gale es bezeichnete, oder er hätte sich von Hause aus nicht, nach seiner Trennung von den Zwillingen, in die Gewalt des Trappers zu begeben brauchen. Nachdem er sich aber erst in dessen Gewalt befand, war ihm jede Umkehr unmöglich geworden, indem Gale, bei dem geringsten Fluchtversuch, nicht gezögert haben würde, ihn wie ein Stück Wild niederzuschießen.

Nach einer langen mühevollen Wanderung erreichten sie endlich den Punkt, wo der Pfad nach dem bekannten Tälchen abbog.

Sobald die Reiter gangbaren Boden unter sich fühlten, beschleunigten sie auch den Schritt ihrer Pferde, um sich nicht von der Tageshelle überraschen zu lassen, die den Räuber:: in ihrem Schlupfwinkel jedenfalls einen bedeutenden Vorteil gewährt hätte.

Das Rauschen und Brausen ringsum kam ihnen zustatten, denn ohne befürchten zu müssen, sich durch den Hufschlag der Pferde zu verraten, ritten sie bis dicht an die ersten Baumgruppen heran, die die westliche Spitze der Talerweiterung bezeichneten.

Dort aber stiegen sie von ihren Pferden, und nachdem sie diese mit den Lassos an die nächsten Stämme gebunden, befestigten sie ihre Waffen sorgfältig auf ihrem Körper, schlugen noch, um die Schußwaffen gegen die Feuchtigkeit zu schützen, eine Decke um die Schultern, und vorsichtiger, als sie bisher getan, traten sie hintereinander auf den schmalen Pfad, der sich kaum bemerkbar im Schatten der Bäume hinwand.

Nach Zurücklegung von ungefähr zweihundert Schritten blieb Bootjack plötzlich stehen.

»Ich sehen Schildwache«, flüsterte er dem Trapper zu, indem er auf die linke Felsenecke deutete, an deren Fuß, zwischen den Bäumen hindurch, ein schwacher Lichtschein zu erkennen war. »Ich sehen Schildwache, sie trocken sitzen unter schiefem Stein, sie Hunde bei sich, Hunde uns verraten an Schildwache und Desperados, Desperados schießen.«

»Verdammt!« sagte Gale mit dem Ausdruck verhaltenen Ärgers, indem er sich verlegen hinter den Ohren kratzte. »Verdammt!« wiederholte er, und wie um die Zweifel und das daraus entspringende Zögern vor seiner Begleitung zu verhüllen, zog er eine große Tafel Tabak aus der Tasche.

Nachdem er sodann ein tüchtiges Stück davon abgebissen oder vielmehr abgerissen und zwischen die Zähne geschoben hatte, wiederholte er abermals, jedoch bedeutend ruhiger, sein gewöhnliches »Verdammt!«

»Also Hunde sind dort?« fragte er nach kurzem Sinnen den Kahuilla.

»Ja, Hunde,« gab dieser zur Antwort, »böse Hunde; ich keinen Schritt gehen, so lange Hunde dort.«

»Wie viele?« fragte Gale weiter.

»Zwei«, erwiderte Bootjack, indem er zugleich Zeigefinger und Mittelfinger der rechten Hand emporhob.

Es erfolgte jetzt eine kurze Beratung zwischen dem Trapper und seinen Söhnen, und zwar in der Dakotah-Sprache. Das Ergebnis mußte ein befriedigendes sein, denn der alte Mann lachte herzlich, aber leise, während die beiden Halfbreeds an Bootjack vorbeiglitten und gleich darauf hinter denn an den linken Felsenabhang grenzenden Buschwerk verschwanden.

»Sind nur kalifornische Wegelagerer,« sagte er darauf, zu den Milizen gewendet, »wird keine schwere Aufgabe sein, sie zu täuschen. Ein richtiger Pawnee, oder noch besser ein Dakotah, hätte unsere Anwesenheit schon längst gemerkt; haben schlechte Ohren und Augen, diese Wegelagerer. Wachten ihre Hunde nicht besser als sie selbst, so wäre es nur Kinderspiel, sich ihrer samt und sonders zu bemächtigen.«

In diesem Augenblicke erschallte kaum fünfzig Schritte weit vor ihnen das jammernde Gekläffe eines Cayotes oder kleinen Steppenwolfes, und gleich darauf ließ sich das grimmige Geheul zweier Hunde vernehmen, die, von der beleuchteten Felswand her, gerade auf die Stelle zustürmten, wo das Kläffen des Wolfes noch immer ertönte.

»Tretet aus dem Pfade!« befahl Gale seinen Gefährten, indem er selbst einen Schritt zur Seite wich, das Beil mit dem langen Stiel aus dem Gürtel zog und dasselbe zum Schlage ausholend emporhob.

Seine Anordnungen wurden pünktlich ausgeführt, der Pfad freigemacht, und sie vernahmen deutlich, wie die wütenden Hunde sich ihnen vollen Laufes näherten, zugleich aber auch, daß die Schildwache ihren geschützten Winkel verließ und die Tiere wieder an sich zu locken strebte.

»Bull! Lady! heran! Goddam das Satansvieh! Hier heran, oder wollt ihr euch den Pelz zerreißen lassen!«

Plötzlich verstummte der eine Hund mit einem lauten Klagelaut. Er war von dem dicht am Pfade lauernden Republik, indem er bei ihm vorüberstürzte, mit dem Tomahawk vor den Kopf geschlagen worden.

Der vorderste dagegen verfolgte noch immer den flüchtigen Independence, der auf schlaue Weise, indem er die Hunde aus dem Versteck lockte, den Wachtposten über die Ursache der Störung täuschte, wohl wissend, daß die Hunde, nachdem sie ihren Irrtum eingesehen, nur noch wütender hinter ihm hersetzen würden.

Wie ein Schatten flog der gewandte Halbindianer an seinem Vater vorbei. Der Hund war keine fünf Schritte mehr hinter ihm. Der Trapper faßte sein Ziel sorgfältig ins Auge, und als der Hund ungefähr noch eine Elle weit von ihm entfernt war, sauste das Beil niederwärts und traf gerade vor seinen Füßen mit dem Schädel des unglücklichen Tieres zusammen.

Röchelnd stürzte es zu Boden; doch auch dieses Geräusch verstummte, als Gales langes Messer ihm durch die Kehle fuhr und seine Luftröhre mit einem einzigen gewandten Zuge durchschnitt.

»Geschieht euch recht!« rief der Wachtposten, als der von Republik erschlagene Hund sterbend einen klagenden Ton ausstieß. »Geschieht euch recht, habt nichts hinter den Wölfen zu suchen! Goddam! Bull! Lady! hier heran!«

Aber Bull und Lady fürchteten Schläge, wie der Desperado sich ausdrückte, als er im nahen Gebüsch das schnelle Umherstreichen der beiden Tiere zu erkennen glaubte, und dabei zuweilen das schnaubende Niesen vernahm, mit dem die im betauten oder durch Regen genäßten Grase spürenden Hunde das eindringende Wasser aus ihren Nasen zu entfernen pflegen.

Fluchend über den Ungehorsam der Tiere, war er eben im Begriff, sich wieder aus dem Regen unter die überhängende Felswand zurückzuziehen, als seine Aufmerksamkeit nach der andern Seite der Tales hinübergelenkt wurde.

»Was haben die Hunde?!« fragte eine durch die Entfernung gedämpfte Stimme.

»Die dummen Tiere sind durch einen Wolf erschreckt worden«, rief der Wachtposten zurück.

»Locke sie zurück; die verdammten Bestien verraten uns noch durch ihren unsinnigen Lärm!«

»Keine Not! Sie sind schon hier!« antwortete der wachhabende Desperado, denn er vernahm das Rascheln und Niesen jetzt dicht hinter sich, und vollständig beruhigt über die Hunde, aber grollend über die unzeitige Störung, wendete er sich endlich seinem behaglichen Plätzchen vor dem glimmenden Feuer zu. –

Nur einen Schritt tat er nach vorn; dann aber richtete sich eine schlanke schwarze Gestalt hinter ihm auf, zwei feinknochige Hände legten sich wie eine Schlinge mit festen! Griff um seine Gurgel, zwei andere Hände schlugen in seine Kniekehlen, und ehe er sich recht bewußt wurde, daß eine Gefahr über ihm und seinen Genossen schwebe, lag er mit gefesselten Händen und Füßen und mit einem starken Knebel im Munde auf dem Rücken, daß der Regen ihm gerade ins Gesicht schlug, während Gale, um sich zu erwärmen, sich dem kleinen Feuer näherte und mit selbstzufriedenem Lachen: der Ankunft seiner Verbündeten entgegensah.

»Brave Jungens«, sagte er zu dem Herankommenden, indem er mit einer Anwandlung von Stolz auf die beiden Halfbreeds deutete, die so ruhig, als ob nichts vorgefallen sei, dastanden und es offenbar verschmähten, ins Trockene zu treten; »ja, brave Jungens; sind aus meiner Schule hervorgegangen.«

Die Milizen pflichteten dem gesprächigen Alten aus vollem Herzen bei, fragten aber gleich darauf, nachdem sie in den Schutz der Felswand getreten waren, wo er das Lager der Räuber vermute und auf welche Art er sie zu überfallen gedenke.

»Ich wissen Lager,« versetzte Bootjack schnell, »ich führen, ich Mann zeigen, mich mit Stiefel an Kopf schmeißen.«

»Nicht nötig, rothäutiger Spitzbube«, unterbrach Gale den Kahuilla, den er, seit sie sich in dem Tale befanden, keinen Augenblick aus dem Bereich seiner Hände gelassen hatte; »deine Hilfe ist jetzt nicht mehr nötig, seit wir selbst Augen und Ohren besitzen. Eile haben wir auch nicht, da es noch wenigstens eine Stunde dunkel bleibt. Die Hauptsache waren die Hunde; sie sind beseitigt, und was jetzt noch zu tun ist, wird uns nicht viel Mühe verursachen. Wollen sie nur erst wieder einschlafen lassen, vorher aber noch ihr Nest ausspähen. Kein Porcupine ist so träge und unvorsichtig, wie diese Desperados nach einem scharfen Ritt. Nicht wahr, mein Freund?« fragte er dann den Gefangenen, der an seinen Knebeln fast erstickte und nur mit größter Mühe zu atmen vermochte.

Gleich darauf richtete er indessen wieder einige Worte in der Dakotah-Sprache an seine Söhne, die sich, ohne irgend etwas zu erwidern, nach der Richtung hin entfernten, aus der kurz vorher die Stimme des fragenden Desperados zu ihnen gedrungen war.

Kaum waren sie fort, so drängten sich die übrigen Begleiter auf Gales Zureden dicht um die glimmenden Kohlen des niedergebrannten Feuers zusammen; denn so abgehärtet sie sonst auch wohl sein mochten, so befand sich doch keiner unter ihnen, der nicht, durch Nässe und Nachtluft bis auf das Mark erkältet, jetzt, nach Einstellung jeder Bewegung, vor Frost gezittert und gebebt hätte. –

Das Tal, in das man nur auf äußerst unwegsamen Pfaden gelangte, war schon seit Jahren zeitweise ein beliebter Aufenthalt der berüchtigtsten Desperados gewesen. Das anmutige Plätzchen in der Mitte wurde von ihnen gewissermaßen als Sommeraufenthalt betrachtet. Zur Zeit der winterlichen Regen- und Schneestürme, wenn sie wirklich gezwungen waren, aus Sicherheitsrücksichten sich dorthin zurückzuziehen, fanden sie ein geeigneteres Unterkommen in dem nördlichsten Winkel des Tälchens, also fast der Eingangsschlucht gegenüber.

Pelzjäger hatten nämlich dort vor vielen Jahren, also lange vor der Entdeckung der kalifornischen Goldlager, eine Art Häuslichkeit gegründet.

Sie war fest und dauerhaft genug, noch manche Dezennien hindurch den atmosphärischen Einflüssen zu trotzen, die mit ihren plötzlichen Übergängen von der äußersten Dürre zur äußersten Nässe und umgekehrt, sehr zerstörend auf Baulichkeiten jeder Art einwirken und sie schnell in Trümmer verwandeln, wenn nicht hin und wieder die bessernde Hand angelegt wird.

Beim ersten Anblick hätte man diese Baulichkeit ebensogut für einen Keller, wie für eine Hütte, Höhle oder einen Eingang in den Berg halten mögen, denn mit allen vieren trug sie eine äußere Ähnlichkeit. Dagegen blieb man aber keinen Augenblick darüber in Zweifel, daß bei ihrer Einrichtung allein auf praktische Verwendung des Raumes und des Materials Rücksicht genommen worden war, ohne auch nur im geringsten Grade dem verfeinerten Geschmack und dem Kunstsinn zu huldigen.

Es war also eine Hütte, wie sie selbst in den wildesten Regionen des »Fernen Westens«, infolge der Abnahme des Pelzhandels und der Verminderung der Trapper, immer seltener werden; eine Hütte, wie sie der Phantasie der Verehrer »westlicher« Erzählungen wohl vorschweben mag; eine Hütte, die gerade durch ihre eigentümliche kunstlose Zusammenstellung und die entsprechende anmutige und zugleich wilde Umgebung doppelt malerisch erschien und daher wohl verdient, selbst auf die Gefahr eines vielleicht gerechten Tadels hin, genauer und ausführlicher beschrieben zu werden.

Sie lehnte sich in Form eines unregelmäßigen Achteckes an zwei zusammenstoßende Felswände, so daß diese die beiden größten Seiten bildeten.

Die mauerähnlich übereinander geschichteten Blöcke erreichten eine Höhe von sechs Fuß, wo dann das aus schlanken Tannenstämmen, Zweigen, Erde und Steinen hergestellte Dach schwer auf ihnen ruhte.

In der Mitte des runden Raumes war ein starker Block aufrechtstehend in die Erde getrieben worden, der dem Dach ebenfalls zur Stütze diente, und diesem Umstande durfte es wohl allein zugeschrieben werden, daß die Bedachung sich, ohne niederzubrechen, so lange erhalten hatte.

Um dagegen die Seitenwände da, wo die Enden der Blöcke, stumpfe Winkel bildend, ohne miteinander verbunden zu sein, zusammenstießen, zu verstärken, waren dort von innen wie von außen Haufen von schweren Steinen übereinander geschichtet und die Fugen dazwischen mit Erde ausgefüllt worden. Die Erde hatten Regen- und Schneewasser allerdings schon längst fortgewaschen, die Steine dagegen ruhten noch sicher und fest aufeinander, gerade so, wie sie von den Erbauern hingepackt worden waren.

In der dem einzigen Eingang in das Tal zugekehrten Seitenwand befand sich die enge Türöffnung, die so niedrig war, daß ein großer Mann nicht aufrecht hindurchschreiten konnte, wogegen die übrigen Seitenwände nur ganz kleine, schießschartenähnliche Öffnungen zeigten, die leicht durch das Hineinschieben eines einzelnen passenden Steines geschlossen werden konnten.

So nahm sich also die Hütte aus.

Weiße Jäger, die einst in jenen Regionen vom Winter überrascht wurden, hatten sie gegründet, jetzt betrachtete eine Rotte verwegener Banditen und Desperados sie als ihre Zufluchtsstätte.

Wer aber auch dort hausen mochte, das Moos, das die modernden Stämme und Blöcke schmückte, war deshalb nicht minder grün und erquickend für das Auge, das mit einer dichten Grasnarbe bedeckte Dach nicht minder anmutig kontrastierend gegen die rötlichen Granitmassen, an die sich das Ganze lehnte. Starkgehörnte Schädel von Bergschafen, im letzten Stadium der Auflösung begriffen, schwere Beckenknochen von Bären und verkalkte Geweihe von Riesenhirschen lagen auf dem Dache ungeordnet umher und erzählten von den erfolgreichen Jagden, die die zeitweiligen Bewohner jenes verborgenen Winkels in der näheren Umgebung abgehalten hatten.

Doch, was hätte die Hütte selbst erzählen können!? Und zwar nicht allein von den kühnen Gebirgsjägern, die endlich nach langer, langer Irrfahrt sich hier einer behaglichen Ruhe hingaben, sondern auch die abenteuerlichen Berichte, die von den bärtigen Lippen flossen; Berichte, die fast jeden Punkt der unermeßlichen Wildnisse zwischen dem Mississippi und den Küsten der Südsee betrafen; Berichte, die sogar die wettergebräunten Wangen der eisenharten, verwegenen Trapper höher färbten und ihr Blut schneller kreisen machten; Berichte, die jetzt die kühnste Phantasie sich kaum zu vergegenwärtigen oder vielmehr aufs neue zu schaffen vermag.

Oh, es muß zu jener Zeit schön gewesen sein in der verlockend romantischen Wildnis! –

Auch in der Nacht, in der Gale einen Plan zur Habhaftwerdung der Desperados entwarf, weideten in dem Talgrunde Pferde. Die Heimchen aber schwiegen, das Wild von den Bergabhängen war verschwunden, und in Strömen goß der Regen vom Himmel nieder.

Die Räuber schliefen; sie schliefen nach der ermüdenden Flucht so fest, schnarchten so laut, und an nichts weniger dachten sie, als daß der Wachtposten überlistet, sie selbst aber überfallen werden könnten. –

Die durch den Mond erzeugte Helligkeit der verdichteten Atmosphäre begann sich eben durch das Heraufkommen des Tages zu verstärken, da näherte sich eine unbestimmte Gestalt, auf Händen und Füßen kriechend, der Türöffnung der Hütte.

Es war Independence, der es unternommen hatte, sich von der Stärke der Feinde zu überzeugen. Behutsam schob er sich so weit heran, daß er den Kopf in den dunkeln Raum hineinstecken konnte. Mehrere Minuten blieb er dann bewegungslos liegen. Offenbar wollte er seine Augen an die nur von einigen glimmenden Kohlen unterbrochene Dunkelheit gewöhnen, um desto leichter jedes Geräusch vermeiden zu können.

Leise wie ein Aal bewegte er sich jetzt wieder vorwärts: der Kopf, die Schultern, der Oberkörper verschwanden hinter den Wänden, und geräuschlos, als ob er zu den schleichenden Amphibien gehört hätte, zog er dann auch die Füße in das Innere der Hütte hinein.

Kaum war er verschwunden, da glitt aus dem Schatten der Felsen eine zweite Gestalt hervor und bewegte sich so weit an der Hütte herum, bis sie endlich an die Türöffnung gelangte, wo sie sich behutsam aufstellte.

Schon daran, daß sie in jeder Hand eine lange Büchse trug, ließ sich erraten, daß es Republik war, der, um seinem Bruder die Aufgabe zu erleichtern, seine ihn nur hindernde Waffe an sich genommen hatte.

Nachdem er die beiden Büchsen neben sich an die Wand gelehnt hatte, lauschte er nach der Hütte hinein. Alles war still; nur das tiefe Atmen und Schnarchen bildete eine entsprechende Begleitung zu der eintönigen Musik, mit der das Wasser von dem Dache niederplätscherte und auch durch einige Öffnungen, kleine Pfuhle erzeugend, seinen Weg in das Innere fand.

Da zirpte eine Mauergrille ganz leise in der Hütte. Republik streckte seine Hand vor, und im nächsten Augenblick wurde von innen ein Büchsenlauf hineingeschoben.

Vorsichtig nahm er die Waffe und lehnte sie neben seine eigenen, worauf er wieder lauschte.

Das Zirpen wurde erneuert, eine zweite Büchse herausgereicht, und sechsmal hintereinander, nach kleineren und größeren Zwischenpausen, gelang es den beiden gewandten Halfbreeds, den Desperados eine ihrer Hauptwaffen zu entwenden.

Büchsen waren jetzt keine mehr vorhanden, dagegen führte jeder noch wenigstens eine Drehpistole bei sich, die aber um so schwerer aufzufinden waren, weil sie zum Teil noch in den Gürteln steckten, während die Büchsen an den Wänden umher angelehnt gestanden hatten.

Independence versuchte indessen sein Äußerstes; doch nur vier der kurzen Schußwaffen lagen so, daß er sie zu erreichen vermochte. Er bemächtigte sich daher ihrer, und dann noch einen zufriedenen Blick rückwärts über die schlafenden Banditen werfend, glitt er leise, wie er gekommen, zu seinem Bruder hinaus ins Freie.

Schnell ergriffen sie sodann die geraubten wie ihre eigenen Waffen und zogen sich in das Gebüsch zurück, wo sie von ihrem Vater und dessen übrigen Begleitern schon längst mit Unruhe erwartet worden waren.

Um diese Zeit hatte die Tageshelle schon so weit zugenommen, daß es wie Dämmerung auf den Bergen ruhte. Man vermochte also auf weitere Entfernungen um sich zu schauen.

Die Desperados schliefen noch immer, und selbst als Gales ganze Streitmacht sich in zwei Abteilungen zu beiden Seiten der Türöffnung aufgestellt hatte, was nicht ohne einiges Geräusch ausgeführt werden konnte, gab noch keiner ein Zeichen von sich, daß er in nächster Zeit erwachen werde.

»Gentlemen, ich fordere euch sehr höflich auf, zu erwachen und euch als meine Gefangenen zu betrachten«, begann der Trapper, sobald er eingetreten war und einen vollen Anblick der schnarchenden Gesellschaft gewonnen hatte.

»Spare deine Narrheiten bis zu besseren Zeiten auf«, grollte einer der Schläfer, indem er sich auf die andere Seite warf. Offenbar hielt er Gale für einen Kameraden, der in einem Anfall guter Laune seine Gefährten einzuschüchtern suchte. Überhaupt waren alle von einem so großen Sicherheitsgefühl beseelt, daß die meisten nach einem unwilligen Grunzen ruhig weiter schliefen.

Nur einer, und zwar der am weitesten abwärts Liegende, richtete sich auf die Ellenbogen auf und rieb sich befremdet die Augen.

»Keine Narrheiten, Goddam! blutiger Ernst!« fuhr der Trapper behaglich lachend fort. »Nein, keine Narrheiten; ich bin hier, um anzufragen, warum ihr Schurken mir meine armen Kühe erschossen habt?«

»Zu den Waffen!« rief derjenige aus, der sich aufgerichtet hatte, indem er hastig emporsprang und nach seiner Büchse griff. »Zu den Waffen, wir sind verraten!«

Kaum gewahrte er aber, daß alle Büchsen verschwunden waren, so stieß er einen gräßlichen Fluch aus, seine Hand fuhr blitzschnell nach dem Revolver in seinem Gurt, der Hahn knackte, die bewaffnete Faust hob sich nach dem grauen Haupt des Trappers und ein heftiger Knall erschütterte die ganze Hütte, daß Erde und Steine, wie ein Hagelschauer, von der Decke niederrasselten.

Die grenzenlose Verwirrung, die unter den Desperados herrschte, von denen jeder vergeblich nach seiner Büchse spähte, wurde durch den Schuß auf einige Augenblicke unterbrochen.

Sie sahen den hellen Tag durch die Türöffnung schimmern, sie sahen ein halbes Dutzend Büchsenläufe, von denen der eine noch dampfte, auf sich gerichtet, sie sahen, gleichsam in ihrer Mitte, den unerschrockenen Trapper, sie sahen aber auch ihren Gefährten, der den Trapper bedroht hatte, mit zerschmettertem Schädel zu Boden sinken, und ihr letzter Mut war gebrochen.

»Gentlemen!« rief Gale aus, sobald er bemerkte, daß einzelne, knirschend vor Wut, die Blicke in alle Winkel sendeten, um die verborgenen Waffen zu entdecken, andere dagegen, wie an allen Gliedern gelähmt, in banger Erwartung dastanden, und die ihnen gebliebenen Revolver gar nicht hervorzuziehen wagten. »Gentlemen! Ihr seht dort die Büchsen auf euch gerichtet, ihr habt euch überzeugt, daß meine Gefährten ihr Ziel zu treffen wissen. Ich schlage euch daher vor, euch zu ergeben, mit gutem, freiem Willen zu ergeben, oder euch bei der geringsten Bewegung eine Kugel durch den Kopf jagen zu lassen, so wie euer sauberer Kamerad dort, an dem der Galgen freilich nicht viel verloren hat. Folgt ihr uns dagegen willig nach, so mag die Sache am Ende noch gar nicht so schlimm für euch werden, indem ich, nachdem ihr mir mein Vieh, und zwar zu gewöhnlichen, nicht übermäßig hohen Preisen berechnet, bezahlt habt, mich nicht weiter an euch zu reiben gedenke.«

Glaubten die Desperados nun, daß sie imstande sein würden, den an sie erhobenen Ansprüchen des Trappers zu genügen und daß er überhaupt der alleinige Urheber der heißen Verfolgung sei, oder sahen sie das völlig Fruchtlose eines Versuches, Widerstand zu leisten, ein, genug, als die Gerichtspersonen eintraten, sie im Namen des Gesetzes zu Gefangenen erklärten und ihnen dann die Handschellen anlegten, da zeigten sie sich ebenso feige und niedergeschlagen, wie sie im freien Zustande durch ihre Brutalität und Verwegenheit den Landbewohnern eine gewisse Scheu eingeflößt hatten.

Nur einer befand sich noch unter ihnen, der seinen Mut behalten zu haben schien.

Nachdem nämlich der Trapper und seine Begleiter sich in der Hütte häuslich niedergelassen hatten, sich erwärmten und ihre Kleider trockneten, den Gefangenen aber, die überlistete Schildwache nicht ausgenommen, an den Wänden herum in einer Reihe ihre Plätze angewiesen worden waren, wandte dieser eine sich an den alten Gale.

»Wir sind übertölpelt worden, wie eine Herde zahmer Gänse von einem Rudel Waschbären,« rief er aus, »ja übertölpelt worden, dank der Schlafmütze, der die Sicherheit des Tales anvertraut gewesen –«

»Keine Schlafmütze,« unterbrach ihn der Trapper, »er war so munter wie ein angeschossener Hirsch, hätte aber auch Euch und manchem andern so ergehen können; müßt nicht vergessen, daß es ein Gebirgsmann war, dem Ihr die Rinder erschosset.«

»Kümmere mich den Satan weder um Eure Rinder, noch um Euch, solange ich nicht weiß, wo Ihr überhaupt Euern Bau aufgeschlagen habt –«

»Im Tularetal, im Tularetal, nicht weit von der Mündung des Kernflusses«, schaltete Gale freundlich nickend ein.

»Goddam! Habe in meinem ganzen Leben noch keinen Fuß in das Tularetal gesetzt«, fuhr der Bandit grimmig fort. »Wir sind übertölpelt worden und damit fertig; schere mich den Henker darum, was aus mir wird –«

»Hängen, hängen, wie ich denke«, schmunzelte der unverbesserliche alte Mann zu nicht geringem Ergötzen der übrigen Gesellschaft.

»Darnach habe ich Euch nicht gefragt,« versetzte der Desparado, wütend auffahrend, »wie ich Euch sagte, ich schere mich den Teufel darum, was aus mir wird, aber eins möchte ich wissen, und zwar der Wahrheit gemäß wissen, ob es nicht der krummbeinige Chinese ist, der uns verraten hat; ich habe dem gelben Wachsklumpen nie getraut!«

»Ich verraten, ich, ehrlicher Mensch, verraten Räuber«, antwortete Bootjack, der, da Gale ihn, nach Erreichung seines Zweckes, nicht weiter bewachte, sich so lange außerhalb der Hütte aufgehalten hatte, indem er jetzt plötzlich vor den Desperado hintrat; »ich verraten, ich nicht vergessen, Ihr mich stoßen, schlagen und Stiefel an Kopf werfen –«

»Hast uns verraten, um selbst gehangen zu werden«, versetzte der Bandit, vor Wut heftig an seinen Fesseln reißend.

»Ich nicht hängen, ich ehrlicher Mensch, weil verraten Desperados!« rief Bootjack laut aus, als Gale ihm mit einem derben Fluche das Wort abschnitt und ihm verbot, unglückliche Menschen zu verhöhnen.

Bootjack, der sich noch immer nicht ganz gesichert glaubte, kroch wie ein Hund ans Feuer; die Desperados hielten es nicht für der Mühe wert, noch Worte über ihre Gefangennahme und das ihnen drohende Geschick zu verlieren; Gale und seine Begleiter dagegen machten es sich so bequem, wie es ihnen unter solchen Umständen nur immer möglich war.

Fühlten sie, als echte Kalifornier, sich auch selbst einiger Stunden Ruhe nicht so bedürftig, so erschien es ihnen doch ratsam, der Pferde wegen eine kurze Zeit zu rasten, dann aber sich sogleich mit ihren Gefangenen auf den Weg nach Pueblo de los Angeles zu begeben.


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