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Siebentes Kapitel.
Auf der Rancho

. Eine trübe Zeit herrschte in dem Tale von San Bernardino. Die Sonne strahlte allerdings heiter vom Himmel nieder, aber so heiter hatte sie schon seit einer langen Reihe von Monaten auf Berg und Tal geschaut, ohne daß auch nur ein einziges Mal ihr glanzvolles Antlitz von Regen verkündenden Wolken verhüllt worden wäre. Wo man gewohnt war, üppiges, krautreiches Gras dem fruchtbaren Boden entsprießen zu sehen, da zeigten sich nur noch dürre Stoppeln und von der Sonnenglut des Hochsommers versengte Ranken und Blattpflanzen, die bei weitem nicht zureichten, das dürre, festgebackene und geborstene Erdreich zu bedecken.

Selbst auf den Uferrändern der ausgetrockneten Bäche und Gräben, und sogar in deren Betten suchte man in den meisten Fällen vergeblich nach grünender Vegetation, und wo zu andern Zeiten die Wasserspiegel kleiner Seen und Teiche die weiten Ebenen der im schönsten Schmuck prangenden Felder und Fluren anmutig unterbrachen, da befanden sich jetzt unheimliche Vertiefungen, in denen der von den schmachtenden Tieren vielfach durchstampfte Morast sich allmählich verhärtet hatte, bis er zuletzt durch die auf ihm zurückgelassenen tiefen Spuren, die keinen neuen Eindrücken mehr nachgaben, unzugänglich geworden war.

Unheimlich im vollsten Sinne des Wortes, doppelt unheimlich, weil zahlreiche Mumien und Skelette von Pferden und Rindern derartige Vertiefungen teils einfaßten, teils nur noch stückweise aus dem verhärteten Morast hervorragten. Das Fleisch, soweit es ihnen erreichbar gewesen, hatten die Wölfe längst von den Gebeinen entfernt; und wenn man darauf hinblickte, wie die blankgenagten Schädel mit ihren hohlen Augen emporstarrten, da glaubte man noch immer die furchtbaren Qualen zu erkennen, die dem Verschmachten vorhergegangen waren, die tiefen, ergreifenden Klagelaute der verzweifelnden Geschöpfe zu verstehen, und in den brechenden Blicken eine stumme und doch so beredte Bitte um Erbarmen zu lesen.

Und wo sich dann noch Herden zeigten, die bis jetzt dem Untergange entronnen waren, wie bot da jedes einzelne Tier ein so sprechendes Bild des Elendes! Wo waren die schwellenden Muskeln geblieben, die sich bei jeder Bewegung unter der glatten, glänzenden Haut so geschmeidig hin und her schoben? Wo die Elastizität, mit der sonst die abgerundeten Hufe in das betaute Gras fielen, und wo vor allen Dingen der feuchte Glanz der Augen, der soviel Lebenskraft und Lebenslust verriet?

Wo zahlreiche Gebäude sich zu größeren Haziendas oder Ranchos vereinigten, und wo die dergleichen Gehöfte umgebenden kultivierten Felder gemeinschaftlich mit einem großen Viehstande dem Besitzer die hinlänglichen Mittel gewährten, seine Umgebung mehr oder weniger mittels sinnig angelegter Kanäle aus nie versiegenden Bergströmen zu bewässern, da hatte die Not noch keinen so hohen Grad erreicht, und die mit bedeutendem Kostenaufwand bewässerte Landschaft unterbrach die Eintönigkeit der weiten wüstenfarbigen Niederung anmutig wie eine freundlich winkende Oase.

So war auch auf Sanchez' Rancho alles aufgeboten worden, der aus der schrecklichen Dürre entspringenden Not nach Kräften zu begegnen, und wenn man nicht über die Grenzen seiner Feldmarken und Weingärten hinauskam, dann hätte man kaum eine Ahnung von dem Zustande der Dinge in weiterem Umkreise erhalten.

Seine Weiden waren allerdings nicht besser als alle Weiden, die nicht unmittelbar in den schmalen Flußbereichen lagen; aber dadurch, daß er die Herden zum größten Teil weit fort in die Gebirge schickte und sie dort von seinen Leuten überwachen ließ, wurde die Not doch sehr gemildert.

So hatte der erfahrene Ranchero die von Robert und Sidney eingebrachten Schafherden nur ganz kurze Zeit innerhalb der Grenzen seines Landbesitzes geduldet und sie schon am zweiten Tage nach ihrer Ankunft zur Reise gegen Norden durch die Tulare- und San Joaquin-Täler nach San Franzisko aufbrechen lassen.

Bei dem großen Futtermangel hätte er ohnehin nicht darauf rechnen können, in der näheren Umgebung einen großen Absatz für seine Ware zu finden, wogegen in San Franzisko und den Minendistrikten sich die besten Aussichten für einen vorteilhaften Verkauf eröffneten.

Robert und Sidney als Miteigentümer sollten auch hier den Abschluß der Geschäfte leiten. Da die Herden aber nur in sehr kurzen Tagemärschen reisten, auf guten Weiden sogar je nach den Umständen längere oder kürzere Zeit ganz still liegen sollten, die Strecke nach San Franzisko dagegen auf guten Pferden ganz bequem innerhalb acht bis zehn Tagen zurückgelegt werden konnte, so war der schwarze Juan vorläufig allein mit der Sorge für den Transport der Herden betraut worden, während Robert und Sidney noch auf der Rancho zurückblieben und erst nach Verlauf von einigen Wochen nachzureisen beabsichtigten. –

Seit drei Wochen ungefähr befanden der Majordomo und sein junger Gefährte sich schon wieder auf der Rancho; seit drei Wochen, die ihnen im beständigen Verkehr mit den lieben Bekannten, für die sie mehr als eine warme Freundschaft fühlten, wie eine ganze Reihe von Festtagen verstrichen waren. Don Sanchez mit seinem biederen Herzen und dem unverwüstlich guten Humor hatte die heimkehrenden Reisenden wahrhaft väterlich empfangen. Immer wieder versicherte er den beiden jungen Leuten, wie sehr er sich über ihre glückliche Heimkehr freue, ohne dabei auch nur mit einem einzigen Worte der Herden zu gedenken. Brachte Robert dann aber wirklich die Rede auf den Erfolg des Unternehmens, so wünschte er ihnen unter den ihm zur Gewohnheit gewordenen kräftigen Beteuerungen Glück zu der Vermehrung ihres Reichtums oder erinnerte sie auch mit Stolz daran, daß er alles vorhergesagt habe.

Die beiden Freunde wußten sich allerdings nicht das uneigennützige Wohlwollen ihres Brotherrn zu erklären, das ihnen doch nur für Dienstleistungen zuteil wurde, deren gewissenhafte Ausführung nicht nur ihre Pflicht, sondern sogar auch ihr eigener Vorteil war. Daß aber der Ranchero ebenfalls seine geheimen Wünsche haben könne und zwar Wünsche, die so vollkommen mit ihren persönlichen Neigungen übereinstimmten, das war ja mehr, als sie je zu hoffen gewagt hätten.

Die Berichte ihrer wunderbaren Reiseerlebnisse, ihr Auffinden Fernandos, das Zusammentreffen mit dem Flüchtling und die Art und Weise, wie sie diesen samt seiner jungen Gattin ihren Verfolgern entrissen hatten, schienen vorzugsweise des fröhlichen alten Herrn Teilnahme zu erwecken, und noch kein Abend war vergangen, an dem sie dieses oder jenes nicht noch einmal erzählen mußten.

Daß Fernando im Hause Don Sanchez' eine freundliche Aufnahme finden würde, war vorherzusehen gewesen, und daß dem Wohlwollen, das man auch auf ihn übertrug, durch sein eigentümliches Wesen kein Abbruch geschah, lagen eben in der Natur der Sache. Man verkannte nicht seinen aufrichtigen Willen, sich gegen alle Menschen gefällig zu zeigen; wenn er aber Robert Andree als seinen alleinigen Gebieter betrachtete, und bei jeder Gelegenheit, ehe er den Wünschen anderer, selbst den Wünschen der lieblichen Inez und der kindlichen Maria, nachkam, vorher die Erlaubnis dazu gleichsam aus seinen Augen herauszulesen trachtete, so vergaß man nicht, wie viel er der Menschenfreundlichkeit des Majordomo verdankte, und daß er durch diesen aus einem schrecklichen Zustande der Verwahrlosung ans Tageslicht und zum Leben gezogen worden war.

Unter solchen glücklichen Verhältnissen verlor Fernando sehr bald die Scheu, die bei ihm, Fremden gegenüber, gewöhnlich hervortrat, und immer seltener bemerkte man, daß, durch geringfügige Zufälle veranlaßt, eine eigentümliche Wildheit aus seinen Augen leuchtete, die man mit dem drohenden Blick eines jungen gezähmten Panthers hätte vergleichen mögen.

In seinen Neigungen zu andern Menschen schien er sich überhaupt instinktartig von Robert leiten zu lassen, und dieser gestattete ihm grundsätzlich, so viel wie möglich seinen eigenen Eingebungen zu folgen, die stets von einem unverdorbenen Herzen zeugten.

So begegnete Fernando dem Ranchero stets mit kindlicher Ergebenheit und gewann dessen Zuneigung dadurch in so hohem Grade, daß der gutmütige Herr ihm oft, als sei er ein kleines Kind, freundlich die Wangen klopfte und ihn zugleich sein liebes Füllen nannte.

Auch gegen Maria war er aufmerksam und freundlich, bei weitem aber nicht so zutraulich wie gegen Inez.

Das mehr ernste Wohlwollen der Letztern, das in tieferen Gefühlen für des Knaben ersten Wohltäter und Beschützer, den Majordomo, wohl noch besonders reiche Nahrung erhielt, schien ihn mehr anzuziehen als Marias tändelndes Wesen. Wie einst bei Martha, so suchte er auch bei Inez durch harmlos einschmeichelndes Benehmen an den Tag zu legen, wie sehr er ihr in Liebe zugetan sei.

Inez, die sonst so stolze, aber keineswegs hartherzige Kalifornierin, war nicht unempfindlich gegen diese Bevorzugung. Sie duldete den Knaben gern in ihrer näheren Umgebung, und als sie in Erfahrung gebracht hatte, daß er sich mit ganzer Seele darnach sehne, lesen zu lernen, in der Tat auch schon bei Martha den Anfang gemacht habe und mit unermüdlichem Eifer das schon Erlernte übe, da bot sie sich ihm als Lehrerin an, und der Ausdruck ungeheuchelter, tiefgefühlter Dankbarkeit, der ihr aus den großen Augen des beglückten Knaben entgegenleuchtete, belohnte sie schon im voraus reich für die Mühe, die sie sich mit ihm gab.

Wie Fernando seine Anhänglichkeit an einzelne Personen stets offenkundig an den Tag legte, so vermochte er auf der andern Seite wieder nicht den Widerwillen und die Scheu zu besiegen oder auch nur zu verhüllen, die manche Menschen ihm einflößten.

Im Hause selbst war es namentlich Ramiro, den er augenscheinlich zu meiden suchte und in dessen Gegenwart er stets, trotzdem dieser ihn mit viel Rücksicht behandelte, befangen und verlegen wurde.

Vor El Muerte dagegen hegte er eine wahrhaft kindische Furcht, so daß er sich mehrfach dadurch Vorwürfe von Robert zuzog. Seine Abscheu vor dem Arriero, die die meisten dessen geisterhaftem, finsteren Äußeren zuschrieben, während sie bei Maria wieder die Erinnerung an die Sagen von dem Vampyr wachrief, konnte indessen ebensowenig durch Strenge als durch freundliches Zureden gemildert werden. Immer, wenn er El Muerte in der Ferne sah, ergriff ihn ein nervöses Zittern, und seine Augen funkelten dann so wild und unheimlich, wie damals, als er Robert auf der unterirdischen Wanderung durch das Bergwerk begleitet und diesem die Einsicht in die Brieftasche des alten Geizhalses verwehrt hatte.

Nur ein einziges Mal, und zwar am ersten Tage nach seinem Eintreffen auf der Rancho, hatte er sich in unmittelbarer Nähe von El Muerte befunden. Wie bei andern Leuten, so war er auch auf ihn zugetreten, um ihm bescheiden, wie Robert ihn unterwiesen, die Hand zu bieten. Als er aber den Arriero genauer betrachtete und die Leichenblässe seines Gesichtes gewahrte, aus dem die mächtigen schwarzen Brauen und die stechenden, tiefliegenden Augen ihm unheimlich und geisterähnlich entgegenstarrten, da war er erschreckt zurückgefahren, und keine Macht der Erde hätte ihn zu bewegen vermocht, sich dem Arriero zum zweiten Male zu nähern.

Diejenigen, die bei diesem Zusammentreffen zugegen waren, hatten, durch das auffallende Benehmen des Knaben veranlaßt, ihre ganze Aufmerksamkeit diesem zugewendet. Im entgegengesetzten Falle würde es ihnen nicht entgangen sein, daß das Entsetzen, das sich bei dem Anblick des Knaben in El Muertes Zügen spiegelte, das des ersteren noch bei weitem übertraf. Die an sich schon starre Physiognomie hatte wie durch Zauber den Charakter kalten Marmors angenommen, seine Pupillen hatten sich erweitert, als ob sie aus ihren Höhlen hätten drängen wollen, und über seine bläulichen Lippen glitt wie ein Hauch der Name einer längst Entschlafenen.

Im nächsten Augenblick hatte er sich aber schon umgekehrt, und indem er mit der Hand über seine Augen fuhr, schlugen seine Zähne heftig aufeinander, und stöhnend entrang sich seiner Brust ein tiefer Seufzer.

»Gibt denn das Grab alle seine Toten wieder zurück?« murmelte er im Davonschreiten, und als man endlich von Fernando zu ihm hinüberschaute, da war er schon zu weit entfernt, um die Eindrücke noch zu gewahren, denen er angesichts des Knaben unterworfen gewesen. –

Das Wiedersehen der jungen Leute, die einst mit so schwerem Herzen voneinander geschieden waren, war von keinen besonderen Umständen begleitet, wenigstens nicht von andern als solchen, die sich nach einer Trennung ohne vorhergegangene Erklärung erwarten ließen.

Wären beim Abschiede die besorgten, trüben Blicke inniger Anhänglichkeit und die stummen Gebete um ein glückliches Wiedersehen nur mit einem einzigen Worte der Liebe, der Treue, des beglückenden Einverständnisses verbunden gewesen, so würden sie mit strahlenden Augen einander gegenübergetreten sein, und ihr ganzes Glück, alles, was sie fühlten, alles, was sie dachten, in einer innigen Umarmung ausgedrückt haben.

So aber spiegelten sich Furcht, Hoffnung und Verlegenheit auf ihren Zügen; und hätte der ewig fröhliche Ranchero nicht die ganze Szene in seiner herzlichen geräuschvollen Weise belebt, so würde bei den ersten Begrüßungen kaum etwas anderes als die durch die Höflichkeit bedingten Formeln gewechselt worden sein.

Robert zog das Amulett hervor, das Inez ihm damals am letzten Abend ihres Zusammenseins übergeben und im Herzen mit so heißen Segenswünschen begleitet hatte.

»Ihr seht, edle Sennora«, hob er an, indem er ihr die Münze mit dem Bande darreichte, »Ihr seht, wie Euer Amulett seinen Einfluß auf unsere Wohlfahrt nicht verfehlt hat. Die Stunden der Gefahren sind indessen vorüber und es dürfte wohl nicht angemessen sein, Euch das Andenken Eurer Mutter länger vorzuenthalten. Ich gebe es zurück mit den aufrichtigsten Gefühlen der Dankbarkeit, aber mit Wehmut trenne ich mich von diesem getreuen Freunde, der mich während der ganzen Reise nicht einen Augenblick verließ.«

Inez warf, vielleicht um die Gefühle nicht noch weiter zu verraten, ihre Lippen empor, daß ihre Zähne wie Perlen zwischen denselben durchschimmerten. Doch als sie in Roberts Augen wirklich Wehmut über die Trennung von dem Amulett zu entdecken glaubte, da verklärte sich ihr errötendes Antlitz zu einem beseligenden Lächeln. Gleich darauf aber schüttelte sie mit ausgelassenem Lachen ihr Haupt, und ihre jungfräuliche Verlegenheit hinter einem Ausdruck schalkhafter Laune verbergend, rief sie aus:

»Ja, es ist in der Tat ein teures Andenken an meine Mutter, doch war es fast ein Jahr hindurch, und noch dazu auf der schrecklichen Reise, sicher bei Euch aufgehoben, warum solltet Ihr es nicht noch länger bei Euch führen können? Ihr wißt, es steht Euch noch die Reise nach San Franzisko bevor.« Indem sie ihm sodann mit einem Gemisch von Stolz und freundlicher Teilnahme zunickte, schritt sie, ohne eine Antwort des entzückten Majordomo abzuwarten, zu dem schwarzen Juan hinüber, den sie wie einen alten, treuen Freund begrüßte, ihm zugleich aber so fragend und so fest in die sprechenden Augen schaute, als habe sie in seinem Herzen nach Geheimnissen forschen wollen.

Während nun Robert und Inez in dieser Weise miteinander verkehrten, war Sidney zu Maria herangetreten und hatte ihr in seiner treuherzigen Weise die Hand gereicht.

Oft, sehr oft auf seiner Reise, wenn das freundliche Bild der Geliebten vor seine Seele trat und Hoffnung und Furcht in seinen phantastischen Träumen um den Vorrang stritten, hatte er sich fest vorgenommen, beim ersten Zusammentreffen mit ihr sie um Antwort auf den Brief zu bitten.

Als er aber endlich vor ihr stand und in ihren lachenden Augen einen leichten spöttischen Zug zu bemerken glaubte, der aber in Wirklichkeit nur aus einer natürlichen Befangenheit entsprang, da waren alle seine guten Vorsätze vergessen. Um keinen Preis hätte er gewagt, des Briefes zu erwähnen; er schämte sich sogar, ihn geschrieben zu haben, und indem der Gedanke an seine ihm jetzt unerklärliche Kühnheit ihm das Blut in die Wangen trieb, reichte er, innerlich bebend wie ein Knabe, dem jungen, hoch errötenden Mädchen die Hand. Sie sprachen beide kein Wort, aber Maria lachte laut, um ihr Mitleid über des jungen Riesen Verlegenheit nicht offenkundig werden zu lassen. Doch als Inez, die ihre Freundin von der Seite beobachtet hatte, ebenfalls lachte, indem sie Sidney die Hand entgegenstreckte, da stimmte letzterer, als sei ihm eine schwere Wucht von der Brust genommen, mit ein. Freier, als sie bisher getan, miteinander plaudernd, folgte darauf die ganze Gesellschaft, der schwarze Juan und Fernando nicht ausgenommen, dem ungeduldigen Ranchero in das Innere des Hauses, um, so bestaubt wie die Heimgekehrten noch von der Reise waren, die erste gemeinschaftliche Mahlzeit und den ersten Willkommtrunk einzunehmen.

Dies war das Wiedersehen nach langer Trennung. Es war vielleicht anders, als die erregte Phantasie jedes einzelnen es sich vorher ausgemalt hatte. Keiner war mit sich selbst zufrieden, und doch gestand sich jeder ein, daß es füglich nicht anders hätte sein können.

Robert und Sidney, sonst so innig befreundet, vermieden sorgfältig, ihre Neigungen zum Gegenstand ihrer Unterhaltung zu machen. Inez und Maria dagegen hatten sich kaum zurückgezogen, als eine die andere mit Vorwürfen über ihr gemessenes, kaltes Benehmen überschüttete, das so sehr im Widerspruch mit allen vorher gemachten vertrauensvollen Äußerungen stand.

Daß Maria nicht mehr in so hohem Grade geneigt war, sich auf Kosten ihres harmlosen jungen Riesen, wie sie ihn gewöhnlich nannte, zu belustigen, ging aus dem Eifer hervor, mit dem sie am gleichen Abend Sidneys alten Brief ihrer Freundin, aber ohne scherzhafte Bemerkungen fallen zu lassen, noch einmal vorlas und dabei so manches zum Lobe des jugendlichen Amerikaners erwähnte, den sie so außerordentlich seinem Vorteil verändert fand.

Inez hatte, als sie sich unbeobachtet wußte, das kleine verwelkte Sträußchen hervorgeholt. Sinnend schaute die stolze Kalifornierin auf dasselbe hin; die lieblichen Träume eines ganzen Jahres, die die trockenen Blumen, so oft ihre Blicke darauf ruhten, wachgerufen hatten, traten mit einem Male vor ihre Seele, und leise drückte sie das so treu bewahrte Andenken an ihre Lippen. »Wenn er nur wüßte, was ich für ihn getan!« flüsterte sie mit triumphierendem Ausdruck; »doch nein, er soll es nie erfahren, es sei denn, daß er –« sie stockte, und ein tiefes Rot breitete sich bei diesen Worten über die rosigen Wangen bis zu den weißen Schläfen hinauf aus. Und wie um die süßen Gefühle in ihrer Brust festzubannen, drückte sie noch einen leisen Kuß auf das Sträußchen, worauf sie es behutsam an den sicheren Aufbewahrungsort zurückbrachte. –

So waren drei Wochen verstrichen, ohne daß eine Entscheidung in den Verhältnissen der jungen Leute zueinander herbeigeführt worden war, und der Tag rückte heran, an dem Robert und Sidney ihre Reise nach San Franzisko anzutreten beschlossen hatten.


Die drückende Hitze des Tages war einer erquickenden Kühle gewichen, die beim Sinken der Sonne von einer frischen Seebrise landeinwärts getragen wurde. Ob auch anhaltende Dürre ihre unheilvolle Hand schwer auf die weite Niederung drückte, so hätte ein kalifornischer Hochsommer doch nie schönere, verlockendere Abende mit sich bringen können, als gerade diese Zeit. Es war ein Abend, dem man eine ewige Dauer hätte wünschen mögen; ein Abend, der den Menschen gern den Menschen aufsuchen läßt, um den Genuß, den die Natur bietet, durch gemeinschaftliche Bewunderung und geselliges Zusammensein zu erhöhen. –

Auf dem inneren Hofe von Sanchez' Wohnhause sprudelte das Wasser zwar spärlicher als gewöhnlich, aber doch in alter Weise mit seinem lieben bekannten Gurgeln in das kleine Bassin hinein und wieder hinaus, und in ihrer gewohnten feierlichen Weise schwang die Palme ihre langen Wedel vor dem Luftzuge hin und her.

Über den Hof selbst hatten sich schon die Schatten des westlichen Flügels ausgedehnt. Auch die mit Gaisblatt umrankten Säulen, die die nördliche und südliche Bedachung der Veranda trugen, waren schon in Schatten gehüllt. In den östlichen hallenähnlichen Gang dagegen fiel die volle Beleuchtung der Sonne, an manchen Stellen die Umrisse von Blatt und Ranken getreulich abzeichnend; an andern dagegen hatte sie die Schatten verschoben, und es zeigten sich dann so merkwürdige ineinander verschlungene Arabesken, daß man sich stundenlang in der Verfolgung der einzelnen Linien hätte ergehen können.

Da sah man zum Beispiel die Silhouette eines alten bärtigen Eremiten, dessen Nase, durch den Schatten eines beweglichen Blattes gebildet, langsam hinauf und hinunter schwankte; dort wieder den riesenhaften Kopf eines Hasen mit tellergroßen Augen; auf einer andern Stelle eine Schlange mit langen Hörnern und wenigstens zwanzig Füßen, und dicht dabei eine sechsfingerige Hand. Kurz, es sah aus, als ob ein Maler auf der erhellten Wand die merkwürdigsten Karikaturen mit genialer Künstlerhand in dichte, wirre Haufen zusammengeworfen habe.

So nahm sich also der innere Hof von Don Sanchez' Wohngebäude aus.

Wenn man nun alle die bunten Schattenbilder der Reihe nach mit den Blicken überflog und prüfte, so verweilte man ganz gewiß etwas länger vor einer größeren Gruppe, die die mittlere und umfangreichere, von keinen Türen und Fenstern unterbrochene Mauerfläche belebte.

Ja, belebte! Denn die Schatten schienen wirklich eigenen Willen und Leben zu besitzen. Jedenfalls würde die Ähnlichkeit noch größer gewesen sein, wenn der häßliche Knick auf dem Fußboden die Formen nicht so verunstaltet und hier einen Kopf halbiert, dort einen Oberkörper förmlich zerbrochen oder ein Paar Schultern ganz schief gezogen, durchweg aber das Verhältnis zwischen Ober- und Unterkörper auf die traurigste Weise gestört hätte.

Sehr schön nahm sich dagegen die Gruppe in Wirklichkeit aus. Viel zu schön, als daß man sie mit den von ihr geworfenen Schatten hätte vergleichen mögen. Da war nichts von halben Köpfen oder Mißverhältnissen; überall das ausgesuchteste Ebenmaß in Gestalt und Form, jugendlicher Frohsinn und Zufriedenheit in Haltung und Blick.

Wie anmutsvoll saß die strahlende Inez auf einem niedrigen Lehnsessel, und wie teilnehmend lauschte sie den Worten, die der vor ihr auf einer Strohmatte lagernde Robert an sie richtete! Wie schalkhaft lachte die etwas weiter zurücksitzende Maria, wenn sie Roberts Redefluß mit ihren scherzhaften Bemerkungen unterbrach und dafür einen schmollenden Blick von Inez erhielt, und wie emsig strebte Fernando, der sich weiter abwärts mit dem Rücken an einen Pfeiler lehnte, die Worte eines kleinen Buches zu entziffern!

Mit einem solchen Bilde konnten die Schatten einen Vergleich nicht aushalten, selbst auch dann nicht, wenn sie durch den häßlichen Knick nicht so fürchterlich verunstaltet worden wären. –

Gerade als der langsam über den Hof hinschleichende Schatten die zierlichen Füßchen von Inez berührte, hatte Robert das Wort ergriffen.

»Ich leugne nicht«, sagte er, indem er von der Seite zu dem in seine Leseübungen vertieften Fernando hinüberschaute, »ich leugne nicht, daß ich überrascht war von der Leichtigkeit, mit der der Knabe die Beschwerden unserer langen Reise ertrug. Sein schmächtiger Körper scheint nicht für Strapazen geschaffen, und wohl möchte ich ihm die Reise nach San Franzisko ersparen.«

»Aber ist es denn überhaupt Eure und meines Vaters Absicht, daß Euch das arme Kind dorthin begleiten soll?« fragte Inez mit Wärme. »Ich denke, der Knabe wäre bei uns gut genug aufgehoben. Ich will schon Sorge tragen, daß er sich nützlich beschäftigt. Da er zu etwas Besserem als einem bloßen Hirten bestimmt ist, so braucht er sich ja nur im Lesen zu üben, um vorläufig seinen Zweck zu erfüllen; und bei seinem stark entwickelten Gedächtnis glaube ich versprechen zu können, daß er Euch bei Eurer Rückkehr schon einen Brief vorzulesen vermag.«

»Einen Brief, Inez?« fragte Maria dazwischen, indem sie, ein fröhliches Lachen unterdrückend, nach dem westlichen Hausflügel hinüberwies, in dem, wie sie wußte, Sidney sich in des Rancheros Gesellschaft befand.

Inez drohte ihrer Freundin lächelnd mit dem Finger und wandte sich dann, ohne auf ihre Scherze einzugehen, wieder zu Robert.

»Ich bin dir wohl nicht gut genug?« fragte Maria weiter, scheinbar entrüstet über das nichtachtende Benehmen ihrer jüngeren Gefährtin; » Bueno, ich kann mich auch ohne Euch unterhalten; der Weise empfindet nie Langeweile.« So sprechend rückte sie ihren Stuhl dicht an die Wand, und der Zufall fügte es, daß sie gerade neben die Schatten von Robert und Inez zu sitzen kam.

Diese hatten unterdessen ihre Unterhaltung wieder aufgenommen, und für längere Zeit blieb die tändelnde Maria vergessen.

»Der Knabe besitzt in der Tat ungewöhnliche Anlagen«, versetzte Robert nach der kurzen Unterbrechung, »freilich wissen wir nicht, wieviel Jahre über seinen Lockenkopf hinweggezogen sind, jedenfalls ist er aber noch mehr Kind, als Knaben seines Alters gewöhnlich zu sein pflegen. Der Mangel an Umgang mit seinesgleichen hat einen merkwürdigen Einfluß auf seinen Charakter ausgeübt, und nur daraus erkläre ich mir die Eigentümlichkeiten, die ihn oft so rätselhaft erscheinen lassen. Übrigens ist es ebensowenig der Wunsch Eures Vaters wie der meinige, ihn an der Reise nach dem Norden, wenn sie auch wirklich nur drei Wochen dauert, sich beteiligen zu lassen. Geht er mit, so geschieht es nur auf seine eigenen dringenden Bitten.«

»Doch, was kann ihn zu solch sonderbarem Verlangen bewegen? Wird ihm nicht eine Behandlung zuteil, als sei er ein Kind des Hauses?« fragte Inez, indem sie Fernando mit einem leisen Anflug von Mißvergnügen betrachtete.

»Er wird wie ein Kind des Hauses behandelt«, bestätigte Robert, den Blicken Inez' mit den Augen folgend, »aber mit ganzer Seele schmiegt er sich doch nur an mich an, der zuerst sein Zutrauen gewann und ihn seinem dunkeln Lose entriß. Trotz dieser Anhänglichkeit würde ich aber doch von Herzen wünschen, ihn in Eurer Obhut zurücklassen zu können. Allein, es widerstrebt mir, ihm etwas anzubefehlen, was er nicht gern tut. In seinen Augen würde dergleichen einer Verstoßung gleichkommen und ich glaube, einem so ungeschulten Gemüt gegenüber muß ich gerade eine allzu große Strenge vermeiden, sie könnte nachteilig auf seinen frischen Geist einwirken. Vielleicht später.«

Wiederum richteten beide ihre Blicke auf den Knaben, der zu lesen aufgehört hatte und sinnend die Palme betrachtete, derartige Bäume er bisher noch nie in seinem Leben gesehen hatte. Er war so in Gedanken vertieft, daß er seine Umgebung vollständig vergessen zu haben schien und nicht gewahrte, wie Robert und Inez ihn aufmerksam beobachteten.

Er hatte ihnen sein Profil zugekehrt; und indem er mit seinen großen Augen emporschaute, waren die lockigen schwarzen Haare, die ihm bis auf die Schultern reichten, von den weißen Schläfen zurückgeglitten, wodurch die ganze Physiognomie einen so unbeschreiblich rührenden Ausdruck erhielt, daß Robert wie Inez bei dem Anblick förmlich weich gestimmt wurden.

»Wenn ich ein Maler wäre,« brach der Majordomo endlich das Schweigen, »dann würde ich keinen Augenblick zögern, ihn in dieser Stellung als betenden Johannes auf die Leinwand zu zaubern.«

»Vielmehr als Friedensengel«, entgegnete Inez mit warmer Teilnahme, »denn selbst für einen Johannes sieht er noch zu kindlich aus trotz des ernsten Ausdruckes, der aus seinen Augen spricht.«

»Der Ernst, der in seinen Augen liegt«, versetzte Robert nachdenkend, »ist eben seine kurze Lebensgeschichte oder vielmehr eine Aufzählung aller Leiden, die er, obgleich noch sehr jung, schon erduldete. Es ist mir indessen nie so sehr aufgefallen wie gerade jetzt, daß er sich seit meinem ersten Zusammentreffen mit ihm außerordentlich verändert hat. Die stattliche Kleidung und das Bleichen seiner Haut tragen natürlich mit dazu bei, die Veränderung augenfälliger zu machen, allein meine Absicht, jugendlichen Frohsinn bei ihm zu erwecken, scheint vollständig scheitern zu sollen. Er wird von Tag zu Tag ernster. Ich hoffe, daß nicht eine sich entwickelnde Krankheit die Ursache ist.«

»Gerade deshalb müßte er aber hier bleiben«, bemerkte Inez, die unbewußt mit ernst geworden war; »denn sollte er wirklich erkranken, so würde er nirgends eine bessere Pflege finden als gerade hier.«

»Versuchen wir es bei ihm selber«, antwortete Robert in einem Tone, der Zweifel an dem Erfolge verriet. »Ihr besitzt eine bessere Überredungsgabe als ich, und des Knaben wegen will ich mich innig freuen, wenn es Euch gelingt, ihn bei Euch zu behalten; denn ich gestehe, ich selbst habe mich so sehr an seine Gesellschaft gewöhnt, daß ich ihn gewiß recht oft vermissen würde.«

Auf einen Wink Roberts sprang Fernando herbei, und indem er seine großen Augen mit fragendem Ausdruck auf ihn richtete, erwartete er schweigend des Majordomos Befehle.

»Fernando, du scheinst dich immer noch nicht ganz von den Anstrengungen deiner Reise erholt zu haben«, nahm Inez mit vertrauenerweckender Freundlichkeit das Wort, »wenigstens noch nicht hinlänglich, um schon wieder eine Reise nach San Franzisko antreten zu dürfen. Es ist daher der Wunsch Sennor Robertos, wie auch mein und meines Vaters Wunsch, dich bei uns zu behalten. Außerdem wollen wir dir auch Gelegenheit geben, dich im Lesen so zu vervollkommnen, daß du deinem Freunde nach seiner Heimkehr einen Brief vorlesen kannst.«

»Wer soll ihn denn auf der Reise bedienen, wer ihm die Speisen reichen und sein Pferd satteln?« fragte der Knabe, und indem er Inez fest anschaute, leuchtete etwas von dem alten Trotz aus seinen Augen.

»Es gibt Leute genug, die die Dienstleistungen bei deinem Beschützer übernehmen können«, entgegnete Inez mißvergnügt über des Knaben offene Weigerung, ihren Wünschen nachzukommen. »Du mußt nicht vergessen, daß kein Diener aus dir gemacht werden soll, sondern ein Mann, der auf seinen eigenen schönen Pferden reitet und der sich selbst Diener hält. Du bist im Besitz von Vermögen, aber du mußt auch das lernen, was einem gebildeten und wohlhabenden Manne zu wissen not tut. Und dann möchten wir dich auch gern um uns haben«, fügte sie mit freundlicherer Stimme hinzu, als sie bemerkte, daß Tränen in des Knaben Augen traten. »Wir lieben dich und wollen von dir wieder geliebt sein.«

siehe Bildunterschrift

»O Sennora, ich liebe Euch, Ihr seid ja so gut«, rief der Knabe schmerzlich aus, »aber ich brauche kein Gold, keine Pferde, keine Diener!«

»O Sennora, ich liebe Euch, Ihr seid ja so gut«, rief der Knabe schmerzlich aus, »aber ich brauche kein Gold, keine Pferde, keine Diener! Was soll ich mit dergleichen beginnen? Ich will nur dienen, meinem Herrn und auch Euch, aber ich muß mit ihm ziehen oder er kehrt nicht wieder! Und dann, gute Sennora, will ich ja auch mein Buch mit mir nehmen und beim Lagerfeuer oder während der Reise im Sattel, überall will ich Eurer Lehren eingedenk sein und lernen; ich verspreche es Euch!«

»Wenn ich dich aber bitte, wirst du auch dann noch mitreisen wollen?« fragte Robert milde, denn er hätte es nicht vermocht, dem armen Kinde für seine Treue schroff zu begegnen.

»Ihr werdet es nicht tun!« rief Fernando angstvoll, wobei das wilde Feuer wieder in seinen Augen sichtbar wurde. »Nein, Ihr werdet es nicht tun; Ihr werdet mich nicht unglücklich machen wollen, nachdem Ihr mich ans Tageslicht gezogen habt! Die Sennoras und Don Sanchez wollen mir wohl, aber Don Ramiro nicht; ich fürchte ihn«, fügte er flüsternd hinzu, »und dann der finstere Mann mit den giftigen Blicken, er wird mich töten; o, Sennor, laßt mich mit Euch ziehen!« und indem der erschreckte Knabe scheu um sich sah, zitterte er an allen Gliedern.

»El Muerte«, sagte Inez leise vor sich hin, und heftiger Zorn spiegelte sich auf den reinen Zügen der leicht erregbaren Südländerin. »El Muerte und Ramiro, heilige Jungfrau! Wer hat die schwarzen Seelen der Verbrecher vor diesem unschuldigen Kinde aufgedeckt?«

Robert war unterdessen aufgestanden und hatte dem Knaben, der sich immer noch nicht zu fassen vermochte, die Hand gereicht und ihn dicht vor Inez hingeführt. »Ihr seht, Sennora, unsere Mühe ist vergebens«, sagte er, entschuldigend auf Fernando deutend. »Lassen wir ihm seinen Willen, er wird allmählich sich auch in die Wünsche anderer Menschen fügen lernen.«

»Zürnt mir nicht, liebe, schöne Sennora«, schluchzte Fernando, indem er Inez die Hand küßte, »ich will ja alles lernen!«

Je länger Inez dem flehenden Knaben in die tränenden Augen schaute, um so mehr trat ihre alte Freundlichkeit an die Stelle des Zorns, den die Erinnerung an El Muerte und Ramiro bei ihr geweckt hatte. Zugleich tauchten auch längst vergangene Bilder vor ihrer Seele auf und sie flüsterte, Roberts Worte wiederholend: »Lassen wir ihm seinen Willen.« –

Im Eifer der Unterhaltung hatten sie Maria ganz außer acht gelassen und deshalb nicht bemerkt, daß sie davongeschlichen, aber fast augenblicklich wieder mit einem Stückchen Kreide zurückgekehrt war. Die Zeit nun, in der Robert und Inez schweigend und fast regungslos zu dem lesenden Fernando hinüberblickten, hatte sie schlau dazu benutzt, deren eben so regungslosen, aber sich allmählich nach oben verlängernden Schatten auf der grauen Wand mit weißen Strichen festzubannen.

Als dann die Sonne ganz hinter den westlichen Flügel hinabgesunken war, hatte sie den beiden ungestalteten Köpfen, die sich übrigens noch mit den stumpfen, aber sehr langgereckten Nasen berührten, nach eigenem Geschmack und mit sehr wenig Kunstsinn Augen und Ohren eingezeichnet.

Sie war eben mit dieser Arbeit zustande gekommen, als Fernandos Flehen den Sieg über Inez' Überredungsgabe davontrug.

»Der Weise empfindet nie Langeweile«, rief sie nun aus, indem sie mit anmutiger Bewegung die Blicke von Inez und Robert auf die Umrisse auf der Wand hinlenkte. »Hier, Donna Inez del Sanchez und hier, Don Roberto Andree! Beides wohl getroffene Porträts, bereit Mängel einzig meiner Gehilfin, der Sonne, zuzuschreiben sind, weil sie durchaus nicht stillhalten wollte«, und damit brach sie in ihr helles, glückliches Lachen aus.

Der Anblick, der sich der überraschten Inez und dem ebenso überraschten Majordomo bot, war in der Tat so komisch und Marias Lachen so ansteckend, daß beide fast augenblicklich mit einstimmten, noch ehe es ihnen gelungen war, zu enträtseln, was die dicken weißen Linien eigentlich besagen sollten. Als Inez aber inne wurde, daß die kaum für menschliche Physiognomien zu erkennenden Umrisse sich mit den Nasen berührten, da sprang sie schnell herbei, und ihrer ersten Regung folgend, fuhr sie mit ihrem Tuch zerstörend mitten zwischen den beiden Köpfen hindurch.

In demselben Augenblick mochte sie aber auch einsehen, daß sie gerade durch diese Handlung mehr verriet, als wenn sie den neckischen Zufall unbeachtet gelassen hätte, denn hocherrötend trat sie dicht vor die jubelnde Maria hin, und ihre prachtvollen Augen verlegen den Blicken Roberts entziehend, stammelte sie mit erheucheltem Zorn:

»Wozu diese Kindereien? Glaubst du etwa, mein Vater würde es ungeahndet lassen, wenn er sähe, wie du sein Haus verunzierst?«

Und als wäre der Ranchero durch die Erwähnung seines Namens herbeigerufen worden, ließ sich plötzlich von der andern Seite des Hauses herüber seine fröhliche Stimme vernehmen. »Da ist er schon!« jubelte Maria, sobald sie Don Sanchez durch die geöffnete Tür unter die Veranda treten sah; »die ausgelöschten Striche sind sehr bald wieder erneut, und dann soll unser gestrenger Hausherr ebensowohl über die Ähnlichkeit als auch über die sogenannte Verunzierung sein entscheidendes Urteil abgeben.«

Sie wollte sich bei diesen Worten eben wieder der Wand zukehren, als ihre Blicke auf Sidney fielen, der dem Ranchero auf dem Fuße nachfolgte.

Schnell sprang sie an die Figuren heran, und mit einigen wenigen Strichen ihres Tuches verwischte sie sie vollständig.

»Du hast recht, Inez«, sagte sie dann stotternd, indem sie den Kreidestaub aus ihrem Tuche schüttelte; »es sind Kindereien,« und wie Schutz gegen etwaige Vorwürfe suchend, schmiegte sie sich fest an Inez, die, in gleich liebevoller Weise entgegenkommend, den Arm der Freundin durch den ihren zog.

Wie sich von selbst verstand, wandten sich alle Blicke jetzt dem Ranchero zu, der mit seinem fröhlichen Gesicht, seiner etwas kurzen, wohlbeleibten Figur und der Art, wie er seine Hände in den breiten Ledergurt schob, einen seltsamen Gegensatz zu der riesenhaften Gestalt Sidneys bildete, der mit untergeschlagenen Armen und gesenkten Hauptes halb hinter ihm herschlich.

Daß Don Sanchez, als er aus dem Gemach unter die Veranda trat, auf der gegenüberliegenden Seite die beiden Sennoritas im Gespräch mit Robert und Fernando gewahrte, schien ihn in seinem Redefluß nicht zu stören; im Gegenteil, sein gutmütiges Gesicht nahm womöglich noch einen fröhlicheren Ausdruck an, und er verstärkte den Ton seiner Stimme in so hohem Grade, daß jedes Wort von der kleinen Gesellschaft auf der andern Seite verstanden werden mußte.

»Ich pflichte Euch vollständig bei, mein lieber Freund!« rief er aus, und seine lachenden Augen funkelten verstohlen zu den jungen Mädchen hinüber und blieben wohlgefällig auf den mit Purpur der Verschämtheit übergossenen Zügen Marias haften, »ja, vollständig pflichte ich Euch bei: ein guter Hausvater, wenn er eine große Reise antritt, bestellt vorher sein Haus, mit andern Worten, macht sein Testament; und daß Euer Testament Rechtsgültigkeit hat und aufs pünktlichste ausgeführt werden soll, dafür laßt mich nur sorgen; das heißt, vorausgesetzt, Ihr bietet mir durch Euern Tod die Gelegenheit dazu!«

»Man versteht dort drüben jedes Wort«, flüsterte Sidney dem Ranchero ängstlich zu, »und es würde mir schmerzlich sein, sollte ich –«

»Ah! Bah!« entgegnete Sanchez, den Kopf mit komischer Würde zurückwerfend, »ich werde mich hüten, ihnen irgend etwas mitzuteilen, was sie nicht wissen dürfen! Caramba! Don Sidney, ich bin selbst einmal jung gewesen und habe gerade so gedacht wie Ihr, nur etwas mehr Mut besaß ich. Was meinst du dazu, Inez, mein Herzenskind, und du, Maria, meine ausgelassene Antilope?« fragte er dann, indem er um die letzte Ecke der Säulenreihe herumbog und jedem der beiden Mädchen eine Hand entgegenreichte.

»Wenn wir nur wüßten, um was es sich handelt«, entgegnete Inez, ihrem Vater schalkhaft zulächelnd, der sicherste Beweis, daß sie annähernd den Grund seiner guten Laune erriet.

»Mille Caramba! Um ein Testament handelt es sich«, rief der Ranchero entzückt aus, indem er sich zugleich an Sidneys und an Marias wachsender Befangenheit weidete. »Hier, mein Freund Don Sidney Bigelow denkt ans Sterben und hat mir daher aufgetragen –«

»Sennor, habt Erbarmen«, stöhnte der junge Riese, der gar nicht mehr wagte, einem der Anwesenden in die Augen zu schauen.

»Hat mir daher aufgetragen«, wiederholte der Ranchero, ohne Sidneys Bitten zu beachten; »hat mir daher aufgetragen, niemand ein Wort betreffs seines letzten Willens mitzuteilen; es sei denn, daß er das Zeitliche vorher gesegnet hätte.«

Bei diesen Worten atmete Sidney wieder frei auf, und als er sich zu Maria wendete, da traf er auf einen so freundlichen, innigen und dabei so lieblich verschämten Blick, daß er vor Glückseligkeit kein Wort hervorzubringen vermochte und wie um Hilfe flehend sich nach Robert umschaute.

Hilfe in der ihm peinlichen Lage wurde ihm zuteil, aber nicht von Roberts Seite; denn noch hatte der Ranchero sich nicht vollständig über die von ihm ausgeführten Neckereien beruhigt, da trat ein junger Indianerbursche, der als Aufwärter im Hause angestellt war, zu ihm heran und meldete, daß ein fremder Herr und eine fremde Dame nebst einem Diener auf sehr schönen Pferden vor dem Portal hielten und die Gastfreundschaft des Hausherrn für die Nacht ansprächen.

»Fremde, die um Nachtquartier bitten?« rief Don Sanchez aufgeregt aus, »und noch dazu eine Dame? Caramba! Geschwind hin und sie empfangen; für einen Gast ist das Beste nicht zu gut!«

So sprechend eilte der Ranchero, der die Gastfreundschaft für die heiligste aller Tugenden hielt, der übrigen Gesellschaft nach dem Portal hin voran, um die eingetroffenen Fremden zu bewillkommnen.


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