Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Kapitel.
Die Fremden

. Finster und in sich gekehrt schritt El Muerte in seinem Gemach auf und ab. Ein kleines Feuer im Kamin, genährt von Baumwurzeln und torfähnlichen Holz- und Pflanzenfasern, erhellte nur sehr spärlich den abgeschlossenen Raum, der den ganzen Flächeninhalt der Hütte einnahm.

Träge und unstet tanzten die blauen und weißen Flämmchen über der gelben Asche, oft etwas höher aufflackernd, oft aber auch ganz verschwindend, um an einer andern Stelle wieder wie Irrlichter hervorzubrechen. Wärme schienen sie nicht auszuströmen; denn trotz der noch milden Jahreszeit herrschte eine wahre Kellerluft in dem Gemach, dessen festschließende Fensterladen nur sehr selten auf Stunden geöffnet wurden.

Ja, finster und in sich gekehrt schritt der Arriero dahin, von der verriegelten Tür an dem Kamin vorbei nach der Matratze hinüber, die sein Bett bildete und von der Matratze zurück nach der Tür.

Gleichmäßig wie das Ticken einer Wanduhr fielen seine leichtbeschuhten Füße auf den festgestampften Lehmboden:

»Eins – zwei – wo – blieb – dei–ne – Ju–gend–zeit«, schienen die Füße zu sagen, so unheimlich und leise klang der von ihnen erzeugte Ton zwischen den vier nackten Wänden.

»Ver–lo–ren – Ver–lo–ren«, hallte es, und höher flackerten einige der blauen Flämmchen.

»Eins – zwei – eins – zwei – blut–rot – Mör–der«, fuhren die Tritte fort zu erzählen, und die Flämmchen verschwanden auf fast eine Minute. Der gemessene Schritt aber ertönte ununterbrochen weiter: »Eins – zwei – Ra–che – El – Mu–er–te – Mör–der.« Die Glut hatte einen trockenen Holzsplitter erreicht und als dieser hell aufflackerte, schrak El Muerte zusammen.

Das eintönige Geräusch seiner Tritte mußte ihm widerlich geworden sein, weil sie wie ebenso viele schreckliche Worte klangen, die in Wirklichkeit nur in seinem Gewissen laut wurden.

Vor dem Kamin blieb er stehen und teilnahmlos beobachtete er, wie die Flammen den Span verzehrten. Sein Gesicht schien bei der spärlichen Beleuchtung noch bleicher zu werden, und wie bei einer Maske, so zogen sich die schwarzen Brauen, ohne voneinander getrennt zu sein, von der einen Schläfe nach der andern hinüber.

»Wer ist der Knabe, der Juanitas Gesichtszüge trägt?« sprach er leise vor sich hin. »Seltsame Ähnlichkeit! Juan mit seinem Vater; mit seinem Vater, der zu meinem Unglück geboren wurde; und der fremde Knabe mit Juanita. Juanita ruht schon seit siebzehn Jahren auf dem Kirchhofe von Cuesta, ihren Säugling verzehrten die Flammen, denn ihre erstarrenden Arme waren leer: ich sehe sie noch vor mir, blutig und mit leeren Armen. – Und wäre das Kind gerettet worden, so könnte es dennoch dieser Knabe nicht sein; nein, es ist unmöglich, denn –«. Hier setzte er sich wieder in Bewegung, und in regelmäßigem Takt flüsterten seine Fußtritte durch das öde, unheimliche Gemach: »Eins – zwei – Ju–an–i–ta – ge–mor–det – eins – zwei – eins – zwei.« Der Span war verbrannt und nur die blauen Flämmchen waren zurückgeblieben.

Wie lange blaue Finger tanzten sie auf dem Aschenhügel, wie Finger, die den Arriero zu sich winkten.

»Eins – zwei – eins – zwei – ge–mor–det;« ein Stückchen Holz explodierte mit lautem Geräusch in dem verborgen glimmenden Gluthaufen und warf Asche und Funken weit umher. El Muerte stutzte; im nächsten Augenblick glitt aber schon wieder ein grimmiges Hohnlachen über seine leichenähnlichen Züge und seine Arme fester ineinander verschränkend, trat er dicht vor den Kamin und stierte in den spielenden Rauch.

»Wer brachte den Knaben, um mich zu martern?« fragte er heiser murmelnd, als ob die blauen Flämmchen ihm hätten Antwort erteilen sollen. »Der Majordomo tat es«, antwortete er selbst, als die Flämmchen störrisch schwiegen und ihm nur noch dringender zuwinkten. »Der Majordomo«, wiederholte er zähneknirschend, und seine Brauen bildeten eine dicke Falte über der scharfen Adlernase. »Der Majordomo! O, wäre er damals von dem Bären zerrissen worden! Warum aber wurde er nicht zerrissen? Wer rettete ihn? Juan rettete ihn! Juan, der Sohn Estevans, meines Verderbers; Juan, der erste Arriero Kaliforniens! Der Vater will sich durch den Sohn an mir rächen; ja, es ist sein Sohn, ich wußte es, als ich ihn zum ersten Male sah. O, hätte ich den Mut gehabt, mich seiner zu entledigen! Carajo! er befand sich oft genug in meiner Gewalt. – Ich schonte ihn, schonte ihn seiner Mutter wegen – schonte ihn, damit er den Majordomo rette und dieser den gespenstischen Knaben mir vor Augen führe – ha ha ha! Juanitas Augen, Juanitas Blick – Juan, der erste Arriero Kaliforniens und der fremde Majordomo, sie haben sich verschworen, mir ein schmachvolles Ende zu bereiten, mir, dem Träger eines alten, berühmten Namens. Sie sind meine Todfeinde«, sprach er mit lauterer Stimme und wildglühenden Augen. »Doch wir wollen sehen, wer triumphiert; im Sohne räche ich mich am Vater!« Und hastig nahm er den unterbrochenen Gang durch die Stube wieder auf.

»Eins – zwei – Rache – che – Mör–der – eins – zwei –;« niedriger flackerten die Flämmchen, und als ob sie das Vergebliche ihres Winkens und Lockens eingesehen hätten, verkroch sich eins nach dem andern in die gelbe Asche.

»Eins – zwei – eins – zwei – tri–um–phie–ren«; – finsterer wurde es in dem Gemach, doch El Muerte bemerkte es nicht; und wenn seine Lippen sich auch aufeinander preßten und seine Fäuste sich krampfhaft ballten in dem Takt, in dem seine Füße den Boden berührten, trat keine Veränderung ein.

»Eins – zwei – Mör–der – Gal–gen – stol–ze – Ah–nen« – da knurrten die Hunde, die so lange lautlos im verborgenen Winkel gelegen und die Bewegungen ihres Herrn mit mißtrauischen Blicken beobachtet hatten.

El Muerte stand still und lauschte. Er vernahm nichts, dagegen fiel ihm die Dunkelheit in seiner Umgebung auf.

Er trat ans Feuer und schürte die Glut, so daß sie statt des früheren bläulichen Lichtes jetzt ein rotes ausströmte.

Eben wollte er seinen Gang wieder fortsetzen, da klopfte es leise von außen an den Fensterladen, und da auf seine laute Frage, wer da sei, nur das Klopfen in derselben Weise wiederholt wurde, näherte er sich festen Schrittes der Tür und öffnete.

»Hu, wie unheimlich dunkel und kalt ist Eure Wohnung«, sagte Ramiro nach einer kurzen Begrüßung zu dem Arriero, an diesem vorbei und dem Kamin zuschreitend, wo er sogleich die letzten Holzüberreste zusammensuchte und über die bloßgelegten Kohlen auftürmte.

»Wer heißt Euch meine kalte und dunkle Wohnung aufsuchen?« fragte El Muerte höhnisch, sobald er die Tür wieder verriegelt hatte und neben Ramiro hingetreten war. »Für mich ist es nicht zu dunkel, nicht zu kalt. Wer die Annehmlichkeiten meines Hauses mit mir teilen will, der muß mit dem zufrieden sein, was ich ihm biete.«

»Nichts für ungut, Don Gonzalez«, versetzte Ramiro ebenfalls mit höhnischem Ausdruck. »Für den Zweck, zu dem ich komme, ist es warm und hell genug.«

»Ich sollte denken, es sei«, entgegnete El Muerte finster, zwei Holzsessel vor den Kamin rückend und, nachdem er Ramiro zum Sitzen aufgefordert, sich auf den einen niederlassend.

Eine Zeitlang saßen die beiden Verbündeten dann schweigend nebeneinander; sobald sie sich aber aus Ramiros Tabakskästchen jeder eine Zigarette gedreht und diese angeraucht hatten, nahm El Muerte das Wort.

»Ihr glaubt also«, begann er, »daß die übermütige Tochter des Rancheros, die doch schon mehrfach Eure Hand nicht nur ausgeschlagen, sondern auch offen ihren Widerwillen gegen Euch an den Tag gelegt hat, sich dennoch an Euern Hals werfen wird, wenn Ihr nur ihren festen Glauben an den hergelaufenen Deutschen erschüttert und die untrüglichen Beweise seiner Untreue vor ihr niederlegt?«

»Gewiß glaube ich das«, antwortete Ramiro bestimmt, »und was noch mehr ist, ich bin sogar überzeugt, Sanchez weist ihn aus dem Hause, wenn er sich auf diese Art beschimpft und seine langgehegten Pläne zu Wasser werden sieht. Der alte Narr, er hat sich nun einmal in den Kopf gesetzt, den hergelaufenen Deutschen zu seinem Schwiegersohne zu machen.«

»Woran er allerdings viel gescheidter handelte, als Euch das Mädchen und seinen Reichtum zu geben«, unterbrach El Muerte seinen Gefährten.

»Sprecht Ihr im Ernst?« fragte Ramiro tonlos.

»Ich spreche im Ernst«, erwiderte der Arriero grimmig; »ich spreche aber auch im Ernst, wenn ich sage, daß ich den Deutschen hasse, hasse aus dem tiefsten Grunde meiner Seele; hasse, weil er mir den Knaben – ich meine, weil er Juan, den ersten Arriero Kaliforniens, zu seinem Verbündeten erkoren hat; hasse, weil ich errate, daß er uns, Euch, mich und alle andern zu knechten gedenkt; ich spreche im Ernst, wenn ich sage, daß ich den Majordomo samt dem schwarzen Juan lieber im Grabe als über uns triumphieren sähe.«

»Den Knaben, sagt Ihr? Was hat Euch der Knabe getan, daß Ihr ihn mit unseren persönlichen Feinden zusammenwerft?« fragte Ramiro, indem er den Arriero scharf und mißtrauisch von der Seite beobachtete, denn die offenbar unwillkürliche Erwähnung Fernandos war ihm aufgefallen.

»Mille Carajo, Sennor!« rief El Muerte aufspringend, und seine Augen funkelten wild, »wer spricht von dem Kinde? Ich kenne es nicht, ich habe es nie gesehen, ich weiß nicht, wie es heißt, noch woher es kam; ich kannte nie einen Menschen, dem es ähnlich sieht.« –

»Ich kenne Euch ja nicht wieder«, unterbrach Ramiro den in Wut geratenen El Muerte, und er erhob sich ebenfalls, wie um gegen einen plötzlichen Angriff desselben gerüstet zu sein. »Was hat Euch in eine so gereizte Stimmung versetzt? Ich erlebte noch nie, daß Eure Ruhe Euch verließ.«

»Auch jetzt hat sie mich noch nicht verlassen«, versetzte El Muerte, seine Aufregung mühsam bekämpfend und sich wieder auf seinen Sessel niederlassend. »Wenn ich eines Knaben erwähnte, so meinte ich den schwarzen Juan. Der Gedanke an ihn ist es, der mich in Wut versetzte; der Gedanke an ihn und an den Majordomo. Doch seid Ihr gewiß, daß Euer Unternehmen nicht scheitert? Der Majordomo ist harmlos genug, um in die Falle zu gehen, der schwarze Juan dagegen ist scharfsichtig, er kann Eure Pläne erraten und durchkreuzen.«

»Ein Scheitern meiner Hoffnungen gehört allerdings nicht zu den Unmöglichkeiten,« erwiderte Ramiro sinnend, »aber wenn auch ein Plan mißglückt, so gibt es noch andere Auswege, um ans Ziel zu gelangen.«

»Und welches wäre der letzte Ausweg?«

»Der letzte wäre der schwierigste und könnte nur mit Eurer Beihilfe eingeschlagen werden, würde aber um so sicherer ans Ziel führen.«

»Meine Beihilfe?« fragte der Arriero so leise, daß Ramiro ihn kaum verstand.

»Ja, Eure Beihilfe«, versicherte Ramiro, »es würde dann einer Entführung gelten. Ihr wißt, es sind Feindseligkeiten zwischen den Vereinigten Staaten und den Bewohnern des Uthagebietes ausgebrochen, und die im Tal von San Bernardino angesiedelten Mormonen rüsten sich, um noch im Laufe dieses Winters an den großen Salzsee zu wandern. Sie würden uns mit Freuden gestatten, sie zu begleiten und unser Geheimnis bewahren; denn es ist ihnen sehr um Proselyten zu tun. Und liegen erst einige hundert Meilen Wüste zwischen uns dem Tal von San Bernardino, wer will uns dann noch finden?«

»Und der Majordomo und der schwarze Juan, bildet Ihr Euch ein, sie würden Eurer Spur nicht folgen?«

»Gerade hierzu wäre Eure Beihilfe notwendig«, versetzte Ramiro; »der Verdacht muß auf sie gelenkt werden, und wenn Ihr Euch ihrer entledigen wolltet, so würde sich gerade bei der Verfolgung vielleicht eine günstige Gelegenheit bieten.«

El Muerte war aufgestanden und schritt einige Male durch das Gemach. Seitdem aber die Flammen heller leuchteten und ein Zeuge anwesend war, hatten die Tritte ihren unheimlichen Klang verloren; eine Sprache lag wenigstens nicht mehr in ihnen.

Endlich blieb der Arriero wieder vor dem Kamin neben Ramiro stehen. Seine starren Züge hatten einen drohenden Ausdruck angenommen. »Meine Ruhe soll dann nicht weiter gestört werden, nachdem die, die ich hasse, aus meiner Umgebung verschwunden sind?« fragte er mit dumpfer, hohler Stimme, »und der Ranchero, der lieber seine ganze Habe verliert als sein Kind, wird er sich in die Umstände fügen?«

»Gerade weil er seine Tochter so liebt, wird er sie und ihren Gatten mit offenen Armen empfangen, wenn sie nach einigen Monaten zu ihm zurückkehren.«

»Aber der Knabe, der Knabe«, flüsterte El Muerte stöhnend vor sich hin, indem er wieder davonschritt.

»Macht ihn zu Eurem Diener«, versetzte Ramiro gleichgültig, »wenn sein Beschützer erst entfernt ist, dann wird sich kaum jemand finden, der sich seiner so warm annimmt. Ein ordentlicher Reiter wird ohnedies nie aus dem kraftlosen Kinde, das sie, wer weiß wo, aufgefunden haben. Auch Gold soll es besitzen; ich habe mir die Mühe noch nicht genommen, nach seiner Vergangenheit zu fragen. Der Bursche ist mir widerwärtig, denn nur des Majordomos wegen wird er hier verhätschelt.«

Der Umstand, daß El Muerte plötzlich stehen geblieben war, veranlaßte Ramiro, sich nach ihm umzuschauen und was er etwa noch zugunsten oder zum Nachteil Fernandos vorbringen wollte, das erstarb auf seinen Lippen, als er den Arriero von Entsetzen ergriffen, ein Bild des Schreckens und der Wut, wie versteinert auf derselben Stelle verharren sah.

»Mille Carajo«, stöhnte dieser endlich und die rechte Hand fuhr blitzschnell nach dem Messer in seinem Gurt. »Hütet Euch, Sennor!« fuhr er, seiner kaum noch mächtig, fort; »hütet Euch, mich zu verhöhnen! Der Knabe mit den gespenstischen Augen, was wollt Ihr damit sagen, daß Ihr ihn mir als Diener anpreist? Ich kenne ihn nicht, ich will ihn nicht kennen, ich gebrauche keine Diener und will allein sein! Ganz allein und mit niemand verkehren; nur in meiner Einsamkeit bin ich zufrieden!«

Als er die letzten Worte immer leiser und leiser sprach und endlich, wie vollständig abgespannt, das Haupt auf die Brust und die Arme an seinem Körper schlaff heruntersinken ließ, da wurde die Besorgnis und die Befremdung in Ramiros Zügen noch stärker. Er hielt den Arriero ohne Zweifel für wahnsinnig und wünschte daher, ihn zu besänftigen.

»Es ist ja aber noch gar nicht erwiesen, daß wir zu dem letzten Mittel unsere Zuflucht nehmen müssen«, begann er, nachdem er eine Weile auf den unheimlichen Gefährten hingestarrt hatte. »Fällt mir nur des Rancheros Tochter zu, so geht der Majordomo schon von selbst. Daß der schwarze Juan und der lange Amerikaner dann nicht mehr auf der Rancho bleiben sollen, dafür will ich schon sorgen. Mag letzterer sich immerhin Maria mitnehmen; es ist mir gleichgültig. Ich kam überhaupt nur zu Euch, um mir Euren Beistand zu sichern, auf den ich um so fester rechne, weil ich weiß, wie sehr Euch um die Entfernung des Majordomos und des schwarzen Juans zu tun ist.«

»Ja, sie müssen fort, fort, um mir nie wieder unter die Augen zu treten«, versetzte El Muerte, und als seien plötzlich alle Bedenklichkeiten und die abergläubische Furcht, die das Erscheinen Fernandos in ihm wachgerufen, von ihm gewichen, näherte er sich äußerlich ruhig wieder Ramiro. »Ja, sie müssen fort«, wiederholte er, »oder ich bin gezwungen, zu gehen.«

»Nein, Ihr bleibt«, entgegnete Ramiro dringend, denn er fürchtete, sein einziger Genosse, auf dessen Treue und zuverlässigen Beistand er rechnen durfte, würde seine Drohung wahr machen. »Ihr bleibt und führt ein solches Leben, wie es Euern Neigungen am meisten entspricht und einem Gonzalez geziemt.«

Bei der Erwähnung seines Namens richtete El Muerte sich etwas höher auf und ein gewisser Stolz leuchtete aus seinen tiefliegenden Augen. Gleich darauf hatte er aber schon wieder die finstere, in sich gekehrte Haltung angenommen. »Es ist abgemacht«, sagte er in seiner gewöhnlichen kalten Weise, »wo ich Euch helfen kann, da mögt Ihr auf mich zählen.«

So sprechend begab er sich mit dem sicheren Benehmen und Anstand eines Hidalgo an die Tür und schob die Riegel zurück, ein Zeichen, daß er die Zusammenkunft für beendigt betrachte.

Nach kurzem Abschiedsgruß eilte Ramiro der Rancho zu, während El Muerte seinen einsamen Spaziergang noch bis lange nach Mitternacht fortsetzte.

Draußen schauten die Sterne auf die in tiefe Schatten gehüllte Landschaft nieder, und über die dürre Ebene strich der erfrischende Seewind.

In der Hütte dagegen ließ sich der regelmäßige, gemessene Schritt El Muertes vernehmen; blaue Flämmchen tanzten und winkten wie Irrlichter über der gelben Asche und schmückten mit bläulichen Reflexen den Tisch, die Stühle, die Matratze, die schnarchenden Hunde und das starre, leichenähnliche Bild des Arrieros. Dieser aber achtete nicht auf das Unheimliche seiner Umgebung; brütend schritt er dahin; gleichmäßig wie der Pendel einer Wanduhr fielen seine leicht beschuhten Füße auf den mit knisterndem Sand bestreuten, festgestampften Lehmboden: »Eins – zwei – Ra-che – Stra-fe – Ah-nen – Mör-der – eins – zwei –« so klang es fort und fort. O, es war eine traurige, traurige Musik. –


Als Ramiro eine halbe Stunde später auf der Rancho eintraf, war die Tafel schon aufgehoben, aber zu Ehren der Gäste saß man länger als gewöhnlich in geselliger Unterhaltung beim Wein.

Es ging äußerst lebhaft zu; die Wirkung des feurigen Getränkes machte sich geltend, und alle fanden den größten Gefallen an der Gesellschaft der liebenswürdigen Fremden, die ein glücklicher Zufall, wie der Ranchero es ausdrücklich nannte, noch so spät daselbst hatte stranden lassen.

In demselben Augenblick, in dem Ramiro eintrat, sprang Don Sanchez mit seiner gewöhnlichen Leidenschaftlichkeit, die in der allgemeinen fröhlichen Stimmung noch reichere Nahrung erhalten hatte, auf und eilte ihm entgegen.

»Gut, daß Ihr kommt«, rief er, ihn bei der Hand fassend, aus, »wir glaubten bereits, auf Eure Gesellschaft Verzicht leisten: zu müssen, wobei Ihr natürlich am meisten verloren hättet!« und indem er an das obere Ende der Tafel trat, wo zwischen Inez und Maria eine junge Dame saß, die den beiden ersteren an Schönheit nichts nachgab, fuhr er in demselben Atem fort: »Edle Sennora, erlaubt, daß ich Euch meinen lieben Freund und Vetter Ramiro vorstelle; Ramiro, ich habe die Ehre – Caramba!« unterbrach der gesprächige Ranchero lachend seine Rede, indem er sich mit der Hand vor die Stirn schlug, »ich vergesse, daß ich selbst noch nicht die Ehre habe, Euern edlen Namen zu wissen. Sennor!« rief er dann mit einer etwas theatralischen Verbeugung, »es ist zwar nicht Sitte, bei Ausübung der Gastfreundschaft nach Namen zu fragen, aber wenn ich mich nicht täusche, werdet Ihr mir gern aus der Verlegenheit helfen, in die ich mich durch meinen Eifer gestürzt habe.«

»Mit Vergnügen!« erwiderte Toby Ring, der Theaterdirektor, nun ebenfalls aufspringend, und indem er sich mit Anstand gegen den Ranchero verbeugte, ließ er einen kalten Blick über Ramiro hinstreifen. »Ich muß um Verzeihung bitten, meine Damen und Herren, bis jetzt noch nicht mit unseren Namen vorgetreten zu sein; allein die ungebundene Gastfreundschaft, die uns hier zuteil wurde, hatte gerade dadurch, daß wir vollständig unbekannt blieben, etwas so überaus Wohltuendes und erinnerte so sehr an unsere zauberische Heimat im südlichen Spanien, daß ich gerne noch länger unter den phantastischen Eindrücken und den heimatlichen Gefühlen zugebracht hätte.«

»Wir wollen Eure Namen nicht wissen«, rief der eifrige Ranchero, indem er seinen Becher ergriff und sich gegen die fremde junge Dame so graziös verneigte, wie es seine korpulente Gestalt nur immer erlaubte; »doch Ihr werdet mir gestatten, diesen Becher auf Euer Wohl zu leeren und zugleich den Wunsch auszusprechen, daß die heimatlichen Gefühle, die mein Haus und die Meinigen bei Euch erweckt haben, bis ans Ende der Welt dauern mögen!«

»Meine Schwester, Donna Alienor Cristina del Jalapa!« unterbrach Toby Ring den vorgeschlagenen Toast, indem er auf die vor Entzücken strahlende Tänzerin wies; »und meine Wenigkeit nennt sich Tobias Alarico Ring del Jalapa!«

» Muchas gracias, Sennor!« rief Sanchez höflich aus, nachdem alle, die sich bei der Zeremonie des Vorstellens erhoben hatten, ihre Plätze wieder eingenommen; »Caramba! einen englischen Lord hätte ich in Euch vermutet und keinen Kastilianer!«

»Ihr seid nicht der erste, mein edler Gastfreund«, entgegnete Toby Ring, »nicht der erste, der in meiner Sprache das Idiom der Spanier vermißt und in meinem Typus den Briten erkennt. Es paßt aber beides auf mich. Meine Mutter war eine Engländerin, mein Vater dagegen ein so vollblütiger Kastilianer, wie nur je einer das Schwert für sein sonniges Vaterland zog. Da in Aussicht stand, daß die Lordswürde eines Onkels auf mich übergehen würde, so mußte ich neben dem Namen meines Vaters auch den meiner Mutter führen, und sogar meine Jugend im Hause meines kinderlosen Oheims im kalten England verleben. Meine Schwester dagegen verblieb unter der elterlichen Obhut und verließ erst vor einem Jahre ihre Heimat.

Als einzige Erben unserer zu früh dahingeschiedenen Eltern«, hier bebte Toby Rings Stimme vor wehmütiger Erregung und die Augen der engelgleichen Tänzerin füllten sich mit Tränen, »ja, unserer zu früh dahingeschiedenen, unvergeßlichen Eltern,« wiederholte er träumerisch, »waren wir gezwungen, uns nach der Havanna und von dort nach Kalifornien zu begeben, um nicht die Anrechte an uns zufallende, sehr umfangreiche Ländereien einzubüßen. – Es handelt sich hier, ich bitte, mir die Erwähnung dieses Umstandes nicht als Prahlerei auszulegen«, schaltete Toby mit gewinnender Bescheidenheit ein, »es handelte sich um den Wert von nahezu einer halben Million, die wir als ein uraltes Vermächtnis unserer Familie nicht verlieren wollten, obgleich uns auch ohne dieses noch immer ein gutes und reichliches Auskommen in England wie in Spanien geblieben wäre.

Unsere Geschäfte sind jetzt glücklich beendigt, die Besitztitel sind erneuert und teilweise verkauft, und wir befinden uns auf dem Wege nach San Diego, um uns dort, nachdem meine Schwester sich hinlänglich erholt hat, auf einem Panamadampfer einzuschiffen und die Heimreise nach Europa anzutreten.

Daß unsere Rückerinnerungen an Kalifornien aber noch fast im letzten Augenblick um ein so schönes Bild bereichert werden würden, das hätten wir nie geahnt«, hier folgte eine anmutige Verbeugung gegen die Gesellschaft, »und ich glaube unseren Gefühlen nicht besser Ausdruck geben zu können, als wenn ich diesen Becher auf das Wohl des geehrten Hausherrn und der liebenswürdigen Seinen leere.«

So lange Toby Ring sprach, herrschte ein lautloses Schweigen in der Halle. Auf den Zügen des Rancheros spiegelte sich eine unverkennbare Freude, so vornehme Gäste aus der Heimat seiner Vorfahren unter seinem Dache zu beherbergen, während Inez und Maria sich nicht scheuten, offen ihre Teilnahme an der Geschichte der so interessanten Europäer, und dazu noch Spanier, an den Tag zu legen.

Sidney ließ als echter Amerikaner seine bewundernden Blicke fest an dem Munde des jungen Mannes hängen, der mit so viel Gleichgültigkeit von Millionen zu sprechen verstand und in dem Maße, in dem dieser eine kurze Skizze der Vergangenheit vor ihm aufrollte, stieg seine Hochachtung vor den vermeintlich fabelhaft reichen Leuten.

Robert war der einzige, der nicht ganz frei von Zweifeln über Tobys Angaben war, aber wenn er auch manches in der Erzählung für übertrieben hielt, so konnte er doch nicht umhin, die beiden Geschwister als den höheren Ständen angehörig zu betrachten; und so frei von aller Eitelkeit war er nicht, daß es ihm nicht geschmeichelt hätte, die Augen der wunderbar schönen Spanierin oft und mit einem teilnahmvollen fragenden Ausdruck auf sich gerichtet zu sehen.

Als Ramiro in die Halle trat und sogleich nicht nur den Direktor Teofilo Policarpo y Salazar und die Tänzerin Donna Arabella, sondern auch den gelbhaarigen Irländer erkannte, der als Leibdiener des Direktors sich den Aufwärtern des Rancheros zugesellte, da fühlte er ein leises Beben, trotzdem er deren Besuch schon lange erwartet hatte.

Die kalte Höflichkeit der Sennora und die Förmlichkeit des Direktors, mit denen sie seine Begrüßung erwiderten, beruhigten ihn indessen sehr schnell wieder, und je länger er sie beobachtete, um so mehr schwanden die letzten Zweifel, daß er mit solchen Bundesgenossen auf guten Erfolg seines schlau ausgedachten Unternehmens rechnen dürfe.

Toby, sowie auch Finney, der das Urbild eines vierschrötigen, treu ergebenen, durch langjährige Dienste etwas familiär gewordenen irländischen Dieners zeigte, waren dagegen nicht so ruhig, wie sie äußerlich schienen. Die Gesichtszüge des Majordomo waren ihnen sehr bekannt und daher gefährlich vorgekommen; und die dadurch hervorgerufenen unbehaglichen Gefühle wurden noch dadurch erhöht, daß sie in Roberts forschenden Blicken vielleicht etwas von den Zweifeln entdeckten, die diesen unwillkürlich beschlichen.

Erst nachdem Toby Ring durch einige geschickte Wendungen im Gespräch Roberts vollen Namen erfahren hatte, er kannte ihn ja nur als »Majordomo«, und sich sogleich zusammenreimte, daß die Ähnlichkeit zwischen diesem und dessen Schwester, die er einst in St. Louis gemeinschaftlich mit Finney entführte, ihn irregeleitet habe, daß er aber mit dem Majordomo selbst nie persönlich zusammengetroffen sei, fühlte er wieder sicheren Boden unter seinen Füßen. Er ging sogar so weit, den ganzen Umstand von einer scherzhaften Seite aufzufassen. Er fragte nämlich Finney, der in einem Winkel mehrere schwere silberne Gefäße mit Kennermiene in der Hand wog, in freundlich herablassender Weise, ob ihm die Ähnlichkeit des Majordomos mit seiner Mutter nicht aufgefallen sei, was dieser natürlich auf überzeugende Art bejahte und durch einen etwas derben irländischen Fluch zum allgemeinen Ergötzen bekräftigte. –

Die ernste Stimmung, die durch Tobys Erzählung und die Tränen der engelgleichen Spanierin hervorgerufen worden war, schwand fast augenblicklich, als der vermeintliche Lord den silbernen Pokal hob und die Gesundheit des wohlgefällig schmunzelnden Ranchero ausbrachte, worauf an die Stelle des Ernstes eine so frohe, geräuschvolle Laune trat, wie es in einer von steifer Etikette erst wenig berührten alten kalifornischen Familie nur immer möglich war.

Die Tänzerin hatte den Majordomo in die Unterhaltung zu ziehen gewußt und indem sie immer wieder auf Europa zu sprechen kam und in der Beschreibung ihrer Sehnsucht nach der Heimat eine nachhallende Saite in Roberts Brust anschlug, fesselte sie ihn so sehr und raubte ihm dabei so gewandt jede Gelegenheit, ihr zu entschlüpfen und sich Inez zuzuwenden, daß diese ihren Unmut darüber kaum zu verbergen wußte und sich dafür an Ramiro gleichsam schadlos zu halten suchte.

Ja, Ramiro, den sie aus dem tiefsten Grunde ihres Herzens verachtete und haßte, Ramiro, den sie als einen schwarzen Verbrecher kannte, er war ihr an diesem Abend willkommen. Sie hatte ihm einen Platz an ihrer Seite eingeräumt, und während die ersten Stacheln der Eifersucht und des verletzten Stolzes in ihre Brust drangen, trug sie eine so ungewöhnliche, aber erheuchelte Teilnahme für ihren Vetter zur Schau, daß dieser, innerlich triumphierend, ein Scheitern seiner hinterlistigen Pläne kaum noch für möglich hielt.

Der Majordomo dagegen hatte keine Ahnung von dem Unrecht, das er wieder in den Augen der Geliebten beging. Daß sie, die er über alles liebte und verehrte und die auch für ihn mehr als eine flüchtige Teilnahme hatte durchblicken lassen, den geringsten Zweifel an seiner unerschütterlichen Treue hegen und sogar sich einer unbegründeten Eifersucht hingeben könne, zu einer solchen Annahme hatte er keine gerechtfertigte Veranlassung. Er betrachtete noch immer als seine heiligste Lebensaufgabe das erst zu erringen, was er, freilich, ohne es zu wissen, schon im vollsten Maße besaß, nämlich die Liebe der jungfräulichen, mit so viel äußeren und inneren Vorzügen begabten Inez.

Hätte er geahnt, zu wieviel Dank er ihr verpflichtet sei, er würde den oft und schnell wechselnden Ausdruck ihres schönen Antlitzes ganz anders gedeutet haben. –

Sidney war an diesem Abend wohl der einzige, der durch die Gegenwart der Fremden nicht beeinflußt wurde; denn als die Gesellschaft sich nach Mitternacht unter den freundschaftlichsten Versicherungen voneinander trennte, da erhielt er von Maria auf sein dringendes Flehen die lang und heiß ersehnte Antwort auf seinen Brief. –

»Ihr zürnt mir vielleicht«, sagte sie leise mit bebender Stimme, und wohl nur dadurch ermutigt, daß die Dunkelheit unter der Veranda ihr tiefes Erröten verbarg; »Ihr zürnt mir, daß ich bis jetzt noch keine Antwort auf Eure herzlich gemeinte Anfrage hatte,« und fast unbewußt legte sie ihre Hand zutraulich auf den Arm ihres vor Entzücken sprachlosen Gefährten. »Auch heute darf ich noch nicht entscheiden, – laßt mich nur aussprechen«, flüsterte sie dringend, als Sidney eine Bewegung machte, wie um sich traurig zu entfernen; »nein, geht nicht von mir, ehe Ihr mich zu Ende gehört habt. Ihr besitzt ein offenes, redliches Herz und ich weiß, Ihr werdet meinen Ansichten, ich sage mehr, meinen Wünschen entgegenkommen. – Ihr habt mir den größten Beweis Eures Vertrauens gegeben, empfangt nun auch die Beweise, in wie hohem Grade ich Euer Vertrauen zu würdigen weiß.« – Hier schwieg sie etwa eine Minute lang, um Mut für das zu fassen, was sie noch zu sagen hatte. »Ich bin eine arme Waise«, begann sie darauf zögernd, »ich bin eine arme Waise und hänge mit innigster Liebe und Dankbarkeit an denjenigen, die seit meiner frühesten Kindheit meine Wohltäter gewesen und mich nie den Mangel einer Heimat haben fühlen lassen. Inez steht mir näher, als mir eine Schwester zu stehen vermöchte; ich kann, ich darf mich nicht von ihr trennen, ehe meine Stelle bei ihr nicht durch einen Würdigeren ausgefüllt ist. Ich darf sie nicht verlassen; selbst dann nicht, wenn sie, ihrem Edelmut folgend, mir befehlen würde, von ihr zu gehen. Hört mich zu Ende«, fuhr das warmherzige Mädchen fort, und ihre zarten Finger glitten von Sidneys Arm auf seine unter der Berührung zuckende Hand, um ihn am Davonschreiten zu hindern. »Ihr müßt mich zu Ende hören«, wiederholte sie so dringend, so freundlich und tröstend, daß der junge Riese kaum noch seine Rührung niederzukämpfen vermochte. »Der Würdigere, der mich bei meiner Freundin ersetzen soll, ist gefunden, aber lange mag es noch dauern, ehe er es wagt, die eingebildete Schranke zu übersteigen, die ihn von ihr trennt.«

»Robert«, sagte Sidney kleinlaut, »ich wußte lange, daß er sie liebt, bezweifle aber ebensosehr wie er selbst, daß die stolze Tochter des Rancheros je einen deutschen Majordomo zum Gatten wählen wird.«

»Sie ist nicht stolz«, entgegnete Maria mit ungewöhnlicher Heftigkeit; »nein, sie ist nicht stolz, sie hat das Herz eines Engels und das Gemüt einer Heiligen. Sie ist nicht kurzsichtig wie die meisten Eurer Landsleute; unbefangen von Vorurteilen kümmert sie sich nicht um Nationalitäten, wie Ihr zu tun scheint.«

»Zürnt mir nicht«, versetzte Sidney, der nunmehr fühlte, daß er sich von seinem kindischen Nationalstolz unbewußt auf einen Abweg hatte lenken lassen, »zürnt mir nicht, teure Maria. Ich wollte nur die Kluft zwischen einer reichen, hochgestellten Kalifornierin und einem Majordomo andeuten. Ihr kennt meine treue Anhänglichkeit und Freundschaft für Robert; ja, glaubt mir, wäre er noch zehnmal mehr ein Deutscher, so würde ich ihn seiner Eigenschaften wegen als weit über mir stehend betrachten und mein Leben mit Freuden für ihn hingeben.«

Sidneys letzte Worte klangen so ernst, daß Maria inniges Mitleid mit ihm empfand und, noch näher zu ihm herantretend, wiederum seine Hand ergriff. »Ich wollte Euch nicht wehe tun, ich kenne ja Euer braves, aufrichtiges Herz und – und – ich freue mich ja über Eure – Euren Brief – ich meine über die gute Meinung, die Ihr von mir hegt. Damit Ihr aber nicht an mir zweifelt und die Gründe nicht unterschätzt, die mich veranlassen, Euch mit eurer entscheidenden Antwort auf spätere Zeiten zu verweisen, schenke ich Euch mein vollstes, unbedingtes Vertrauen. – Wenn also Robert die eingebildete Schranke, die ihn von seinem Ziele trennt, niedergebrochen und mich bei meiner Inez überflüssig gemacht hat, dann, ja dann mögt Ihr die in dem Briefe ausgedrückte Frage wieder an mich stellen, und ich verspreche, ich will Euch mit meiner Antwort nicht lange hinhalten.«

»Maria, teuerste Maria«, flehte Sidney und seine Stimme zitterte vor innerer Erregung, denn die verheißenden Andeutungen in des jungen Mädchens Worten schienen ihm noch immer nicht genügend, seine Zweifel zu beschwichtigen. »Warum erst dann eine Entscheidung, warum soll ich so lange zwischen Furcht und Hoffnung schweben? Gebt mir jetzt die Entscheidung, beseitigt die Qualen und die endlosen Zweifel, die mich stets bei Eurem Anblick martern. Entscheidet zum Guten oder zum Bösen und ich will ruhig harren und sei es bis zu meinem Tode, bis Ihr selbst wieder für angemessen haltet, auf meine Liebe zu Euch und meine vielleicht törichten Hoffnungen zurückzukommen.«

»Wohlan denn«, hob Maria nach kurzem Sinnen an und ein kaum bemerkbarer Druck ihrer kleinen Hand begleitete ihre Worte, »kann ich Euch damit eine Freude bereiten, so tue ich es gern und folge in der Tat nur meiner Neigung, indem ich deutlicher zu Euch spreche – an dem Tage also, an dem Don Roberto meiner geliebten Inez die Hand vor dem Altare reicht, will ich – lieber Sidney – will ich die Eurige werden – aber vorher nicht – und vorher – nichts mehr darüber.«

Obschon die letzten Worte so leise hingehaucht worden waren, als ob der sanfte Luftzug auf dem eingeschlossenen Hofe zwischen den zarten Blättchen der verspäteten einsamen Rosen geflüstert hätte, so übten sie auf Sidney doch einen mächtigen Eindruck aus.

Er erschrak förmlich, als er wirklich das hörte, was zu hören so lange der schönste Traum seines Lebens gewesen war; er schien das Übermaß seines Glückes nicht tragen zu können. Als er dann aus seiner kurzen Erstarrung erwachte und die Arme nach Maria ausstreckte, da war sie verschwunden. In seinem Herzen vibrierte aber noch lange der süße, innige Ton ihrer Stimme, mit dem sie sich ihm auf ewig zugesagt hatte.

»Jetzt will ich warten, jetzt kann ich warten«, sprach er vor sich hin, indem er sich stolz emporrichtete und dem Flügel, in dem er wohnte, zuschritt. »Weiß ich doch, wofür ich lebe, weiß ich doch, daß sie mir gehören will.« –

An Inez oder Robert, von deren Entscheidung für ihn ja so viel abhängen sollte, dachte er kein einziges Mal. Seine eigenen Hoffnungen und sein eigenes Glück beschäftigten ihn viel zu sehr. Aber alles an ihm, was noch der an phantastisch-romantischen Träumen so reichen Jugendzeit angehörte, das hatte er plötzlich abgestreift; er war wie durch Zauber ein Mann geworden; ein Mann mit dem redlichen Willen und den festen Vorsätzen, das sich selbst gesteckte Ziel in offener, ehrenhafter Weise zu erreichen. –

Als die schöne Fremde am folgenden Morgen ihr Pferd bestieg, um in ihres Bruders und des irländischen Dieners Begleitung Sanchez' gastliches Dach zu verlassen, da hatten sich wiederum alle Bewohner des Ranchos vor dem Hauptportal versammelt.

Inez, so oft sie sich unbemerkt glaubte, beobachtete Roberts Benehmen der Fremden gegenüber. Doch bittere Selbstvorwürfe bestürmten sie, als sie dessen ausgesucht höfliche, aber kalte Förmlichkeit gewahrte. Dabei entgingen ihr nicht die leidenschaftlichen Blicke Arabellas, die mit der unschuldvollsten Offenheit eines Kindes beständig die Augen des Majordomos suchten.

Als sie dann noch im Davonreiten einen von Küssen begleiteten Scheidegruß zurücksandte, Robert aber, den Gruß nicht auf sich beziehend, seine Haltung nicht änderte, da schickte Inez der Scheidenden ein mitleidiges Lächeln nach, und ein zufriedener, wohlgefälliger Blick streifte zu gleicher Zeit die männliche Gestalt des nichtsahnenden Majordomos.

Die Fremden verschwanden hinter den Weingärten und Hütten; die Bewohner des Ranchos gingen ihren verschiedenen Beschäftigungen nach und Robert und Sidney rüsteten sich zur Reise nach San Franzisko. Alle aber erinnerten sich freundlich mehr oder weniger des zufälligen Besuches.

Hätten sie aber gesehen, wie Toby Ring, Finney und Arabella, sobald sie sich unbeachtet wußten, in ein nicht enden wollendes Lachen ausbrachen, dann würden sie erschreckt zurückgebebt sein und weniger vertrauensvoll in die Zukunft geschaut haben.

Ja, die Fremden lachten und wünschten sich gegenseitig Glück zu dem vielversprechenden Unternehmen. Der Majordomo hatte sich zwar den verlockenden Blicken der Tänzerin gegenüber unverwundbar gezeigt. Dagegen bauten Toby und Arabella fest auf Inez' leicht erregbare Eifersucht, die ihren scharfen Blicken nicht entgangen war; während Finney mit einem wahren Enthusiasmus das schwere Silberzeug des Rancheros erwähnte und die Summen berechnete, die Robert von San Franzisko zurückbringen würde.


 << zurück weiter >>