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Fünfzehntes Kapitel.
Die Mission San Fernando

. Ungefähr dreißig englische Meilen in gerader Linie von der Küste des Stillen Ozeans, und zwei Meilen westlich von der San Bernardino-Bergkette, in der Breite von Pueblo de los Angeles, erhebt sich am östlichen Rande einer umfangreichen Ebene die Mission San Fernando.

Die kleineren Baulichkeiten und die massiven Einfriedigungen, die den geräumigen, mit einer schönen, jetzt aber trockenen Fontäne geschmückten Platz vor dem Hauptgebäude umgaben, liegen allerdings schon zum größten Teil in Trümmern, doch überall zeigen sich noch die unverkennbaren Spuren früheren Glanzes und Reichtums, Spuren, die fast im Widerspruch stehen zu der verhältnismäßig sehr kurzen Zeit, während der das Missionswesen in Kalifornien blühte Näheres über das Kalifornische Missionswesen siehe Möllhausen's Reisen in die Felsengebirge Nordamerikas I..

Obgleich die zahlreichen Anhäufungen von Schutt und die zerbröckelnden Mauerüberreste dem ganzen Bilde einen trüben, traurigen Charakter verleihen, so bietet das Hauptgebäude, der Wohnsitz des derzeitigen Besitzers, doch noch immer einen imposanten Anblick.

Es besteht aus einem langen, kolossalen, mit schwerfälliger Architektur verzierten Hause, vor dem sich eine Säulenhalle hinzieht, deren Bogen dem vorspringenden Dach als Stütze dienen. Diese mächtige Veranda gewährt den Bewohnern nicht nur im heißen Sommer einen schattigen Aufenthaltsort, sondern auch bei unfreundlichem Wetter einen geschützten Spazierweg.

Mauern wie Pfeiler sind von Adobes sehr stark und massiv aufgeführt, und erhalten durch den weißen Anstrich ein überaus freundliches Aussehen. An die Nordseite dieses Gebäudes schließen sich die von hohen Mauern umgebenen Höfe an, die jetzt, wie früher, den vielen häuslichen Arbeiten, die eine so große Besitzung erheischt, eingeräumt sind.

Eine kurze Strecke weiter zurück liegt die alte Missionskirche. Ihr Dach ist teilweise eingestürzt, die Fenster sind aus den Maueröffnungen verschwunden, die windschiefen Türen hängen trübselig in den verrosteten Angeln, und wo einst die frommen Mönche das Hochamt abhielten und andächtige Zuhörer, die größtenteils aus bekehrten Eingeborenen bestanden, im Staube knieten, da treiben jetzt langbärtige Ziegen ihre possierlichen Spiele.

Wie das Missionsgebäude stolz über Schutt und Trümmerhaufen emporragt, so erheben in den, durch zerfallene Mauern eingefriedigten Gärten, Palmen, Oliven- und Orangenbäume ihre Kronen anmutig über das niedrigere Buschwerk und schauen so lebensfrisch und grün auf die umfangreiche Ebene hinaus, als ob sie sich beim Anblick der wüstenähnlichen Fläche doppelt behaglich in ihrer Umgebung und auf dem künstlich bewässerten Boden fühlten.

So liegt diese Mission da, wie eine Oase in der Wüste, denn der Gedanke an eine solche drängt sich unwillkürlich auf beim Anblick der nackten, felsigen Gebirge, die sich im Hintergrunde auftürmen, wie auch beim Anblick der sandigen, ebenfalls von nackten Bergjochen eingerahmten Ebene, die sich nach allen Richtungen hin weit ausdehnt.

Die ganze Ebene ist aber nicht so abschreckend, wie man bei einem oberflächlichen Hinblick anzunehmen geneigt ist; das Talgebiet des Flüßchens weist in seiner Verlängerung kultivierte Felder und fette Weiden auf, und außerdem bieten auch die Winkel, die sich in die Gebirge hineinschieben, wenn sie durch Quellen gesegnet sind, den Menschen wie den Tieren alles, was zu einem Leben der Behaglichkeit erforderlich ist.

Wo Menschen sich aber noch nicht angesiedelt haben, um mit Sorgfalt ihre Herden zu pflegen und zu überwachen, da schwärmt das wilde Rindvieh fröhlich von Weide zu Weide, von Quelle zu Quelle, die nie eine halbe Tagereise voneinander entfernt sind.

Am meisten vermißt man in der Umgebung der Mission Waldungen, und meilenweit hat man zu reiten, ehe man einzelne Schluchten findet, in denen die Bäume noch nicht alle der Axt erlagen und sich noch in wunderliebliche, von Tieren mancher Art reich belebte Haine zusammendrängen.

Auf der Landstraße, die von Pueblo de los Angeles nach dem nördlichen Kalifornien führt, gelangt man, gleich hinter der Mission gegen Osten abbiegend, auf gleichmäßig ansteigendem Wege in ein zweites, langgerecktes Tal, das als eine Fortsetzung der zuerst erwähnten Niederung betrachtet werden kann, um so mehr, da der das Tal bewässernde Bach sich in der Ebene von San Fernando mit dem Los Angeles-Flüßchen vereinigt.

In dem nördlichen Winkel dieses Tales, also ungefähr vier englische Meilen von der Mission, an einer Stelle, wo die Straße in eine wilde, wenig wegsame Schlucht einbiegt, befindet sich die nächste lichte Waldung, aus der die Bewohner der Mission und der nächsten Ranchos jetzt noch vorzugsweise ihr Brennholz beziehen.

Trifft man nach einsamer Wanderung durch das Tal bei diesem Gehölz ein, so wird man überaus angenehm überrascht durch das rege Leben, das daselbst herrscht, und von lauter kleinen, harmlosen Tieren, den Eichhörnchen, prachtvoll gefiederten Spechten, munteren Drosseln, girrenden Turteltauben, Rebhühnern und kleinen Hasen erzeugt wird.

Diese harmlosen Tiere und Tierchen, die das Gehölz und die daran stoßende, von einem größtenteils trockenen Gießbach durchschnittene Schlucht bevölkern, nehmen dem Wanderer viel von dem Gefühl des Alleinseins in dieser Wildnis.

Wenn dieser Erdenwinkel aber auch nicht so entsprechend belebt wäre, so würden, nachdem man so lange die höhere Vegetation vermißte, die stattlichen Bäume allein schon genügen, die beängstigende Einsamkeit freundlich zu unterbrechen.

O, diese lieben, alten Bäume! Wie sie so ernst, so nachdenkend aussehen, mit ihrer grauen geborstenen Rinde, die an vielen Stellen eine so merkwürdige Ähnlichkeit mit greisen, gerunzelten Physiognomien trägt! Glaubt man doch hier zwei schalkhaft lächelnde, etwas schielende Augen zu erkennen, dort die mit weinerlichem Ausdruck heruntergezogenen Mundwinkel; an einer andern Stelle die vom vielen Sinnen in strenge Falten gelegte Stirn und die mit Laub geschmückten kahlen Schläfen, oder auch eine etwas eingedrückte Nase und darunter ein vorstehendes, mit lächerlichem Grübchen geschmücktes Kinn! Und die Äste und Zweige erst, wie die alten Stämme sie gleich Armen von sich strecken; bald horizontal, wie um den Weg zu weisen oder den Wanderer an die Brust zu schließen; bald mit befehlender Gebärde etwas nach unten gerichtet; bald nach oben, ähnlich einem trägen Schläfer, der sich behaglich reckt und dehnt, oder noch höher hinauf, wie jemand, der inbrünstig betet oder vor kindlicher Verwunderung die Hände über dem Kopfe zusammenschlägt! Ja, diese lieben, alten Bäume! Wenn sie nur sprechen könnten, was würden sie dann wohl alles erzählen! Viel, sehr viel müssen sie während ihres hundertjährigen Lebens schon gesehen und erfahren haben; und mancher, der jetzt kalt an ihnen vorüberschreitet, würde sich dann veranlaßt fühlen, in ihrem Schatten zu verweilen und ihren märchenhaften Berichten zu lauschen. –

In den Nachmittagsstunden des dritten Tages nach jenem Abend, an dem der Majordomo und seine Gefährten vom Uvaspaß aus noch einen bewundernden Blick über das in Dämmerung gehüllte Tularetal sandten, war das eben beschriebene Gehölz reicher belebt, als gewöhnlich. Nicht als ob eine geräuschvolle Karawane daselbst ihr Lager aufgeschlagen und mit den Schlägen der Axt oder dem Treiben des Zugviehes das Echo in den nahen Schluchten geweckt hätte; nein, das nicht. Aber es war reich, überreich belebt durch zwei menschliche Wesen, die eine so reizende Gruppe bildeten, daß die ernsten Gesichter auf der geborstenen Rinde der nahen Bäume ihre trüben, geschlitzten Augen, ihre verschobenen Mundwinkel und gerunzelten Wangen und Stirnen zu einem freundlichen Lächeln hätten verziehen mögen, wenn sie nicht eben so starr und steif gewesen wären.

Unter einer prachtvollen Eiche, die so hoch auf dem Bergabhange stand, daß man von dort aus ebensowohl das Tal zu überblicken, wie in die Schlucht hineinzuschauen vermochte, saßen Inez und Maria, die beiden unzertrennlichen Freundinnen.

Letztere hatte auf einem Felsblocke Platz genommen, während erstere auf dem dürren Rasen ruhte und sich so an einen andern Felsblock anlehnte, daß ihre Blicke in die Krone des Baumes gerichtet waren.

Drei gesattelte Pferde, die von einem wohlgekleideten Indianerburschen an langen Leinen gehalten wurden, verrieten, auf welche Weise sie in das kleine Gehölz gekommen waren. Was aber die beiden Mädchen allein, zwei Tagereisen weit von der heimatlichen Rancho fortgeführt hatte, das war damit immer noch nicht erklärt, wenn man auch wirklich die amazonenartige Kühnheit der Kalifornierinnen in Betracht zog, die sie nicht so leicht vor einem langen, mühevollen Ritt zurückschrecken ließ. –

Wäre man nun zu derselben Zeit unter die Veranda des Missionshauses getreten, wo der lebhafte Don Sanchez in gemütlicher Unterhaltung neben dem ebenso lebhaften Don Pico, dem Besitzer der Mission San Fernando, saß, sorglos eine Zigarette nach der andern anrauchte und dazu gelegentlich einen Becher des schweren kalifornischen Weines schlürfte, so würde man ganz richtig geschlossen haben, daß die Sennoritas in Begleitung des Rancheros die Reise nach der Mission unternommen hatten, bei Don Pico zum Besuche weilten und von dort aus kleine Ausflüge in die nächste Umgebung machten.

Die Gründe, weshalb die jungen Mädchen ihm so dringend zu der Reise geraten hatten, glaubte der Ranchero genau zu kennen, indem er wußte, daß der Weg der von San Franzisko Heimkehrenden an der Mission vorbeiführte. Auch hatte ihm ja Inez vertraut, daß Maria wegen eingegangener heiliger Verpflichtungen zu entschuldigen sei, wenn sie ihr Zusammentreffen mit Sidney zu beschleunigen wünsche. Er willigte um so lieber ein, seinen alten Freund Pico zu besuchen, weil er, da er über die letzten Ereignisse, namentlich aber über das geheimnisvolle Verschwinden Juans in Ungewißheit erhalten worden war, nicht bezweifelte, daß seine Tochter von ähnlichen Gefühlen wie Maria beseelt sei, und eine Vereinigung derselben mit dem gewissenhaften Majordomo, in dessen Händen er das Glück seines Kindes so vollständig gesichert hielt, schon zu seinen Lieblingsideen gehörte.

Daß Inez, auf einen bloßen Traum Juans hin, diesem ihr eigenes Pferd überlassen hatte, das sonst, außer ihr, niemand besteigen durfte, schien ihm noch mehr für eine baldige Verwirklichung seiner Wünsche zu sprechen, und wenn er auch alles mit Stillschweigen überging, so lebte er doch der festen Überzeugung, daß der Traum nur als Vorwand benutzt worden sei, um die von den Abwesenden eingegangenen Briefe durch einen sicheren Boten schnell und pünktlich, vor allen Dingen aber unerwartet zu beantworten.

Natürlich war es dagegen, daß er das, was seine Gedanken am meisten beschäftigte, auch zum Gegenstande der Unterhaltung mit seinem alten Freunde wählte, und gar muntere Bemerkungen flossen mit ein, denn die beiden würdigen Herren lachten zuweilen so herzlich, wie nur gute, wohlwollende Menschen zu lachen vermögen. Am meisten ergötzte sich Don Sanchez an dem Scharfsinn seines kinderlosen Freundes, der durchaus in den Zügen der jungen Mädchen Besorgnis, Liebeskummer und wer weiß was noch alles auf den ersten Blick herausgelesen haben wollte, und schließlich noch hinzufügte, wie heilsam es den beiden unbändigen Reiterinnen sein würde, unter den Einfluß eines ernsten Amerikaners und eines gewissenhaften ruhigen Deutschen zu kommen.

Ja, die alten Herren waren fröhlich und guter Dinge, und aus dem ganzen Verlauf ihrer Unterhaltung, wie aus ihren Mienen und ihrem Benehmen ging deutlich hervor, daß weder Kummer noch Sorgen, als höchstens über die anhaltende Dürre, ihre Herzen beschwerten und sie voller behaglicher Zuversicht in die Zukunft schauten. –

Anders stand es mit den beiden Mädchen. Die Fröhlichkeit, die sie in Gegenwart anderer Menschen zur Schau trugen, war nur erheuchelt und wich, sobald sie sich allein wußten, sehr schnell dem wahren Ausdruck ihrer Gefühle.

Die drei Pferde grasten und waren sehr wählerisch in der Wahl der Halme, die sie für würdig hielten, in ihre verwöhnten Gaumen zu führen; der Indianerbursche summte eine monotone Melodie vor sich hin; die beiden Sennoritas dagegen hatten ihre Blicke in die Krone des Baumes gerichtet, der seine noch in vollem, wenn auch schon teilweise verfärbten Blätterschmuck prangenden Zweige weit über sie hin ausbreitete.

Ein Specht, in dessen buntem Kleide das schönste Rosa mit grün schillerndem Schwarz und blendendem Weiß abwechselte, hatte sich an den Stamm festgeklammert, und zwar an einer Stelle, wo die Rinde so geborsten war, als wenn die alte Eiche sie wie einen abgetragenen Rock hätte abwerfen wollen.

Dort nun saß er und hämmerte, daß die Späne weit umherflogen. Die Nähe der ihn beobachtenden Mädchen störte ihn nicht. Zutraulich blickte er gelegentlich zu ihnen hinab, prüfte mit klugen Augen die runde Öffnung, die unter seinem starken Schnabel entstanden war, meißelte sie noch etwas regelmäßiger aus und tiefer in die korkige Rinde hinein, und als er sie dann seinen Zwecken entsprechend fand, stieß er einen zufriedenen, heiseren Schrei aus und flog davon.

Mechanisch folgten ihm die Augen der Mädchen. Sie sahen ihn sich unter einer andern nahen Eiche niederlassen und emsig nach irgend etwas suchen, und gleich darauf kehrte er mit einer gesunden reifen Eichel zurück, die sich so recht sauber und glatt aus ihrem kleinen Becher gelöst hatte.

Vorsichtig klammerte er sich bei der eben erst angefertigten Höhlung fest, stützte sich recht sicher auf seine steifen Schwanzfedern, schob die Eichel mit dem spitzen Ende in das Loch, und dann klopfte er auf das vorspringende Ende los, als wenn er den ganzen Baum mittels des kleinen runden Keils habe spalten wollen Ueber diesen merkwürdigen Specht siehe Möllh.'s Reise I..

Die faserige Rinde gab aber nach, und noch keine zwei Minuten waren nach der Ankunft des sinnigen Tierchens verstrichen, da saß die für den Winter bestimmte Eichel fest, so daß sie kaum noch über die Oberfläche der Rinde vorragte.

Die beiden Mädchen hatten sich immer mehr in das wunderbare Treiben des reizenden Geschöpfes vertieft. Dieses aber, sobald es seine Arbeit beendigt hatte, stieß wieder seinen zufriedenen, heiseren Schrei aus, in dem sich ein ganz deutliches »Gott sei Dank!« erkennen ließ, worauf es einige Male halb fliegend, halb kletternd um den Stamm herumhüpfte, wie um die Eicheln zu zählen, die es schon allmählich in der Rinde geborgen hatte.

Ja, manche Eichel saß schon in der korkigen Rinde fest, und gar seltsamen Ausdruck erhielten die runzeligen Physiognomien durch diese eigentümliche Zugabe. Sah es doch aus, als ob das schielende, weinerliche Auge eine Menge großer brauner Tränen vergieße, als ob eine häßliche Warze die eingedrückte Nase ziere und die gerunzelte Haut über und über mit riesenhaften Sommersprossen bedeckt sei.

Dergleichen kümmerte aber den Specht nicht weiter, die Verunzierung war ja ohne Absicht geschehen, er hüpfte vergnügt um den alten Stamm, wie auf einer Wendeltreppe, immer weiter abwärts, bis er sich so dicht bei den Mädchen befand, daß diese ihn fast mit der Hand erreichen konnten, und beide unwillkürlich den Atem anhielten, um den kleinen Gast nicht zu verscheuchen.

»Wer doch so leichten Herzens sein könnte, wie dieses Tierchen«, sagte Maria, als sie die Augen der Freundin mit ernstem, sinnendem Ausdruck auf sich gerichtet sah.

»Die heilige Jungfrau wird dir gnädig sein und ihn wohlbehalten zurückführen«, entgegnete Inez, ohne den Ausdruck ihrer lieblichen, aber ungewöhnlich bleichen Züge zu verändern; »und wenn er, auf den du deine ganze Hoffnung gesetzt hast, wieder bei dir ist, dann wirst du auch wieder leichten Herzens sein,« fügte sie nach einer kurzen Pause hinzu.

»Nie, gute Inez«, versetzte Maria eifrig, »nein, ich glaube, nie, nach den Erfahrungen, die wir in den letzten Tagen gemacht haben.«

Inez schwieg und blickte nachdenklich vor sich auf den Boden, während sie mit der Reitgerte die Spitze ihres kleinen Fußes zu treffen suchte.

»Maria, ich glaube, wir haben vorschnell gehandelt«, sagte sie endlich, indem sie ihre Brauen etwas zusammenzog.

»Vorschnell?« fragte Maria, und ihr kindliches Antlitz zeigte in vollem Maße die Verwunderung, die sie empfand.

»Ja, vorschnell und unüberlegt«, bekräftigte Inez noch immer mit unzufriedener Miene. »Ich hätte ihm den Brief ebensogut auf der Rancho einhändigen oder auch Juan mitgeben können.«

»Aber, wir wissen ja nicht, ob sie der Gefahr wirklich entronnen sind, sie sollten, gemäß ihrer Berichte, schon gestern auf der Mission eintreffen«, sagte Maria so zaghaft und schüchtern, als ob sie befürchtet hätte, durch diese Bemerkung ihre Freundin zu erzürnen oder zu verletzen.

Ihre Worte hatten aber eine ganz entgegengesetzte Wirkung, denn die Röte, die sich kurz vorher über Inez' sanft gerundeten Wangen ausgebreitet, wich schnell wieder zurück, und erschreckt der Freundin in die Augen blickend, entgegnete sie mit unverkennbarer Erregtheit:

»Möge Juan zur rechten Zeit eingetroffen sein und die gebenedeite Jungfrau sie vor Unglück bewahrt haben. Wie schrecklich, wenn unsere Hilfe zu spät gekommen wäre!«

Dieses wurde von Inez mit einer solchen Innigkeit gesprochen, und zugleich offenbarte sie so viel von ihrer tiefen Neigung und ihren wahren Gefühlen, daß Maria, indem sie sich die Begebenheiten der letzten Tage und deren Folgen vergegenwärtigte, nur noch mit Mühe die Tränen zurückzuhalten vermochte. Sie wußte nicht, was sie der Freundin, ohne ihr wehe zu tun, antworten sollte, als diese schon nach einer kurzen Pause mit derselben Innigkeit fortfuhr: »Und dennoch handelten wir recht, indem wir unseren Willen durchsetzten. Dich zu beruhigen, wäre allein schon Grund genug gewesen. Wie wird es Don Sidney beglücken, seine herzige Maria hier zu finden, und sogar noch voller Besorgnis um ihn?«

Als Inez so sprach, spielte ihr altes schelmisches Lächeln auf ihrem edlen Antlitz; allein letzteres war nicht frei von einem Anflug von Wehmut, die sie auch nicht weiter zu verbergen strebte, in Gegenwart von andern Personen aber sicherlich hinter einer undurchdringlichen Maske von Stolz zurückzudrängen verstanden hätte.

»Besorgnisse, die nicht unbegründet waren, oder Juan wäre wenigstens schon bei uns gewesen«, versetzte Maria innerlich bebend. »Und wer weiß«, fuhr sie mit wachsender Freimütigkeit fort, »auch er mag deinen Zorn nicht verdienen, und ein Irrtum die Veranlassung zu dem Briefe gewesen sein. Es ist dies um so wahrscheinlicher, weil sich die Spanierin samt ihrem Bruder bis jetzt noch nicht auf der Mission haben blicken lassen; und dann, meine geliebte Inez, wenn ein Unglück ihn ereilt hätte, du weißt, die Rettung war allein von der Ausdauer deines Pferdes abhängig.«

»Heilige Mutter Gottes, beschütze ihn«, flüsterte Inez kaum vernehmbar vor sich hin, und gleichzeitig entfloh die letzte Spur von Röte von ihren Wangen. Sie aber flammte schnell wieder auf, und indem sie ihre tiefen Augen voll enthusiastischen Feuers auf die Freundin richtete, sagte sie mit einer unbeschreiblich überzeugenden Einfachheit:

»Nur mein Pferd vermochte ihnen Rettung zu bringen; ich wußte es, oder ich hätte meinen Vater mit in das Geheimnis gezogen. Sie sind gerettet, wenn ihnen überhaupt Gefahr drohte; ich kenne ja mein treues Tier. O, seine Ausdauer und seine Schnelligkeit grenzen ans Unglaubliche. Sie sind gerettet worden, ich weiß es, ich fühle es und freue mich darüber, und aus meinen Augen soll er meine Freude lesen, wenn ich ihm den Brief von ihr einhändige; von ihr, die von allen auf Erden seinem Herzen am nächsten stehen muß.«

Eine Weile schwiegen beide.

»Lieber freilich wäre es mir gewesen«, nahm Inez endlich die Unterhaltung wieder auf, wobei sie träumerisch nach der Eiche hinaufblickte, an deren Stamm der fleißige Specht eben eine neue Eichel in ein frisch gebohrtes Loch hämmerte; »ja, viel lieber wäre es mir gewesen, ich hätte ihm auch die schöne Spanierin zuführen und mich an seinem Glück weiden können; doch sie ist nicht hier, – wer weiß, wo sie seiner Ankunft harrt, – sie hat keine Ahnung von der Gefahr, die ihm drohte – oder sie würde ihm entgegengeeilt sein. Aber Maria!« fuhr sie plötzlich mit einer solchen Heftigkeit empor, daß die Angeredete zusammenschreckte, »bei unserer Freundschaft, die fast so alt ist, wie wir selbst, beschwöre ich dich, was du ahnst, was du erraten hast und was du weißt, und du weißt zu viel, als daß ich dir gegenüber die Wahrheit noch ableugnen dürfte, es darf niemand – doch du verstehst mich,« fügte sie milder hinzu, der Freundin die Hand reichend; »vergiß aber auch nicht, daß ich nur deinetwegen zu der Reise zuredete, ich weiß überhaupt noch nicht, auf welche Weise wir ihm gegenüber unser Hiersein erklären sollen.«

»Wenn es erst so weit wäre!« seufzte Maria. »Denn auch heute werden sie noch nicht kommen; sieh nur, wie schnell die Sonne sinkt.«

»Ja, die Sonne sinkt und es ist Zeit, an die Heimkehr zu denken«, sagte Inez, indem sie sich erhob und einen ruhigen, klaren Blick in die Schlucht sandte. »Hoffentlich wird Juan dafür sorgen, daß sie auf der Mission vorsprechen. Ich trug es ihm ja ausdrücklich auf.«

Nachdem sie sodann den Indianerburschen mit den Pferden herbeigerufen, warf sie den roten Reboso nachlässig über ihre Schultern, und einige Minuten später führte der braune Diener die Pferde neben einen Felsblock, von dem aus die Mädchen mit Leichtigkeit in die Sättel gelangten.

Langsam bogen sie aus dem Gehölz in das Tal ein, und schlaff hielten sie die Zügel in der Hand, als die Pferde die nächste Richtung nach dem südlichen Talende verfolgten.

Die Atmosphäre war still, und still ritten die Freundinnen über den staubigen Boden dahin. Selbst der Indianerbursche, der ihnen in geringer Entfernung folgte, schien dem Einfluß der allgemeinen Stimmung unterworfen zu sein, indem er sich stumm verhielt und nicht, wie gewöhnlich, durch das Absingen monotoner Melodien seine Sorglosigkeit an den Tag legte. –

So hatten sie den größten Teil des Weges durch das Tal zurückgelegt, und noch immer war kein Wort gewechselt worden. Wahrscheinlich würden sie bis zu ihrer Ankunft auf der Mission schweigsam und in sich gekehrt geblieben sein, wenn das Benehmen der Pferde nicht plötzlich ihre Aufmerksamkeit erregt hätte.

Diese drückten nämlich mißtrauisch die Ohren nach vorn, und gleichzeitig stießen sie schnaubend die Luft durch die weitgespreizten Nüstern.

Die Reiterinnen zogen mechanisch die Zügel an und schauten um sich. Sie entdeckten indessen nichts, was das auffallende Wesen der Tiere gerechtfertigt hätte, und sie beeilten sich daher, den Gipfel einer vor ihnen liegenden Bodenanschwellung zu erreichen, die ihnen die weitere Aussicht nach vorn entzog.

Da sie ihre Pferde in Galopp gesetzt hatten, so war Inez ihrer Freundin etwas vorausgekommen und langte zuerst auf der Höhe an. Kaum aber vermochte sie einen Blick über die Bodenerhebung hinüberzuwerfen, so erhielt ihr Antlitz den Ausdruck großer Besorgnis, und gleichzeitig mäßigte sie bedächtig die Gangart ihres Pferdes, um Maria und den Indianerburschen zu erwarten.

»Heilige Mutter Gottes!« rief Maria erbleichend aus, sobald sie erkannte, um was es sich handelte. »Wildes Rindvieh!« fügte sie leise hinzu, indem sie ihr Pferd dicht an das von Inez herandrängte, wie um bei der Freundin Schutz zu suchen.

»Ja, wildes Rindvieh«, wiederholte Inez ruhig, denn sie hatte schnell ihre Geistesgegenwart wiedergewonnen. »Es grast aber ruhig, und wir mögen noch unbelästigt vorbeischlüpfen. Laßt uns langsam reiten und vermeidet, durch Blick oder Benehmen Furcht zu verraten. Diese herrenlosen Tiere sind von Natur nicht bösartig, aber die kleinste Bewegung kann von ihnen mißverstanden werden und sie zur schrecklichsten Wut reizen. Sogar grelle Farben – heilige Jungfrau! wie unvorsichtig wir waren! Maria, schnell fort mit dem Reboso und laß ihn nicht flattern, du siehst, einzelne Stiere heben schon die Köpfe empor und betrachten uns mißtrauisch.« So sprach Inez, indem sie ihr Pferd, das große Furcht verriet, beruhigte und den Reboso behutsam in ein Bündel zusammenrollte.

Die Lage, in der sich die Mädchen jetzt befanden, war in der Tat besorgniserregend.

Es war nämlich eine Herde wilden Rindviehs von mehreren hundert Mitgliedern aus der Ebene von San Fernando in das eben bezeichnete Tal eingedrungen und hatte sich, da sie nicht gestört worden war, grasend weit auseinander zerstreut und sich von dem westlichen Bergabhange aus, der zugleich den Paß nach der San Fernando-Ebene hin begrenzte, bis weit über die Straße hinaus ausgedehnt.

Als Inez die Herde gewahrte, glaubte sie noch Raum genug zu finden, vorbeizugelangen. Indem die kurz tretenden und heftig schnaubenden Pferde sie aber näher an die gefürchtete Stelle brachten, entdeckte sie, daß in einer, den Weg durchschneidenden Regenfurche immer mehr Rücken von Rindern auftauchten, die in der Vertiefung nach frischerem Grase suchten, teilweise auch ihre furchtbar bewaffneten Köpfe hoben und über das Ufer der Furche hinweg den Reisenden entgegenschauten. Die Herde bildete also einen großen Halbkreis, auf dessen Mitte die Reiterinnen sich zubewegten.

Schon als die Reiterinnen die grellfarbigen Rebosos von ihren Schultern entfernten, hatten einzelne Stiere und Rinder Zeichen von großer Scheu gegeben, die eben nur eines Anstoßes bedurfte, um entweder in wilde Flucht oder in blinde Wut und darauf in einen allgemeinen Angriff auszuarten. Schienen sie auch zu Anfang noch zur Flucht hinneigen zu wollen, so beseitigte das ängstliche Schnauben der Pferde allmählich den letzten Rest von Scheu, und indem sie die Schweifbüschel emporrichteten, die Stiere aber dumpf brüllend mit Hörnern und Hufen den Boden aufpflügten, trat es immer deutlicher hervor, daß sie diejenigen, die sie in ihrer Ruhe gestört hatten, mit aufsteigendem Grimm beobachteten und schwerlich unangefochten zwischen sie durchziehen lassen würden.

Inez gewahrte die drohende Haltung der Tiere gespannt, aber doch mit einer an Tollkühnheit grenzenden Ruhe, während Maria vor Entsetzen zu allen Heiligen flehte und der indianische Diener dringend bat, umzukehren.

»Umkehren dürfen wir nur im äußersten Notfall«, versetzte Inez, halb zu Maria gewendet, die ihre Bitten mit denen des Indianerburschen zu vereinigen begann. »Du siehst, sie schwanken noch zwischen Furcht und Wut; unsere Umkehr, ja, unser bloßes Halten würde die ganze Herde auf einen Schlag hinter uns bringen; darum also vorwärts!«

Glühend vor Erregung setzte die kühne Kalifornierin dies ihrer Gefährtin auseinander. Ihre großen, dunklen Augen leuchteten in enthusiastischem Feuer, als wenn die Nähe der Gefahr ihren Mut gesteigert hätte. Die Oberlippe hatte sie trotzig emporgeworfen, so daß ihre Zähne hervorschimmerten, und indem sie die nächsten Tiere mit berechnenden Blicken betrachtete, sagte sie mit fester Stimme:

»Wenn ich dich und den Burschen nicht bei mir hätte, und ich befände mich auf dem Rücken meines edlen Renners, dann wollte ich meinen Weg schon zwischen ihnen durchbrechen, und wenn noch zehnmal so viel mir den Weg versperrten. Jetzt aber müssen wir vorsichtiger zu Werke gehen und ihnen die friedliche Seite abzugewinnen suchen. Doch ängstige dich nicht, ich bin ja bei dir«, fügte sie anmutig lächelnd hinzu; indem sie aber noch sprach, veränderte sich plötzlich die Szene vor ihr.

Ein panischer Schrecken hatte die abwärts weidenden Rinder ergriffen, und nachdem sie einige Male wild durcheinander gewirbelt waren, stürzten sie von den beiden Seiten nach der Mitte hin, als wenn sie von den dort weidenden Leitkühen und Stieren Verhaltungsregeln hätten einholen wollen. Diese dagegen hielten offenbar die Reisenden für die Ursache der in der Herde ausgebrochenen Unordnung, und den tollen Lauf derselben für einen plötzlichen Ausbruch von Wut, denn sie warfen die Köpfe dumpf brüllend empor und schritten den Mädchen langsam entgegen.

»Der Weg ist verlegt«, sagte Inez kaltblütig, sobald sie die Lücke in der lebendigen Kette sich schließen sah; »wir müssen zurück, wir müssen sie umgehen; aber haltet die Zügel kurz und laßt die Bewegungen der Pferde ruhig und gemessen sein.« Der von Entsetzen ergriffenen Maria und dem Indianer sodann das Beispiel gebend, wendete sie ihr Pferd auf derselben Stelle um und ritt zurück nach der kleinen Anhöhe hinauf.

Das Rindvieh folgte dumpf brüllend und sich dicht aneinander drängend in gleichem Schritt, aber, indem die Hintersten nachdrängten, vergrößerte sich die Wut und die Schnelligkeit der Vordersten, und als diese dann endlich in einen kurzen Trab verfielen, die Letzten des Zuges aber schon galoppierten, da ließ Inez ihrem ängstlich schnaubenden Pferde die Zügel schießen.

»Zurück nach dem Gehölz!« rief sie mit ihrer silberhellen Stimme aus, wobei sie ihre Reitgerte scharf auf Marias Pferd fallen ließ. »Gebraucht die Peitschen oder wir sind verloren!«

Kaum hatte Inez so gesprochen, so griffen die Pferde auch weit aus, wodurch der Zwischenraum zwischen ihnen und ihren plötzlich stutzenden Verfolgern um eine kurze Strecke vergrößert wurde. Sobald diese aber sahen, daß die vermeintliche Gefahr vor ihnen floh, setzten sie sich auch alle auf einen Schlag in Bewegung; der gemessene Schritt verwandelte sich wieder in Trab, der Trab schneller noch in den wildesten Lauf, und dahin ging es donnernd und tobend, daß der Erdboden zitterte und eine dichte Staubwolke in die stille Atmosphäre emporstieg.

Maria wagte nicht, zurückzuschauen und nur die Todesangst, mit der sie ihr Roß zur Eile trieb, verhinderte, daß sie sich dicht an Inez herandrängte. Diese dagegen schaute der Gefahr offen ins Auge. Bald auf die Staubwolke blickend, aus der ihr die gespreizten, niederwärts gesenkten Hörner entgegenstarrten, bald nach dem Gehölz hinüberspähend, schien sie die verschiedenen Entfernungen mit den Augen zu messen und zugleich zu berechnen, wie lange die Pferde wohl imstande sein würden, diesen schrecklichen Wettlauf, ohne Verminderung ihrer Eile, auszuhalten. Denn die in der Freiheit geborenen Rinder, die nie eine Fessel kennen gelernt hatten, waren flink und ausdauernd wie Hirsche, und es unterlag kaum noch einem Zweifel, daß sie die beschwerten Pferde, wenn diese auch nur leichte Lasten trugen, zuletzt doch überholen mußten, um so mehr, da diese weniger schnell als kräftig waren.

Mehrfach glaubte sie bei ihren Verfolgern eine Verminderung der Eile wahrzunehmen; dies dauerte indes nur so lange, bis die Nachzügler auf die vorderen Reihen eindrängten, worauf alle wieder mit verdoppelter Wut nach vorn stürzten, wie um das kleine Versäumnis nachzuholen. –

Eine Meile mochten die Reiterinnen auf diese Weise zurückgelegt haben, und mehr noch als eine Meile trennte sie von den Bäumen, hinter denen sie Schutz zu finden hofften. Die Pferde keuchten. Bei ihnen wirkte die Furcht fast ebenso erschöpfend als die furchtbare Anstrengung. Die Rinder dagegen waren noch bei frischen Kräften, und wenn ein Leittier ermüdete, so waren gleich ein Dutzend andere bei der Hand, die seine Stelle einnahmen und sich bereit zeigten, die Jagd zu Ende zu führen.

Inez erwog alles; sie unterschätzte die Gefahr nicht, in der sie schwebten, und wenn auch die innere Erregung ihr das Blut in die Wangen trieb und diese gleichsam zu sprengen drohte, so bewahrte sie doch eine so auffallende äußere Ruhe, daß Maria vollständig dadurch getäuscht wurde und ihre Lage allmählich für minder hoffnungslos hielt, als sie in der Tat war.

Die heftigen Bewegungen der Pferde verhinderten sie, sich gegenseitig Mitteilungen zu machen, und nur zeitweise ließ Inez ihre helle Stimme erschallen, wenn sie zur Eile mahnte und Maria und den Indianerburschen anwies, wie sie sich nach ihrer Ankunft im Gehölz benehmen sollten.

Das Bewußtsein, daß die flinken Rinder ihnen Zoll für Zoll näher rückten, und die Verwirrung und Sehnsucht, mit denen die Flüchtlinge nach dem Gehölz hinüberschauten, ließ sie übersehen, daß in einer tief ausgewühlten Regenfurche, die von Westen her in weitem Bogen in die hinter dem Gehölz beginnende Schlucht mündete, mehrere Reiter mit aller Schnelligkeit, deren ihre Pferde nur fähig waren, ihnen entgegeneilten und möglichst nahe an sie heranzukommen trachteten.

Es war deutlich zu erkennen, daß sie die Aufmerksamkeit der Flüchtlinge zu erregen wünschten, zugleich sich aber auch hüteten, ihre eigenen Gestalten den erbitterten Rindern zu zeigen.

So donnerte die Jagd noch etwa eine Minute lang fort, während der die Herde den ohnehin schon sehr kurzen Raum zwischen sich und ihren Opfern um mindestens zehn Fuß verringerte und sich daher kaum noch dreißig Fuß weit hinter den Pferden befand.

Da erschallte plötzlich in schräger Richtung vor ihnen, aus der gegen hundert Ellen weit entfernten Regenfurche, ein schrilles indianisches Gellen zu den fliehenden Mädchen herüber, und fast gleichzeitig vernahmen sie ihre Namen, die mit dem Ausdruck wahrer Todesangst gerufen wurden.

Einem dunkeln Instinkt, der sie belehrte, daß es ihrer Rettung gelte, folgend, warf Inez ihr Pferd nach der Richtung herum, aus der der Ton menschlicher Stimmen zu ihr gedrungen war.

Maria und der Indianerbursche bedurften keiner Aufforderung, sich ihr anzuschließen, sie ritten ihr zur Seite, und obgleich dadurch, daß sie jetzt schräg vor der Herde hinflohen, diese, um sie zu erreichen, einen kleineren Raum zu durchmessen hatte, so wurde auf der andern Seite wieder deren Schnelligkeit gehemmt, weil diejenigen Mitglieder, die die Flüchtlinge so lange gerade vor sich gehabt hatten, ebenfalls die Richtung ihres Laufes änderten und auf diese Weise Unordnung in den ganzen Zug brachten. Genug, die Abweichung hatte sich nicht nachteilig erwiesen, und als sie eine halbe Minute später nahe genug an die Vertiefung herangelangt waren, um den Majordomo, Sidney, den schwarzen Juan und Fernando zu erkennen, da waren die nächsten Stiere noch immer zwanzig Fuß weit von ihnen entfernt.

Die Reiter in der Regenschlucht waren abgestiegen und so weit nach dem Ufer hinaufgeklettert, daß sie mit einem Sprung auf die Ebene gelangen konnten, und nur Fernando, dem sie in der Eile die Zügel zugeworfen hatten, stand noch unten und suchte die erschreckten Pferde zu beruhigen.

»Um Gottes willen hierher! Hinein in den Graben!« schrien Robert und Sidney, indem sie sich noch höher über den Uferrand erhoben und den Sennoritas die Arme entgegenreckten, als wenn sie dieselben mit Gewalt den Hufen der blindlings vorwärts stürzenden Rinder hätten entreißen wollen.

Inez stieß einen Freudenruf aus; ihre Gerte traf das Pferd mit voller Kraft, und in hohem Bogen setzte sie in die Schlucht hinab, während Maria und der Indianerbursche ihre Pferde an dem schroffen Uferabhange mehr hinuntergleiten ließen.

Kaum waren sie in Sicherheit, so sprangen Juan und Sidney nach der Ebene hinauf, und indem beide einige Male mit ihren Revolvern den andringenden Rindern entgegenschossen, erhoben sie ein so wildes, durchdringendes Geschrei, daß das Stampfen und Brüllen der Herde dadurch fast übertäubt wurde und die nächsten Stiere erschreckt stutzten.

Eine wilde Verwirrung entstand infolgedessen in dem Zuge, indem die vordersten Rinder rückwärts drängten, die hinter ihnen befindlichen aber die Reihe zu durchbrechen suchten. Einzelne wurden von beiden Seiten in den Graben hinabgestoßen, suchten aber, angesichts der Pferde, wieder das Ufer zu gewinnen; andere hatten sich umgekehrt und streiften mit ihren scharfen Hörnern, tiefe Wunden reißend, die vollen Seiten derer, die ihnen zunächst gegenüberstanden; wieder andere waren zu Boden gerannt worden und kämpften, ohnmächtig brüllend, gegen die Hufe ihrer Gefährten, und je mehr die Verwirrung in dem dichten Haufen zunahm, um so heftiger strengten der Arriero und Sidney ihre Lungen an, den Schall ihrer Stimmen hin und wieder mit einem Schuß begleitend.

Die Wut der Tiere hatte sich plötzlich in panischen Schrecken verwandelt. Die beiden Flügel der weit ausgedehnten Herde stürzten in wilder Flucht in der zuerst eingeschlagenen Richtung weiter fort, und da sie sich schnell von dem Mittelpunkte entfernten und immer mehr Rinder sich ihnen anschlossen, so erhielt der zusammengedrängte Haufen allmählich Luft, und endlich gelang es einem Stier, sich Bahn zu brechen.

Dem ersten folgten bald andere, und gleich darauf hatte sich die Herde geteilt und dröhnend galoppierten die Massen der entsetzten Rinder zu beiden Seiten der Schlucht an den geretteten Sennoritas vorbei.

Während nun Juan und Sidney vom Uferrande aus die Gefahr des Zerstampftwerdens ablenkten, war in dem Graben selbst eine andere Gefahr abgewendet worden, die, wenn auch scheinbar nicht so drohend, wie die auf der Ebene, doch nicht minder verderblich hätte werden können.

Als nämlich Inez die Freunde erkannte, leuchtete ihr auch im Augenblick ein, was dieselben bezweckten. Die Freude, sich und ihre Begleitung gerettet zu wissen, preßte ihr den Jubelruf aus. Sie vergaß, daß sie nicht ihren eigenen erprobten Renner unter sich hatte, der, ihre Absicht verstehend, mit ihr in die Vertiefung hinabgesetzt wäre, und indem sie, vielleicht ebensoviel, um ihre Kunstfertigkeit zu beweisen, als auch ihren ungebrochenen Mut an den Tag zu legen, ihr Pferd zu einer mächtigen Kraftäußerung zwang, glaubte dieses, daß ein Überspringen der Schlucht von ihm gefordert werde.

Bei der augenblicklich mangelnden Übereinstimmung im Willen zwischen Reiterin und Roß gelangte dieses natürlich ebensowenig nach dem jenseitigen Ufer hinüber, wie es in der Mitte des Grabens festen Fuß faßte. Dagegen erreichte es die Mitte des schroffen Uferabhanges, und zwar so unglücklich, daß weder die Vorderhufe den festen Uferrand, noch die Hinterhufe den sicheren Boden des Grabens trafen und es also fast aufrecht auf die Hinterfüße zu stehen kam.

Inez suchte wohl seinen Kopf und Vorderteil herumzuwerfen, allein das Erdreich war so nachgiebig, daß es nirgends einen entsprechenden Halt bot, und während das Pferd eine letzte Anstrengung machte, dennoch den Uferrand zu gewinnen, verlor es das Gleichgewicht, und nachdem es einige Male wild mit den Vorderfüßen in die Luft geschlagen hatte, stürzte es hintenüber.

Ein Schrei des Entsetzens entrang sich den Lippen Marias und Fernandos, als sie die kühne Reiterin in solcher Gefahr schweben sahen. Robert dagegen, der seit dem ersten Erscheinen der Geliebten kein Auge von ihr gewendet hatte, war so still, als habe der Schrecken ihm die Zunge gelähmt. Kaum verlor das Pferd aber das Gleichgewicht, da stand er schon links von der Stelle, wo es nach seiner Berechnung auf den Boden niederschlagen mußte, und seine Arme ausbreitend, fing er Inez auf, die mit seltener Geistesgegenwart das Knie aus der Gabel gehoben und, um nicht unter das Pferd zu geraten, sich seitwärts aus dem Sattel geworfen hatte.

siehe Bildunterschrift

Der Majordomo aber hielt die halbbetäubte Geliebte in seinen Armen, an seinem Herzen.

Das Pferd sprang schnell wieder empor; Maria und Fernando, als sie die Tochter des Rancheros gerettet sahen, verstummten, Juan und Sidney gellten hinter den flüchtigen Rindern her, der Majordomo aber hielt die halbbetäubte Geliebte in seinen Armen, an seinem Herzen. Zu sprechen vermochte er nicht; aber die Empfindungen, die ihn bestürmten und beseligend seine Sinne verwirrten, die sprachen sich in dem einzigen innigen Blick aus, den er tief in die seelenvollen Augen der zu ihm aufschauenden Inez senkte.


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