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Neunzehntes Kapitel.
Die Brieftasche

. Still und einsam lag Don Sanchez' Rancho da. Auch über den zu ihr gehörigen kleineren Gehöften und Hütten schwebte eine eigentümliche Ruhe, denn alle, die auf der Hazienda hatten entbehrt werden können, waren zum Stiergefecht gezogen. Nur vor dem Hauptportal des Herrenhauses kauerten und lagen einige Knechte träge umher, denen während der Abwesenheit der Herrschaft die Bewachung übertragen worden war.

Sorglos rauchten sie ihre Zigaretten, und da der Himmel sich bewölkt hatte, so bot die in Aussicht stehende Änderung des Wetters ihnen eine unerschöpfliche Quelle zur Unterhaltung.

Nicht weit von ihnen saß Fernando auf einem Gartenschemel. Das dichtgelockte Haupt hatte er über ein auf seinen Knien ruhendes Buch geneigt, aus dem er mit halblauter Stimme Wort für Wort langsam entzifferte und dann aussprach.

Er war noch immer der bildschöne Knabe von früher, allein wenn schon während der letzten Monate eine bedeutende Veränderung in seinem Äußern stattgefunden hatte, so war eine solche in den letzten Wochen doch noch viel auffallender gewesen, und der Ausdruck, der aus seinen jugendlichen, jetzt aber eingefallenen und mit hektischer Röte angehauchten Zügen ruhte, konnte wohl mit einem Zeichen des unerbittlichen Todes verglichen werden.

Der Knabe war deshalb aber nicht minder schön; im Gegenteil, man hätte ihn noch anziehender nennen können, weil sich zu der Bewunderung über die schwarzen, diamantklaren Augen und das vollendete Ebenmaß der Gesichtsformen noch eine innige Teilnahme gesellte, die man unwillkürlich bei der Wahrnehmung der äusseren Merkmale eines verborgenen Leidens empfand.

Er war, mit einem Wort, um mehrere Jahre gealtert, ohne dadurch den Schimmer unschuldvoller Jugend verloren zu haben; und wenn er seine Augen aufschlug und um sich schaute, dann sprachen aus ihnen ebensowohl die Gedanken und Gefühle eines verständigen, wißbegierigen Kindes, wie die eines überlegenden, gereiften Mannes.

So saß er also und las. Die übrige Welt schien für ihn gar nicht vorhanden zu sein, und drangen auch wirklich einzelne lautere Scherzworte der Knechte mitunter deutlicher bis zu ihm, so vernahm er sie nicht. Seine Gedanken waren mit dem Inhalt des Buches beschäftigt, und nur wenn er hin und wieder nach dem westlichen Himmel hinüberblickte, wo er hinter dem einfarbigen Wolkenschleier die Sonne vermutete, ließ sich erraten, daß auch noch andere Dinge seinen Geist erfüllten.

Ein Indianerbursche, der, aus dem Portal tretend, ihm in zutraulicher Weise mitteilte, daß das Mahl seiner harre, weckte ihn aus seinem Sinnen.

Fernando nickte dem braunen Koch freundlich zu und trat schnell ins Haus, während letzterer sich zu den Knechten hinbegab, um sich an ihrer lebhaften Unterhaltung zu beteiligen.

Noch keine zwei Minuten mochten seit dem Verschwinden Fernandos verflossen sein, da ritt hinter dem am weitesten entfernten Pferdestall El Muerte hervor und gerade auf die Knechte zu. Offenbar hatte er dort längere Zeit gehalten, und nur auf die Entfernung des Knaben, dem sich zu nähern er eine unüberwindliche Scheu hegte, gewartet, um sich in Verbindung mit den Knechten zu setzen.

Diese errieten kaum die Absicht des finsteren Arriero, als sie auch verstummten und seinen Befehlen mit schlecht verhehltem Widerwillen entgegensahen.

»Ehe die Herrschaften heimgekehrt sind, werdet Ihr Euch nicht von hier entfernen«, begann er, indem er, zum Zeichen seiner Geringschätzung der ihm Untergebenen, während er sprach, seine Blicke nach anderen Richtungen schweifen ließ. Sollte man nach mir fragen, so wißt Ihr, daß ich zu den Herden auf jener Seite der Hügel geritten bin, um anzuordnen, daß man sich beim Beginn des Regens aus den Niederungen zurückziehe.«

Die Knechte antworteten mit ihrem gewöhnlichen »Si Sennor«. El Muerte wendete sein Pferd und ritt davon, und längst befand er sich schon außerhalb der Hörweite, ehe die Knechte sich ihrer fröhlichen Laune wieder hingaben und, dem gefürchteten und zugleich verhaßten Arriero einige Flüche und Verwünschungen nachsendend, ihre alte leichtfertige Unterhaltung von neuem begannen.

Fernando hatte durch das Fenster alles bemerkt, was draußen vorgegangen war. Er war so erregt, daß er die für ihn hingestellten Speisen unangerührt ließ und bebend vor Spannung und Erwartung dem Arriero nachschaute. Als dieser endlich zwischen den Hütten und Weingärten verschwand, da eilte er auf den Hof hinaus, wo in einem Winkel eine bequeme Treppe nach dem flachen Dache der Veranda hinaufführte. In zwei Sprüngen war er oben, und rastlos irrten seine Augen dann so lange in der von El Muerte eingeschlagenen Richtung umher, bis sie endlich auf die in Dämmerung gehüllte Gestalt des Davonreitenden trafen.

Regungslos blickte er ihm nach; die Dämmerung verdichtete sich schnell, aber lange noch vermochten seine an Dunkelheit gewöhnten Augen den Arriero zu unterscheiden, wie er langsam und in sich gekehrt seinen Weg verfolgte. Als Fernando ihn endlich in der Ferne mit den nächtlichen Schatten verschwimmen sah, da eilte er eben so flüchtig, wie er hinaufgestiegen war, in den Hof hinunter, von wo er sich sogleich zu den Knechten bei dem Portal begab.

»Warum wollt Ihr hier länger verweilen?« hob er mit freundlicher Stimme an; »in Euern Hütten seid Ihr ja viel bequemer eingerichtet, und wenn wir das Portal schließen, so bedarf es keiner Schildwachen. Ich selbst lege mich nicht zum Schlafe nieder, sondern werde die Heimkehrenden erwarten.«

»Aber El Muerte?« fragte einer der Knechte, »er befahl uns, diesen Posten nicht zu verlassen.«

»Er ist nur besorgt um die Sicherheit des Hauses«, versetzte Fernando bebend, denn er befürchtete die Erfüllung seines Wunsches an der Hartnäckigkeit der Leute scheitern zu sehen; »hätte er geahnt, daß ich bereit bin, Euch die Arbeit des Wachens abzunehmen, so würde er selbst Euch heimgeschickt haben; und dann,« fuhr er in bittendem Tone fort, – »und dann ist es ja auch nicht weit bis zu Euch hin, – ich kann schießen – ein Schuß aus dem Fenster wird euch herbeirufen – geht, guten Leute, ich will für Euch wachen – die Nacht scheint rauh und kalt zu werden.« –

Der bittende, schüchterne Ton, in dem er zu ihnen sprach, mochte zu dem Herzen der rauhen Burschen gedrungen sein, wozu sich auch noch eine Art von Befriedigung gesellte, auf gerechtfertigte Weise den Befehlen El Muertes entgegenhandeln zu können. Genug, nach einigem Hin- und Herreden halfen sie dem Knaben das Portal schließen.

Nachdem sie ihm sodann nochmals anempfohlen hatten, sie nötigenfalls durch einen Schuß herbeizurufen, begaben sie sich, samt dem indianischen Koch, wohlgemut nach ihren Hütten, um sich dort für den Verlust des Genusses beim Schauspiel des Stiergefechtes, durch ein Glas Aguardiente zu entschädigen.

Als die Knechte sich entfernten, legte Fernando das Ohr an die schwere Tür und lauschte. Er lauschte noch, als die Tritte der Davonschreitenden längst verhallt waren und tiefe Stille ihn umgab, und erst nach einer längeren Pause schien er sich dessen zu entsinnen, was ihn eigentlich zu solch seltsamen Benehmen veranlaßt hatte.

Obschon auf dem Gange schwarze Finsternis herrschte, so verschmähte er es doch, die in einer Nische befindliche Lampe anzuzünden. Er schien mit den Augen nachtliebender Tiere ausgerüstet zu sein, denn ohne auch nur die Hände zum Tasten zu erheben, schlich er auf den Zehen nach der gegenüberliegenden Tür hinüber, und diese öffnend, trat er geräuschlos in die Halle hinaus. –

Der Mond war noch nicht aufgegangen, weshalb es im Schatten der Gebäude und der Überdachung nur wenig heller war, als in den innen abgeschlossenen Räumen. Fernando mußte aber seiner Sache vollkommen gewiß sein, denn er bog, sobald er sich außerhalb der Tür befand, sogleich nach der rechten Seite herum, und schritt so lange unter der Veranda hin, bis er an das Gemach der beiden Sennoritas gelangte.

Hier lauschte er wieder einige Minuten, während dem er mehrere Male die Hand auf den Drücker des Schlosses legte, sie aber schnell wieder zurückzog, als ob ihm der Mut gefehlt hätte, das zu Ende zu führen, was er begonnen hatte.

Endlich faßte er einen Entschluß. Er öffnete mit heftiger Bewegung die Tür, trat in das finstere Gemach ein, drückte das Schloß leise hinter sich zu und schlich dann nach dem Fenster hinüber, das nach dem freien Felde hinaus lag.

Auf einem Stuhl vor dem Fenster hingen die großen Rebosos der beiden jungen Mädchen. Diese ergriff er, und leicht nach dem Stuhl hinaufspringend, befestigte er sie übereinander so unterhalb der Gardinen, daß sie wie ein dichter undurchsichtiger Vorhang niederfielen, die verhältnismäßig kleinen Fenster weit über ihre Länge und Breite hinaus bedeckten und jeden Einblick von außen unmöglich machten.

Als er sich dann überzeugt hatte, daß die Vorhänge alle Fugen schlossen und sich nicht von selbst lösen konnten, trat er hastig bis in die Mitte des Gemachs zurück, wo er dann schnell ein Feuerzeug aus der Tasche zog, zuerst einen bereitgehaltenen Span und dann eins der beiden Lichter anzündete, die auf einem kleinen Schränkchen unterhalb eines großen Spiegels standen.

Indem er sich noch mit dieser Arbeit beschäftigte, schrak er heftig zusammen. Seine Blicke waren auf den Spiegel gefallen, und vor sich sah er ein bleiches Antlitz und zwei große schwermütige Augen, die ihn mit dem Ausdruck des Entsetzens anstarrten.

Sinnend betrachtete er das Bild, das der Spiegel so treulich zurückwarf.

Es war ihm, als müsse er selbst Mitleid für das bleiche leidende Antlitz und die wehmütigen Augen empfinden.

Er stieß einen tiefen Seufzer aus, und gleichzeitig füllten sich seine Augen mit Tränen, er wußte nicht warum. Schien es doch, als hätten die Quellen des herbsten Kummers sich in seiner Brust geöffnet, denn indem er sein Spiegelbild so bitterlich weinen sah, rollten immer neue Tränen über seine Wangen.

Plötzlich, wie aus einem Traum erwachend, trocknete er seine Augen, und das Licht ergreifend, schritt er langsam in dem Gemach herum, jeden einzelnen Gegenstand mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Teilnahme anschauend.

Vor einem sauber geschnitzten Kruzifix, das ein Kranz von Immortellen umgab, verweilte er länger, und andächtig schaute er auf das mit einer Dornenkrone geschmückte Haupt des Gekreuzigten. Da gewahrte er ein kleines verwelktes Blumensträußchen, das offenbar mit vieler Liebe und Vorsicht am Fuße des Kreuzes befestigt worden war. Er erkannte das Sträußchen wieder, denn er selbst hatte den Majordomo begleitet, als dieser im Gebirge die Blumen dazu pflückte und sorgsam mit heimbrachte.

Er streckte die Hand danach aus; als aber bei seiner Berührung einige Blätter abfielen, zog er die Hand schnell zurück. Nur noch einen einzigen innigen Blick warf er auf das Kruzifix; seine Lippen bewegten sich, als wenn er zu beten versucht hätte; und nachdem er sodann das Licht mitten in der Stube auf den Fußboden gestellt, schlich er leise durch eine Seitentür in das Schlafgemach der beiden jungen Mädchen, die Tür aber so weit offen lassend, daß ein schwacher Lichtstreifen die kleine Kammer dürftig erhellte.

Eine Viertelstunde verstrich; das Haus war still und öde, wie die zerfallenden Wohnungen untergegangener Geschlechter; das Licht stand noch da, wo Fernando es hingestellt hatte, aber die Flamme brannte unheimlich und düster, und knisternd zersprangen die kleinen runden Kohlen, die sich oben an dem schwarzen langen Docht bildeten.

Da wurde ein leises Geräusch im Schlafgemach vernehmlich; vorsichtige Schritte näherten sich der Tür, und über die Schwelle trat, schüchtern und bebend, Fernando. –

Ja, Fernando, und doch wieder nicht Fernando.

Wohl war es dasselbe leidende Gesicht, aber gerötet von innerer Aufregung; dieselben großen Gazellenaugen, aber schwimmend in feuchtem Glanze überströmender, ihm selbst unerklärlicher Gefühle; dieselbe schlanke, knabenhafte Gestalt, aber gehüllt in eine fremde Kleidung, gehüllt in die Alltagskleidung der Tochter des reichen Rancheros. –

Die ungeübten Hände hatten nicht verstanden, den Anzug genau nach den Regeln der Kunst zu ordnen; aber wie er so dastand, halb verwirrt, halb entsetzt über die eigene Kühnheit, und wie er nicht wußte, ob er noch weiter gehen oder sich zurückziehen solle, da hätte man sich kaum ein lieblicheres Bild verschämter Jungfräulichkeit denken können. –

War er sonst immer kleiner wie Inez erschienen, so zeigte er sich jetzt vollkommen so groß wie diese, und was dem Knaben kurz vorher noch den Charakter beängstigender Schwächlichkeit und unheilbarer Leiden verlieh, das stand jetzt im vollsten Einklange zu der anmutigen Gestalt.

Nachdem er einen Schritt in das Gemach hineingetan, stand er still; mit der rechten Hand hielt er auf der Brust einen grellfarbigen Schal zusammen, der Schultern und Hals fest umschloß, während er in der Linken eine alte lederne Brieftasche trug.

Zufällig befand er sich dem Spiegel gegenüber, und seine Verwirrung wich allmählich einem verschämten Lächeln; und wie vorher sein trauerndes Spiegelbild ihm Tränen entlockte, so schien er durch das Zurückstrahlen des eigenen Wohlgefallens immer mehr zur Heiterkeit gereizt zu werden. Er lächelte, aber es war wieder das Lächeln eines Kindes: unwillkürlich, instinktmäßig, ohne daß er imstande gewesen wäre, sich Rechenschaft darüber abzulegen.

Ein schmerzlicher Seufzer entrang sich seiner Brust. »Was habe ich verbrochen, daß ich nicht offen einhergehen darf, wie andere Menschen«, flüsterte er vor sich hin, und aufs neue drangen Tränen in seine Augen; »und doch, wer dürfte es mir verbieten?« unterbrach er plötzlich mit lauter Stimme seinen Ideengang, indem er sein lockiges Haupt unwillig schüttelte und sein Spiegelbild trotzig anstarrte.

In demselben Augenblick prallte er aber auch zurück; die erwachende leidenschaftliche Wildheit, die aus allen seinen Zügen sprühte, hatte ihn erschreckt, und zitternd vor Furcht trat er von dem Spiegel fort.

»Ich träume,« lispelte er leise vor sich hin, und sein Haupt neigte sich so tief auf die Brust, daß die schwarzen Locken schleierähnlich sein Antlitz verbargen, »ich träume so schön, warum sollte ich erwachen? Wie ist er freundlich und gut gegen mich, und so lange ich lebe, will er mich nicht verstoßen. Würde er mich aber auch noch in seiner Nähe dulden, wenn ich stets in solchen Kleidern ginge? Nein, nein«, fügte er hastig hinzu, und ein Schauder durchlief die zarte schmächtige Gestalt; »nein, ich will wieder träumen, träumen, so lange ich lebe, ach, und bei ihm bleiben können. Wie alle ihn lieben! und Sennora Inez? er nennt sie die Seinige, sie nennt ihn den Ihrigen, und sie sind so glücklich. Mich nennt er seinen guten Fernando; o, ich will damit ja zufrieden und glücklich sein. Sennora Inez aber ist ein Engel; sie ist die heilige Mutter Gottes, die mich in meinen schönen Träumen besucht, wie einst die heilige Jungfrau in der Kirche von Tuerto. Möchte ich doch aus diesem Traume nicht erwachen; ich will bleiben, was ich bis jetzt war: sein guter Fernando. – Nur heimlich, ganz heimlich, wenn mich niemand sieht, will ich erwachen und an meine Mutter und an meinen Vater denken. – Jemand sieht mich immer«, sagte er nach einer Pause, zu dem Kruzifix hinüberschauend; »ja, er, der für uns Menschen in den Tod gegangen ist«, und indem er vor das Kruzifix hintrat, faltete er seine Hände wie zum Gebet.

Sinnend betrachtete er das Gebilde. Da trafen seine Blicke wieder auf das verwelkte Sträußchen, und gleichzeitig streckten sich seine Hände danach aus. Behutsam nahm er die zerbrechlichen Blumen herunter, und befestigte sie auf seiner Brust.

Dann fielen seine Blicke auf die bronzene Stutzuhr, die mit regelmäßigem Ticken den gemessenen Gang der Zeiger begleitete.

Sie mahnte ihn zugleich, daß die Zeit enteile, und hastig trat er an das Schränkchen, auf dem er seine Brieftasche zurückgelassen hatte.

In den Spiegel schaute er nicht mehr, dagegen zog er einen Stuhl herbei, und sich auf diesen niederlassend, ergriff er die Brieftasche, die er lange in trüber, sinnender Weise prüfte.

Seine Hände zitterten, und obgleich die größte Spannung und Erwartung aus seinen Zügen sprach, so zögerte er doch, die Tasche zu öffnen und den Inhalt zu prüfen.

Die Uhr tickte, und neunmal fiel der kleine Hammer auf die silberhelle Glocke.

Fernando erschrak und zählte mechanisch die Schlüge.

»Drei Stunden nur noch bis Mitternacht,« seufzte er, »nur noch drei Stunden wachen, und dann wieder träumen. Träumen von ihm und von allen den guten, lieben Menschen; bis dahin aber noch –«

Er hatte die beiden Lichter dicht zu sich herangezogen, die Brieftasche geöffnet und ein Paketchen vergilbter, mit ausgeblaßter Schrift bedeckter Blätter hervorgeholt.

Die Papiere mußten nach Nummern geordnet und zu verschiedenen Zeiten geschrieben worden sein, denn als er sie flüchtig durchblätterte, zeigte es sich, daß einige besser erhalten waren, andere dagegen die untrüglichsten Spuren größeren Alters trugen. Namentlich waren es letztere, die ganz oben lagen.

Von diesen nahm er drei oder vier in die Hand, und nachdem er sich nochmals überzeugt hatte, daß sie die ältesten Nummern trugen, begann er den Inhalt des ersten Blattes mit eintöniger Stimme langsam und nach jeder Silbe pausierend vorzulesen.

Augenscheinlich war dies nicht das erstemal, daß er die mit unsicherer Hand niedergeschriebenen Schriftzüge las. Er hatte in der Tat schon manche Stunde, in der er sich unbeobachtet wußte, dem Entziffern der einzelnen Worte geopfert, und erst nach und nach, unter unsäglicher Mühe, war es ihm gelungen, den Inhalt der ersten Seiten zu erfahren. Dadurch aber, daß er jedesmal, wenn er sich der so schwierigen Arbeit hingab, stets von vorn zu lesen anfing, und das schon Bekannte wiederholte, ehe er zum Buchstabieren des Nachfolgenden überging, hatte er den Inhalt der ersten Blätter seinem Geiste so eingeprägt, daß ihm nichts mehr unverständlich blieb und die Fortsetzung ihm immer leichter wurde.

›Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für mich! Heiliger, dreieiniger Gott, vergib mir meine Sünden und nimm diese meine Worte gnädig als Buße auf – Guzman!‹ las Fernando, und ein Schauder durchrieselte seine schmächtige Gestalt, als er, bei der Nennung dieses, ihm erst durch die Schrift in seinen Händen kund gewordenen Namens, des alten Geizhalses gedachte, in dessen grauenhafter Gesellschaft er seine Jugendzeit verlebt hatte.

Nachdem er einen scheuen Blick durch das ganze Gemach geworfen, als ob er gefürchtet hätte, seinen alten Peiniger plötzlich vor sich erscheinen zu sehen, neigte er, wie um die Schreckbilder aus seiner aufgeregten Phantasie zu verscheuchen, das Haupt schnell wieder über die Schrift.

›Wenn Du dieses liesest, meine arme Tochter, dann weile ich nicht mehr unter den Lebenden,‹ las er dann weiter, ›wollte Gott, ich besäße den Mut, Dir schon bei meinen Lebzeiten alles zu entdecken, was Dich und Deine Geburt betrifft. Mögen die Heiligen mir vergeben, aber ich kann nicht, ich darf nicht. Ich will indessen an Dir zu sühnen suchen, was ich an Deinen armen Eltern verbrach. Ich will Dich reich machen; ich will Dich so hinstellen, daß Du meinem Andenken nicht fluchest.‹ Hier schlug Fernando das Blatt um, und nachdem seine Augen eine Zeitlang zwischen den undeutlichen Schriftzügen gesucht, fuhr er fort:

›Vergib mir, Juanita, mein Herzenskind, vergib mir, daß ich Dich so lange bei mir schmachten lasse. Ich kann mich nicht mehr von Dir trennen; denn Du bist das vergebende Abbild der Juanita, die ich willenlos verriet; der Juanita, die jetzt unter dem Rasen schlummert. Ja, Juanita Estevan, Du bist ein Kind, aber Du bist das volle Ebenbild Deiner Mutter und trägst ihren Namen. Ich half, Dich Deiner Eltern berauben, und raube Dir Deinen Namen. Vergib mir, Juanita, ich kann den Namen Deiner Mutter nicht laut aussprechen, aber den Namen Deines Vaters sollst Du erfahren. Du sollst Fernando Estevan sein, so lange ich lebe, jedoch als Juanita Estevan dieses Bergwerk verlassen. Gott segne Dich und vergebe mir meine Schuld.‹

Das erste Blatt war zu Ende. Juanita, wie wir sie jetzt nur noch nennen dürfen, legte es behutsam auf das Schränkchen, und aufblickend betrachtete sie ihr Bild im Spiegel. Die Farbe ihres zarten Gesichtes war noch bleicher geworden, so sehr hatte sie das bewegt, was sie freilich schon seit Wochen wußte, jetzt aber von neuem durchgelesen hatte.

»Wenn du dort meine Mutter wärest!« redete sie mit wehmütiger Stimme ihr Spiegelbild an. »Du sollst ja gerade so ausgesehen haben. Oh, wie schön mußt du gewesen sein«, fuhr sie in kindlicher Einfalt fort, ohne zu ahnen, daß sie sich gewissermaßen selbst bewunderte. »Und wie traurig schauen mich deine milden Augen an! Mutter, – Mutter – rufe mich doch nur ein einziges Mal – nur einmal sprich meinen Namen aus! Soll ich denn ewig der arme, verwaiste Knabe bleiben? Niemals den Namen hören, den du mir gabst? Ach, du weinst, du weinst über deine arme Tochter«, fügte sie schluchzend hinzu, jedoch keinen Blick von dem Spiegel wendend; »aber weine nicht, arme Mutter; sieh, ich will es ja für dich tun – Juanita! Juanita Estevan! Meine geliebte Tochter!« rief sie mit rührendem Ausdruck, und entsetzt fuhr sie zusammen, als wäre sie wirklich aus einer andern Welt gerufen worden. Der laute Ton der eigenen Stimme hatte sie erschreckt, und furchtsam blickte sie umher, wie in Erwartung, ihren Namen wiederholt zu hören.

Doch lautlose Stille herrschte in dem Gemach, die feurigen Briefe an den Lichtdochten knisterten, die Uhr tickte, und hörbar entwand sich der Atem der Brust der armen Dulderin.

»Sie schläft unter dem Rasen,« fuhr sie nach einer längern Pause wieder leise flüsternd fort, »und wer schläft, der träumt. Vielleicht träumt sie von ihrer Tochter, von ihrer armen Juanita. Oh, wenn ich doch auch unter dem kühlen Rasen läge! Ich wollte träumen so schön, so schön von meiner Mutter, von meinem Vater, von Don Roberto, auch von Inez, die ihn ja so sehr liebt. Ich würde ihm erscheinen in seinen Träumen, aber nicht als sein guter Fernando, nein, furchtlos als seine Juanita, die er dann nicht mehr verstoßen könnte, weil – weil – aber ich wache ja!« Mit schmerzlichem Ausdruck nahm sie das zweite Blatt von dem Paketchen, und es nahe an die zusammengerückten Lichter haltend, las sie weiter.

Offenbar hatte sie dieses Blatt noch nicht so oft gelesen wie das vorhergehende, denn die Pausen wurden zwischen Silben und Worten größer, und oftmals mußte sie, bei ihrer geringen Kenntnis der Schriftzeichen, buchstabieren, um den Sinn des Geschriebenen zu erraten. Hierzu gesellte sich noch, daß die Schrift, einige Jahre jünger als die auf dem ersten Papier, mit viel unsicherer Hand ausgeführt worden war.

›Zwei Jahre sind dahin‹, erklang ihre melodische, dabei aber doch monotone Stimme; ›zwei Jahre schwerer Arbeit; aber Fernando, mein guter Engel, die Arbeit war nicht vergebens. Ich habe schon etwas Gold für Dich angehäuft. Ich könnte Dich kleiden, wie das Kind der reichsten Sennora; doch wer sieht Dich in den dunklen Gängen des Bergwerks? Auch ich gehe in Lumpen. Man würde uns für reich halten, man würde uns nachspüren und uns berauben. Das Gold, an dem ich schon seit zwei Jahren arbeite und sammle, es würde in fremde Hände übergehen und wir würden wieder arm sein. Gehen wir immerhin barfuß und in Lumpen, mein armer Fernando; wenn ich nicht mehr bin, dann kannst Du in Sammet und Seide prangen; nein, nicht in Sammet und Seide; es wäre zu teuer! Das schöne Gold, es darf nicht vergeudet werden, ich arbeite zu schwer, um es zu gewinnen: ich kann nicht weiter – mein Kopf – die Navahoes – wann werde ich weiter schreiben? – mein Kopf –‹

Hier endigten die auf dem Blatt enthaltenen Nachrichten. Ein Anfall wahnsinniger Verwirrung, ursprünglich veranlaßt durch die qualvolle Operation des Skalpierens, aber aufs neue und schärfer hervorgerufen durch die lebhafte Erinnerung an längst vergangene, schreckliche Szenen, mußte den Schreiber bei seiner Arbeit überrascht haben, denn die letzten Worte waren immer größer und in weiteren Zwischenräumen voneinander geschrieben worden, bis sie zuletzt in vollständig unleserliche Striche und Figuren endigten.

»Armer Mann,« sagte Juanita seufzend, indem sie das Blatt zu dem ersten auf das Schränkchen legte und ein anderes ergriff, »er hat viel gelitten! Oh, warum teilte er mir nicht alles mit, wieviel anders könnte es sein!« Und traurig senkten sich ihre umflorten Augen auf die Schrift in ihrer Hand.

›Zwei Jahre und vier sind sechs Jahre, und heute starb die Ziege, die dich im zartesten Jugendalter nährte. Welch langer Zeitraum, und wie hat sich mein Gold gemehrt! Schneller noch wird es zunehmen von heute ab, denn zum ersten Male hast du mir heute den zeitraubenden Gang nach dem Städtchen abgenommen. Du wirst es immer tun können, und ich brauche meine Arbeit nicht mehr zu unterbrechen. Ich schreibe an Dich, Fernando, doch wann wirst Du meinen Brief lesen? Hoffentlich noch lange nicht, denn ich will noch lange leben, ich muß noch viel, viel Reichtümer für Dich gewinnen. – Du bist jetzt über sieben Jahre alt, Du sollst lesen lernen und schreiben, aber noch nicht gleich; es kostet zu viel Geld; später vielleicht, wenn ich mehr Schätze gesammelt habe. Welch Glück, daß Du Fernando und nicht mehr Juanita bist. Der arme, zerlumpte Knabe kann ohne Gefahr in die Stadt wandern; man wird Mitleid mit ihm haben, ihm Kleidungsstücke schenken und nicht zu viel für die Lebensmittel abfordern. Die aufblühende Jungfrau dagegen, sie würde die Augen der Männer auf sich ziehen. Man würde Dich von mir reißen und Deinen Untergang herbeiführen. Du bist zu schön, und die Schönheit bringt Verderben. Deine Mutter, deren Ebenbild Du bist, sie war auch schön, und sie starb, ein unschuldiges Opfer ihrer Schönheit! Gonzalez! Gonzalez! Teufel! Wohin hast Du mich gebracht?!‹

Das Blatt war zu Ende, Juanita ließ die Hände in den Schoß sinken und blickte sinnend auf den Fußboden.

»Gonzalez,« flüsterte sie wie träumend, »Gonzalez heißt der finstere Arriero. Gonzalez, El Muerte, der mich so haßt, daß er mich nicht ansehen mag. Was habe ich ihm getan? Es kann nicht derselbe sein, von dem der alte Mann hier schreibt. Ich werde es aber erfahren. Oh, wenn ich nur schneller zu lesen vermöchte! Doch ich werde es erfahren; und dann? Was hilft es? Ich bleibe sein guter Fernando, und meine arme Mutter ruht ja neben meinem Vater unter dem kühlen Rasen! Oh, ich ahnte, was die Brieftasche enthielt, als Don Roberto sie mir entreißen wollte. Welch Glück –«

Die Uhr schnarrte und zehn Schläge tat der Hammer auf die Glocke.

»Schon eine ganze Stunde ist dahin«, fuhr Juanita fort, indem sie hastig nach dem nächstfolgenden Blatt suchte.

›Lange, lange habe ich nicht mehr geschrieben, mein guter Fernando‹, las sie zitternd vor Aufregung weiter; ›so lange, daß ich das Schreiben fast verlernt habe. Ich hatte es ganz vergessen, und dann raubt das Schreiben auch Zeit. Später, wenn ich erst mehr Gold angehäuft habe, dann schreibe ich Dir alles ausführlich auf. Von Deinem Vater, von Deiner Mutter, von Gonzalez, von Manuel, von dem wilden Navahoe und von Deinem Bruder, den sie raubten. Dein Bruder war ein schöner brauner Knabe. Er muß schon ein Mann sein, wie Du eine Jungfrau bist; nein, Du bist für mich keine Jungfrau, und sollst es auch nicht für andere sein. Nein, Du bist mein Fernando.‹

Bis hierher mußte Juanita die Blätter schon früher durchgelesen haben; denn nachdem sie den Namen »Fernando« ausgesprochen, seufzte sie tief auf, und das Blatt noch dichter an die flimmernden Lichter haltend, begann sie mit allen Zeichen tödlicher Erwartung zu buchstabieren und die Worte dann einzeln auszusprechen.

»›Du bist mein Fernando‹«, wiederholte sie noch einmal, »und ich werde wohl ewig Fernando bleiben«, fügte sie sprechend hinzu, worauf sie wieder las: ›Deine Mutter schaut durch Deine Augen, und darum nannten sie Dich Juanita, und wenn er noch lebt, dann muß Dein Bruder, der kleine braune Juan – Juan –‹

siehe Bildunterschrift

Als Juanita die letzten Worte gelesen hatte, stockte ihr förmlich der Atem vor Aufregung.

Als Juanita die letzten Worte gelesen hatte, stockte ihr förmlich der Atem vor Aufregung, und krampfhaft knitterte sie das Papier, dessen Inhalt sie noch nicht ganz zu Ende gelesen, zwischen ihren gefalteten Händen zusammen.

»Der braune Juan«, sagte sie, verzweiflungsvoll ins Leere starrend, als ob sie dort eine Aufklärung der Geheimnisse zu finden gehofft hätte, die sich immer dichter um sie zusammenzogen und ihren Sinn zu verwirren drohten.

»Mein Bruder, der Sohn meiner Mutter, das Ebenbild meines Vaters – der braune Juan«, fuhr sie fort, indem sie ihren Geist aufs äußerste anstrengte, die auf sie einstürzenden Ahnungen und Vermutungen zu durchdringen und zu ordnen. »Der schwarze Juan, der liebe, freundliche Reisegefährte, der getreue Freund und Begleiter meines Beschützers, er wurde von den Navahoes lange gefangen gehalten. Sollten er und der braune Juan ein und dieselbe Person sein? Er weiß nicht, woher er stammt; nichts von seinen Eltern, als daß sie elendiglich ums Leben kamen; nichts von einer Schwester. Aber ich weiß, daß ich einen Bruder hatte, einen Bruder, braun, wie mein Vater war; einen Bruder, den die Navahoes raubten. Er ist es, ja, der schwarze Juan ist mein Bruder; ich bin seine Schwester, und er steht nicht so vereinsamt da, wie er stets sagt; nein, seine Schwester wird fortan nicht mehr von ihm weichen.«

Indem dergleichen Gedanken Juanita bestürmten, war sie aufgesprungen; doch das Entzücken, das aus allen ihren Zügen sprach, wurde schon im nächsten Augenblick wieder durch den Ausdruck des Entsetzens zurückgedrängt. An die Stelle der fieberhaften Röte trat Totenblässe, und die rechte Hand auf die schwer arbeitende Brust pressend, hauchte sie verzweiflungsvoll vor sich hin:

»Und dennoch darf der atme Juan es nicht wissen; auch für meinen Bruder darf ich nur der verwaiste Fernando sein; für ihn wie für alle andern. Was würde Don Roberto sagen? Er würde mich verstoßen; er, der mich zuerst ans Licht gezogen hat! O heilige Mutter Gottes, die du alle Menschen liebst, nimm dich meiner an, und erbarme dich des armen Juan, meines Bruders, laß ihn mich lieben, auch ohne zu wissen, daß ich seine Schwester bin!« –

Weiter vermochte Juanita nicht zu sprechen; sie war auf die Knie gesunken, ihre Hände hob sie flehend empor und heftiges Schluchzen erstickte ihre Stimme.

Ein schwerer Kampf tobte in ihrer Seele, der Kampf zwischen angeborener jungfräulicher Schamhaftigkeit und dem spät erwachenden Bewußtsein ihrer Lage; zwischen der stürmischen Liebe zu dem wiedergefundenen Bruder und der tiefen, ungeahnten Leidenschaft für den Majordomo, von dem sie getrennt zu werden fürchtete. Sie hoffte, sie wünschte ja weiter nichts, als beständig bei ihm zu bleiben, in seiner Nähe zu weilen. –

Welche Kämpfe ihr noch bevorstanden, das mochte ihre Seele wohl ahnen, denn lange lag sie auf den Knien, die Blicke wie im Gebet himmelwärts gekehrt.

Plötzlich überfiel sie ein heftiges Zittern, und indem sie emporsprang, ließ sie die entsetzten Blicke in dem Gemach umherirren, während sie mit vorgebeugtem Kopf bald nach dem Fenster, bald nach der Veranda hinüberlauschte.

Es war ihr, als ob mit einem weichen Gegenstande an den verhangenen Glasscheiben vorbeigerieben worden wäre, und indem sie sich anstrengte, die Veranlassung dieses Geräusches kennen zu lernen, entdeckten ihre scharfen Ohren den gedämpften Schritt eines Mannes, der unter der Veranda hinschlich und sich langsam dem Gemach, in dem sie sich befand, näherte.

Ihr erstes Gefühl war das des Entsetzens. Sie sah im Geiste den Majordomo in Begleitung der beiden Sennoritas bei sich eintreten, und ihre Verwirrung, ihre Scham und Verzweiflung über die mutmaßliche bevorstehende Entdeckung waren so groß, daß, hätte sich ein Abgrund in der Nähe befunden, sie sich ohne Zögern hineingestürzt haben würde, um nicht fremde Augen auf sich gerichtet zu sehen.

Indem die Schritte sich aber kaum hörbar näherten, fiel ihr ein, daß die heimkehrenden Freunde keinen Grund hätten, ihre Ankunft zu verheimlichen. Sie hatte außerdem kein Pferdegetrappel vernommen, und dann war ja auch das Portal verschlossen.

Ihre nächste Handlung war, die beiden Lichter auszulöschen; zugleich wurde sie aber auch inne, daß der Mond längst aufgegangen war und, obgleich hinter Wolken verborgen, ungewöhnliche Helligkeit auf dem Hofe verbreitete. Da glitt eine schwarze Gestalt an dem unter der Veranda liegenden Fenster vorüber der Tür zu, eine zweite folgte ebenso geheimnisvoll, und gleich darauf legte sich eine Hand auf den Drücker.

Juanita glaubte sich am Rande des Verderbens, und halb willenlos, halb Rettung von ihrer Bewegung hoffend, sank sie in dem Winkel, der nahe dem Fenster von dem Schränkchen und der Wand gebildet wurde, auf den Boden.

Kaum hatte sie sich in dem Schatten dicht an die Mauer geschmiegt, da öffnete sich auch schon leise die Tür. Sie vernahm noch die vorsichtig gemurmelten Worte: »Kein Irrtum – sie hier sein, Licht ausblasen«, dann aber entwich ihre letzte Kraft, ihre Sinne verwirrten sich, und einen tiefen Seufzer ausstoßend, ließ sie das Haupt auf die Schulter sinken.

Die furchtbare geistige Aufregung, in der sie sich so lange ununterbrochen befunden hatte, und die darausfolgende Todesangst waren zu viel für sie gewesen. Eine Ohnmacht hatte sich ihrer bemächtigt.


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