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Elftes Kapitel.
Die Botschaft

. Schafe – San Franzisko – verkauft – viele – Dollars –‹ las Inez laut. »Es bezieht sich auf die Herden und auf – auf Don Sidney«, fügte sie überrascht hinzu, und mit größerer Aufmerksamkeit las sie die darauffolgenden Worte.

›Heimat – Reise‹, hier fehlte offenbar ein verbindendes Wort, das der Chinese wahrscheinlich nicht in seinen Zeitungen vorgefunden hatte, denn erst nach mehrfachem Lesen gelang es den beiden Mädchen, die offengelassene Lücke zu ergänzen und den mutmaßlichen Sinn zu erraten.

›Heimat – Reise – Fluß – Tal – Mitte – Nacht – schlafen – Dollars –‹

»Auf der Heimreise folgen sie dem Fluß, natürlich dem Joaquinfluß, worauf sie in ein Tal gelangen, das kein anderes als das Tularetal ist«, sagte Inez, Maria fragend in die Augen schauend, um ihre Ansicht über die Auflösung der rätselhaften Botschaft zu vernehmen.

»Ganz dasselbe, was Juan sagte,« versetzte diese, »ein Irrtum ist also nicht möglich. Doch laß uns weiter sehen«, fügte sie mit wachsender Teilnahme hinzu.

›Tal – Mitte – Nacht – schlafen – Dollars – drei – Männer.‹

»Der Majordomo, Don Sidney und Fernando werden in der Mitte des Tales übernachten«, übersetzte Inez.

›Schlechte – Männer – Tod – schlagen – Dollars – lieben‹, las sie weiter.

»Heilige Mutter Gottes!« seufzte Maria, die Hände faltend, und das Entsetzen malte sich in ihren Zügen. »Sage, Inez, ist es glaublich, daß Menschen darauf ausgehen, sie des Geldes wegen zu ermorden?«

»Hier steht es«, antwortete Inez, äußerlich ruhig auf die aneinander geklebten Papierschnitzelchen weisend, wobei aber die letzte Farbe aus ihren Wangen wich. »Hier steht es, die Worte lassen gar keine andere Deutung zu: sie werden in der Mitte des Tularetales übernachten und dort von Landstreichern, an denen Kalifornien jetzt so reich ist, überfallen und des Geldes beraubt werden.«

Mit gepreßter, heiser klingender Stimme fuhr sie fort zu lesen:

›Männer – Flinten – Messer – Revolver – lauern – Woche – Männer.‹

»Bewaffnete Männer lauern auf sie«, unterbrach Maria angstvoll mit lauter Stimme ihre Freundin. »O Inez, o Inez, man wird sie ermorden, denn gutwillig geben sie das Geld nie heraus!«

»Laß mich zu Ende lesen«, versetzte Inez, ihre Lippen einen Augenblick zusammenpressend, wie um unbemerkt ihre schreckliche Aufregung niederzukämpfen. »Wer weiß, der Chinese kann sich aus irgendeinem kleinlichen, selbstsüchtigen Grunde einen albernen Scherz erlaubt haben.«

»Einen Scherz?« fragte Maria, und ein Schimmer von Hoffnung leuchtete aus ihren Augen, während sie die Hand der Freundin ergriff und verzweiflungsvoll preßte.

Inez antwortete nicht, sondern las weiter; sie wollte nicht bekräftigen, was sie selbst nicht glaubte.

›Lauern – Woche – Männer‹, »schon seit einer Woche lauern die Räuber«, übersetzte sie gleich darauf. »Was aber sollen diese schwarzen Striche bedeuten«, fuhr sie sinnend fort. »Halt! das wird die Anzahl der Räuber sein; also achtzehn Männer lauern schon seit einer Woche.«

›Wahrheit – Eidesformel – Zeit – retten – andern Weg.‹

»Der geheimnisvolle Warner will seine Aussagen durch einen Eid bekräftigen; sie können gerettet werden, wenn sie zur rechten Zeit einen andern Weg einschlagen«, erklärte Inez ohne aufzublicken, den Zusammenhang der einzelnen verhängnisvollen Begriffe, worauf sie schnell hintereinander die in der letzten Reihe befindlichen Schlußworte vorlas:

›Eile – nicht Zeitverlust – sehen – zeugen – Eidesformel – verraten – sterben –‹

»Entsetzlich!« flüsterte Inez, die Hände faltend und sich fast betäubt zurücklehnend. »Das letzte vermag ich nicht zu erraten, es sollen ohne Zweifel Wahrheitsbeteuerungen sein, und festzustehen scheint es, daß ihnen eine große Gefahr droht, die der Chinese aus irgendwelchen Gründen von ihnen abzuwenden wünscht.«

Beide Mädchen schwiegen jetzt längere Zeit, aus ihren Mienen und Bewegungen ging aber hervor, wie sehr ihre Gedanken sich mit denen beschäftigten, die sie betrafen.

Da stieß Maria plötzlich einen Angstruf aus und starrte ihre Freundin mit wilden Blicken an.

»Innerhalb acht Tagen, heute nicht mit gerechnet, wollen sie hier eintreffen; übermorgen abend spätestens also rasten sie in der Mitte des Tularetales! Inez, Inez, es gibt keine Möglichkeit mehr, sie zu retten!«

»Es gibt keine Möglichkeit mehr, sie zu retten«, wiederholte Inez wie im Traume, und ein bitteres Lächeln begleitete ihre Worte. »Es sei denn,« fuhr sie fort, und ihre Stimme erhielt einen leisen Anflug von Hohn, »daß wir den Aufenthaltsort der schönen Alienor wüßten, und diese, infolge unserer Mitteilung, ihnen zu Hilfe eilte!«

»Heilige Mutter Gottes! Wo sollen wir Donna Alienor finden?« fragte Maria schnell, denn da sie in ihrer Todesangst die Ironie in den Worten ihrer Freundin nicht verstand, so glaubte sie, dieselbe habe wirklich im Ernst gesprochen.

Inez lächelte noch immer geisterhaft vor sich hin.

»Was Alienor vermag, das vermag ich auch!« fuhr Maria nach einer kurzen Pause mit einer an ihr sonst nicht gewöhnlichen Energie fort, »ja, ich kann es, Inez, sage mir nur, auf welche Weise ich es zu beginnen habe!«

»Armes Kind«, flüsterte Inez so trostlos, so traurig, daß Maria sogleich wieder der Mut sank. »Wie wolltest du ihnen wohl helfen? Bedenke, es sind an zweihundert Meilen bis dorthin!«

»Dein Vater, er war immer gütig gegen mich, gegen Don Roberto und Sidney, er wird nicht dulden, daß man ihnen ein Leid antut; ich will es ihm sogleich mitteilen, er wird sie retten, und sollte es ihn doppelt so viel Gold und Pferde kosten, als die Räuber zu erbeuten gedenken. Oh, wenn nur der schwarze Juan noch bei ihnen gewesen wäre!« fügte sie, verzweiflungsvoll die Hände ringend, hinzu, als sie auf Inez' starren Zügen noch immer nicht das Aufdämmern eines glücklichen Gedankens entdeckte. »Dein Vater, ja dein Vater muß es vor allen Dingen wissen!« Und indem sie dies ausrief, sprang sie empor und eilte der Tür zu. –

Sobald Maria des schwarzen Juans erwähnte, schien neues Leben die Tochter des Rancheros zu durchströmen. Ein enthusiastisches, leidenschaftliches Feuer sprühte wieder aus ihren großen glänzenden Augen, und indem sie sich ebenfalls schnell erhob, zeigte sie, wie damals, als sie auf der Jagd die Pistole auf den wütenden Bären abfeuerte, das vollkommene Bild einer kühnen Amazone, die, im Bewußtsein ihrer ungebrochenen Kraft, bereit war, den Kampf gegen die Verhängnisse aufzunehmen.

»Maria!« rief sie der Davoneilenden nach, und ihre Gestalt nahm eine wahrhaft königliche Haltung an. »Maria, bleib! Ich weiß eine Möglichkeit, sie zu retten, doch auch diese letzte Möglichkeit schwindet, sobald außer dir und mir noch jemand darum weiß!«

Marias Blicke hafteten angstvoll an den Lippen, von denen sie die Entscheidung über Leben und Tod zu vernehmen erwartete.

»Niemand, selbst mein Vater darf nicht wissen, daß ich bei der Rettung beteiligt bin, wenn es überhaupt einer Rettung bedarf, was noch zweifelhaft ist; aber wir müssen das Unsrige tun«, sagte Inez endlich so bestimmt, daß die schüchterne Maria keinen Widerspruch mehr wagte. »Ich wiederhole dir nochmals, niemand darf eine Ahnung davon erhalten. Mein Vater? Was würde er tun? Er würde sich an die Spitze seiner Reiter stellen und ihm zu Hilfe eilen; er würde mit seiner Hilfe eintreffen, wenn es zu spät wäre. Sein Eifer würde ihn irre leiten, und seine aus wohlwollendem Herzen entspringende Leidenschaftlichkeit das Unheil noch beschleunigen. Oh, ich kenne meinen guten, liebreichen Vater; die Vorbereitungen, das Zusammenrufen der Leute, das Einfangen der Pferde würde die Nacht ausfüllen, und wer morgen in der Frühe aufbricht, der kann übermorgen abend die Mitte des Tularetales noch nicht erreicht haben. Nein, es wäre vergebliche Mühe; auch möchte ich meinem guten Vater die Besorgnis ersparen.«

»Aber was soll denn geschehen?« fragte Maria händeringend, als sie ihre Freundin nach den letzten Worten das Haupt auf die Brust neigen und sinnend verharren sah; »du sprichst von Eile und triffst dennoch keine Anstalten dazu!«

»Ist es uns nicht schon einmal geglückt?« fragte Inez emporschreckend, und ein heller Triumph verklärte ihr schönes, enthusiastisch gerötetes Antlitz. »Ist es uns einmal geglückt, wird es auch zum zweiten Male glücken. Frage mich jetzt aber nicht, sondern laß uns einen kurzen Spaziergang machen, um dein aufgeregtes Blut zu beruhigen. Wie du jetzt aussiehst, darfst du meinem Vater nicht unter die Augen treten, er würde mit Fragen in uns dringen und wir ihm kaum auszuweichen vermögen. Die größte Eile ist erforderlich, aber ich darf mich dabei nicht bloßstellen.«

Maria seufzte tief auf, ihr Vertrauen auf Inez war so fest, so unerschütterlich, daß kein Wort des Zweifels mehr über ihre Lippen kam und sie sich die größte Mühe gab, äußerlich ruhig zu erscheinen.

Arm in Arm wanderten sie hinaus in die Weingärten. Die Sonne war schon hinter den grauen Küstenhügeln in das ewige Weltmeer hinabgesunken, und schnell verwandelte sich die Dämmerung in Dunkelheit.

Die beiden jungen Mädchen wechselten nur wenige Worte miteinander, aber indem sie zu dem schimmernden Firmament emporblickten, wo auf prachtvoll gestirntem Grunde glänzende Meteore ihre Feuerlinien zogen, wurde alles, was sie fühlten, alles, was sie dachten, zum innigen, kindlich frommen Gebet.

Erst spät, als zum gemeinsamen Mahle gerufen wurde, traten sie zu Don Sanchez in die Eßhalle. Ramiro war nicht anwesend; niemand hatte ihn gesehen, noch wußte man sich zu erklären, was ihn veranlaßte, sich zu so ungewöhnlicher Stunde zu entfernen. Die beiden Freundinnen legten diesem Umstande indessen weiter keine Wichtigkeit bei, und starke Müdigkeit vorschützend, weilten sie nur so lange, bis sie sich, ohne Aufsehen zu erregen, zurückziehen konnten. –

Eine Stunde verrann; friedliche Ruhe umgab das stattliche Haus des Rancheros, wie die dürftige Hütte des Indianers, die dürre Ebene wie die stolzen Gipfel der nahen Gebirge.

Auch der schwarze Juan schlief. Er lag in seiner einfachen Hütte auf einer Decke vor dem glimmenden Kaminfeuer. Seine Hunde lagen neben ihm und hatten, wie um ihre Anhänglichkeit und Freude über die Heimkehr ihres Herrn an den Tag zu legen, die zottigen Köpfe von beiden Seiten auf seine Brust gelehnt. Lang und tief atmeten die getreuen Tiere; lang und tief atmete der von der Reise ermüdete Arriero.

Plötzlich hoben die Hunde die Köpfe empor und blickten mit gerunzelten Stirnen und nach vorn gespitzten Ohren nach der Tür. Der schwarze Juan regte sich, schlief aber weiter.

Einen verständigen Blick warfen die beiden Tiere auf das Gesicht ihres Herrn, dann wieder auf die Tür, worauf sie sich gegenseitig anschauten, wie um zu beratschlagen, ob es nötig sei, ihren Herrn zu wecken und ihn auf Fußtritte aufmerksam zu machen, die sich heimlich und verstohlen der Hütte näherten.

Wiederum wendeten sie die Augen der Tür zu, und indem sie die Spitzen der Ohren noch weiter vornüber bogen und die Köpfe auf die Seite neigten, trachteten sie sich über die Personen, von denen das Geräusch ausging, zu vergewissern.

Näher kamen die Tritte, jedoch so leise, daß eben die feinen Organe eines Hundes dazu gehörten, sie zu unterscheiden. Gerade dieser Umstand aber mußte ihr Mißtrauen verstärken, denn sie entblößten ihre langen Zähne, und indem sie einige Male mit der Zunge über die schwarzen, feuchten Nasen fuhren, stießen sie ein drohendes Knurren aus.

Der schwarze Juan regte sich wieder, ohne indessen zu erwachen. Die Hunde verstummten bei der Bewegung und schauten sich fragend nach ihm um. In demselben Augenblick erschallte an dem Fenster ein vorsichtiges Klopfen, und fast gleichzeitig sprangen die Tiere mit grimmigem Geheul auf die Tür zu, worauf Juan sich aufrichtete.

Dem Geheul folgte unmittelbar ein schwacher weiblicher Aufschrei. Er schien einen magischen Einfluß ebensowohl auf die Tiere, wie auf den Arriero auszuüben, denn während erstere freudig winselnd und mit den buschigen Schweifen wedelnd ihren Herrn gewissermaßen zur Eile trieben, stand dieser schnell auf und erreichte mit zwei Schritten die Tür, die er sogleich öffnete.

»Die heilige Jungfrau sei gepriesen, daß wir dich finden, guter Juan«, sagte Inez, die gefolgt von Maria in das Gemach trat; »laß nur die Hunde«, fügte sie hinzu, als der Arriero die zudringlichen Tiere zurückscheuchen wollte; »wir haben sie während deiner Abwesenheit selbst gut gepflegt, sie kennen uns und wollen nur ihre Dankbarkeit beweisen.«

Juan antwortete nicht, sprang aber an den Kamin, schürte die Kohlen, warf einige dürre Reiser auf die Glut, und als das Holz dann, Wärme verbreitend, hell aufflackerte, rückte er eine Bank herbei, worauf er die beiden Mädchen höflich ersuchte, niederzusitzen.

»Die Nacht ist kalt, edle Gebieterin,« sagte er, einen Schritt zurücktretend, »die Nacht ist kalt, und der schwere Tau hat Euch genäßt, ein helles Feuer ist alles, was ich zu bieten habe.«

Inez nickte als Antwort dankend mit dem Haupte und nahm auf der Bank Platz; Maria setzte sich an ihre Seite, und nachdem beide etwa eine Minute lang sinnend in die knisternden Flammen geschaut, nahm Inez wieder das Wort.

»Du kannst dir denken, guter Juan, daß, wie vor einem Jahre, auch heute eine überaus wichtige Angelegenheit mich zu so ungewöhnlicher Stunde zu dir treibt.«

»Ich wäre auf den ersten Wink zu Euch geeilt; die kalte Herbstnacht ist nicht für zarte Frühlingsblumen«, versetzte Juan, die mexikanische Höflichkeit mit der ihm eigentümlichen indianischen Redeweise verbindend.

»Ich weiß es, guter Juan, du bist ein treuer Diener und mein Freund. Mein spätes Kommen möge dir als Beweis dienen, daß ich auf deine Verschwiegenheit rechne; höre mir daher genau zu: Einst tatest du einen Wurf mit dem Lasso, wie noch nie jemand vor oder nach dir. Jetzt sollst du einen Ritt machen, wie ihn dir so leicht keiner nachmacht. Stille, stille«, sagte Inez dringend, jedoch mit festerer Stimme, als sie ihre Rede begonnen hatte, denn sie bemerkte, daß des Arrieros Augen in wildem Feuer leuchteten und er, trotz seines angeborenen Ernstes, im Begriff stand, sie mit den Versicherungen seiner Ergebenheit zu unterbrechen. »Laß mich zu Ende sprechen und beantworte mir genau meine Fragen: Ist in der Mitte des Tularetales eine Stelle, auf der die von Oberkalifornien kommenden Reiter zu rasten pflegen?«

»Auf der Westseite des großen Sees, hart an der undurchdringlichen Binsenwaldung, ist das Gras kurz von dem Boden genagt«, antwortete Juan bestimmt. »Die Tiere der Reisenden, die dort übernachteten, haben die trockene Erde in Staub verwandelt. Ich kenne die Stelle genau, ich berührte sie erst vor fünf Tagen.«

»Gut«, fuhr Inez fort; »wie lange gebrauchst du, um die Strecke bis dorthin zurückzulegen?«

»Es sind über zweihundert englische Meilen, Sennora, ein gutes Pferd, wenn es am Leben bleiben soll, gebraucht zweimal vierundzwanzig Stunden und zwölf.«

»Und wenn es nicht am Leben zu bleiben braucht?«

»Sennora!« versetzte der Arriero in vorwurfsvollem Tone.

siehe Bildunterschrift

»Es handelt sich um Leben und Tod, guter Juan,« entgegnete Inez ungeduldig, »sage, was ist nun deine Antwort?«

»Es handelt sich um Leben und Tod, guter Juan,« entgegnete Inez ungeduldig, »sage, was ist nun deine Antwort?«

»Nicht alle Pferde besitzen gleiche Ausdauer, und das meinige ist zu schwer und noch ermüdet von der Reise«, erwiderte Juan zögernd.

»Juan, mein eigenes Pferd ist von der edelsten Rasse und nächst dem meines Vaters das beste auf der Rancho. Sage, getraust du dir innerhalb sechsunddreißig Stunden über jene Stelle hinaus zu gelangen und unseren heimkehrenden Freunden eine Nachricht zu überbringen?«

»Sennora, ich bin imstande mit Euerm Pferde zu leisten, was Ihr verlangt, aber ich werde zu Fuß hierher zurückkehren. Die Wölfe des Tularetales werden des edlen Tieres Gebeine benagen«, antwortete der Arriero traurig.

»Ich wiederhole dir, Juan, es handelt sich um Leben und Tod, es handelt sich um den Untergang deiner, unserer Freunde. Das Leben eines Pferdes kann in einem solchen Falle nicht in Betracht gezogen werden. Willst du deine alten Reisegefährten retten? Es droht ihnen Gefahr, eine große, schreckliche Gefahr!«

»Sennora, ich werde zur bestimmten Stunde da sein, wohin Ihr mich sendet«, entgegnete Juan mit Nachdruck, und seine gedrungene Gestalt schien zu wachsen, indem er sich stolz aufrichtete.

»Gut, Juan, ich wußte, daß ich mich in dir nicht täuschte; aber kannst du auch deine Reise sogleich antreten, es sind erst Stunden verflossen seit du eintrafst?«

Der Arriero lächelte mit selbstbewußter Haltung. »Dort liegt meine Decke und dort mein Sattel,« sagte er, auf die genannten Gegenstände weisend, »ich verlange nur noch eine Flasche Wein und eine Flasche guten Kognak; erstere, um dem armen Tier die heiße Zunge zu netzen, letztere, um dessen dampfenden Rücken zu kühlen und zu waschen. Gebt mir beides, und nachdem ich mit Euch auf der Rancho eingetroffen bin, befinde ich mich innerhalb weniger Minuten unterwegs.«

»So komm, guter Juan, ich habe an alles gedacht; es steht für dich bereit, nicht weit von der Tür des Pferdestalles. Auch Lebensmittel für dich habe ich hinzugefügt, und für deine Hunde und dein Pferd soll während deiner Abwesenheit aufs beste gesorgt werden.«

»Ich gebrauche nur wenig, edle Sennora; ein Stückchen Brot und etwas Wein ist hinreichend für mich. Beschwert das arme Tier also nicht unnötig; ich würde alles Überflüssige doch schon nach der ersten Meile fortwerfen.«

So sprach der gewandte Reiter, indem er den Gurt um seine Hüften straffer zog, ein breites Messer und eine Drehpistole hineinschob, ein Täschchen mit Munition über die Schultern hing und dann seine Decke nebst Sattelzeug nach der Tür trug.

»Geht voran,« sagte er dann zu den beiden Freundinnen, »ich will nur das Feuer auslöschen und die Hunde auf das Dach schicken, von wo Ihr sie morgen abholen lassen könnt.«

Die Mädchen traten schweigend ins Freie und schlugen eiligst die Richtung nach der heimischen Rancho ein. Der Arriero dagegen stieß die flackernden Holzscheite auseinander und leerte einen Behälter voll Wasser über die sterbende Glut aus. Nachdem er sodann die Tür hinter sich verschlossen und den Hunden mittels der Leiter nach dem Dach hinaufgeholfen hatte, schwang er Sattel, Zaumzeug und Decke über die Schulter und eilte in die Dunkelheit hinaus, den beiden Mädchen nach.

Als die drei Wanderer in der Nähe der Rancho anlangten, da war der schwarze Juan mit allen Nebenumständen, die die Botschaft des Chinesen begleiteten, bekannt gemacht worden. Er dagegen hatte seinen Gefährtinnen einen flüchtigen Plan entworfen, wie die Rettung möglichenfalls am leichtesten und sichersten zu bewerkstelligen sei, was nicht wenig zu deren Beruhigung beitrug. Auch hatten sie verabredet, wie dem Ranchero gegenüber das Verschwinden Juans mit dem Pferde zu erklären sei. Demgemäß sollte der Arriero aus eigener Machtvollkommenheit Inez' Pferd aus dem Stalle genommen, im Vorbeireiten unter dem Fenster der jungen Mädchen angehalten und diesen mitgeteilt haben, daß er, infolge eines bösen Traumes, dem heimkehrenden Majordomo entgegenzureiten beabsichtige.

Inez wollte es dann übernehmen, seine Handlungsweise zu entschuldigen, was um so weniger auf Schwierigkeiten stieß, weil man schon zu sehr an das absonderliche, vielfach an indianische Sitten erinnernde Wesen des schwarzen Juans gewöhnt war. –

Ungefähr noch hundert Schritte von dem Wohnhause blieben Inez und ihre Gefährtin stehen, während der Arriero, nur mit dem Zaumzeug versehen, nach den abwärts gelegenen Ställen hinschlich, um das Pferd zu holen.

Inez trat bei seiner Rückkunft sogleich an den Kopf des edlen Renners, der, sobald er seine Herrin erkannte, leise und zutraulich wieherte.

»Sattle nur immerhin,« flüsterte sie dem Arriero zu, »ich werde ihn solange halten.«

Sie wußte sehr wohl, daß es bei dem verständigen, wohlgeschulten Lieblinge dieser Vorsichtsmaßregel nicht bedürfe. Es war ihr aber daran gelegen, noch einige Schmeicheleien an denselben zu verschwenden; denn als Juan erklärte, alles sei bereit, fuhr sie noch einmal liebkosend mit beiden Händen über die Augen des Pferdes, küßte den zu ihr niedergesenkten Kopf, und dann zurücktretend, befahl sie dem Arriero mit fester Stimme, aufzusitzen.

Wäre es Tag gewesen, dann hätte es dem wilden Reiter das Herz gebrochen, auf den Wangen seiner jungen Gebieterin Spuren von Tränen zu gewahren, die sie unbewußt bei dem Abschiede von ihrem Liebling vergossen hatte.

»Hast du den Wein, guter Juan, und den Kognak?« fragte sie, als der Arriero sich im Sattel festsetzte und die Zügel in seiner Hand ordnete.

»Ich habe alles.«

»Dann reite mit Gott; vergiß aber nicht meine Warnung: auch dem Majordomo gegenüber hat dich nur ein Traum von hier fortgetrieben.«

»Bueno«, erwiderte Juan, den Hals des Pferdes zärtlich klopfend.

»Suche zu veranlassen, daß ihr auf der Mission San Fernando einkehrt; es erwartet ihn dort jemand, an dem ihm sehr viel gelegen, und der um ihn besorgt ist.«

»Es soll geschehen, Sennora.«

»Gut; aber vorwärts jetzt, die Zeit eilt; schon zu lange säumten wir; mögen die Heiligen dich begleiten und meinem armen Pferde Kraft verleihen.«

Die letzten Worte vernahm der Arriero nicht mehr deutlich, denn er befand sich schon mehrere Schritte von den Mädchen entfernt.

Schweigend schaute Inez ihm noch so lange nach, als sie die Umrisse seiner Gestalt in der Dunkelheit zu unterscheiden vermochte.

»Mein gutes, treues Tier, es ist seine Todesreise«, sprach sie mit zitternder Stimme; »möge es nicht vergebens geopfert werden.«

Die zagende Maria hatte keine Worte, aber inniger schlang sie ihren Arm um die Freundin, die die eigenen verwundeten Gefühle so siegreich bekämpfte und, den Regungen ihres edlen Herzens folgend, nur allein auf die Rettung der Bedrohten bedacht war.

Unentdeckt gelangten sie in ihr Gemach zurück, und hoffnungsvoller, als es sich nach den letzten Gemütsaufregungen hätte erwarten lassen, begaben sie sich zur Ruhe.

Der schwarze Juan verfolgte aber unterdessen seinen Weg über die stille Ebene. Wie ein Schatten strich das edle Roß mit elastischem Schritt dahin; kaum hörbar fielen die kleinen Hufe auf den weichen, staubigen Weg, und als dann die Sonne den ersten Blick über das San Bernardinogebirge warf, da bog der Arriero galoppierend in die Ebene von San Fernando ein. Er hatte fünfundzwanzig Meilen zurückgelegt.


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