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Drittes Kapitel.
Die Hausfreunde

. Zu derselben Stunde, in der Estevan sich im Kreise seiner Familie des milden Abends erfreute, saßen Gonzalez und Guzman auf einer plateauähnlichen Bodenerhebung, die von einer weitverzweigten Tanne beschattet wurde und von wo aus sie alles, was auf Estevans Rancho vorging, genau beobachten konnten, ohne ihre Gestalten den Blicken der unten im Tale Weilenden auszusetzen.

Sie sahen bestaubt und ermüdet aus, als ob sie einen weiten Tagesmarsch zurückgelegt und hier, angesichts des heimatlichen Obdachs, sich einer willkommenen Rast hingegeben hätten. Der Ausdruck ihrer leidenschaftlich erregten Züge, der unsteten, bald ängstlich, bald wild und unheimlich glühenden Augen, ließ jedoch leicht erraten, daß feindliche Gefühle ihre Brust erfüllten und unheilverkündend gleich deutlich aus Miene und Bewegung sprachen.

Als der Luftzug ihnen zum ersten Male die Schlußworte des bekannten Walzers zutrug, fühlten sie sich aus einem tiefen Brüten wachgerüttelt. Gonzalez, der die friedliche Familiengruppe so lange förmlich mit den Blicken verschlungen hatte, richtete seine finsteren Augen fest und durchdringend auf Guzman, und gleichzeitig ertönte seine hohle Stimme.

»Also nur um die Papiere ist's Euch zu tun?« fragte er mit barschem Ausdruck. »Es müssen wichtige Dokumente sein«, fuhr er fort, als Guzman nicht sogleich antwortete; »die Euch veranlassen, den Gatten Eurer Verwandten nicht nur in Schrecken zu setzen, sondern ihm auch Schaden an seinem Eigentum zuzufügen.«

»Die Papiere betreffen meine Person und Ansprüche an eine Erbschaft, die mich zum wohlhabenden Manne macht, ohne Estevan zu beeinträchtigen«, antwortete Guzman mit schlecht verhehlter Verlegenheit. »Übrigens habe ich Euch ja auch nicht gefragt, aus was für Gründen Ihr mir so bereitwillig bei der Ausführung meines Unternehmens helfen wollt und sogar die Indianer mit in Euer Vertrauen gezogen habt?«

»Warum?« fragte Gonzalez zurück, und indem er sein Gesicht abwendete, spielte ein Zug unversöhnlichsten Hasses um seine Lippen. »Ich sollte denken, es wäre klar genug, was mich zu der scheinbaren Verräterei treibt. Ihr wißt, ich war einst ein reicher Mann, Carajo! Es waren schöne Zeiten. Jetzt bin ich Arriero; ja, ein Arriero, dazu verdammt, anderen Menschen zu dienen. Es kann nicht so bleiben; ich muß fort von hier. Ich darf aber nicht gehen wie ein Bettler; ich, der Abkömmling einer edlen, spanischen Familie. Ich will mich mit den Navahoes in Estevans Pferde teilen. Er ist reich, der Verlust einiger Pferde wird ihn nicht unglücklich machen; ich erhalte aber dadurch die Mittel, mich allmählich wieder in einen gewissen Wohlstand hineinzuarbeiten und später Estevan seinen Schaden mit Zinsen zu vergüten. Daß ich Euch zur Erreichung Eures Zweckes behilflich bin, geschieht nur, um mir Eure Verschwiegenheit zu sichern.«

Guzman blickte seinen Gefährten etwa eine Minute lang an, als ob er die Aufrichtigkeit seiner Worte bezweifelt hätte.

»Meiner Verschwiegenheit könnt Ihr versichert sein«, begann er endlich zögernd, »auch Manuel wird nie ein Wort verlauten lassen, denn erstens hat er die Hand mit im Spiele, und dann habe ich ihm auch einen bedeutenden Teil meiner Ersparnisse für seine Hilfe zugesagt.«

»Sorgt nicht für Manuel«, versetzte Gonzalez mit seinem gewöhnlichen höhnischen Lachen. »Manuel wird für sich selbst sorgen; ich halte ihn für zuverlässiger als Euch; aber sagt«, fuhr der Arriero, den Ton seiner Stimme plötzlich ändernd, fort, wie befürchtend, sich eine Blöße gegeben zu haben, »werdet Ihr auch im Finstern, während die Eingeborenen Estevan halten, Eure Dokumente finden können? Bedenkt, es bleiben Euch nur wenige Minuten, denn ich wünsche nicht, daß die Sennora allzu lange geängstigt wird.«

»Als ob Estevan nicht ebenfalls Angst empfinden würde?« bemerkte Guzman zerstreut, denn er glaubte in der Frage seines Gefährten die verborgene Absicht zu entdecken, ihm das Geheimnis über das Versteck der Papiere zu entlocken.

Gonzalez biß sich auf die Lippen und erwiderte dann schnell: »Allerdings wird Estevan nicht kaltblütig bleiben und sogar dem einen oder dem andern der Räuber eine Kugel durch den Kopf jagen. Ich erwähnte seinen Namen nicht, weil ich annahm, daß ein kleiner Schrecken ihm nicht viel schadet.«

»Und wie lange sollen sie ihn halten?« fragte Guzman, der seine aufsteigende Besorgnis unterdessen niedergekämpft hatte.

»So lange, bis die Navahoes die Pferde in Sicherheit gebracht haben, was für Euch lange genug sein muß, Eure eigenen Pläne auszuführen.«

Guzman blickte nachdenkend ins Tal hinab. Wenn er irgend etwas wie Reue über seine Undankbarkeit empfand, so wurde es schnell wieder übertäubt durch die sichere Aussicht auf den längst erhofften Reichtum. Die an Wahnsinn streifende Geldgier hatte ihm die Überlegung zu sehr geraubt, um noch begreifen zu können, daß er nur das ohnmächtige Werkzeug in den Händen eines kalten, berechnenden Bösewichts sei.

Auch Gonzalez schwieg. Die Dämmerung senkte sich auf das Tal, die Dunkelheit verdichtete sich, und noch immer saßen die beiden Genossen schweigend nebeneinander. Da vernahmen sie das polternde Geräusch, mit dem Manuel die Pferde herbeitrieb, und das Jauchzen des kleinen Knaben, der dem Vaquero entgegeneilte.

»Manuel ist pünktlich«, murmelte Gonzalez vor sich hin.

Guzman bebte, faßte sich aber schnell wieder und fragte kaum hörbar: »Ist es aber auch gewiß, daß niemandem ein Leid geschieht?«

»Wenn Ihr dergleichen befürchtet, so könnt Ihr ja noch zurücktreten«, antwortete Gonzalez in scheinbar gleichgültigem Tone, »später bietet sich Euch vielleicht eine bessere Gelegenheit, in den Besitz der Dokumente zu gelangen.«

»Nein, nein«, erwiderte Guzman heftig, indem er aufsprang, »jetzt oder niemals! Ich vertraue Euch, Sennor! Die Papiere müssen in den nächsten Stunden die meinigen sein, oder sie werden es niemals.«

Gonzalez hatte sich über die Wirkung seiner berechneten Worte nicht getäuscht, und mit einer teuflischen Befriedigung vernahm er, wie Guzman ihn bat, das Unternehmen zu beschleunigen, und wie er ihm dann seine Person vollständig zur Verfügung stellte.

Noch einmal schaute er aufmerksam in das Tal hinab, und als er an dem Lichtschimmer, der durch ein Fenster des Wohnhauses ins Freie fiel, erkannte, daß Esteban sich zurückgezogen hatte, forderte er Guzman auf, die in einer abgelegenen Regenschlucht verborgenen indianischen Räuber herbeizurufen, die, wie er vorgab, um diese Zeit schon eingetroffen sein mußten.

Guzman eilte vollen Laufes davon. Gonzalez blickte ihm so lange nach, bis er seine Gestalt nicht mehr von den Umrissen der Zederbäume zu unterscheiden vermochte.

»Tor«, murmelte er dann vor sich hin; »doppelter und dreifacher Tor, der du wähnen kannst, ich würde dich zu meinem Vertrauten wählen. Schmutzige, gemeine Seele, die du mich für einen niedrigen Dieb hältst! Ich ein Dieb!« wiederholte er zähneknirschend, und seine Augen schienen in der Dunkelheit förmlich zu leuchten. »Was sind mir Pferde? Was sind mir Schätze? Ich habe ein anderes Ziel vor Augen, ein Ziel, würdiger meiner unausgesetzten Wachsamkeit und meinen Bemühungen, entsprechender meinen jahrelangen Qualen.« –

Ein leises Geräusch zu seiner rechten Seite veranlaßte ihn, mit dem Selbstgespräch innezuhalten und nach der Stelle hinzublicken, wo Guzman eben noch gesessen hatte.

Ein unförmlicher schwarzer Gegenstand hatte sich dort unter den niedrig hängenden Zweigen der verkrüppelten Tanne hervor ins Freie geschoben, und indem sich derselbe halb aufrichtete, zeigten sich die unbestimmten Formen des Oberkörpers eines nackten Menschen.

Gonzalez schien nicht überrascht bei dem Anblick, im Gegenteil, den geheimnisvollen Fremden erwartet zu haben, denn er fragte mit gedämpfter Stimme: »Nintsa-Pesch, seid Ihr es?«

»Es ist das große Messer der Navahoes!« lautete die ebenso heimlich gegebene Antwort, und gleichzeitig stellte die lange Gestalt eines indianischen Kriegers sich vor Gonzalez hin und ordnete den mannigfaltigen Waffenschmuck, der sich auf dem glatten Körper beim Kriechen verschoben hatte.

»Seid Ihr bereit?« fragte Gonzalez weiter.

»Nintsa-Pesch ist der Sohn eines berühmten Häuptlings«, versetzte der Indianer mit unbeschreiblichem Selbstbewußtsein; »es sind erst wenige Winter vergangen, seit er seinen Fuß zum erstenmal auf den Kriegspfad stellte, aber wer hat Nintsa-Pesch jemals gesehen, daß er nicht bereit gewesen wäre, wenn es galt, seine Herde zu vergrößern oder sich an den verhaßten Bleichgesichtern zu rächen?«

»Bueno!« murmelte Gonzalez, indem er den Häuptling mißtrauisch von der Seite maß, gleichsam berechnend, ob das Rachegefühl desselben auch ihm gefährlich werden könne. »Wieviel Krieger befinden sich in Eurer Begleitung?« fragte er dann.

Nintsa-Pesch hielt seine flache Hand so dicht vor des Arrieros Augen, daß dieser die gespreizten Finger zu zählen vermochte.

»Fünf,« sagte Gonzalez für sich; »es sind ihrer nur wenig.«

»Das große Messer der Navahoes will nicht mit zu vielen Kriegern seines Stammes die Beute teilen. Nintsa-Pesch ist noch jung, aber stark genug, um alle Ansiedelungen im Tal von Cuesta niederzubrennen,« versetzte der wilde Häuptling.

Gonzalez schwieg eine Weile; er hatte dem Navahoe augenscheinlich noch etwas mitzuteilen, scheute sich aber, seinen Gedanken Worte zu geben. Plötzlich biß er die Zähne fest zusammen, daß sie laut knirschten, und gleich darauf wendete er sich zu seinem indianischen Gefährten.

»Ihr sahet den Mann an meiner Seite?« fragte er heftig.

»Ich kenne ihn schon lange«, antwortete Nintsa-Pesch; »ich sah ihn und vernahm alle Worte, die er zu meinem Freunde sprach.«

Der Arriero stutzte und überlegte, ob nicht irgend etwas gesprochen worden sei, was den Navahoe beleidigt haben könne. »Alle Worte?« fragte er dann gedehnt und mit gleichgültigem Ausdruck.

»Hat das große Messer der Navahoes keine Ohren?« fragte der Indianer stolz zurück; »die sinkende Sonne warf die Schatten dieses Baumes auf den narbenlosen Rücken Nintsa-Peschs; oder glaubt mein Freund, die Ohren eines Navahoes ständen so weit offen, daß die Worte, ohne haften zu bleiben, durch dieselben hindurchzugleiten vermöchten? Don Estevan wird keinen meiner Krieger töten. Nintsa-Pesch ist zu schnell für ihn; er wird seinen Arm lähmen.«

Gonzalez schauderte bei des Indianers leicht verständlicher Andeutung. Er schauderte und fuhr sich mit der bebenden Hand über die Augen. Es war die letzte Spur von Menschlichkeit, die Abschied von ihm nahm, zum letzten Male hatte sein Gewissen geschlagen.

Als er die Hand sinken ließ, da war er wieder der kalte, berechnende Bösewicht, der kein Mittel scheute, um an das sich selbst gesteckte Ziel zu gelangen.

»Wohlan, so sorgt dafür, daß er keinen der Eurigen erschieße«, begann er endlich, indem er finster in das Tal hinabschaute. »Aber macht schnell und schont die Sennora. Die Pferde gehören Euch; jeder Verfolgung soll vorgebeugt werden, aber vergeßt nicht,« fuhr er fort, und seine Faust schloß sich krampfhaft um den Griff seines breiten Messers, »vergeßt nicht, bei meinem Erscheinen mit Euern Kriegern die Flucht zu ergreifen. Ich will der Retter der Sennora sein.«

»Ihr sollt der Retter der Sennora sein«, versetzte der Indianer ernst und mit Nachdruck; aber hätte die Dunkelheit es gestattet, so würde Gonzalez eine gräßliche Schadenfreude aus den Augen des grausamen Wilden herausgelesen haben. »Nicht allein die Indianer sind Verräter«, fügte Nintsa-Pesch dann wie im Selbstgespräch noch hinzu; »nein, die bleichen Menschen mit den frommen Worten auf den gespaltenen Zungen sind viel größere Verräter. Der Navahoe erschlägt nicht den Navahoe, der Wolf zerreißt nicht den Wolf; aber der Weiße mordet den Weißen. Ihr wollt das Weib mit dem Schneegesicht, ich will Pferde; Ihr wollt Blut, ich will es auch; Bueno, ich habe gesprochen.«

»Aber der Mann, der hier neben mir saß«, flüsterte Gonzalez dringend, denn er vernahm, daß Guzman sich mit den übrigen Indianern näherte; »Ihr habt ihn gesehen, er darf diese Nacht nicht überleben, er würde die Verfolger auf Eure Spur lenken.«

Der Häuptling versetzte, sich stolz emporrichtend: »Mein bleicher Freund fürchtet den feigen Gefährten. Sein feiger Gefährte hat eine Zunge, beweglicher als die sprudelnde Quelle; wohlan, er soll die Nacht nicht überleben.«

»Bueno«, flüsterte Gonzalez leise, denn Guzman und die fünf Navahoes waren jetzt so dicht an ihn herangetreten, daß er es nicht mehr wagte, den eben besprochenen Gegenstand weiter zu erörtern. Nintsa-Pesch dagegen wandte sich zu seinen Kriegern, und nachdem er eine kurze Unterhaltung mit ihnen in seiner eigenen Sprache geführt hatte, bedeutete er Gonzalez in dem ihm geläufigen Spanisch, daß die Arbeit nunmehr beginnen könne.

Der Arriero schwieg, zog Stahl und Stein hervor, zündete die zum Anrauchen der Zigaretten gebräuchliche Lunte an und blies einige Male in die schnell wachsende Glut. Heftig schlug er die Lunte dann so auf den Stahl, daß sie erlöschte und die Funken weit umherspritzten. Ein ähnliches Signal blitzte vor Estevans Wohnung auf; Gonzalez, mit der Antwort zufrieden, stellte sich an die Spitze des kleinen Zuges und schritt am Rande des Abhanges hin, einer in das Tal hinabführenden Regenschlucht zu.


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