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XXII.

Ich werde Ihnen nicht sagen, durch welche Verkettung von seltsamen Umständen ich dazu gekommen bin, heute das sonderbare Geständniß zu empfangen, welches ich nur wegen seines großen, dramatischen Interesses veröffentliche. Ich bin kein Denunziant und habe stets das Prinzip gehabt, daß man die Justiz selber fertig werden lasse mit allen den Verbrechen, welche sie zu ermitteln und zu bestrafen hat. Ich will nicht ihr Versorger sein – im Gegentheil. Sie soll zusehen, wie sie mit Yves Lagoannec und mit Herrn Jean Jules Joseph Lagoffin fertig wird ... Es versteht sich von selbst, daß ich in dieser Geschichte die Namen geändert habe ... Das war übrigens eine überflüssige Vorsicht, denn der Mann, der mir sie erzählte, ist nunmehr – dank meiner Hilfe – in Sicherheit.

Dieses Geständniß ist folgendes:

Ich heiße Yves Lagoannec. Mit einem solchen Namen kann ich doch wohl nur aus der Bretagne stammen, nicht wahr? Ich bin in der Umgebung von Vannes geboren, in Morbihan. Meine Eltern waren kleine Bauersleute, sehr unglücklich, sehr fromm und sehr schmutzig. Auch dem Trunke ergeben, versteht sich. An Markttagen las man sie auf der Straße auf – und in welchem Zustande, mein Gott! Oft verbrachten sie die Nacht in den Straßengräben, wo sie sich erleichterten. Der Landessitte gemäß wuchs ich im Stalle auf, in der Gesellschaft der Schweine und der Kühe, wie unser Herr Jesus. Ich war so unsauber gehalten, ich hatte viel und so vielerlei Schmutz auf mir, daß wenn mein Vater des Morgens kam, um uns zu wecken, die Thiere und mich, er einige Minuten brauchte, um mich von den Kuhfladen zu unterscheiden. Ich wurde in allerlei Aberglauben erzogen. Ich kannte die Namen der Teufel der Sandwüsten, der Feen des Teiches und des Seestrandes. Nebst dem Vaterunser und dem Ave einige Gesänge zu Ehr' und Preis der heiligen Anna und die Wundergeschichte vom heiligen Tugen: das ist Alles, was ich wußte. Ich lernte auch den ehrwürdigen Vater Maunoir ehren, welcher durch einfaches Auflegen seiner Hand auf die Zunge der Fremden, diesen die Kenntniß der bretonischen Sprache beibrachte, wie aus einem bemerkenswerthen Freskogemälde hervorgeht, welches Jedermann in der Kathedrale zu Quimper-Corentin sehen kann ... Ich kann sagen – nicht ohne Stolz – daß ich eines der bestunterrichteten Kinder der Gegend war.

Bis zu meinem fünfzehnten Jahre hütete ich den ganzen Tag ein kleines, rothes Pferd, welches die Schnauze so lange an die Ginstersträucher rieb, bis ihm ein grauer Schnurrbart wuchs. Drei schwarze, rothäugige Schafe, mit langen Spitzbärten wie alte Böcke, hüpften blökend hinter mir her. Wovon sie lebten, das weiß Gott. Ohne Zweifel von der guten Luft, denn Gras gab es keines in der kahlen Sandlandschaft.

Endlich war ich ein gehorsamer und respektvoller Junge, stets allein. Niemals war mir ein schlechter Gedanke gekommen, wie so vielen anderen Kindern. Um gerecht zu sein, müßte ich sagen, daß auch kein anderer Gedanke mir gekommen ist, selbst an dem Abend nicht, als mein Vater, nachdem meine Mutter gestorben war, meine ältere Schwester in sein Bett kommen ließ ... Entsetzen Sie sich nicht und glauben Sie nicht, daß dies eine Verirrung des Instinktes, eine widernatürliche Ausschweifung sei ... Nein, es ist Brauch bei uns; dies hindert die Leute nicht, ganz rechtschaffen zu sein, zur Kirche zu gehen und die Wallfahrten mitzumachen. Im Gegentheil ... Mein Vater hatte von meiner Schwester zwei Kinder, welche ebenso gut meine Brüder wie meine Neffen waren ... Sie lebten nur wenige Monate ... Doch ich weiß nicht, weshalb ich Ihnen diese Sache erzähle, die ja mit meiner Geschichte nichts zu thun hat ... Und was kann Sie das auch interessiren?

Wie Jedermann, so habe auch ich meinen Soldatendienst geleistet und ich hatte viele Mühe, einige Worte französisch zu lernen, denn ich sprach nur das Bretonische. Ich hatte dadurch viel Verdruß. Auf die Erlernung des Lesens und Schreibens mußte ich – trotz meiner Anstrengungen – verzichten. Alles, was mir davon übrig blieb, war ein Kopffieber, welches ich bis auf den heutigen Tag nicht völlig los geworden bin. Jeder Bretone wird Diener, wenn er die Armee verlassen hat. Die Bretagne ist der klassische Boden des Dienstes: sie dient Gott, dem Vaterlande und den Bürgersleuten. So wurde denn auch ich Diener. Ich trat als zweiter Kutscher in eine große Farm bei Quimper ein. Dort widerfuhr mir ein ziemlich seltsames Abenteuer, welches ich das Abenteuer des kleinen Hasen nennen könnte. Ich war immer der Meinung, daß dieses Geschehniß in mittelbarer Beziehung zu meinem Geschick gestanden ist, ja, dasselbe sogar gewissermaßen beeinflußt hat.

Jean, ein Arbeiter gleich mir auf der Farm, kam eines Abends, mit dem Geräth auf der Schulter, von den Feldern heim, wo er den ganzen Tag hart gearbeitet hatte ... Mit siegreicher Miene trat er in den Hof, einen zappelnden Gegenstand in den Händen haltend. Es war schon dunkel und man konnte die Gegenstände nicht unterscheiden.

– Was hast Du denn? fragte der Herr, der sich am Brunnen die Hände wusch.

– Es ist ein kleiner Hase, den ich in der Hecke des Clos-Sorbier gefangen habe.

– Vertrackter Jean! machte der Herr. Und was willst Du mit dem kleinen Hasen anfangen?

– Ich will ihn aufzüchten. Sie werden mir wohl erlauben, Herr, den kleinen Hasen in das Kaninchenhaus zu thun und ihm jeden Morgen ein Tröpfchen Milch vorzusetzen?

– Das geht die Frau an, erwiderte der Herr.

– Oh, die Frau wird ihre Einwilligung geben ...

Ich stand in der Scheune und spannte die Pferde aus und brummte verdrossen:

– Wenn dieser Lümmel den Währwolf brächte, würde man ihm noch danken. Während ich ... Ach, das ist ein Unglück!

Ich prügelte meine Pferde und stieß einen derben Fluch aus.

– Na, sagte der Herr, Yves ist schon wieder eifersüchtig ... Schweig, Vieh! Du weißt, ich mag das nicht. Ich habe Deine Geschichten nachgerade satt.

Ich war erbittert und sagte in herbem Zorn:

– Meine Geschichten? ... Ich sage eine gerechte Sache und habe keine Furcht vor Ihnen ...

Der Dienstherr zuckte die Achseln und antwortete mir nicht. Während ich in der Scheune fortfuhr zu brummen, trat er ins Haus, wo die Abendsuppe dampfend auf dem Tische stand. Nachdem ich meine Pferde versorgt hatte, folgte ich nach. Dann kam auch Jean, der für seinen Hasen einen Winkel im Kaninchenhause freigemacht hatte. Die Mahlzeit verlief still; ich saß mit mürrischer Miene da ... Jean hingegen machte ein sehr sanftes Gesicht; er träumte ohne Zweifel von den niedlichen kleinen Thieren. Als wir unsere Betten aufsuchten, näherte ich mich Jean und sagte ihm sehr leise, mit zusammengepreßten Zähnen:

– Dir werde ich Deinen Theil geben ... Du wirst sehen ...

Jean antworte sehr ruhig:

– Ich fürchte Dich nicht ...

Und ich begriff endlich, weshalb ich Jean verabscheute. Ich verabscheute ihn, weil er aller Welt sympathisch war, auf der Farm und in der Gegend. Sanft, gefällig, weniger plump als die Anderen, tüchtig bei der Arbeit, war er bei Männern und Frauen gleichmäßig beliebt. Ich konnte diese Überlegenheit nicht ertragen, denn ich wurde – ich weiß nicht weshalb – von aller Welt gehaßt ... Jedes gute Wort, jedes Lob, das er erhielt, wiederhallte in dumpfen Schlägen des Hasses in meiner Seele. Oft suchte ich Händel mit ihm, aber er wich mit liebenswürdigem Spotte aus. Wiederholt wollte ich des Sonntags Abends, wenn er aus der Stadt zurückkehrte, ihm auflauern, mich auf ihn werfen und ihm mit Steinen das Gesicht zerschmettern ... Aber ich fürchtete die Folgen eines Mordes. Ich wagte auch in der Beschimpfung nicht weiter zu gehen, weil ich wußte, daß der Herr zwischen Jean und mir nicht schwanken würde.

An jenem Abend wurde ich auf meinem Strohsack mehr denn je vom Haß verzehrt. Meine Brust grollte wie eine überheizte Maschine und ich preßte mit den Geberden eines Würgers die Betttücher in meinen Händen. Mordvorstellungen verfolgten mich die ganze Nacht und ich konnte nicht schlafen ... Ach, Jean tödten! Es schien mir, als würde damit alles Leid meines Herzens plötzlich schwinden ... Jean tödten! ... Ach, Jean tödten! ... Es schien mir, daß ich nachher die Anderen lieben könnte, die ich mit Schlägen peinigte, seitdem Jean mir den Haß gegen Alles und gegen Alle ins Herz geschüttet hatte. Ach, Jean tödten! Anstatt diese rothen Bilder, diese blutigrothen, flüchtigen Vorstellungen vom Tode, die in der Finsterniß des Stalles vor mir gaukelten, von mir zu weisen, strengte ich mich an, ihnen eine weniger unbestimmte Form, eine gehaßte Gestalt zu geben, die Form und die Gestalt Jean's, der erwürgt und röchelnd zu meinen Füßen läge. Und ich empfand darob eine augenblickliche Erleichterung. Es war ein Tropfen frischen Wassers auf den Lippen eines vor Durst verschmachtenden Wanderers ... Ach! Jean tödten! ...

Der kleine Hase ward größer. Wenn Jean vom Felde heimkehrte, brachte er dem Thiere ein wenig Milch und erneuerte die Streu im Kaninchenhause. Er sagte dem Hasen allerlei Koseworte und sang ihm naive Liedchen vor, wie einem Kinde ... In der Farm liebte man den Hasen, weil man Jean liebte. Jedermann fragte Jean:

– Nun, was macht Dein kleiner Hase?

Und Jean antwortete mit gutmüthigem Lächeln:

– Er gedeiht schön ... Er trinkt schön ... Er hat so muntere Äuglein ...

Ich haßte den Hasen, weil ich Jean haßte. Wenn man vor mir von dem Hasen sprach, fühlte ich einen Schmerz, wie ein entsetzliches Brennen in der Brust. An solchen Abenden sagte ich, wenn wir schlafen gingen, zu Jean:

– Wart', Hundekerl! Ich werde Dir Deinen Theil schon geben ...

Eines Nachts, als ich nicht länger im Bette bleiben konnte, erhob ich mich, zündete eine Stall-Laterne an und ging in den Hof hinaus. Ich war barfüßig und im Hemde ... Ich schritt längs des Gebäudes hin, wo Jean jetzt schlief, blieb einige Sekunden neben dem Fenster stehen, hinter welchem Jean sich befand, dann setzte ich meinen Weg fort. Die Hofhunde erkannten mich und bellten nicht ... Ich wußte nicht, was ich that und was ich wollte. Bei dem Kaninchenhause angekommen, blieb ich abermals stehen; dann kniete ich nieder, legte mich flach auf die Erde, vor einem kleinen Gitter, dessen Stäbe Stroh- und Grashalme durchließen. Und ich brummte zwischen den Zähnen:

– Hundsfott! verdammter Hundsfott!

Ich öffnete das kleine Gitter, schob das Stroh und das Gras beiseite und steckte meine Hand in das Loch ...

– Ich werde Dich schon zu finden wissen ... Vergebens versteckst Du Dich ... Ich werde Dich finden, schmutziges Beest! ...

Meine Hand tastete eine Weile und holte endlich etwas Warmes und Weiches hervor, eine braune Kugel, welche ich vor das Licht der Laterne hielt ... Es war das Häschen.

– Ha! Du bist es ... Du bist es wohl! brummte ich mit rauher Stimme. Endlich habe ich Dich! Sage mir, daß Du Jean bist, schmutziges Aas ...

Das Häschen hatte die Löffel flach liegen ... Ich sah in seinem gesträubten Fell nur seine Schnauze, die sich bewegte, und sein schwarzes Auge, in welchem das Leben unter einem großen Winde des Entsetzens zu schwanken schien.

– Sage mir, daß Du Jean bist, wiederholte ich. Jean! ... Jean! ... Jean! ...

Ich brachte den Hasen noch näher zur Laterne.

– Ich will Dich sehen ... ich will Dich sterben sehen! ... Jean! Jean! ... Denn Du bist doch wohl Jean? sprich! ... Ich erkenne Dich ... Du bist Jean! ... Ich will Dich sterben sehen.

Und ich packte den Hasen am Halse.

– Ha! Lange schon will ich Dir Schmerz bereiten ... Lange schon will ich Dich todt machen ... Denn Du bist Jean ... Du bist seine Seele, die ich hasse ...

Und ich preßte das Häschen am Halse.

Der Kopf des Thieres schien maßlos anzuwachsen ... Seine Augen sprangen aus den Höhlen ... Es wollte mir mit den Pfötchen die Hände zerkratzen ... Lange wand es sich unter meinen Fingern und in dem Maße, als sein Leben schwand, als seine Bewegungen schwächer wurden, schrie ich:

– Ha, endlich habe ich Dich ... Jean! ... Ich habe Dein Leben, Elender! ... Du wirst mir kein Leid mehr verursachen ... Und nie mehr wird man Dich lieben ... nie mehr! ...

Ein wollüstiger Schauer flog mir über den ganzen Körper ... Durchdrungen von einer übermäßigen Freude, glaubte ich das Bewußtsein zu verlieren.

Als das Häschen todt war, warf ich es wieder in das Kaninchenhaus, schloß das Gitter und kehrte nach dem Stalle zurück, wo ich mich niederlegte ... Mit zerschlagenen Gliedern und hohlem Schädel versank ich in einen tiefen Schlaf, wie ein Mensch ohne Gewissensbisse, wie ein befreiter Mensch.

Am folgenden Tage konnte ich Jean mit ruhigem Blick und ohne Haß betrachten. Und seit jener Nacht ist es kein einziges Mal geschehen, daß ich mich gegen meine Pferde roh oder bösartig gezeigt hätte, wenigstens nicht, so lange ich auf der Farm blieb.

Ich blieb nicht lange dort.

Ich nahm dann Dienst bei einem Notar in Vannes, nachher bei einem Arzte in Rennes. Darüber habe ich nichts Besonderes zu berichten, höchstens, daß man mit mir zufrieden war. Ich war pünktlich, nüchtern, unterthänig, führte mich gut auf. Der Anfall von Haß und Mordgier, der mir auf der Farm zu Quimper so viel Leid verursacht hatte, kam nicht wieder. Es war, als hätte ich mit dem Häschen alle bösen Gelüste getödtet. Aber ich erwarb sehr wenig Geld und ich hatte nur den einen Gedanken, Paris näher zu kommen, wo – wie man sagt – das Geld am Boden lag.

Von Rennes ging ich nach Laval, wo ich bei einer reichen Witwe Dienste nahm. Dort blieb ich nur einen Monat, denn die Dame war sehr geizig und fromm und ließ ihr Dienstgesinde hungern. Von Laval kam ich nach Mans, zu einem Ingenieur – ach, was ist dieser arme Mann gehörnt worden! – Von Mans nach Chartres, zu einem Bischof ... Zu jener Zeit war ich noch jungfräulich; die Frauen reizten mich nicht und ich nicht die Frauen. Aber die Köchin des Bischofs, ein dickes Weib mit dreifacher Brust und vierfachem Bauche, lehrte mich an einem gewitterschwülen Abend, was die Liebe ist, nachdem sie mir fünf Gläser Chartreuse aufgenöthigt hatte, die mich so krank machten, daß ich zu ersticken glaubte ... Fortan stürzte sich der alte Vampyr mit so gieriger Gefräßigkeit auf mich, daß ich sicherlich vor Erschöpfung gestorben wäre, wenn ich nicht eines schönen Morgens mich entschlossen hätte, die Flucht zu ergreifen ... Sie hatte einen ganz ungewöhnlichen Kniff. Ehe sie sich dem Liebesgeschäft hingab, bekreuzte sie sich dreimal und nöthigte mich, dasselbe zu thun, wie wenn man in eine geweihte Kapelle eintritt. So können Sie sich denn vorstellen ... Von Chartres kam ich nach Paris und suchte ein Vermiethungsbureau auf. Diesmal glaubte ich die Welt erobert zu haben.

Sie sehen: ich verfolgte meine Idee und wich nicht von dem Wege ab, der mich zu dem höchsten Ziele führen sollte, wo das Glück winkte. Auf diesen verschiedenen Etappen bildete ich mich und erwarb die Kenntniß meines Berufes in dem Grade, daß ich in Paris nicht gerade bei Fürsten und Herzögen, aber doch in braven Bürgerhäusern ebenso als Kutscher, wie als Hausdiener Dienste nehmen konnte.

Am zweiten Tage nach meinem siegreichen Einzuge in der Hauptstadt wurde ich einem alten, kleinen, ganz in Trauer gekleideten Herrn vorgestellt, welchem vor Kurzem ein furchtbares Unglück zugestoßen war. Sein Kutscher – der Kutscher, welchen ich eben ersetzen sollte – hatte die Gattin des alten Herrn ermordet, unter geheimnißvollen Umständen und aus Ursachen, welche den Behörden bis zur Stunde noch unbekannt sind. Der alte Herr erzählte mir dieses tragische Ereigniß mit vieler Heimlichkeit und Trauer. Er hatte ein etwas runzeliges und sehr schlaues Gesicht und trug einen langen, wattirten Überrock, der einem Priesterrocke glich. Als er meine Zeugnisse las, die vortrefflich waren, sagte er kopfnickend und mit einem gewissen Schrecken in seinem Blicke:

– Auch die seinigen waren sehr gut.

Und er fügte in schüchternem Tone hinzu:

– Sie werden begreifen, daß ich über die Diener, die ich aufnehmen soll, genaue und ernste Erkundigungen einholen muß. Denn jetzt bin ich allein ... Und wenn ich wieder einen Mörder ins Haus bekäme, so würde nicht mehr meine Frau, sondern ich selbst ermordet werden. Sie werden einsehen, daß ich nicht den Erstbesten nehmen kann ...

– Sie können mir glauben, gnädiger Herr, daß ich nicht der Erstbeste bin ... erklärte ich. Ein Diener, welcher der Erstbeste wäre, hätte nicht bei einem Bischof dienen können.

– Gewiß, gewiß! Aber was weiß man denn?

Und sein Blick schien in mich eindringen zu wollen, bis auf den Grund meiner Seele. Nach einer Weile sagte er:

– Sie sind Bretone, auch der Andere war Bretone. Sie müssen zugeben, daß dies nicht ermuthigend ist.

– Aber der gnädige Herr weiß ja, daß alle Diener Bretonen sind ...

– Ja, ja, aber das ist kein Grund ... Ich bin jetzt allein und bin sehr alt ... Ich habe ... viele Sachen bei mir ... Zeigen Sie mir Ihre Hände!

Ich streckte ihm meine Hände hin. Er prüfte sie, maß sozusagen die Länge meiner Finger, den Abstand des Daumens, ließ die Gelenke desselben spielen und sagte dann:

– Sie haben kein übles Aussehen, kein furchtbares Aussehen ... Es sind Hände ...

– Hände eines Arbeiters, erklärte ich stolz.

– Ja, ja ... Nun, wir werden sehen, wir werden darüber nachdenken.

Weder die Zeugnisse, noch die ärztliche Untersuchung, noch das genaue Verhör, welches ich zu bestehen hatte, wurden genügend befunden. Der kleine Herr wünschte an alle Personen, bei denen ich gedient hatte, einen ausführlichen Fragebogen zu senden über meinen Charakter, meinen Geisteszustand, meine offenkundigen Eigenschaften, meine möglichen Fehler, meine Neigungen zum Morde u. s. w. Ich hatte diese Untersuchung nicht zu fürchten und gab mich sehr gerne dazu her, denn Sie können sich wohl denken, daß ich unter meinen Referenzen den Farmer von Quimper nicht angegeben hatte. Allein, geärgert durch dieses Mißtrauen und empört über diese Art physiologischer Kundschafterei, welcher ich mich gleich einem Verbrecher unterwerfen mußte, fühlte ich zum zweiten Male dunkle Gedanken, verworrene Begierden in mir erwachen, von welchen, wie mir schien, ein scharfer, betäubender, furchtbarer Geruch auszugehen schien.

Acht Tage nach dieser Besprechung ließ der kleine Herr mich benachrichtigen, daß ich mit meinen Fahrnissen kommen und den Dienst als Kutscher bei ihm antreten könne.

Ich ging sogleich hin ...

Mein neuer Herr bewohnte in der Rue du Cherche-Midi ein sehr altes Haus, welches trotz alljährlicher Ausbesserungen ein sehr baufälliges Aussehen hatte. Er selbst war ein alter Maniak. Er sammelte – Lichtscheeren. Haben Sie Ähnliches je gehört?

Habe ich Ihnen schon gesagt, daß mein neuer Gebieter Baron Bombyx hieß? Ich merkte sogleich, daß er geizig und mißtrauisch sei! Obwohl er eine Haushälterin, einen Kammerdiener und eine Köchin hatte, wollte er doch keinem Anderen die Sorge überlassen, mich in meinen Dienst einzuführen. Er zeigte mir den Stall und die alte, weiße Stute, ein schon recht müdes Thier mit wackeligen Beinen.

– Sie heißt Fidel, sagte er. Hoho, Fidel!

Er tätschelte das Pferd auf die Croupe und trat in den Box ein.

– Es ist eine gute Stute ... sehr sanft. Ich habe sie seit neunzehn Jahren ... Nicht wahr, Fidel?

Fidel wandte den Kopf zu seinem Herrn und leckte den Ärmel seines Überrockes.

– Sie sehen: sanft wie ein Schaf ... Aber, sie hat eine Manie ... sie will nicht, daß man sie von rechts nach links striegle, sie will von links nach rechts gestriegelt werden. So, sehen Sie? ...

Der Baron fuhr mit der Hand über den Bauch des Thieres und ahmte so mit der Hand die Bewegung des Striegelns nach.

– Das ist so eine Manie ... es genügt sie zu kennen. Von links nach rechts; Sie vergessen es nicht?

Ich untersuchte die Beine das Pferdes; sie waren steif und durch den Spath verkrümmt.

– Diese Stute muß hinken, sagte ich.

– Ein wenig ... antwortete der Baron. Sie hinkt ein wenig, das ist wahr ... Sie ist eben nicht mehr jung ... Aber sie hat auch keinen schweren Dienst ... Ich schone sie.

– Sie steht aber kaum auf den Beinen, sagte ich mürrisch. Es ist eine alte Schindmähre. Wenn sie eines Tages niederbricht, werden Sie mir die Schuld beimessen. Ich kenne diesen Kniff.

Mein Herr betrachtete mich von der Seite und erklärte mit den Augen zwinkernd:

– Es handelt sich nicht um Das ... Sie strauchelt niemals ...

– Nein ... aber ich strauchle vielleicht! brummte ich zwischen den Zähnen.

Ich fühlte mich sehr frei und sehr behaglich diesem armen Manne gegenüber, der mir gleich zu Beginn seine ganze Schwäche enthüllt hatte. Und ich fand ein lebhaftes Vergnügen daran, ihn durch die Unverschämtheit und durch den Schrecken zu beherrschen. Ich sah in seinen Augen etwas wie einen Vorwurf ... aber er wagte nicht, auf meine Rohheit zu antworten.

Wir gingen nun in den Wagenschuppen.

Unter einem Überzug von grauem Zwilch schlummerte eine alte Berline. In einem Winkel waren leere Kisten und Schachteln von Gewürzkram aufgehäuft. Ich war gedemüthigt. Wohl hatte ich nicht gehofft, sogleich in ein sehr vornehmes Haus einzutreten, prächtige Livréen zu tragen und Vollblutpferde zu 20.000 Francs das Paar zu lenken; aber ich hatte auch nicht darauf gerechnet, mich in Paris in altem Staub zu vergraben. Ich tröstete mich mit dem Gedanken, daß man doch irgendwie anfangen müsse und faßte den Vorsatz, nicht lange in dieser Bude zu bleiben. Ich schlug den Überzug zurück und sagte mit verächtlichem Blick:

– Auch nicht gerade die erste Jugend! ... Nein, wahrhaftig nicht ...

Der alte Bombyx schien diese Bemerkung zu überhören. Er öffnete eine Thüre und sagte:

– Das ist die Sattelkammer.

Es war ein kleiner enger Raum, mit Kohlenziegeln gepflastert, die Wände mit gefirnißtem, weichem Holze bekleidet. Die auf Gestellen liegenden Pferdegeschirre schienen mit einander von sehr alten Dingen zu reden. Die feuchte Luft hatte das Lederzeug verblassen lassen und die Beschläge geschwärzt. Ein kleiner Ofen, welcher nicht mehr geheizt wurde und dessen Rohr durch die Wand geführt war, paßte sehr wohl zu einem schlechten durchlöchterten Sessel, dessen Lehne keine Querstäbe mehr hatte. Auf einem Brett, das mit getheertem Papier belegt war, lag die Livrée des früheren Kutschers.

– Ich bitte Sie, die Livrée zu probiren, sagte mir mein Herr.

– Ich liebe es nicht, die Kleider anderer Leute anzuziehen, warf ich ein.

– Eine Livrée: das sind keine Kleider, erklärte der Baron. Eine Livrée gehört Jedermann und Niemandem ... Diese Livrée ist übrigens fast neu. Er hatte sie nicht zehnmal am Leibe, als ...

Der Baron beendigte den Satz nicht, welcher von einem Grinsen seines Mundes unterbrochen ward.

– Gleichviel, sagte ich, ich liebe das nicht, besonders dann ...

– Ich habe die Livrée dem heißen Dampf ausgesetzt ...

Und nach einigen Minuten des Stillschweigens fügte er mit weniger scheuer Stimme hinzu:

– Ich wünsche, daß Sie die Livrée abnützen ... Man sieht übrigens die Blutflecke daran nicht mehr. Ich kann doch nicht jeden Tag neue Livréen kaufen ... Jeder nach seinen Mitteln ...

– Gut, es sei, sagte ich nachgebend ... Aber der Herr Baron wird begreifen, daß dies nicht sehr einladend ist. Wenn er doch wenigstens kein Mörder gewesen wäre ...

– Er war sehr sauber, erwiderte der Baron. Vorwärts, probiren Sie die Livrée. Sie muß Ihnen sehr gut passen ...

Er betrachtete meinen Wuchs, die Breite meiner Schultern und wiederholte:

– Sie muß Ihnen sehr gut passen, sie wird Ihnen vorzüglich sitzen ...

Ich nahm die Livrée und faltete sie auseinander. Es war eine ziemlich bescheidene Livrée, mit der man gewiß kein Aufsehen machen konnte: eine Jacke von blauem Droguet-Stoffe, ein blaues Gilet und ein blaues Beinkleid mit rother Schnur, eine Mütze von Wachsleder, mit einem Goldgalon. Es war auch eine roth und schwarz gestreifte Stallweste da. Das Alles war in der That sauber und neu. Ich probirte die Livrée.

– Ich hatte es Ihnen wohl gesagt, rief der Baron. Sie sitzt Ihnen wunderbar, sie sitzt Ihnen besser als ihm. Sie ist wie für Sie geschnitten.

– Das finde ich nicht, sagte ich.

– Was finden Sie nicht? Sie ist ganz nach Ihrem Maße. Aber betrachten Sie sich nur im Spiegel. Die Jacke hat nicht eine Falte. Sie sitzt Ihnen wie angegossen. Das Beinkleid fällt sehr schön, sehr gerade herab ... Es ist wunderbar! ...

Da sagte ich mit langsamer und ernster Stimme:

– Ich muß mich nicht erst im Spiegel betrachten ... Diese Livrée sitzt mir am Körper sehr gut, das ist möglich ... aber meiner Seele sitzt sie durchaus nicht gut ...

Der alte Baron bemeisterte den Schrecken, welcher plötzlich in seinen Augen erschienen war.

– Was wollen Sie damit sagen? Warum sagen Sie mir das? Ihre Worte haben keinen Sinn.

– Die Worte haben immer einen Sinn, Herr Baron. Und wenn meine Worte keinen Sinn hätten, würden Sie in diesem Augenblicke nicht so zittern, wie Sie es thun.

– Ich! Larifari ... Alle Bretonen sind ein wenig verrückt. Kommen Sie, jetzt will ich Ihnen Ihre Stube zeigen.

Die Stube lag oberhalb des Stalles, neben dem Heuboden. Man gelangte über eine kleine Holztreppe hinauf, auf welcher stets Strohhalme und Reste von Heu lagen. Die Stube war eine richtige Dachluke, ein Hund hätte da nicht sein Loch haben wollen ... Sogleich sagte ich mir: »Warte nur ein wenig, bis ich im Stadtviertel eine hübsche Kammerzofe, oder eine hübsche, kleine Obstverkäuferin oder sonst irgend eine Weibchen gefunden habe, und Du sollst dann sehen, ob ich noch lange in dieser Bude bleibe!« Ein Eisenbett mit einer schmutzigen Matratze, zwei Strohsessel, ein kleiner Tisch von weichem Holze, auf welchem ein zerbrochenes Waschbecken stand, bildeten die Einrichtung dieses Raumes. Ein Schrein war nicht da, blos ein eiserner Rechen mit mehreren Haken an der Wand. Zwischen den Spalten in den Dielen drang aus dem Stall ein Düngergeruch herauf.

– Da sind Sie denn zuhause, sagte mir der alte Bombyx. Es ist nicht gerade prunkvoll, aber es wird Ihnen da an nichts fehlen.

Er schickte sich an fortzugehen, als er sich plötzlich wieder umwandte und sagte:

– Ach, ich habe vergessen Ihnen zu sagen: ich selbst kaufe Hafer, Stroh und Heu ein. Sie haben sich damit nicht zu beschäftigen. Sie haben nichts als Ihren Lohn; das ist bei mir Prinzip.

Nun verließ er die Stube.

Ich warf mich auf das Lager; etwas Bizarres und Erschreckendes vollzog sich in mir. In dem Augenblicke, da ich die Livrée des früheren Kutschers angezogen hatte, fühlte ich an meiner Haut etwas wie ein Jucken. Dieses Jucken drang allmälig tiefer in mich ein, prägte sich mir ein, vertiefte sich in mein Fleisch und brannte mich in allen meinen Organen. Gleichzeitig stiegen seltsame, verworrene Gedanken in meinem Gehirn auf, welche durch rothe Nebel, durch blutige Dünste anzuschwellen schienen.

– Alter Pfennigfuchser, Dich hätte er umbringen sollen! heulte ich.

Ich erhob mich, riß mir heftig die Kleider vom Leibe und ging nackt in der Stube umher, lange, lange ... Allmälig besänftigte sich mein Fieber ... Ich hängte die Livrée an die Haken des Rechens, zog meine eigenen Kleider wieder an und suchte Fidel im Stalle auf.

– Hoho, Fidel, hoho! ...

Unter solchen seltsamen Umständen trat ich meinen Dienst bei dem alten Baron Bombyx an, meinen Dienst, der nicht schwer war und mir, das muß ich sagen, viel freie Zeit ließ. Ich hatte nur Fidel zu warten, den Wagen zu waschen und das Riemzeug blank zu halten. Zweimal in der Woche führte ich des Morgens die Haushälterin auf den Markt zu den Lieferanten und am Sonntag zur Kirche. Nur selten verließen wir das Stadtviertel. Während der acht Monate, welche ich auf diesem Platze blieb, kamen wir nicht mehr als achtmal über die Brücken. Dagegen mußte ich alle acht Tage, am Samstag, die Haushälterin und den Baron drei Stunden in dem Gehölz von Seaux im Schritt spazieren führen. Diese Spazierfahrten machten mir kein Vergnügen, denn ich hatte vielerlei Verdruß zu ertragen. Diese hinkende alte Stute, welche direkt von den symbolischen Gefilden der Apokalypse zu kommen schien, dieser alte Kasten, noch apokalyptischer als die Stute, meine Livrée, deren allzubreite Mütze mir die Ohren und den Nacken bedeckte und diese seltsamen zwei Gesichter im Wagen – das weiche aufgedunsene Gesicht der Haushälterin, welches zwischen dem Flitter einer karrikaturenhaften, längst entschwundenen Mode verschwand, und das hagere Antlitz des Barons mit seinen stets entsetzten Augen: – all' das reizte die Vorübergehenden zum Lachen. Es regnete schimpfliche Bemerkungen auf uns hernieder, wie auf kothige Masken an einem regnerischen Karnevalstage. Meine Würde hatte viel zu leiden durch diese Lächerlichkeit, und mehr noch wegen dieser Lächerlichkeit als wegen meiner Livrée verabscheute ich den Baron, welcher die Grausamkeit hatte, mir sie aufzuladen.

Ich betrat niemals die Gemächer des Barons. Wie es scheint, waren sie voll mit Glasschränken, in welchen er sorgfältig, methodisch nach Ländern und Zeiten geordnet, seine Lichtscheeren aufbewahrte. Wie die Leute des Stadtviertels erzählten, hatte er Millionen von Lichtscheeren. Und er kaufte deren noch immer ... Den Vormittag benützte er stets dazu, bei den Trödlern herumzulaufen. Mittags, nach seinem Frühstück rannte er abermals zu allen Eisenkramhändlern und Kuriositäten-Magazinen. Das dauerte so bis sechs Uhr. Ich sah ihn nur des Morgens um sieben Uhr. Er kam einen Augenblick in den Stall, um sich zu überzeugen, ob noch Hafer da sei.

Dann tätschelte er seine Stute auf die Croupe und sagte:

– Hoho, Fidel, hoho!

Dann ging er, ohne jemals das Wort an mich zu richten, nicht aus Verachtung, sondern mehr aus Furcht und um nicht meinen Blicken zu begegnen, welche, wie ich wiederholt bemerkte, ihn in seltsamer Weise verwirrten.

Die Köchin und der Kammerdiener hatten mich das erste Mal sehr schlecht aufgenommen. Es waren alte Leute mit gekrümmten Rücken, demüthigen Gesichtern und frommen Geberden. Ich fühlte sogleich, daß es abgefeimte Schurken sein müssen, die sich unter einander sehr wohl verstanden, um den Patron zu bestehlen und das Haus – mit Ausnahme der Lichtscheeren – unter sich aufzutheilen. Die Mahlzeiten waren sehr peinlich. Wir aßen still, in aller Eile und stritten um die Fleischstücke, um die Weinflasche mit den Ausdrücken und Bewegungen grimmiger Thiere. Und in ihren alten, wurmstichigen Gesichtern lag ein so wilder Haß gegen mich, daß ich manchmal Mühe hatte, ihn zu ertragen.

Doch hauptsächlich war es meine Livrée, die mich immermehr erbitterte. Wenn ich sie am Leibe hatte, war ich nicht mehr ich selbst. Ein Anderer trat an meine Stelle, ein Anderer drang in mich ein, durch alle Poren meiner Haut, gleich einer ätzenden Substanz, die mich brannte, wie ein Gift ...

Und dieser Andere war ohne Zweifel der frühere Kutscher, der mörderische Kutscher, dessen Mörderseele in den Kleidern geblieben war, die ich trug. Woran lag es? Ich wußte es nicht. Ich gab eine Menge Geld aus auf Benzin, auf Kampher und Insektenpulver. Es nützte Alles nichts. Die Seele des Mörders widerstand allen diesen Experimenten. Ich überließ den Stoff der Livrée und mich selbst fortan meinem Schicksal. Doch machte ich noch einmal einen Versuch. Als eines Morgens der Baron in den Stall kam und – wie gewöhnlich – die Stute tätschelte, sagte ich ihm mit fester Stimme:

– Der Herr Baron hat Unrecht, daß er mir nicht eine andere Livrée gibt.

– Ist sie schon so abgenützt? fragte er.

Ich sah dem alten Bombyx fest in die Augen und erwiderte kopfschüttelnd:

– Nein, diese Livrée wird sich niemals abnützen ... Sie kann sich nicht abnützen.

Ich merkte, daß ein leichter Schauer ihn durchlief. Seine Augenlider zitterten und er sagte:

– Was soll das bedeuten? Warum sagen Sie mir das?

– Ich sage es Ihnen, Herr Baron, weil Sie es wissen sollen. In dieser Livrée steckt eine Seele; es ist in der Livrée eine Seele geblieben! ...

– Was ist geblieben?

– Eine Seele, sage ich Ihnen, das ist doch klar!

– Sind Sie verrückt?

– Gestatten Sie, Herr Baron, daß ich mit allem Respekt, welchen ich Ihnen schulde, erkläre, daß Sie selbst verrückt sind.

Ich hatte langsam und bestimmt gesprochen und trachtete diesen alten Mann durch gebieterische Blicke zu beherrschen. Der Baron wandte den Kopf ab und von einem leisen Zittern ergriffen, zog er seinen langen Rock über der mageren Brust fester zusammen. Dann sagte er mit furchtsamer Stimme:

– Reden wir nicht davon, mein Freund. Es ist unnütz. Wenn die Livrée abgenützt sein wird, werden Sie eine andere erhalten.

Mit einem gezwungenen Lächeln fügte er hinzu:

– Sie sind wirklich zu geziert und ich bin nicht reich genug ...

Ich beharrte nicht weiter bei der Sache, sondern sagte mit feindseliger Miene:

– Es sei, wie Sie wollen, Herr Baron. Und wenn uns ein Unglück widerfährt, so werden Sie es gewollt haben ... Zum Teufel!

Ich ergriff die Gabel und stocherte damit wüthend in der Streu des Box herum.

– Hoho, Fidel, drehe Dich, hoho, Fidel, verdammtes Luder!

Das Stroh flog von den Zinken der Gabel nach allen Richtungen. Einige Stückchen frischen Pferdekothes spritzten auf den Rock des Barons. Die arme Fidel erstaunte über diesen Zorn, stampfte den gepflasterten Boden des Stalles und zog sich in einen Winkel zurück, indem sie mich scheu anschaute.

Der Baron hielt mich fest und fragte:

– Von welchem Unglück reden Sie?

Trotz seines Entsetzens hatte er die Kraft, die Achseln zu zucken. Ich aber erwiderte:

– Was weiß ich? Mit einer Dämonsseele, wie diese da ... Zum Teufel, zum Teufel.

Der alte Bombyx fand es gerathen, den Stall zu verlassen. Daran that er wohl. Denn in jenem Augenblicke fühlte ich physisch die Seele des früheren Kutschers sich in mir bewegen, sich in mir versenken, durch alle meine Glieder gleiten und in meinen Fingern, welche die Gabel handhabten, das prickelnde, schier unüberwindliche Bedürfniß zu tödten.

Gefürchtet von meinem Herrn, zurückgestoßen von den Dienstleuten und verjagt von mir selbst, wurde ich alsbald ein ausgemachter Schurke, u. zw. ohne jede Anstrengung, ohne innere Kämpfe, in ganz natürlicher Weise. Ich war ein Faulpelz, ein schamloser Lügner, ein Trunkenbold, ein Schürzenjäger, kurz, ich hatte alle Laster, alle Ausschweifungen und übte sie mit einer wunderbaren Kenntniß ihrer schlimmsten Geheimnisse, als wären sie mir eine lange Gewohnheit. Es schien mir, als wäre ich mit diesen furchtbaren und niedrigen Instinkten geboren, welche ich doch mit der Livrée des Anderen geerbt hatte. Ach, wo war die Zeit, da ich im Hause des wackeren Notars von Vannes, als ein schüchterner und eifervoller Diener zitterte, daß ich niemals streng genug meine Pflichten erfüllen könne, wo ich mich zu Tode rackerte, um nicht das geringste Stäubchen auf der Haut des Pferdes zu lassen. Von jenem thätigen, ergebenen und schüchternen Menschen, der ich war, als ich noch ich selbst war, ist nichts mehr übrig geblieben.

Jetzt vernachlässigte ich vollständig meinen Dienst, obgleich er so leicht war und besser bezahlt wurde, als ich jemals hoffen durfte. Fidel war verwahrlost, schmutzig, der Kopf unsauber, wie derjenige eines Menschen, der acht Tage unrasirt bleibt. Häufig vergaß ich auch, ihm sein Futter zu geben. Eines Tages geschah es, daß ich das Pferd durch einen Streich mit dem Striegel am Knie verwundete. Das Knie schwoll an, der Thierarzt erklärte, der Fall sei ernst und verschrieb Heilmittel, welche ich mich wohl hütete anzuwenden. Das arme Thier genas übrigens alsbald. Es bleibt doch das Beste, sich der Natur zu überlassen.

Sie sehen also, welches Leben ich führte und ich muß mich nicht in weitere Einzelheiten einlassen. Die Nächte brachte ich bei den Dirnen zu, von welchen ich manches Bemerkenswerthe lernte; die Tage verbrachte ich in den Weinstuben, in Gesellschaft von Gaunern jeder Sorte, mit welchen ich Karten spielte. Sie hatten es bald heraus, daß ich Einer von ihrem Schlage sei und sie sprachen vor mir ganz offenherzig.

– Dieses Stadtviertel ist wunderbar, sagten sie. Kein anderes besitzt solche Schätze. Es ist voll mit alten Fräulein, Damen und Witwen, die allein oder schlecht behütet leben, schrecklich fromm sind, bei welchen man ungestört »arbeiten« kann und Geld findet, welches Niemandem gehört. Das Stadtviertel ist auch voll mit kuriosen Greisen, Rentiers, Sammlern, geizigen und maniakenhaften Leuten jeder Gattung, wo man eine gute Ernte findet. Allein mit den Greisen kann man nicht leicht fertig werden. Das Messer krümmt sich an ihren Knochen. Sie haben eine verdammt harte Haut, bei der man nicht durchkommt. Es ist, als hätte man den Teufel umzubringen.

Die Ellbogen auf den Tisch gestemmt und die Lippen von Rothwein triefend, besprachen wir öfters ernst und ruhig die Mittel, wie man des Nachts beim alten Baron Bombyx eindringen könnte.

– Ich kenne ihn, er muß eine harte Haut haben, sagte Einer; ach, der ist tüchtig gegerbt!

– Man müßte mit dem Kammerdiener theilen und der sieht keineswegs wie ein rechtschaffener Mensch aus, sagte ein Anderer.

– Es sind Gründe für und wider vorhanden, bemerkte ein Dritter. Die Sache ist nicht ganz sicher.

Ein Vierter sagte mir:

– Was sollen wir mit seinen Lichtscheeren anfangen?

Dennoch fand ich dieses Vorhaben verlockend. Zwanzigmal stellte ich es wieder zur Diskussion, wenn der Absinth in den Augen meiner süßen Freunde flammte. Doch hatte es dabei sein Bewenden.

Daß der maniakenhafte und knauserige Baron mit meinen Diensten nicht zufrieden war, können Sie sich leicht denken. Er wüthete. Aber er wagte es nicht, mir auch nur die geringste Bemerkung zu machen. Bei seinem kleinen Rundgang im Stalle des Morgens hatte ich immer das Gefühl, daß er sich vorgenommen hatte, mir allerlei Vorwürfe zu machen. Allein, sobald er eintrat, schaute ich ihn mit so harten Blicken an, daß ihm die Worte in der Kehle stecken blieben. Dann drehte und wandte er sich unbehaglich in dem Box und stammelte mit zitternder Stimme einige unzusammenhängende Worte:

– Es ist gut, sehr gut. Ach, ach, ein guter Dünger, etwas trocken, aber doch ein guter Dünger.

Um seine Verlegenheit zu steigern, rief ich:

– Es ist kein Hafer mehr da!

– Wie, kein Hafer? Sind Sie dessen auch sicher? Es muß noch für 12 Tage davon vorräthig sein.

Und ich brummte:

– Glaubt der Herr Baron etwa, daß ich seinen Hafer fresse?

– Es ist schon gut, es ist schon gut. Ich habe mich ohne Zweifel getäuscht, ich will heute noch schreiben. Ein guter Dünger, ein guter Dünger, etwas schwärzlich, aber doch ein guter Dünger.

Zum Schlusse tätschelte er, wie es seine Gewohnheit war, die Croupe des Pferdes und sagte:

– Armer Fidel! Hoho! armer Fidel ...

Und er entfernte sich mit wankenden Schritten.

Eines Morgens war ich betrunken heimgekehrt und machte mir den Spaß, die Mähne und den Schweif Fidels roth zu färben. Da kam gerade der Patron hinzu.

Als der erste Augenblick des Schreckens vorüber war, hatte er die Kraft mich zu fragen:

– Was machen Sie da?

– Was mir beliebt, antwortete ich ... Und in was mengst Du Dich da ein, alter Pfennigfuchser! Ich bin in meinem Stall. Du bei Deinen Lichtscheeren. Verstanden? Vorwärts, marsch!

Der alte Baron nahm seinen ganzen Muth zusammen und erklärte mir feierlich:

– Ihr Dienst gefällt mir nicht, ich kündige Ihnen Ihre acht Tage. Nach acht Tagen werden Sie das Haus verlassen.

– Was? Was? Sag es noch einmal. Ja, laß es noch einmal hören!

Ich suchte meine Mistgabel ... Allein Bombyx war verschwunden. Ich schrie ihm nach, während er durch den Hof lief:

– Es ist gut, es ist gut, auch ich habe genug mit Deiner Bude; auch ich habe genug mit Deiner schmutzigen Fratze. Hörst Du, hehe? Hörst Du, alter Dummkopf?

Ich verließ den Stall, kleidete mich in aller Eile an und ging. Dann folgte eine Schwelgerei, welche drei Tage und drei Nächte dauerte.

Erst am vierten Morgen, sehr betrunken, kaum auf den Füßen mich haltend, suchte ich das Haus in der Rue du Cherche-Midi wieder auf. Ich mußte vor dem Thor warten, bis geöffnet ward ... Ich hatte keinen anderen Gedanken, als mich niederzulegen und meinen Rausch auszuschlafen. Stunden und Stunden lang. Nein, wahrhaftig, ich hatte keinen anderen Gedanken.

Ich fand die Thüre meiner Stube geschlossen, die Thür des Heubodens offen. Ich trat in den letzteren ein und fiel auf einen Haufen Heu hin, der mir ein köstliches Lager schien. Ich lag noch nicht zehn Minuten da, als der alte Bombyx in der Thüröffnung seine gebückte, gebrochene, eckige Gestalt sehen ließ. Er kam, um etwas Heu für Fidel zu holen und ich begriff, daß er in diesen drei Tagen meiner Abwesenheit meinen Dienst versehen habe. Dieser Gedanke machte mir Vergnügen.

Er hatte mich nicht gesehen, er wußte nicht, daß ich zurückgekehrt sei und er brummte allerlei Beschimpfungen, die an meine Adresse gerichtet waren, vor sich hin: Bandit, elender Trunkenbold, Mörder. Dabei näherte er sich mir so, daß meine Hand ihn streifte.

Augenblicklich war ich ernüchtert. Ich fühlte eine unendliche, schier wollüstige Freude mich durchdringen, etwas Mächtiges, was meinen Gliedern ihre volle Geschmeidigkeit und ihre ganze Kraft wiedergab. Ich ergriff die Hand des Alten und zog ihn mit einem Ruck zu mir. Er fiel mit einem Aufschrei nieder ... Ich aber hatte mit meiner freigebliebenen Hand ein Büschel Heu genommen, welches ich ihm in den Mund stopfte, und indem ich mich mit einem Satze erhob und den mageren Greis unter meinen Knieen festhielt, preßte ich meine beiden Hände um seinen Hals, meine Hände, in welchen ich alle Kräfte der Erde vereinigt zu fühlen glaubte.

So verharrte ich lange, denn ich erinnerte mich der Worte meiner Freunde aus der Weinstube: »Die Alten sind schwer fertig zu machen«. Dann, als Alles vorüber war, häufte ich Heu und Stroh auf den Leichnam, so viel als nur da war. Erleichtert und selig streckte ich mich dann auf dem Haufen aus und entschlief in tiefem, süßem, traumlosem Schlafe ...

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