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XV.

Ich habe oft solche Träume gehabt.

Ich befinde mich in einem Bahnhof, ich soll in einen Zug steigen. Der Zug steht fauchend vor mir da. Bekannte oder Leute, denen ich das Geleit gebe, steigen bequem und ohne irgendwelche Schwierigkeit in die Waggons ein. Aber ich kann es nicht ... Sie rufen mich herbei ... ich kann nicht vorwärts kommen, ich bin wie an den Boden festgenagelt. Beamte laufen vorüber, stoßen mich und schieben mich zur Seite: »Steigen Sie doch ein! Aber so steigen Sie doch nur ein!« Ich kann's aber nicht ... und der Zug setzt sich in Bewegung, entflieht und verschwindet. Die Signalscheiben grinsen über meine Unfähigkeit; eine elektrische Klingel macht sich über mich lustig, ein anderer Zug fährt vor, dann wieder ein anderer ... Zehn, zwanzig, fünfzig, hundert stellen sich für mich auf und bieten sich mir nacheinander an ... ich kann aber nicht vorwärts kommen ... Sie fahren dann einer nach dem anderen ab, ohne daß es mir möglich gewesen wäre, das Trittbrett oder die Klinke einer Waggonthüre zu erreichen und ich bleibe stehen, die Füße am Boden festgenagelt, unbeweglich, wüthend angesichts der Menschenmenge, deren tausend ironische Blicke ich auf mir lasten fühle.

Oder auch, wenn ich mich auf der Jagd befinde ... im Haidekraut und im Klee gehe. Schritt für Schritt steigen geräuschvoll Rebhühner auf ... Ich lege meine Flinte an, ich drücke los ... aber mein Gewehr versagt, mein Gewehr versagt immer.

Vergebens presse ich den Finger auf den Hahn; vergebens, es versagt ... Oft machen Hasen in ihrer wilden Flucht Halt und blicken mich neugierig an ... Rebhühner unterbrechen ihren Flug und halten plötzlich unbeweglich in der Luft an und betrachten mich gleichfalls, ich schieße, ich schieße, aber mein Gewehr versagt; es ist nie losgegangen.

Oder auch, daß ich unten bei einer Treppe ankomme, es ist die Treppe meines Hauses, ich muß mich nach meiner Wohnung begeben, ich muß fünf Stockwerke hinaufsteigen. Ich hebe ein Bein, dann das andere, aber ich steige nicht aufwärts, ich bin durch eine unbesiegliche Kraft zurückgehalten und komme trotz heftiger Anstrengung nicht dazu, meinen Fuß auf die erste Stufe der Treppe zu setzen ... Ich trete, ich trete, ich ermüde mich durch diese nutzlosen Bewegungen des Aufstieges. Meine Beine rühren sich eines nach dem anderen mit schwindelnder Schnelligkeit und trotzdem komme ich nicht vorwärts. Ich fühle mich am ganzen Leibe in Schweiß gebadet. Der Athem geht mir aus ... aber ich komme nicht vorwärts ... Und plötzlich wache ich auf, mit klopfendem Herzen, bedrückter Brust, Fiebergluth in allen Adern, die dieser schwere Traum durchrast, durchtobt ...

Nun also, in X. habe ich ein Gefühl ganz als ob ich Albdrücken hätte ... Schon zwanzigmal wollte ich abreisen, brachte es aber nicht zu Stande ... Eine Art von bösem Geiste, welcher sozusagen an Stelle meiner Willenskraft getreten ist und dessen unerbittliche Laune mich immer fester an diesen verabscheuten Boden schmiedet, hält mich zurück und kettet mich an. Die Vernichtung meiner Persönlichkeit ist in dem Grade vorgeschritten, daß ich mich der winzigen Anstrengung, meinen Koffer zu packen, in den Omnibus zu hüpfen und von dem Omnibus in den befreienden Zug zu steigen, unfähig fühle. Ach ja, in den befreienden Zug, der mich durch Ebenen tragen würde, durch die Ebenen, die guten Ebenen, in denen Alles lebt und webt, das Gras, die Bäume, in denen man die großen Wellenlinien des Horizontes erblickt, und die kleinen Dörfer und die spärlich zerstreuten Städte inmitten von Grün und die im Sonnenschein vergoldeten Straßen, sowie die sanften Flüßchen, die durchaus nicht wie jene scheußlichen, zuckenden, stoßenden Wildbäche aussehen ... Hier wird der Himmel immer bleierner, immer schwerer, so dumpf lastend, daß ich auf meinem Schädel wirklich sein unendliches Gewicht und seine ganze Dumpfheit fühle.

Weit entfernt davon, daß ich in X. ein wenig mehr Gesundheit gefunden hätte durch den Gebrauch seiner Quellen, durch das Einathmen seines Schwefeldampfes, durch den Handelsschwindel, aus denen diese berühmten Quellen bestehen; nein, ich fühle mich von der Neurasthenie ergriffen und völlig gefangen genommen ... Ich empfinde nacheinander alle die Qualen nervöser Niedergedrücktheit und geistigen Schwächegefühls. Kein Gesicht, keine Erinnerung erscheint mir mehr als Ruheplatz, als Zerstreuung, als Haltepunkt inmitten der Langweile, die an mir nagt. Ich kann auch nicht mehr arbeiten. Kein Buch interessirt mich. Rabelais, Montaigne, La Bruyère, Pascal und Tacitus, Spinoza und Diderot, deren verehrte Werke ich hierher mitgebracht habe, habe ich noch nicht ein einziges Mal aufgeschlagen, nicht ein einziges Mal habe ich Tröstung und Vergessenheit an ihrem Genie zu finden gesucht ... Und Triceps reizt mich nur noch mehr durch seine ständige Aufregung und seine Geschichten ... und zu allen Zeiten, alle Tage reisen Leute ab und andere kommen an ... Das sind dieselben bleichen Gesichter, die wieder zurückkommen, dieselben erstorbenen Züge, dieselben irrenden Seelen und dieselben Bewegungen, die gleichen Alpenstöcke und die gleichen photographischen Apparate oder Ferngläser, die sie auf dieselben schweren Wolken richten, hinter denen alle diese Leute die berühmten Berge zu entdecken suchen, deren furchtbare Schönheit Baedecker beschreibt, die aber Niemand je gesehen hat. Es wäre wirklich ein Zug bewunderungswürdiger Ironie, wenn diese Berge gar nicht vorhanden wären und auf den täuschenden Glauben an Hotelbesitzer, Führer, Eisenbahngesellschaften hin, ganze Generationen vor diesem geographischen Schwindel vorbeidefilirt wären ... Ach, das möchte ich wirklich gerne haben. Aber leider erscheint es mir nicht möglich, daß so viele Verwaltungsbehörden vereinigt, soviel Geist entwickeln sollten.

Wie sanft und tröstend muß es sein, krank zu sein inmitten heller, beweglicher, ferner Dinge, im silbernen Licht unter einem leichten, launischen, tiefen, großen Himmelszelt, wo hübsche Wolken vorübergleiten, auftauchen, verschwinden und wieder zurückkehren, gleich hübschen Gedanken, die ohne Unterlaß den leichten, launischen und tiefen Himmel eines befreundeten Geistes durchkreuzen ... ja, krank zu sein – ach. Ihr fühlet gar nicht Euer Glück – in einem von Baedecker verachteten, von Touristen, Alpinisten und Strategen ungekannten Landstriche ... in einer Gegend, wo es – oh, beispiellose Wonne – keine Aussichtspunkte gibt ...

Können Sie sich überhaupt etwas Schrecklicheres, etwas Herausfordernderes, Unerträglicheres vorstellen, als Aussichtspunkte? ... Die Aussichtspunkte, wo man in Schichten, in langsamer Kristallisation, in wunderbaren Tropfsteingebilden die riesige, stets gleich bleibende Dummheit aller Jener, die diesen Punkt besuchten, abgelagert findet. Sehen Sie, einst gab es in Douarnenez eine alte Eiche und neben der alten Eiche einen alten, in Trümmer zerfallenen Brunnen, der schon längst versiegt war ... Es gab auch in Douarnenez ein bewegtes Meer und unendliches Licht, durchscheinend durch den köstlichen, rosigen oder vergoldeten oder grauen Nebel, der auf dem Meere lagert ... Aber kein Mensch sah je das Meer an, denn das Meer war nicht der klassische und wohlempfohlene Aussichtspunkt von Douarnenez ... Jedermann begab sich in bewundernden Prozessionen zu der alten Eiche und dem alten Brunnen ... Alle Welt erzählte sich: »Haben Sie schon den prachtvollen Aussichtspunkt von Douarnenez besucht?« ... Und die Maler nahmen sein Bild auf. Mehr als 20.000 Maler setzten sich einige Meter von der alten Eiche entfernt nieder und malten sie unbarmherzig ab ... Man sah sie auch in den kleinen Verkaufsbuden auf flachen Steinen, auf Perlmuttermuscheln, auf Kästchen und Dosen abgebildet. Die Eiche starb ab, angeekelt von ihrem Ruhm und wohl hauptsächlich, weil sie fünfzig Jahre lang denselben Blödsinn vernehmen mußte ... Ja, Eichen können wenigstens absterben, aber Berge?

Erst Abends beginne ich im Hotel in meinem Zimmer wieder ein wenig aufzuleben. Des Abends beleben sich die Wände ... sie sprechen ... sie haben Stimmen, menschliche Stimmen ... Und diese flüsternden Stimmen bringen mir das Geräusch von Leidenschaften, von Manien, von geheimen Gewohnheiten, von Lastern und Übeln, von verborgenem Elend herbei, alle die Dinge, an denen ich die Menschenseele erkenne und leben sehe. Dies ist nicht mehr der Mensch angesichts des unerblickbaren, enttäuschenden Gebirges, sondern der Mensch Seinesgleichen gegenüber. Die Mauern zittern vor all' der Menschlichkeit, der sie Obdach gewähren, und Alles, was ich vernehme, dringt gewissermaßen filtrirt, von seinem Lügengewebe befreit, ohne gesuchte Posen zu mir ... Diese kostbaren Stunden, die mich meiner Bedrücktheit, meiner Einsamkeit entreißen und mich wieder in die ungeheure, brüderliche Komik des Lebens tauchen! ...

Es ist zehn Uhr. Die Zigeuner haben endlich mit ihren klagenden Geigen zu fiedeln aufgehört. Nach und nach leert sich die Halle des Hotels. Das elektrische Licht wurde etwas abgedämpft, sein gelblich erscheinendes Licht mildert die schreienden Farben der Mohnblumen der Decke. Jedermann kehrt in sein Zimmer zurück. Ach, die armen Smokings und die armen hellen Toiletten der eleganten Damen aus Toulouse, Bordeaux oder Leipzig. Das defilirt wie bei einem Begräbniß. Wenn die Verdauung dumpf und freudlos vor sich gegangen ist, bereitet sich auch die Nacht vor, schwer und lieblos zu sein. Man wird so schlafen, wie man im wachen Zustande war, das heißt schwerfällig. An jenen Orten besitzt selbst der Schlummer die erstickende Schwere der Gebirge, denn das Gebirge ist überall. Es ist in einem geschlossenen Zimmer, wenn die Vorhänge zugezogen worden sind; es ist in ihnen, es erfüllt ihre Träume mit seiner Schattenmasse ... Und was für armselige Geschöpfe werden heute Nachts aus den kraftlosen Umarmungen dieser landstreichenden Menschheit, welche ihre erdrückende Langweile durch das Chaos spazieren führt, vom Chaos zum Nichts geleitet, geboren werden?

Durch die Gänge gleiten noch seltsame Düfte, an denen man vielleicht besser als an der Sprache, die sie sprechen, die Nationalität der Frauen, die vorübergingen, erkennen kann. Und die Aufzüge steigen und sinken, die Thüren krachen und werden zugeriegelt, das Parkett seufzt, die elektrischen Glockenzeichen toben wild durcheinander. Endlich wird Alles ruhig. Und von oben bis unten beginnen die Wände in dieser riesigen Kaserne zu tuscheln.

Meine Nachbarn zur Rechten sind erst am Abend angelangt. Ich habe sie noch nicht zu Gesichte bekommen. An ihrem gesuchten, singenden Accent erkennt man sofort, daß sie aus Genf stammen. Aus Genf sein und hieher kommen, um sich in den Pyrenäen von den Alpen zu erholen ... Vor Allem kann kein Zweifel darüber bestehen, daß sie Beide häßlich und einander feindlich gesinnt sind, der Mann sowohl wie auch die Frau. Die Stimmen klingen nicht mehr jung, sie sind aber auch nicht sehr alt. Es sind Stimmen von beiläufig fünfundvierzig Jahren, bei denen die Gewohnheit, stets miteinander zu sprechen, den Tonfall klanglos und bissig gemacht hat. Sie erscheinen unsympathisch wie wirkliche Stimmen, wie nackte Stimmen, die sich unbelauscht fühlen. Ach, wieviel alter Groll liegt in diesen Stimmen!

Zuerst vernehme ich noch nicht, was sie sich sagen, denn das Schweigen im Hotel ist noch nicht tief genug geworden. Es gibt noch allerlei mißtönende Stimmen in diesem Schweigen, wodurch die Stimmen der Wände minder klar und vernehmbar erscheinen. Von meinen Nachbarn tönt es wie eine Art leisen Schnarrens, eines ununterbrochenen, ausdruckslosen Schnarrens, welches von einem Geräusch gleitender Schritte, vom Auf- und Zumachen der Koffer und dem Klirren des Porzellangeschirrs begleitet wird. Dann lösen sich einige Worte los und gelangen deutlicher zu mir. Die Frau spricht, spricht, spricht ohne Unterlaß. Es ist, als ob sie eine Geschichte erzählen und sich dabei unzufrieden fühlen würde. Sie spricht ohne Pause fort. Nach dem Geräusche, das sie macht, nach dem Versagen ihrer Stimme, nach den entrüsteten hohen Tönen, die hie und da vernehmbar werden, gefolgt von jähen Pausen, muß dies eine fürchterliche Geschichte sein. Es kommt mir vor, ähnliche Stimmen vernommen zu haben, wenn von den Begleitumständen eines Verbrechens die Rede war; der Genfer Accent verliert seinen Rhythmus und seinen singenden Tonfall. Scharfe Noten tauchen jetzt darin auf und verwandeln ihn in eine Art Kreischen. Und die Bitterkeit verzehrt die Worte, der Zorn läßt sie pfeifend hervordringen, das ist nicht mehr eine Genfer Stimme, das ist eine Stimme von überall. Es scheint, daß die Stimme, um zu mir zu gelangen, feiner, schmächtiger wird, sich zuspitzt und in Streifen durch die Risse der Wände gleitet.

Da lausche ich denn aufmerksam.

Und ich verstehe endlich, daß diese Dame wüthend gegen ihre Kammerzofe ist. Nach all' dem, was ich diesem Bericht entnehmen kann, der immer rascher und athemloser wird, nach all' dem, was ich zwischen der Flucht der Worte erhasche, ist dieser Dame eine unglaubliche, schreckliche Sache zugestoßen. Die Kammerzofe war nicht zur Stelle, als ihre Herrin vor dem Diner heimkehrte, um sie anzukleiden. Sie hat sie überall suchen lassen, und kein Mensch wußte, wo die Kammerzofe sei. Sie sei erst um ein halb acht Uhr zurückgekommen ... und nun setzt es Ausdrücke, wie »dieses Frauenzimmer« oder »dieses niederträchtige Frauenzimmer« oder »diese schändliche Dirne«, die in einem Tone solchen Ekels ausgestoßen werden, daß man sich gar nicht vorstellen kann, es sei von einem menschlichen Wesen die Rede, sondern man glaubt, es würde von einem scheußlichen Thier, von einer Krankheit oder von Unrath gesprochen. Und die Stimme sagt, als ob sie auf einen Einwurf, den ich nicht vernommen habe, antwortete:

– Das ist nicht wahr, ich habe ja wohl gesagt, daß sie um sechs Uhr hier sein sollte. Und selbst wenn ich vergessen hätte, ihr es zu sagen, ist es doch ihr Beruf, ohne Unterlaß zu jeder Stunde des Tages oder der Nacht zu meiner Verfügung zu sein. Ich begreife gar nicht, wie Du sie vertheidigen kannst und daß Du Deiner Würde so viel vergibst, das ist schändlich, freilich Du ...

Meine Nachbarn haben augenscheinlich ihre Plätze geändert, denn ich unterschied nur noch verworrene, dumpfe, schwirrende Laute. Dann, nach einem Augenblick, ertönt die Stimme des Gatten, die jetzt aus einer anderen Gegend des Zimmers zu kommen scheint:

– Ja, gewiß ... ja gewiß ...

– Na also, entgegnet die Stimme der Frau, weshalb sagtest Du denn das zu mir? Du scheinst zu glauben, ich wisse nicht, was ich thue? ...

Ich vernehme nun schwere Schritte, die längs der Holzwand sich bewegen und sich dann entfernen. Dann ertönt die Stimme des Mannes, doch so undeutlich, daß sie nur noch wie eine Art eintönigen, andauernden Rollens erscheint, etwa, wie: U-u-u-u.

Worauf die Frau mit einer Stimme, die die Wände wie der kreischende Laut zerreißender Leinwand durchdringt, antwortet:

– Nein, nein, ich habe genug ... ich will diese Schurkin nicht mehr bei mir behalten, ich mag dieses niederträchtige Frauenzimmer nicht mehr sehen, ich werfe sie zur Thüre hinaus, sie wird morgen Früh ihrer Wege gehen. Wenn ich bedenke, daß ich genöthigt war, selbst ... ja selbst, verstehst Du, meine Strumpfbänder zu nähen, das ist doch unerträglich ...

Die Stimme des Gatten wird noch undeutlicher und dringt gleich dem Geräusch einer aufgezogenen Uhr zu mir: U-u-u-u.

– Was? Was sagst Du da? ... Ich glaube, Du bist wahnsinnig geworden ...

Obwohl ich das Ohr an die Wand drückte, war mir doch unmöglich, die Antwort zu erfassen. Ich entnahm jedoch dem gutmüthigen Wiegen dieses Geräusches, daß die Stimme zu Gunsten der Kammerzofe plaidirte.

– U-u-u-u.

– Nein, nein ... dreimal nein! kreischte die Stimme der Gattin, sie wird morgen Früh ihrer Wege gehen.

– U-u-u-u.

– Ihre Reise? Ihr Reisegeld bezahlen? Na, wie kannst Du Dir nur so etwas einbilden?

– U-u-u-u.

– Sie wird sich schon einrichten, ich entlasse sie wegen eines ernsten, sehr ernsten Vergehens ... Sie wird sich schon einrichten.

– U-u-u-u.

– Du bist wohl von Sinnen, ich will von Entschuldigungen nichts hören. Nein, sie soll mich nicht um Verzeihung bitten.

– U-u-u-u.

– Na, das möchte ich doch sehen.

– U-u-u-u-u-u.

– Laß mich ungeschoren ... Schweig doch endlich ... leg' Dich nieder ...

Dann herrschte Stillschweigen ... und bald darauf das Geräusch bewegter Gegenstände, herabgleitender Seidenstoffe, klingender Gläser ... Wasserkannen ... die ausgegossen werden ... von Gegenständen, die auf der Marmortafel des Waschtisches hin und hergeschoben werden.

Dann, nach Verlauf einiger Minuten, antwortete die Frau auf ein neuerliches U-u-u noch schärfer und erbitterter:

– Das ist zwecklos, man kann sich gar kein ärgeres Geschöpf, als dieses Frauenzimmer vorstellen. Glaubst Du, daß diese Dirne Tag und Nacht hinter der Thür wachen würde, wenn eine Dame krank wäre? Keine Spur.

– U-u-u-u.

– Doch ... ich sage Dir doch ...

– U-u-u.

– Vor Allem finde ich es außerordentlich, daß Du sie so in Schutz nimmst; weshalb vertheidigst Du sie denn so angelegentlich?

– U-u-u.

– Ach Du ... mit Deinen Leidenschaften ...

– U-u-u; U-u-u. U-u?

– Ja Du ... alle Wetter ja ... ich ahnte das schon lange genug ... nun schön, Ihr werdet keine Schweinereien mehr zusammen machen, wenigstens nicht in meinem Hause.

– U-u-u.

– Laß mich zufrieden, sprich nicht mehr mit mir ... zieh Dich aus ...

– U-u-u.

– Schweig! Ja, ich will Dir was pfeifen ...

Neuerliches Schweigen. Man fühlt, daß der Gatte einer wüthenden Erregung zur Beute gefallen ist. Er geht brummend und fluchend im Zimmer auf und ab ...

Plötzlich erklingt die Stimme der Frau:

– Ach ja, danke schön ... Es ist jetzt mindestens acht Tage her, daß Du Dir die Füße nicht gewaschen hast. Wie lustig das ist, mit einem solchen Manne zusammen zu schlafen ...

– U-u-u.

– Nein, laß mich zufrieden!

– U-u-u.

– Laß mich zufrieden! ...

Dann gibt es wieder ein Auf und Ab, ein Hin- und Herschieben von Stühlen, das Bett kracht ... Dann tritt Schweigen ein ... ein Schweigen, das drückender ist als all' das, was ich vorher vernahm.

Dann nach einigen Augenblicken des Schweigens, ertönt die Stimme der Frau weniger scharf ... eher kindlich ...

– Nein ... laß mich ... heute Abend nicht ... Du hast es heute Abend nicht verdient, laß doch die Hände ...

Dann gibt es leise Schreie, leichte Küsse ... feuchte Küsse, pfeifenden Athem ... der bald vereint ... bald durcheinanderklingt und die Stimme der Frau haucht sanft, sehr sanft:

– Mein Liebling, ach ja ... so ... ach Gott ...

Dann nach einigen Augenblicken erklingt noch einmal ein lauter Schrei ... Die Worte überschwänglichen Dankgefühls:

– Mein Männchen ... mein Männchen ... mein Männchen ...

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