Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XII.

Ich habe heute eine bedeutende Entdeckung betreffs der Unverwundbarkeit des Igels durch Schlangengift gemacht und bitte Sie, meine künftigen Leser, um Erlaubniß, mich dieser Sache in Ihrer Gesellschaft zu erfreuen.

Diese Unverwundbarkeit kommt nicht, wie die Naturforscher glauben, welche überhaupt nie weiter als bis an das Ende ihres Seziermessers sehen, von physiologischen Eigenschaften, welche den Igel schon in seiner Körperbeschaffenheit für Vergiftungen durch Schlangenbiß unempfindlich machen, sie kommt einzig und allein von der erstaunlichen Geriebenheit, mit der die Natur diesen kleinen Vierfüßler ausgestattet hat und von der bewunderungswürdigen Schlauheit, die er im Kampf um's Leben an den Tag legt. Ich werde das sogleich ausführlich klarlegen.

Wenn ich von meiner Entdeckung den Leuten, die man die Gelehrtenwelt nennt, keine Mittheilung mache, so geschieht das nur, weil ich weiß, wie wenig entgegenkommend diese für private Beobachter sind und wie systematisch offen feindlich sie gegen die Einbrüche von Litteraten auf das Gebiet der Wissenschaft gesinnt sind, welche sie als ihr ausschließliches Wirkungsfeld betrachten und das sehr mit Unrecht, wie ich zu bemerken wage. Dennoch dürften meine früheren Arbeiten und meine kürzlich veröffentlichten Untersuchungen als ernst zu nehmendes Attest dafür gelten, daß ich in diesen Theilen menschlichen Wissens nicht wie der Erstebeste angesehen zu werden brauche. Soll ich es ihnen in's Gedächtniß zurückrufen, daß ich der Erste war, der das interessante neue Gesetz über die Platzveränderung der Pflanzen aufstellte? Was meine Beobachtungen über die Doppelseele und das Selbstverbrecherthum der Spinne betrifft, so brachten sie einen förmlichen Aufruhr in die Physiologie dieses eigenartigen Lebewesens, so zwar, daß Sir John Lubbock, dem ich meine diesbezüglichen Entdeckungen in einer glänzenden Denkschrift überreichte, so wüthend wurde, daß die ganze Geschicklichkeit des Barons von Courcel, der damals unser Botschafter in London war, aufgeboten werden mußte, um England zu verhindern, neuerdings Dummheiten in Ägypten zu machen.

Es ist wirklich eine glückliche Erscheinung, daß einfache Dichter zuweilen die Irrthümer der Gelehrten berichtigen. Ich kann ohne Entsetzen garnicht an die furchtbare Geistesnacht denken, in welcher wir untertauchen würden, wenn uns nur die Gelehrtenwelt zur Verfügung stände, um uns das Wenige, was wir von den Naturgesetzen überhaupt wissen, auseinanderzusetzen. Der Alchimist Van Helmont, der für seine Zeit ein ansehnlicher Gelehrter war, ein leidenschaftlicher Forscher mit großer Erfindungsgabe und zugleich ein sorgfältiger Experimentirer, beschenkte die Wissenschaft mit der Theorie der spontanen Zeugung. Dies geschah folgendermaßen. Eines Abends legte er unter einen hermetisch verschlossenen Blumentopf einige trockene Nüsse. Als er am nächsten Morgen den Topf aufhob, sah er Mäuse, welche die Nüsse beknusperten. Er schloß daraus sofort, daß die Mäuse mit außerordentlicher Spontaneität aus den Nüssen entstanden waren und überbrachte diese gute Nachricht den begeisterten Akademien von ganz Europa. Leider geben sämmtliche wissenschaftlichen Untersuchungen eine ähnliche Werthprobe: ob sie nun aus der Brühe zeitgenössischer Kultur oder aus den geheimnißvollen Studirkammern des Mittelalters hervorgehen, sie sind im Grunde genommen stets das gleiche Lügengespenst, wenn man den Jesuiten, diesen besten aller Erzieher, Glauben schenken will. In einigen Jahren werden unsere Söhne über die Mikroben des Herrn Pasteur ebenso lachen, wie wir über die spontanen Mäuse des Herrn Van Helmont lachen und die Gehirnbildungen des Dr. Charcot werden ihnen vielleicht als ebenso unannehmbare Spitzfindigkeiten erscheinen, wie uns der Homunculus des Arnaud von Villeneuve und die geistigen Frösche des Herrn Brandt. Experientia fallax, wie der alte Hippokrates sagte.

Heute Nachmittag ging ich mit meinem Freunde Robert Hagueman im Wäldchen spazieren ... einem früheren, heute verlassenen Park, der einige Kilometer weit von der Stadt ab liegt. An einer Stelle des Thales, wo dieses, müde geworden, nur ein Riß zwischen den Bergen zu sein, sich weitet, so daß es bei einer lebhaften Vorstellung eine winzige Ebene hervorruft ... Dieses Gehölz, das wieder frei, fast urwäldlich geworden ist, erscheint mir köstlich in seiner Schweigsamkeit und seiner Frische. Blumen aller Art sprießen dort hervor, gelbe, rothe, blaue, rosige; auch kann man endlich ein Stückchen Himmel zwischen den Zweigen unterscheiden.

Nachdem ich lange gewandert war, ruhte ich mich am Rande einer Lichtung aus, den Rücken an einen Baumstamm gestützt. Ganz nahe von mir erschlossen sich weiße Blumen, die ihre Kelche der Sonne zuwandten und rings um mich herum sah man goldige Blumensternchen den Schatten aufhellen ... Und ich dachte an nichts, höchstens daran, mich dieser sanften Ruhe zu erfreuen und mich von dem Lichte, das von dieser Natur ausging, beleuchten zu lassen. Robert Hagueman war seinerseits auf der Moosdecke eingeschlafen. Ja, wenn mir Einer hätte voraussagen wollen, daß ich im nächsten Augenblick eine bedeutsame biologische Entdeckung machen würde, wäre ich nicht wenig erstaunt gewesen.

Meine Aufmerksamkeit wurde plötzlich durch einen glänzenden Gegenstand, der zwischen den Gräsern einherglitt und in dem niedrigen Laube wie ein Silberblitz aufleuchtete, gebannt.

Ich erkannte eine Viper und würde lügen, wenn ich nicht eingestände, daß sie der gefährlichsten Art angehörte. Sie bemerkte mich nicht, sie bewegte sich frei und träge zwischen den Blumen; bald verschwand sie, bald tauchte sie wieder auf. Hier gerade wie eine Dolchklinge, dort oval wie ein Armband oder auch gewellt wie eine Wasserrinne inmitten des Mooses. Aber noch eine andere Sache beunruhigte mich. Nicht weit von der sorglosen Schlange bemerkte ich ein Häuflein trockenen Laubes. Auf den ersten Blick bot dies nichts besonderes Interessantes; als ich aber genauer prüfte, kam es mir verdächtig vor. Im Unterholz herrschte nicht die geringste Brise, auch nicht der kleinste Zugwind wehte: alle Blättchen und Halme blieben unbeweglich. Man hätte glauben können, daß das Ganze ringsherum nur hingemalt sei. Und dennoch bewegte sich dieses Häuflein trockenen Laubes; eine leichte, kaum zu unterscheidende Bewegung, etwas, was einem Athmen glich, belebte es ... Es war lebend ... Und da diese Kugel trockenen Laubes lebend erschien, flößte sie mir einen ungewissen Schrecken ein ... Ich riß die Augen weit auf, um genauer zu sehen, um mit meinem Blick die Blattdecke zu durchdringen, die offenbar ein Geheimniß barg, eines der tausend Verbrechen des mörderischen Forstes, aber welches?

Die wenigst entwickelten Thiere, die niedrigsten Insekten, die schier todten Larven haben einen bewunderungswürdigen Spürsinn für Alles, was sie bedroht.

Sie entdecken den bestverborgenen Feind mit einer Spitzfindigkeit, die sie nie täuscht, die sie nie im Stiche läßt, obwohl dieselbe sie nicht immer retten kann. Der Feind, der dort unter dem Laubwerk verborgen lauerte, konnte die Schlange nicht bedrohen, sonst würde sich diese nicht so vertrauensselig, so faul, so anmuthig ausgestreckt und so wollüstig träge inmitten der Blumen und des weichen Mooses bewegt haben. Ich hatte mich zweifellos getäuscht; nur meine Phantasie ließ mich unter unschuldigem Laubwerk eine gierige Schnauze und zwei funkelnde Augen entdecken. Ich entschloß mich, hinter meinem Baume bewegungslos und stumm zu warten, damit die Schlange nicht erschreckt würde. Robert schlief noch immer.

Und plötzlich, als die Viper, langsam vorwärts kriechend, das Humushäufchen streifte, sah ich einen wundervollen Vorgang, eines der erstaunlichsten Dramen, die wohl je ein Mensch betrachtet hat. Die trockenen Blätter flogen nach rechts und links fort, ein großer Igel sträubte seine Stacheln und streckte seine Schnauze vor. Mit einer Schnelligkeit, mit einem Angriffssprunge, welchen man unmöglich so leicht und geschickt bei einem anscheinend so schwerfälligen Thiere vermuthet hätte, stürzte sich der Igel auf die Schlange, biß sie in den Schwanz, hielt diesen fest, rollte sich zu einer Kugel zusammen, so daß sein ganzer Leib durch tausend Stacheln, gleich Lanzenspitzen beschützt war. Dann rührte er sich nicht mehr.

Da begann die Viper fürchterlich zu fauchen. Mit wüthenden Anstrengungen, welche sie kerzengerade wie eine Messerklinge ausstreckten, versuchte sie sich von der Umschlingung des Igels zu befreien. Aber vergebens. Vergebens versuchte sie ihn zu beißen, vergebens streckte sie ihren giftgeladenen Rachen gegen die Stacheln des erfinderischen Thieres aus, an denen sie ihren Leib zerriß. Über und über mit Blut bedeckt, die kleinen Äuglein zerstochen, kämpfte sie weiter und biß auf den undurchdringlichen Panzer des Ungeheuers los, wobei ihre Wuth durch die erhaltenen Wunden nur noch angestachelt wurde. Dieser Kampf dauerte zehn Minuten lang. Endlich durchbohrte sie in ihrer Raserei des Befreiungskampfes ihr Hirn an den unbeugsamen Spitzen und fiel leblos zu Boden; wie ein winziges graues Band, das mit Blutflecken bedeckt war, lag sie nunmehr neben der unbeweglichen Kugel da.

Der Igel wartete noch einige Augenblicke. Dann ließ er mit einer Vorsicht, mit wirklich bewunderungswürdiger Schlauheit die Stacheln fallen, streckte behutsam sein Schnäuzchen aus, dehnte den Körper halb aus und schlug die beiden schwarzen, wilden, grinsenden Äuglein auf, wobei auch seine Pfoten zum Vorschein kamen. Dann, als er sich vollkommen darüber klar geworden war, daß die Viper todt sei, verschlang er sie, grunzend wie ein Ferkel.

Nachher schleppte er sich schwerfällig und satt auf seinen kurzen Beinchen bis zu einem Humushaufen, rollte sich zu einer Kugel zusammen und versank in den losen Blättern ...

Auf unserem Rückwege erzählte mir Robert, der den Bericht von dem Kampfe der Schlange mit dem Igel ohne Interesse aufgenommen hatte, Geschichten von Weibern, Spiel und Pferden. Ich hörte kaum auf ihn ... Als wir aber nur noch wenige hundert Meter von der Stadt entfernt waren, zupfte er mich am Arm und sagte zu mir, indem er auf ein hübsches Haus, das zwischen prachtvollen Gärten und Terrassen dalag, deutete:

– Kennst Du dies Haus?

– Nein ...

– Aber es ist ja die Villa mit dem Spuk, alter Junge ... Wie, davon weißt Du nichts? ... Es ist eine großartige Geschichte ... Höre, wie ich davon Kenntniß erhalten habe.

Und mein Freund erzählte:

– Vor zwei Jahren wollte ich hier eine Villa miethen ... Mir war der Rath gegeben worden, mich an den Notar Herrn Claude Barbot zu wenden, der vier Villen besaß, die schönsten und bestgelegenen der ganzen Gegend. Dieser würdige Staatsbeamte empfing meinen Besuch mit größter Höflichkeit, obwohl seine etwas allzu plumpe Vertraulichkeit und derbe Fröhlichkeit mir vom ersten Anfang an außerordentlich mißfielen.

Er war ein kleiner kahlköpfiger Mann mit rundlichem Gesicht, das keinen sinnlichen Ausdruck hatte. Sein Bauch dehnte sich unter einer Sammtweste, die mit Blumen bestickt war, eine alterthümliche Form hatte und schon recht schäbig erschien.

An ihm war Alles rund wie sein Gesicht. Auch schien Alles gemein und gemächlich, mit Ausnahme der Augen, deren, weiße, rothgestreifte Sterne, die in ein dreifaches fettiges Lager von Lidern eingeschlossen waren, wenn ich mich so ausdrücken darf, eine finstere Miene trieften. Aber ich war so daran gewöhnt, diesen Ausdruck beinahe stets in gleicher Weise in den Augen von Geschäftsleuten zu finden, daß ich ihm keine besondere Aufmerksamkeit schenkte. Übrigens hatte ich mit diesem Anwalt des Badeortes ja keine bedeutenden Sachen zu verhandeln. Höchstens konnte er mich um einige Louis schädigen, selbst wenn wir betreffs der Miethe einer Villa nicht übereinkommen.

Nach einigen kurzen kühlen Worten setzte ich ihm den Zweck meines Besuchs auseinander.

– Aha! rief er, indem er die Hände auf seinen kurzen Beinen ausbreitete – wenn sein Schädel auch keine Spur von Haarwuchs mehr zeigte, waren seine Hände doch dicht behaart ... – Aha! ... Sie wollen sich den ganzen Sommer lang in den Pyrenäen ausruhen? ... Ein ausgezeichneter Gedanke ... Es gibt gar keinen angenehmeren und gesünderen Aufenthalt ...

– Das hoffe ich, erklärte ich einfältig, da ich nicht wußte, was ich sagen sollte.

Der Notar vergrößerte noch die mißliebige Vertraulichkeit seiner Rede:

– Und Sie kommen ... Aha! ... Sie kommen den Notar Claude Barbot, der die Ehre hat Ihnen gegenüber zu sitzen, besuchen, um ihm eine seiner kleinen Villen abzumiethen? ... Alle Wetter, ja! Das glaube ich wohl ... Meine Villen sind die hübschesten und elegantesten der ganzen Gegend ...

– Sie erfreuen sich wenigstens dieses Rufes ...

Sicherlich verfolgte mich ein entschiedenes Pech in der Wahl meiner Antworten. Der Notar lächelte:

– Dieser Ruf ist wohlverdient! ... Ich denke, wir werden dieses Geschäft schon zusammen abschließen ... Ja, ja, wir werden uns wohl einigen ...

Herr Barbot kreuzte die Arme und ließ sich auf seinen Sessel zurücksinken.

– Na also ... ich meine ... sagte er ... Wir sprechen, darüber ... Also erstens ... Sind Sie verheirathet?

– Nein.

– Aha! ... also ledig ... ausgezeichnet ... vortrefflich! Nummer zwei ... haben Sie irgend eine Angewohnheit? Ich meine eine Bekanntschaft ... Kurz, um das Kind beim rechten Namen zu nennen ... eine kleine Freundin?

Und der Biedermann fügte mit wohlwollendem Lächeln noch hinzu:

– Mein Gott! Wir wissen ja, wie es im Leben geht ... Man ist in der Provinz nicht so zurückgeblieben, wie gemeinhin angenommen wird ... Jugend hat keine Tugend ... das bleibt sich überall gleich ... Das kümmert die Kammer der Notare wenig! ... Ah! Ah!

Als ich erstaunt und etwas entrüstet über die Wendung, die die Unterhaltung annahm, keine Antwort gab, erklärte der Notar weiter:

– Mein Gott ... Verzeihen Sie, wenn ich Ihnen diese Fragen stelle ... Ich thue es nur, um mir darüber klar zu werden, was Sie brauchen ... ich befrage Sie nur als Villenbesitzer. Meine vier Häuser, bester Herr, sind nämlich im Hinblick auf verschiedene gesellschaftliche Verhältnisse zugestutzt ... auf deutlich ausgesprochene ... oder auch nicht ausgesprochene Lebenslagen, ganz nach Belieben ... verstehen Sie mich? ... Ich habe eine Villa für ein wirkliches Ehepaar: das ist die mindest gute ... eine andere für vorübergehende Ehen, für Sommerpaare: die ist schon besser eingerichtet ... eine andere für einzeln stehende Herren: letztere ist bewunderungswürdig, mein Bester ... Und so weiter ... Sie begreifen, was für den Einen paßt, paßt nicht für den Anderen ... Also ... unter welcher Kategorie soll ich Sie ...?

– Ich bin allein, erklärte ich.

– Nun um so besser ... entgegnete der Notar zustimmend. Sie haben das Richtige erfaßt. Sie haben ein Anrecht auf die schönste meiner Villen ... Ich bin ganz glücklich darüber, denn Sie gefallen mir außerordentlich ... wirklich über alle Maßen ...

Ich machte eine unsichere, dankende Bewegung ... Herr Barbot begann von neuem:

– Es wundert Sie vielleicht, daß ich einzeln stehenden Herren die schönste, die vollkommenst eingerichtete, die eleganteste, die bewunderungswürdigste meiner Villen bestimme? Das ist so ein Spezialgedanke von mir, ich werde Ihnen das sofort auseinandersetzen ... während wir das Haus, wenn es Ihnen recht ist, besichtigen ...

Und sein verworrener Blick prüfte mich und schien mich zu durchsuchen. Ich fühlte in der That, wie dieser Blick mich prüfte, wog und meinen socialen, moralischen und geschäftlichen Werth feststellte. Ich war vor dem Blicke dieses Mannes wie ein Edelstein in der Hand eines Juden.

In diesem Augenblick öffnete sich die Thür des Arbeitszimmers und inmitten einer Hülle von Seide und Spitzen, umgeben von dem starken Duft der Frauen und Blumen, bemerkte ich röthliches Haar, einen rothen Mund, den blauen Glanz zweier anbetungswürdiger Augen, eine verblüffende, wunderbar schöne Erscheinung, prächtig in ihrer Jugend und Liebeslust, die, kaum aufgetaucht, wieder verschwand, indem sie den Ruf: »Pardon!« ausstieß.

– Meine Frau, erklärte der Notar Claude Barbot nachlässig.

– Ich gratulire! rief ich, noch ganz überrascht durch diese rasche Erscheinung des strahlenden Wesens, die ich kaum in der geöffneten Thür, die sich sogleich wieder schloß, erblickt hatte ...

Robert schwieg einen Augenblick.

– Ach, altes Haus, seufzte er, wenn ich daran zurückdenke! Nein, diese Augen, diese Lippen!

Dann begann er von neuem:

– Die Villa gefiel mir. Sie dehnte sich längs eines Hügels zwischen Baumgruppen und war von Gärten umgeben, ihr Bau war leicht und luftig, der Notar hatte ihre Vorzüge wirklich nicht übertrieben. Das Innere war hell, diskret und elegant ausgestattet und erdrückte durchaus nicht die Aussicht, deren Grün, deren Berge und Himmel voll zur Geltung kamen. Ganz besonders erinnere ich mich noch an das Schlafzimmer, ein gelb tapeziertes Zimmer mit hellen Möbeln, das so einschmeichelnd, so zärtlich weich und wollüstig lustig aussah, daß in ihm alle Gegenstände, alle Nüancen des Leibes außerordentlich fein erschienen und man einen traumhaften Eindruck empfing. Einige freie Kupferstiche, Kopien nach Jules Romain und andere ganz schamlose, von Rops – glaube ich – gezeichnet, schmückten die Wände. Hier und dort auf dem Kaminsims und den Konsolen und Tischen befanden sich frivole Meißener Porzellanfigürchen, die zur Anmuth einer hübschen Sünde den Ton angaben ...

Wir befanden uns gerade in diesem Zimmer, als ich, entschlossen die Villa zu miethen, nach dem Preise fragte.

– 50.000 Francs, keinen Sou weniger ... erklärte der Notar Barbot mit fester Stimme.

Ich fuhr auf. Aber der Besitzer bat mich, wieder Platz zu nehmen und erklärte mir, während sein betäubender Blick seltsam gebieterisch auf mir lastete:

– 50.000 Francs ... das erscheint Ihnen übermäßig theuer auf den ersten Blick? Das begreife ich wohl ... Aber ich will Ihnen mit einem Worte Klarheit verschaffen ... In dieser Villa spukt es ...

– Es spukt? ... stammelte ich.

– Ja gewiß ... Allnächtlich stellt sich ein Schemen ein ... Oh! es ist kein Schemen mit einem Todtenkopf, kein Skelett, das Eisenketten mit sich schleppt und im Mondlicht auf den Schlag der Mitternacht durch die Gänge streift ... Nein ... Es ist ein Schemen, wie man es nicht häufig zu Gesicht bekommt, selbst im Traum nicht, ein anbetungswürdiges, wundervolles Schemen mit dem Kopf und dem Leib eines Weibes, dessen röthliches Haar, dessen blaue Augen, dessen unter der luftigen Hülle duftiger Spitzen schimmernder Leib einen Heiligen in die Hölle locken würden ... Dieses Schemen hat noch die Eigenschaft, alle Liebesgeheimnisse zu kennen, ja es erfindet sogar immer neue, dabei ist es diskret, außerordentlich diskret ... Es kommt, wenn man darnach verlangt ... es geht, sowie man dies wünscht ... Kein Mensch erfährt etwas davon ... man fragt weder nach Namen, noch Art ... Kurz, sagen Sie ja oder nein ... Ich vermiethe die Villa mit dem Schemen zusammen ... ich vermiethe sie nie ohne das Schemen ... Wenn Sie nicht wollen, finde ich leicht einen anderen Miether ... Nein wahrhaftig, an Bewerbern fehlt es nicht!

Ich blickte den Notar an ... ein cynisches Lächeln spielte um seine Lippen, zuckte in seinen Augen auf ... und ich rief aus:

– Dieses Schemen ... ich kenne es wohl, ich sah es ja ... Es ist ...

Der Notar Barbot gebot mir durch einen heftigen Zwischenruf Stillschweigen:

– Es ist ein Schemen, weiter nichts ... Sie kennen es nicht, Sie haben garnichts gesehen ... Es ist ein Schemen, wie alle Schemen ... Wir wollen aufbrechen ... Sie können sich ja auf dem Wege die Sache weiter überlegen ...

Und achselzuckend bemerkte er noch mit überlegener Verächtlichkeit:

– Ach ja! man muß ein Dummkopf sein, wenn man um die Liebe eines Schemens ... eines solchen Schemens ... feilschen würde ... Oho, ja! ... Und so etwas rühmt sich, seltsame Eindrücke, unbekannte Wollust zu suchen? ... Oh! Schriftsteller! ... Wir wollen aufbrechen ...

Als Robert seine Geschichte beendet hatte, fragte er mich Plötzlich, als er aus dem Wagen gestiegen war:

– Du weißt auch nicht ... wer dieses Jahr in der Spukvilla wohnt? ... Dickson-Barnell, der amerikanische Milliardär ... Wir diniren doch heute Abend mit ihm zusammen ... Also auf Wiedersehen! ...

Dieser Dickson-Barnell ist ein reizender Mensch ...

Nachdem wir einander vorgestellt waren und einige Cocktails zusammen vor dem Diner getrunken hatten, wurden wir sogleich die besten Freunde von der Welt ...

Er war übrigens – so war er mir vom ersten Augenblick an vorgekommen – ein lustiger Gesellschafter, von mitreißender, freimüthiger Fröhlichkeit ... die freimüthig wie Gold erschien. In der herzlichsten Weise beeilte ich mich, ihm zu seinem Frohsinn Glück zu wünschen.

– Das ist eine recht seltene Tugend, mein lieber Herr, die bei uns zu Lande von Tag zu Tag mehr verschwindet ... sagte ich mit herzlicher, tendenziöser Feierlichkeit. Es gibt überhaupt nur noch die Amerikaner, wenn man sich ein lustiges Volk vorstellen will ...

Dickson-Barnell stimmte mir bei:

– In der That, ... sagte er ... ich bin lustig, wenn das soviel bedeuten soll, als daß ich ganz genau weiß, was die Lustigkeit eigentlich ist. Aber damit kann nicht gesagt werden, daß ich glücklich sei ... Sehen Sie, die Moralisten haben vollkommen Recht ... reiche Leute können nicht glücklich sein. Das Glück ist etwas ganz Anderes, als der Reichthum. Ich glaube sogar, daß es ihm direkt feindlich ist.

Als ich mich über diese Reihe melancholischer Geständnisse wunderte, seufzte er:

– Ach! wenn man so reich ist, wie ich es bin, hat man allzu rasch den Boden aller Dinge gesehen ... Das Leben wird zu einer furchtbar eintönigen Sache, der jedes Unvorhergesehene fehlt ... Die Frauen, der Wein, die Pferde, die Reisen ... die Bilder, die Nippsachen, das Alles flößt Einem auf die Dauer Ekel ein. Sie können sich garnicht vorstellen, bis zu welchem Grade ... furchtbarsten Ekel. Alles ist ja so unendlich eitel ... Vanitas vanitatum.

Ich war entschlossen, diesem Manne in jeder Weise zu schmeicheln und sagte zu ihm:

– Ihre Worte sind das reine Gold, mein bester Herr.

– Alle Wetter, kein Wunder! antwortete einfach der Milliardär mit einer Geste, deren unendliche Schwermuth ich nie vergessen werde.

Nachdem einige Minuten lang Stillschweigen geherrscht, fragte er mich unvermittelt:

– Rauchen Sie?

– Mit Vergnügen ...

Er reichte mir eine Zigarre, die so lang wie ein Obelisk war und gleich einer goldenen Säule in der Sonne glänzte.

– Sapperlot! rief ich bewundernd aus.

Dickson-Barnell hatte um die Lippen jenes bittere, freudlose Lächeln, das so oft den Mund des pessimistischen Ecclesiasten umspielen muß. Dann setzte er mir auseinander:

– Ja, es ist so eine Idee von mir ... Diese Zigarre ist zur Gänze aus kontrollirt reinen, geprüften Goldblättern angefertigt. Ich habe ganze Kassetten voll davon, Kassetten, die ebenso lang und ebenso tief sind, wie die Divane, von denen Ihr Baudelaire spricht. Ich hatte mir eingebildet, daß Gold zu rauchen der Höhepunkt des Reichthums sei ... Nun also! Sie können sich garnichts Schlechteres vorstellen, mein bester Herr ... Es ist durchaus unrauchbar.

Er machte eine Bewegung der Muthlosigkeit, von solcher Weite, daß sie in der That das ganze Weltall zu umschließen schien ... und er sagte in einem Tone, dessen sympathischen Klang ich unmöglich wiedergeben kann:

– Leider ist Alles unrauchbar ...

Dann weiter:

– Das geht gerade so, wie mit den Frauen. Ach, mein bester Herr, ich kann wohl sagen, daß ich sie alle besessen habe ... Ich kann wohl sagen, daß ich garnichts davon gehabt habe, nichts als Ermüdung und Ekel ... Da wollte ich den Traum der Dichter verwirklichen ... Ich wollte in meinen Armen Schöpfungen der Schönheit und Chimären halten, überirdische Wesen, wie man ihnen nur in den Gedichten begegnet. Ich habe durch große Künstler Frauen herstellen lassen, deren Haar aus echtem Golde bestand, deren Lippen durch reine Korallen gebildet wurden, während ihre Haut den Blumenblättern einer Lilie glich, indeß der Busen in wirklichem Schnee modellirt erschien, und so weiter, und so weiter. Ja, mein bester Herr. Na also ...

– Na also?

– Es war unrauchbar ...

Und er stöhnte:

– Ach, reich sein ... zu reich sein ... ist ein trauriges Geschick! Und dieser fürchterliche Gedanke, daß man Alles im selben Augenblick, da Einen ein Verlangen darnach anwandelt, haben kann, Alles, selbst litterarisches Genie ... Alles für Geld zu haben! Denn ich besitze auch litterarisches Genie. Ich bin der Verfasser einer ganzen Reihe von Dramen, die von einem jungen Manne geschrieben wurden, der mich überall hin begleitet ... Diese Dramen sind die reinen Wunder, aber sie langweilen mich ... Man kann sich gar nichts Fürchterlicheres vorstellen ... Da ich doch selber nicht weiß, wie reich ich in Wirklichkeit bin ... Vergebens greife ich mit vollen Händen tagtäglich in das unergründliche Meer meines Reichthums, ich habe noch nie den Grund erreichen können. Kennen Sie meine Gärten?

– Nein; aber ich möchte sie so gern kennen lernen!

– Es sind Gärten von fünfzig Hektar Umfang, in denen die Blumen aller Länder künstlich dargestellt sind und die kleine elektrische Lampen in ihren Kelchen bergen. Abends, wenn die Nacht herniedersinkt, drehe ich einen Knopf um und alle diese Blumen strahlen auf. Es ist feenhaft, mein bester Herr. Sie können sich gar nicht vorstellen, bis zu welchem Grade mich das anekelt. Das ekelt mich derartig an, daß ich in meinen Palästen, auf meinen Jagden, in meinen Schlössern und Villen das elektrische Licht durch das primitive Licht des Kienspans ersetzen ließ. Ach, mein bester Herr, werden Sie um Gotteswillen niemals reich ...

Dickson-Barnell stieß einen langgezogenen Seufzer aus. Er wälzte sich auf den Pölstern hin und her, ohne eine Lage zu finden, die ihm angenehm war. Dann fuhr er in klagendem Tone fort:

– Ich habe es mit der Wissenschaft, mit der Philosophie, mit der Photographie und mit der Politik versucht; ich habe auch gelesen, massenhaft gelesen; ich habe Bücher aller Art und aller Autoren gelesen. Ich wollte auch die Werke des Herrn Paul Bourget, des Herrn René Doumic, des Herrn Melchior von Vogüé derselben mechanischen Zerstampfung und Auslaugung unterwerfen, wie die goldführenden Steinblöcke, aus denen man Gold wäscht, um deren Gedanken als Extrakt zu besitzen und mir sie anzueignen.

– Ach leider! unterbrach ich ihn ... seit Langem sind diese Bücher durch noch kritischere Hände als die Ihren gegangen. Bisher hat man nichts als träge Materie und todte Last finden können.

– Ich sagte es Ihnen ja! stöhnte der unglückliche Dickson-Barnell; Alles ist unrauchbar ... Denken Sie nur, ich stand mit dem König von Belgien in Verhandlung ... Das ist übrigens auch ein sehr netter Kunde! – um ihm Belgien abzukaufen ... Ich wollte dort die Feste und Späße der römischen Kaiser neu aufleben lassen ... Leopold und ich waren fast einig ... Da sah ich Quo vadis? im Porte-Saint-Martin-Theater ... Das hat mir für ewige Zeiten den Neronismus verekelt ... Alles ist unrauchbar! ...

Das Diner war trübselig ... Robert Hagueman war nicht in Stimmung ... Dickson-Barnell trank wie ein Tauber, schweigsam ... mit kupferrothem Gesicht und blutunterlaufenen Augen ... Vergebens trug Triceps eine wahre Eichhörnchenanmuth zur Schau ... und sprang von einem Gesprächsthema zum anderen über ... Und ich dachte an den Kampf der Viper und des Igels auf der blumigen Lichtung ... Als wir vom Tisch aufstanden, sagte ich zu Dickson-Barnell:

– Na also ... ist das Schemen der Spukvilla ... ha! ha! ... gleichfalls unrauchbar?

– Ganz unrauchbar ... stammelte der amerikanische Milliardär mit schwerer Zunge.

Dann fügte er, unsicher wie ein Trunkenbold hin und her schwankend, hinzu:

– Alles ... Alles ist unrauchbar ...

Er versuchte gleich den Anderen aufzustehen ... aber seine knickenden Beine konnten die Last seines Leibes nicht tragen ... Er fiel wie ein Sack auf seinen Stuhl zurück ... und lallte mit der Hartnäckigkeit eines Trunkenen:

– Alles ist unrauchbar ... un ... rauch ... bar! ...

Dann sank er in Schlaf.

Robert Hagueman erzählte uns im Rauchzimmer:

– Der arme Dickson-Barnell hat sich nett verändert. Ich kannte ihn ... einstens ... wie er noch ein großartiger Kerl war. Zunächst konnte er trinken, was er wollte, ohne daß es ihm etwas schadete ... Dann klagte er auch nicht über das Leben wie ein lyrischer Dichter.

– Alle Wetter, wenn man so reich ist, wenn man so lange reich ist ... rief Triceps, kann man schon aus minderen Gründen neurasthenisch werden.

Und Robert fuhr fort:

– Sie erinnern sich zweifellos – denn es war ein pariserisches Ereigniß – was ihm eines Morgens zustieß, als er seine Mailcoach kutschirte. Als er gerade nach Hause zurückkehrte, stieß der Mailcoach, durch den Trab der vier Pferde heftig fortgerissen, beim Wenden so jählings an den Gitterzaun des Hotels, daß Dickson-Barnell wie ein Stück Holz auf das Pflaster des Hofes geworfen und halbzerschmettert liegen blieb ... Er hatte die Besinnung verloren und war so zugerichtet, daß man ihn für todt hielt ... Wie kam es nur, daß er nicht in der That todt war? Sein Schädel war an zwei Stellen geborsten, drei Rippen eingeschlagen, die Kniee verrenkt, ein Bein zerschmettert und durch einen weiten Riß am Bauch drang das Blut in wahren Fluthen hervor. Mit der größten Mühe schaffte man ihn in sein Bett. Auf dem Wege hinterließ er, auf Treppen und Gängen, eine wahre Rinne von Blut und die Dienstboten, die ihn trugen, waren ganz roth. In Eile herbeigerufen, untersuchte der Arzt, der ein treuer Freund Dickson-Barnell's war, die Wunden, runzelte die Stirn, nahm die nothwendigsten Verbände vor, indem er die Ankunft des Wundarztes erwartete, den er beim ersten Anblick des Verletzten holen ließ. »Ist er todt?« fragte der Sekretär, der in's Zimmer trat. »Noch nicht«, antwortete der Arzt ... »aber ...« Er nickte mit dem Kopfe in einer Weise, die wohl besagen wollte: »Aber das kommt ganz auf das Gleiche heraus ...« »Mein Gott! mein Gott!« stöhnte der arme Mann. Woraufhin der Doktor streng erwiderte:

– Na also, Mister Winwhite ... wenn Ihr Herr Sie hörte, wäre er sicher nicht zufrieden ...« Als der Verband vollends angelegt war, kam der Verletzte wieder zur Besinnung. Er sah den Arzt mit jenem deutlichen, scharfen, forschenden Blicke an, mit dem er damals alle Leute ansah und alle Dinge im Leben ins Auge faßte; so empfing er die Überzeugung, daß sein Fall sehr ernst liege und fragte mit trockener Stimme, in jener abgekürzten Sprechweise, die ihm eigen war: »Futsch? ...« »Wahrscheinlich«, antwortete der Arzt, der im Verkehr mit seinem Freunde auch diese telegrammartige, summarische Sprache angenommen hatte, in der unnütze Worte und selbst kurze Worte keinen Platz finden, in der vielmehr Alles in einfache phonetische Zeichen, sozusagen, verwandelt erscheint. »Sehr wohl«, äußerte Dickson-Barnell ... Und ohne sich irgendwie zu beklagen, als ein Mann, der nie gegen eine Thatsache ankämpfte, bei der nichts mehr zu machen war, zog er einen schwarzen Strich über sein Leben, wie über eine uneintreibbare Forderung ... »Indessen«, begann der Doktor von neuem, »glaube ich, daß man eine Operation vornehmen kann. Wollen Sie?« »Was für eine?« fragte Dickson-Barnell. »Den Bauch weit aufschlitzen ... die in Blut gebadeten Eingeweide waschen ... wieder zunähen ...« »Ich sehe dies ... ich verstehe ...«, unterbrach lebhaft der Verletzte ... und rasch fragte er: »Wieviel Chancen mit Operation?« »Zwei zu zehn«. »Sehr schön ... Wieviel Chancen ohne Operation?« »Keine.« – »Operation ...!« Das wurde ohne eine Geste, ohne einen Klagelaut gesagt, ohne einen Schreckensschauer, mit ebenso vollkommener Ruhe, als ob es sich um den Ankauf von Getreide oder einen Börsenauftrag gehandelt hätte. So kurz diese Worte auch gewesen waren, hatten sie ihn doch ermüdet und er konnte keine weitere Äußerung thun. Er blieb einige Augenblicke lang schweigsam daliegen und zeigte ein ruhiges Gesicht unter der Bandage, die ihm den Schädel umschloß ... Dann stellte sich der Chirurg ein, der seinerseits die Wunden aufmerksam untersuchte und nach einer kurzen Rücksprache zwischen den zwei Männern der Wissenschaft frage Dickson-Barnell: »Ich brauche vorher eine halbe Stunde ... kann ich? ...« »Selbstverständlich«, erklärte der Doktor beistimmend ... »Soviel Zeit brauchen wir auch zu den Vorbereitungen.« »Sehr wohl! ... Mister Winwhite? ... Mein Testament, please? ...« Mister Winwhite zog aus der Schublade einer Kommode einen großen Briefumschlag, der mit fünf rothen Siegeln verschlossen war und überreichte ihn dem Sterbenden. Und während die Ärzte und ihre Gehilfen rasch das Nebenzimmer sterilisirten und das Folterbett aufrichteten, las Dickson-Barnell sein Testament durch, strich einzelne Stellen, verfügte neue Legate mit sicherer Hand, da der Schmerz keinen Augenblick lang ihm die unerschütterliche Willenskraft nehmen konnte. Als dies geschehen war, bat er seinen Freund den Doktor, auf dem Testament zu bestätigen, daß er gesund an Geist und in voller Willenskraft gehandelt hätte. Er verlangte ferner, daß die beiden Gehilfen ihre Unterschrift unter die des Arztes setzten, um unanfechtbar die Richtigkeit zu bestätigen. Nachdem der Brief wieder geschlossen und versiegelt worden war, erwartete der Amerikaner ruhig das Messer. Inmitten der Nacht, die der Operation folgte, rief Dickson-Barnell, von heftigem Fieber geschüttelt und von Durst gepeinigt: »Winwhite!« – »Gnädiger Herr?« »Wasser ... zum Trinken!« »Nein, gnädiger Herr.« »Fünfhundert Dollar!« »Nein, gnädiger Herr.« »Zweitausend Dollar!« »Nein, gnädiger Herr.« »Sehr wohl.« Der Arzt, der auf einer Chaiselongue ausgestreckt im Zimmer schlummerte, wachte auf, als er dieses Gespräch vernahm und ging zu dem Kranken. »Wünschen Sie etwas?« fragte er ihn. »Ja ... Wasser ... zum Trinken!« »Nein.« »Zwanzigtausend Dollar!« »Nein.« »Fünfzigtausend Dollar!« »Nein.« Da warf Dickson-Barnell, von diesem Widerstand überrascht, seinem Freunde einen außerordentlich erstaunten Blick zu, einen Blick, der in Wahrheit seinen Geschäftswerth wog und prüfte. »Hunderttausend Dollar!« rief er endlich, als höchstes Angebot. »Nein.« »Sehr schön!« Er drang nicht weiter in ihn ein; aber als er auf dem Nachttisch neben dem Bette im Bereiche seiner Hand sein Lorgnon erblickte, nahm er es und führte es an seine Lippen. Die Frische des Glases schien ihn ein wenig zu beruhigen und er schlief wieder ein ...

Als Robert seine Geschichte beendet hatte, schlug Triceps den Vorhang zurück, der die beiden Salons trennte und wir erblickten Dickson-Barnell mit auf die Brust herabgesunkenem Kopfe, schlaffen Lippen und hängenden Armen ... noch immer wie gelähmt in seinem Stuhle schnarchend.

– Ein reicher Mann ist doch wirklich schön, meinte Triceps. Dann ließ er den Vorhang zurückfallen, nahm eine ausgezeichnete Zigarre, steckte sie an und blies den Rauch in die Luft hinaus.

– Alles ist unrauchbar! stöhnte er, indem er die Stimme des armen Dickson-Barnell nachahmte.

.


 << zurück weiter >>