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IV.

Im Garten des Hotels erwarte ich die Dinerstunde und ich bin traurig, traurig, unsagbar traurig! Erfüllt von jener beklemmenden schmerzlichen Trauer, die keine Ursache hat, nein, die wahrhaftig keine Ursache hat. Kommt das daher, weil mich die Erinnerung an die Irrenhaushöfe, an diese Menschengesichter, die so seltsam ins Herz greifen, an diese armen Narren erweckt hat? ... Nein ... ich bin traurig, seit ich mich hier befinde ... Wenn man weiß, weshalb man traurig ist, so ist das fast eine Freude ... Doch, wenn man die Ursache seiner Traurigkeit nicht kennt, ist sie unsagbar schwer zu ertragen.

Ich glaube, diese Traurigkeit senkt sich vom Gebirge her auf mich herab. Die Berge erdrücken, zerquetschen mich, machen mich krank. Einem Ausspruche Triceps' folgend, den ich einige Augenblicke aufsuchte, habe ich eine Art von »Scheu«, die Bergscheu. Ja, das ist nicht heiter! ... Ich bin hierher gekommen, um Gesundung zu suchen und finde nichts als Bergscheu! ... Wie soll ich ihr entrinnen? ... Vor mir, hinter mir, über mir gibt es nichts als Mauern, Mauern und wieder Mauern, die Einen vom Leben trennen! Kein freier Ausblick, kein Stückchen Horizont, keine Perspektive und dazu kein einziges Vöglein! ...

Wenn ich sentimental wäre, könnte ich, der ich unglücklicher als Silvio Pellico bin, nicht einmal zu meiner Zerstreuung singen:

Niedliche Schwalbe,
Du flatterst so lieblich
Am Zellengitter vorbei.

Nein, nichts als diese dumpfen, schwarzen Mauern, an die sich der Blick stößt, ohne über sie hinwegsetzen zu können, an denen sich die Gedanken brechen, ohne über sie hinwegfluthen zu können und auch kein Himmel, niemals ein Stückchen Himmel! ... Können Sie diese Schrecken fassen? Ich sehe schon erdrückende Wolken, die niedersinken, die weiter niedersinken, die Bergspitzen bedecken, in die Thäler herabsteigen, über die Abhänge herabgleiten, die dann gleich den Bergspitzen verschwinden ... Ja, das sind die Höhlen ... das ist die Leere des »Nichts« ... Undurchdringlicher als Felsen und der Schiefer öffnet sich dieser Himmel niemals einem Traum ... Das Alles verursacht mir ein Gefühl des Entsetzens ... Dies Alles spricht zu mir nur von Verzweiflung und empfiehlt mir den Tod ... Der Selbstmord irrt hier überall herum, wie anderweitig die Freude auf den Wiesen und in den Gärten und ich habe den Eindruck, als ob ich hier lebend nicht in einem Gefängniß, sondern in einem Keller eingeschlossen wäre ...

– Du mußt dessen Herr werden ... sagt Triceps zu mir ... Laufe, mache Dir Bewegung ... alle Wetter!

Er setzt mich in Erstaunen. Wohin soll ich denn laufen? ... welchem Ziele soll ich zustreben? ... Wem soll ich entgegengehen?

Je weiter ich eile, desto näher rücken die Mauern, desto dichter werden die Wolken, die mich einhüllen und mir den Schädel wie eine allzu niedrige Zimmerdecke stoßen ... Mein Athem wird kürzer ... die Beine beginnen mir zu zittern und weigern sich, mich weiter zu tragen, die Ohren summen mir ...

Ich frage meinen Führer:

– Weshalb gibt es denn hier so viele Heimchen? ... sie bringen mich zur Verzweiflung ... kann man sie denn nicht verstummen lassen? ...

Und der Führer antwortet mir:

– Es gibt gar keine Heimchen hier, das Blut des Herrn summt nur so! ...

Ja, das ist wahr ... Was so rings um mich herumzirpt, ist mein Heimchen, das fürchterliche Heimchen des Fiebers. Ja, ich erkenne es jetzt ...

– So schweig doch nur ... Du häßliches Geschöpf ...

Aber es zirpt immer weiter; es füllt mir die Ohren mit seiner hellen Stimme, es vervielfältigt sich bei jeder Abwehr, die ich dagegen versuchte.

Die Bergscheu und das Fieber ... mir fehlt wirklich sonst nichts mehr.

Da Triceps mir empfohlen hat, mir tüchtig Bewegung zu machen, gehe ich denn; ich gehe immer weiter ...! Das enge Thal wird zu einem Wandelgange, der Wandelgang zu einem Saumpfad inmitten der Felsen ... Stunden- und stundenlang unterscheide ich zu meiner Rechten ein riesiges, feuchttriefendes Gemäuer, welches so hoch ist, daß ich sein Ende nicht unterscheiden kann ... Ein kleiner Wildbach plätschert zu meiner Linken; dieser kleine Wildbach bringt mich ebenfalls zur Verzweiflung. Ich glaube das Hüsteln eines schwindsüchtigen Greises zu hören ... Ah, da ist endlich ein Gipfel. Nun wird sich die Landschaft vielleicht ein wenig ändern ... Ich schreite über eine Brücke ... Die Landschaft ändert sich in der That, denn jetzt dehnt sich die Wand zu meiner Linken aus und zu meiner Rechten plätschert der kleine Wildbach, und ich gehe, ich gehe immer weiter ... und so geht es fort den ganzen Tag ...

Von Zeit zu Zeit sagt mein Führer zu mir:

– Das hier ist die Höllenstraße ...

Oder auch:

– Das hier ist das Teufelsloch ...

Oder auch:

– Das hier ist die Todespforte ...

Er nannte mir Namen von Felsspitzen, Vorsprüngen und Hügeln, und alle diese Namen drücken stets nur Gedanken an Verdammniß und Fluch aus. An mancher Stelle erheben sich kleine Holzkreuze, welche die Vorübergehenden daran erinnern, daß hier ein Mensch vom Schnee oder dem Steingerölle begraben worden ist.

– Hier kamen neun Kesselflicker ums Leben, welche nach Spanien wandern wollten, sagte mir mein Führer, denn er hatte wohl bemerkt, daß ich traurig bin und wollte mich ein bischen zerstreuen.

– Aber die Gipfel! ... die Gipfel! Ich will doch endlich die Gipfel erreichen!

– Es gibt hier keine Gipfel!

Der Führer hat vollkommen Recht. Hier gibt es thatsächlich keine Gipfel ... Wenn man einen Gipfel erreicht zu haben glaubt, bemerkt man, daß man wieder einmal in einem Keller, in einem Gefängniß hockt ... Es erheben sich vor Einem die noch schrecklicheren, noch schwärzeren Wände eines anderen Gipfels ... und von Gipfel zu Gipfel steigt man nur näher zum Tode empor ...

Ich sehe mir den Führer an. Er ist ein kleiner, beweglicher, gedrungener Mensch; aber auch er erscheint traurig. In seinen Augen gibt es keinen Ausblick auf den Himmel. Es ist ein dunkler, naher Widerschein darin, der ebenso hoffnungslos erscheint wie die Wände, denen wir uns allmälig nähern ...

– Ach, kehren wir um, kehren wir heim!

Kurz, schließlich wollte ich den Hotelgarten gar nicht mehr verlassen. Dieser Garten ist von Mauern umgeben und in drei Mauern sind Fenster gebrochen, und hinter jenen Fenstern unterscheide ich zuweilen etwas, was mich beruhigt und was beinahe dem Leben gleicht ... Ja, zuweilen sieht man Gesichter an diesen Fenstern ... In diesem Augenblick unterscheide ich einen Herrn, der seinen Schnurrbart dreht; ein anderer zieht seinen Smoking an. Hier, zu meiner Linken, schnürt eine Kammerjungfer ihrer Herrin das Korsett ... Ich hefte meine Blicke auf diese Gesichter und diese Bilder. Ich hefte meine Blicke auf die Leute, welche durch den Garten kommen und gehen, auf die armseligen Geranien der Blumenbeete, auf die fröstelnden Bananen der Wiesen, auf die gelben Schuhe und weißen Kleider, auf die bescheidenen Röcke der Kellner. Ich hefte meine Blicke auf all' das, um mir zu beweisen, daß es noch etwas um mich herum gibt, daß ich noch nicht ganz gestorben bin ...

Aber ich fühle mich auch als Beute einer anderen Melancholie: der Melancholie der Sommerfrischen, mit all' diesen jämmerlichen Existenzen, die ihrem Nährboden entrissen sind. Woher kommen sie, wohin gehen sie? Man weiß es nicht ... sie wissen es vielleicht selber nicht ... Und in der Erwartung, daß sie es erfahren, quirlen sie herum wie arme geblendete Thiere und führen ihre Langweile spazieren.

Nun endlich läutet die Tischglocke ... Es kommen Leute, die ich oberflächlich kenne ... Aber, obwohl mir ihre Gesichter bekannt sind, erscheinen sie mir noch fremder, als wenn ich sie nie gesehen hätte.

– Gehen Sie heute Abend in's Kasino?

– Ja, was soll man denn thun? ... Und Sie?

– Ich? Natürlich auch! Leider! ...

Ach, wenn ich nur nicht mehr die Berge zu sehen brauchte! Mich dürstet nach Ebenen und wieder Ebenen!

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