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VI.

Heute befand ich mich in den Gärten des Kasinos, während im Pavillon die Musik die »Semiramis-Ouvertüre« spielte. Oh, diese tänzelnde »Semiramis-Ouvertüre«, die Einen bis in den Schlaf verfolgt! ... Ich sehe da Leute hin- und herstreifen, Gesichter aller Art, die ich kenne, oder welche ich wiedererkenne. Proben von Pariser Berühmtheit. Herrn Georges Leygues und seine Eleganz eines Provinzlers, den berühmten Advokaten du Buit, auch Herrn Emil Ollivier; ferner Schauspieler, Dichter, Zahnärzte, große Damen und Dämchen, all' diese bizarre und auch so traurige Gesellschaft! Ich sehe sie gierig an. Auf jedes dieser Gesichter male ich mir eine ganze Geschichte; es sind Erinnerungen, welche mich wenigstens einen Tag lang meiner Langeweile, dem dumpfen Schatten meiner Langeweile entreißen werden. Und dann kommt noch der General Archinard, die Marquise von Parabole, der Oberst von Présalé und Andere, immer Neue, stets Andere ...

Ich hefte mich jedoch vor Allem an Herrn Georges Leygues, denn er erregt meine Heiterkeit. Ich liebe ihn und seine schöne südliche Offenheit über Alles. Auch diese Sicherheit in der Aussprache seiner Bekanntschaften, die so selten bei Politikern ist und die er in hohem Grade sein Eigen nennt. Man kann Herrn Leygues mit geschlossenen Augen lieb haben; das ist auch die beste Art und Weise, um ihn überhaupt zu lieben, um keinerlei Ernüchterung zu erfahren ... Für mich bildet das immer eine zarte, doch durchdringende Freude, die stets neu ist und sozusagen national, wenn ich mich irgendwo mit ihm beisammen befinde. Ich bewundere, wie der Umgang mit den Ministerien ihm nach und nach eine nachsichtige und erlesene Seele verliehen hat, deren merkwürdigem Zauber man sich, man mag wollen oder nicht, nicht entziehen kann ...

Eines Abends erzählte er hinter den Coulissen des Opernhauses eine Anekdote und begann mit den Worten:

– Zu jener Zeit war ich noch nicht Minister ...

– Aber machen Sie das doch Anderen vor! widersprach Herr Gailhard ...

Herr Leygues lächelte und begann von neuem:

– Meinetwegen! Zu jener Zeit war ich bereits Minister und Gerichtsvollziehergehilfe im Departement Tarn-et-Garonne.

Dann erzählte er seine Geschichte.

Seine Unterhaltung entreißt allen Leuten, obwohl sie im höchsten Gerade gewöhnlich, zu gleicher Zeit aber unversiegbar rednerisch ist, seine Unterhaltung, sage ich, entreißt allen Leuten, die ihm lauschen, den schmeichelhaften Ausruf: »Welch' netter Plauderer!« Und in der That, dieser erstaunliche Zeitgenosse plaudert über alle Dinge mit gleichem Sachverständniß. Ich glaube, ich habe nie in meinem Leben einen Mann getroffen, dessen Sachverständniß gleich umfassend war. Doch hauptsächlich in Fragen der Kunst feiert er wahre Triumphe ... Wer ihn nicht über das dekorative Gefühl Flameng's sprechen hörte, vernahm sein Bestes nicht ... und wenn er seine Äußerungen über die erzieherischen Schönheiten der komischen Oper vom Stapel läßt ... ach ja! ... Das ist einfach herrlich!

Eines Tages wünschte ich ihm – ich bin nun einmal ein niedriger Höfling – zu dieser Glanznote seines Wissens Glück:

– Nein, antwortete bescheiden Herr Leygues ... ich besitze keine besondere Glanznote.

– Oho, Herr Minister! ...

– Ich besitze lauter Glanznoten ...

– So ist's recht!

– Ich besitze nur nicht stets alle zu gleicher Zeit ... ich nenne sie nacheinander mein Eigen ... das hängt von dem Ministerium ab, das ich gerade verwalte.

– Und da Sie alle Ministerien geleitet haben, Herr Minister ... erklärte ich mit einer tiefen Verbeugung.

– Sehen Sie, das ist es ja eben ... äußerte Herr Leygues mit einer köstlichen Pirouette, die mir bewies, daß seine Beine ebenso leicht, wie sein Geist sind ...

Er ist reizend.

Wenn ich mit ihm zusammen im Hause von Freunden dinire und seinen Schädel, der aus altem Elfenbein zu sein scheint, und seinen nationalistischen Schnurrbart betrachte, fühle ich mich wahrhaftig stolz darüber, ein Steuerzahler zu sein. Ich sage zu mir:

– Wenn man bedenkt, daß unter diesem Manne die Comédie Française abgebrannt ist und daß unter seiner Regierung sicherlich auch das Louvre-Museum abbrennen wird! ... Dabei kennt er keinen Stolz ... Er benimmt sich wie der Erstebeste ...

Eines Tages verlieh ich meinen stummen Gedanken lauten Ausdruck und erklärte:

– Nicht wahr, das Louvre-Museum wird doch abbrennen?

Dies geschah einige Wochen nach der Katastrophe des Théâtre Français.

Herr Leygues gab bescheiden zur Antwort:

– Was die Comédie Française betrifft, so war dies ja vorauszusehen. Glauben Sie wohl, ich habe kein Verdienst dabei. Aber die Katastrophen dieser Art besitzen gleich unserer klassischen Litteratur Überlieferungen, die man nicht jählings umstürzen darf. Sie folgen einander nicht mit solcher Raschheit, mein bester Herr, ja, zum Teufel! ... Sie gehorchen bestimmten Gesetzen, oder wenn Sie dies vorziehen, einem gewissen periodischen Kreislaufe, gleich Epidemien oder Weltausstellungen, großen Frostschäden, großen Revolutionen, großen Kriegen: Es sind dies rhythmische Perioden, über deren eigentliches Wesen wir noch nicht ganz aufgeklärt sind, die aber trotzdem wirklich existiren und deren Kundgebungen mit fast mathematischer Sicherheit, nach Daten, die nur um wenige Monate variiren, zu berechnen sind. Wir haben also eine Frist von mehreren Jahren vor uns.

– Ah, umso besser ... Das geht ja ausgezeichnet!

Herr Leygues fuhr fort:

– Dem sind noch einfache materielle Gründe hinzuzufügen, in denen ich selbstverständlich weniger Sicherheit finde, welche aber doch eine kleine Bedeutung ... eine politische Bedeutung haben, wenn man überhaupt Bedeutung, sogar politische Bedeutung einfachen materiellen Gründen, die infolge dessen launenhaft und minder sicher sind, zusprechen kann.

– Und was sind das für Gründe, mein theurer Minister?

Liebenswürdig entgegnete Herr Georges Leygues – denn seine Liebenswürdigkeit ist ebenso unerschöpflich, wie mit Dokumenten belegbar:

– Nach jeder solchen Katastrophe ist Folgendes zu beobachten: Es findet eine sorgfältigere Bewachung statt; die Feuerwehr ist fortwährend auf ihrem Posten, fast täglich werden die eisernen Vorhänge, die großen Wasserreservoirs, die Centralheizungen, die elektrischen Anlagen, Gott weiß was noch, genau untersucht ... Alldas sind Dinge der baulichen Administration, mit denen man alltäglichen Geistern Beruhigung verschafft. Versuchen Sie es doch, diesen Alltagsmenschen von geheimnißvollen Gesetzen und kosmischen oder rhythmischen Perioden zu sprechen, sie würden Ihnen ins Gesicht lachen. Wir Anderen, wir Männer der Überlegung und des Ideals, die wir an große Gedanken gewöhnt sind, wir wissen, was es mit der großen Harmonie der Welt für eine Bewandtniß hat und was uns in Betreff der Möglichkeit eines gleichen nahen Unglücks vollkommen beruhigen kann. Das sind, wie ich Ihnen schon sagte, seine Gesetze, seine Rhythmen, seine Überlieferungen. Folglich weist die Überlieferung – bezeichnen Sie übrigens das Ganze mit einem Namen, der Ihnen angenehm ist – den Gedanken eines vor der Thür stehenden neuen Brandes zurück. Zunächst käme vielleicht das Odeon ... Aber auch das liegt in weiter Ferne. Jedenfalls befindet es sich nicht in dem in Frage stehenden rhythmischen Felde. Beruhigen Sie sich also, mein bester Herr, und sprechen wir von etwas Anderem.

– Sehen Sie nur einmal, Herr Minister, wenn wir noch unter dem frischen Eindruck eines großen persönlichen Unglücks stehen, wenn wir vielleicht eines unserer Lieben verloren haben, oder Geld, oder eine Lebensstellung, dann pflegen wir in der Regel viel zu denken, uns oft zu erinnern und in peinlich genauer Weise die Prüfung unseres Gewissens vorzunehmen ... kurz, wir fassen den Entschluß, uns fernerhin eines besseren Lebenswandels zu befleißen ...

– Dann lebt man sein Leben von neuem, wie die psychologischen Romanschriftsteller sagen ...

– Ganz recht! ... Sie haben es erfaßt! ... Könnte die Comedie Française nun nicht auch diese Prüfung an sich vornehmen und Entschlüsse fassen? Ich lasse ihr sicherlich Gerechtigkeit widerfahren ... sie besitzt einen noblen Ruf ... auch große Höflichkeit ... sogar eine unendliche distinguirte Langweile, die mir sehr achtungswerth erscheint und was ich von meinem Standpunkte aus keineswegs für gleichgiltig halte. Aber sie bringt die Bewegung der Meisterwerke zum Stillstand und vereist deren Wärme ... aus den verschiedenen idealen menschlichen Gestaltungen, die sie verkörpert, macht sie stets die gleichen Gliederpuppen. Oh! Ich gebe Ihnen zu, es sind prachtvolle Gliederpuppen, die die schönste Lebensart besitzen ... aber sie sind doch nur Gliederpuppen, denen wirkliches Leben fehlt ... Selbst in den Augenblicken durchdringlicher, wilder Leidenschaft behält sie die harmonisch beschränkte Steifheit der Bewegungen bei; sie vergißt auch keinen Augenblick lang pathetisch zu sprechen. In dieser überlieferten Ausdrucksweise, die besonders unsinnig erscheint, die die Begeisterung aufhält, die Rührung ertödtet, infolgedessen auch die Kunst ...

– Das ist eben das Kennzeichen der großen Kunst! warf Herr Leygues ein ...

– Er gibt weder eine große noch eine kleine Kunst ... es gibt keine alte und keine junge Kunst ... es gibt nur eine Kunst ...

Nachdem ich dieses Glaubensbekenntniß abgelegt hatte, fuhr ich fort:

– In der Comédie Française bekommt man nie etwas Ungeordnetes und Tumultuöses zu Gesicht ... nie das Unerwartete, welches dem Gesichtsausdruck, den Bewegungen, dem Schrei Leben verleiht ... immer dieselbe, fast gefrorene Tragik, immer dieselbe kalte Komik. Man empfängt nie den stillen, nothwendigen und bewegenden Eindruck, daß dies wirklich lebende Männer und Frauen sind, die einherschreiten, weinen oder leiden oder auch lachen. Nein, auf dieser glorreichen Bühne sieht man nur Statuen, deren Stimme – denn diese Statuen sprechen – ebenso kalt und glatt ist, wie der Marmor, aus dem sie gemeißelt zu sein scheinen. Dies ist alte Überlieferung und ich frage Sie allen Ernstes, ob man an deren Stelle nicht neue Regeln setzen könnte? Ich gebe Ihnen zu, das Theater lebt nur von Überlieferungen. Aber könnte man diese Überlieferungen, diese angenommenen Regeln nicht logischer und schöner gestalten? ... indem man sie so sehr, wie nur irgend möglich der Natur und dem Leben, außer deren Grenzen es keine Kunst gibt, außer deren Grenzen es überhaupt nichts gibt, zu nähern versucht? ... Nein, sage ich, immer wärmer werdend, indem ich einer ungewissen Bewegung Herrn Leygues' antworte, die Comédie Française ist in Wirklichkeit kein Theater; sie ist ein Museum ... bemerken Sie wohl, daß alle diese Schauspieler ungeheuer viel Talent haben ... und wenn sie dies nicht zu höheren Aufgaben verwenden, so liegt der Fehler nur an der ersten Erziehung, die sie erhielten ...

– Also verbrennen wir auch das Konservatorium! rief Herr Leygues fröhlich.

– Nein, mein lieber Minister, ich verlange nicht, daß das Konservatorium verbrannt werde, aber könnte man es nicht ganz zufällig für ewige Zeiten schließen? ... denn schon in diesem konservativen Namen »Konservatorium« finden Sie jedenfalls voller Bewunderung eine Ansammlung alter hinterlassener Dinge, uralter überlieferter Formen, von altem, todtem Staube ...

Herr Leygues dachte nach. In seinem Innern fand offenbar ein wilder Kampf der beiden feindseligen Persönlichkeiten, die er vorstellte, statt. Endlich erklärte er:

– Als Mensch bin ich ganz und gar Ihrer Ansicht. Ich gehe vielleicht noch weiter, als Sie ... denn ich besitze eine unglaubliche Kühnheit ... eine heftige, revolutionäre Überzeugung, aber der Mensch ist nur die Hälfte meines eigenen »Ichs« ... ich bin zu gleicher Zeit doch auch Minister, und als Minister kann ich nicht die Überzeugungen, die ich als Mensch verkünde, unterschreiben. Nein, ich kann sie nicht nur nicht billigen, ich muß sie sogar bekämpfen. Und glauben Sie mir, das ist eine schmerzliche und gleichzeitig recht komische Erscheinung, wenn sich in einer und derselben Person der fürchterliche Zweikampf eines Menschen und eines Ministers abspielt ... Vergessen Sie auch nicht, daß ich den Staat verkörpere, daß ich der Staat bin, und daß der Staat bei der Gefahr, nicht mehr Staat zu sein, nur eine gewisse Grenze von Kunst erlauben darf und der Kunst nicht gestatten kann, vollständig zu sein und dem Genie auch nicht, daß es zeitgenössisch sei. Für den Staat ist das Genie offiziell erst dann ein Genie, wenn es durch mehrere Jahrhunderte geheiligt ist ... Sobald das Genie nicht durch den Lauf mehrerer Jahrhunderte geheiligt ist, behandelt es der Staat wie einen Feind. Ich fasse also meine Gedanken zusammen ... Aus allen diesen Gründen fühle ich mich genöthigt, die Comédie Française in ihrem alten Rahmen und ihrem früheren Geiste wiederherzustellen, denn das Eine erscheint Ihnen doch wohl klar, daß ich in dem homerischen Zwiespalt, den ich Ihnen schildere, stets den Minister über den Menschen siegen lasse ... denn sonst würde der Mensch eben nicht mehr Minister sein ... und was wäre ich dann? ...

Diese trübselige Schlußfolgerung ließ mich erstarren und als ich überlegte, was ein solcher Mann nicht Alles leisten könne, drückte ich ihm mit Kraft und Leidenschaft meine Befürchtungen über die Gebrechlichkeit des gegenwärtigen Ministeriums aus und tadelte nicht ohne Energie die wilde Leidenschaft so vieler Leute, die es umzustürzen gewillt sind ...

– Ach, entgegnete Herr Leygues gleichgiltig, diese Dinge gehen mich gar nichts an ... ich interessire mich wirklich nicht im mindesten für sie ...

– Wie? rief ich; fühlen Sie sich denn nicht solidarisch mit dem Ministerium?

– Ich fühle mich solidarisch mit allen Ministerien, erwiderte lebhaft der Minister. Ich gehöre ihnen überhaupt und insbesonders an, kann also keinem einzigen ausschließlich angehören; und dies gestattet mir, diese einzige und komische Stellung, der ewige Minister, der ich bin, zu bleiben ... Die Ministerien vergehen und folgen einander ... ich aber bleibe am Platze ... Die einen sind radikal, die anderen opportunistisch ... andere wieder nationalistisch ... ich bin immer dabei ... ob nun Waldeck, Méline, Ribot, Dupuy, Millerand oder Déroulède an der Spitze steht, mich ficht's nicht an ... ich bleibe ...

Logisch fügte er hinzu:

– Folglich kann es gar nicht geschehen, daß das Louvre-Museum unter einem anderen Ministerium abbrennt, als dem meinen ...

Nach einer kurzen Pause, während deren ich meiner überschwänglichen Bewunderung die Zügel schießen ließ, rief ich:

– Ach ja, Herr Minister, das wird keine Kleinigkeit sein, wenn das Louvre abbrennt ...

Darauf erwiderte Herr Leygues feierlich:

– Es gibt überhaupt keine Kleinigkeiten ... es gibt nur große Minister.

Darauf leerte er einen Champagnerkelch.

Man stand von der Tafel auf. Später fand ich Herrn Leygues im Rauchzimmer wieder. Obwohl er eifrigst von einer Menge von Leuten umgeben war, an die er mit warmer Anmuth das Kreuz der Ehrenlegion vertheilte, gelang es mir doch, ihn in eine Ecke zu ziehen, worauf ich noch zu ihm sagte:

– Sie haben soeben einen großen Eindruck auf mich gemacht. Ich glaube in der That an Ihre ministerielle Unabsetzbarkeit; ich glaube in der That, daß Sie genug Hilfsquellen im Geiste und im Herzen haben, kurz, genug Unabhängigkeitsgefühl, als daß eine einfache Frage betreffs einer politischen oder sozialen Überzeugung an Ihrer – wie soll ich sagen – Sie an Ihrer Unsterblichkeit als Minister hindern könnte.

– Alle Wetter ja! Ich fühle mich im Besitz eines gewissen moralischen Erleichterungsvermögens, das mich in die Höhe hebt und mich hoch über diesen vergänglichen lächerlichen Dingen schweben läßt ...

– Davon bin ich allerdings überzeugt ... aber schließlich gibt es doch in den Vorkommnissen des menschlichen Lebens Dinge, die unvorhergesehen sein können. Es kann ein Fall eintreten ... sicherlich ist dies unwahrscheinlich, aber schließlich doch nicht vollkommen unmöglich – der Fall, daß Sie nicht mehr Minister wären? ... Sie gaben ja selbst vorhin dieser Befürchtung Ausdruck.

– Das war ja nur eine ironische Ausdrucksweise, mein bester Herr ... in Wirklichkeit bin ich überzeugt, daß so ein Zufall nicht eintreten kann. Sehen Sie! Möglich ist, daß wir einmal ein klerikales Ministerium bekommen ... Sehr schön ... allein ... ich bin auch für diese neue Kombination der absolut nothwendige Mann ... ich habe in meinem Schreibtisch ein Reformprojekt für die Schulen vollkommen fertig liegen ... es ist wirklich bewunderungswürdig ...

Ich wagte keinen Zweifel dagegen zu äußern ...

– Er ist vor Allem bewunderungswürdig dadurch, weil ich darin den Jesuiten das ausschließliche Monopol der Schulerziehung in allen Graden zugestehe ... Ich habe übrigens auch noch ein anderes Projekt im Schreibtisch ... wodurch ich im Falle der Möglichkeit eines Sieges der Republikaner dieses ausschließliche Monopol den Freimaurern gebe ... Was wollen Sie also? ... Nun sehen Sie doch wohl, daß der Zufall, von dem Sie sprechen, vollständig unzulässig ist ...

– Aber möglich ist doch eben Alles, Herr Minister ... ein kluger, vorsichtiger Mann wie Sie, muß doch jede Möglichkeit ins Auge fassen ...

– Nun und? ...

– Nun und, ich habe mich oft, ganz wie Sie vorhin, mit Angst, ich versichere Ihnen, selbst schmerzbewegt, gefragt, was Sie wohl sein würden, wenn Sie durch den Schicksalsschlag irgend eines Zufalls nicht mehr Minister wären?

Ich sah eine Wolke auf Herrn Leygues' Stirn auftauchen ... dann, als die Wolke vorübergezogen, rief er:

– Was ich dann sein würde! ...

– Ja, ach ja, sagen Sie mir das!

Er erhob seine Stimme, stemmte die Fäuste in die Hüften und, während sein Schnurrbart noch spitzer erschien, erklärte er majestätisch:

– Dann würde ich Dichter sein! ... Das ist schließlich doch noch das Schönste! ...

In diesem Augenblick vernahm ich in dem Zimmer ein Geräusch. Irgend ein Gegenstand mußte zerbrochen sein. Es war Viktor Hugo's Büste, die, als sie dies vernahm, von ihrem Sockel herabstürzte und vom Kamin auf den Fußboden gerollt war, wo sie in tausend Lachsplitter ausbrach.

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