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In seinen nassen Kleidern, einer griechischen Athletenstatue gleich, so stand Doane vor dem Vizekönig und faßte dessen ausgestreckte Hand.
»Sie haben geholfen, Griggsby Doane, das Leben meines Kindes zu retten –« also begann Seine Exzellenz seine kleine, wie sich herausstellte, vorher überdachte Rede – »und von ganzem Herzen danke ich Ihnen. Ich bin alt, und nur noch wenig Zeit bleibt mir. Aber Leben folgt auf den Tod. Der Tod ist der Anfang des Lebens. Tschuang Tzü hat gesagt, das persönliche Sein des Menschen sei die Folge des Zusammenfließens des Lebensstromes. Wenn dieser sich wieder teilt, tritt das ein, was wir den Tod nennen. Alle Dinge sind also eins. Und ich, wenn das sich teilt, was ich mein Selbst genannt habe, werde in meinen Kindern weiterleben. Ich finde nicht die richtigen Worte. Ich stehe zu tief in Ihrer Schuld, als daß ich sie bezahlen könnte. Befehlen Sie über mich. Ich bin Ihr Diener.«
Doane verbeugte sich: er hörte die Worte und hatte eine deutliche Empfindung von der warmen Dankbarkeit im Herzen des alten Mannes; zugleich aber fühlte er sich zum Handeln angespornt durch die Angst, Zeit und Gelegenheit könnten ungenützt verstreichen. Es war nicht leicht, an diesen erfahrenen Geist heranzutreten, der über die Frage des persönlichen Lebens und Sterbens innerlich so unbeirrbar sicher war. Aber er faßte den Stier bei den Hörnern, indem er einfach sagte, das Gerücht von dem bevorstehenden Trauerspiel sei zu ihm gedrungen, und er könne den Gedanken an das Schicksal der liebreizenden Hui Fei nicht ertragen, die ohne festen Standpunkt, zwischen zwei großen Zivilisationen sich bewege.
Kang Yu hörte ihm aufmerksam zu.
»Es ist nicht recht, daß Euer Exzellenz den Befehlen eines im Verfall begriffenen Thrones Ihr Ohr leihen sollten«, fuhr Doane eindringlich fort. »Vergeben Sie meine Offenheit, meine Anmaßung, aber ich muß dies sagen. Allerdings, Sie sind ein Mandschu, und solange diese Revolution währt, wird Ihre Lage nicht leicht sein. Aber ehe ein Jahr vorbei ist, haben wir ein neues China. Die bitteren Feindschaften von heute werden vorübergehen, und wenn Sie auch ein Mandschu sind, wird Ihr weiser Rat künftig doch nicht entbehrt werden können. Ihre Kenntnis der westlichen Welt wird die überströmende Gefühlspolitik der Hitzköpfe von den Universitäten Japans im Zaume halten.«
Der Vizekönig zog das, was ihm Doane gesagt hatte, in lange Erwägung; dann schaute er mit ernster Miene auf und fragte einfach: »Was meinen Sie, daß ich tun soll, Griggsby Doane?«
»Euer Exzellenz ist die Absicht bekannt, sich Ihres gesamten Eigentums zu bemächtigen?«
Bestätigend nickte Kang.
»Wenn Sie in Ihr Heim zurückkehren, ist es möglich, daß Ihnen alles, selbst das Geld, das Sie bei sich tragen, genommen wird.«
Wieder nickte Kang bestätigend mit dem Kopf.
»Warum dann nicht, solange das noch möglich ist, mit Ihrer Tochter und mir den Fluß hinab zu entkommen suchen? Können Sie das Schicksal Ihrer Tochter und Ihr eigenes nicht in meine Hände legen? Ich werde Mittel finden, Sie sicher nach Schanghai – vielleicht nach Japan oder Hongkong – zu bringen. Dort sind Sie geborgen und können weitere Entschlüsse fassen.«
»Griggsby Doane, Sie sprechen wirklich als ein Freund«, erwiderte der Vizekönig mit einfacher Offenheit. »Und ich wäre ein Verräter an dem Blut, das in meinen Adern fließt, wenn ich Männerfreundschaft nicht höher schätzte als alles im Leben. Wir schätzen sie höher als Ihr Volk, das die Liebe zwischen den beiden Geschlechtern über alles preist, jemals begreifen wird. Und darum, Griggsby Doane, rührt Ihr Gefühl für mich und meine Tochter mein Herz mehr, als ich sagen kann.
»Wissen Sie, warum ich zum Tode verurteilt worden bin? Weil ich es nicht über mich vermochte, dem Befehl des Thrones gehorchend, den republikanischen Aufwiegler Sun Schi-pi, der das Heiligtum meines Yamens in Nanking aufgesucht hatte, ohne weiteres köpfen zu lassen. Statt dessen ließ ich Sun Schi-pi vor mich kommen und ratschlagte mit ihm. Ich gestattete ihm, nach Japan zu gehen, mit der Bedingung, dort zu bleiben und sich in keine Verschwörung mehr einzulassen. Statt meinen Bedingungen nachzukommen, setzte er sofort eine revolutionäre Propaganda in Gang. Er kehrte nach China zurück, erschien verkleidet auf dem Dampfer, der dort drüben brennt, und liegt dort tot, in der Uniform der Republikaner.«
Der Vizekönig war mithin ganz genau unterrichtet!
Seine Exzellenz fuhr fort: »Ich wurde in der Verbotenen Stadt als Verräter angezeigt, und das Todesurteil folgte in der Form eines Edikts der Kaiserin im Namen des jungen Kaisers. Wenn ich nun auch, gleich Sun Schi-pi, in ein fremdes Land flüchtete, so hätte ich mich damit für alle Zeiten selbst als Verräter gebrandmarkt, als einer, der sich, während er als geehrter Vizekönig an dem Glanz und der Würde der herrschenden Dynastie teilhatte, in eine Verschwörung zu ihrem Fall einließ.«
»Aber, Euer Exzellenz, die Kaiserinwitwe und der junge Kaiser sprechen jetzt nicht mehr im Namen des ganzen chinesischen Volkes.«
»Das kann keinen Unterschied machen, Griggsby Doane. Durch ein Edikt des kaiserlichen Thrones vom gelben Drachen ist mir der Befehl geworden, zu meinen Ahnen zu gehen. Meine Vasallentreue gilt nur diesem Throne. Ich werde gehorchen … Sie, Griggsby Doane, haben schon mehr für mich getan, als man je von einem Freunde erwarten darf. Und doch muß ich noch mehr von Ihnen fordern, denn ich habe sonst niemand, an den ich mich wenden könnte. Heute nacht habe ich sonst keinen Freund. In kurzer Zeit werden meine Untergebenen eine Barkasse oder eine Dschunke bringen, die uns nach Huang Tschau führen wird. Wollen Sie mit uns in das Haus meiner Ahnen kommen?«
Doane war überrascht, verbeugte sich aber zustimmend.
»Ich danke Ihnen. Ich selbst, meine Familie und all meine Freunde werden Ihnen ewig dankbar sein. Sie sind ein Mann wie ein Fürst … Auf später also. Gute Nacht, Griggsby Doane!«
Er war gegangen.
Doane ging weiter dem Ufer entlang und stand eine Weile still in tiefen Gedanken, aus denen ihm endlich, wie er meinte, ein Hoffnungsstrahl in der Finsternis seines Gemütes aufging. Er eilte zurück zu den andern und suchte überall nach Dawley Kane. Der Mann hatte Hilfe angeboten. Jetzt konnte er sie leisten.
* * *
Für Dawley Kane, der vollständig angekleidet dasaß, gelassen eine Zigarre rauchend und beim Scheine des brennenden Schiffes in einem Notizbuch blätternd, waren augenscheinlich sowohl die Greuel des Mordens wie der Feuersbrunst auf dem Schiffe nebensächliche Ereignisse. Das einzige Zeichen von Erregung, das der Mann gab, war dies, daß er jetzt freier aus sich herausging als sonst.
Die beiden Männer plauderten von dem und jenem miteinander, wie es unter Männern Brauch ist, während sie am Ufer standen und zu dem brennenden Schiff hinüberschauten. Das Feuer hatte jetzt das Heck erreicht und hatte sich vollständig zu den unteren Decks durchgefressen; dort verwandelte es all die Leichen gleichmäßig zu Asche, ob sie nun um ihrer Überzeugung oder um ihrer Mordlust willen den Tod gefunden hatten. Doane zwang sich, auf die Belange des Mannes einzugehen. Er wußte, daß die Finanzgrößen oftmals stolze und selbst eklige Menschen waren, die mit Vorsicht angefaßt sein wollten. Sie waren Könige und mußten als solche behandelt werden.
Kane war sehr begierig zu erfahren, in welcher Beziehung dieser Kampf auf dem Schiff und der Aufruhr den Fluß entlang zueinander stünden. Das unpersönliche Einsammeln und Zueinander-in-Beziehung-Setzen von Ereignissen war charakteristisch für den Mann. Viel wichtiger jedoch waren ihm die Landwirtschaft und der Handel in dem weiten Gebiet des Yangtse Kiang, zu welchem Gegenstand er rasch überging. Aus seinen Fragen zeigte sich, wie gut er darüber unterrichtet war. Aber er gab keine Schlüsse preis, sondern stellte nur Fragen. Seuchen und Hungersnöte, die im Orient so häufig sind, waren ihm nur als Hindernisse für den Handel von Bedeutung. Das Opiumrauchen galt ihm lediglich als eine Frage von finanzieller Tragweite.
Doane, auf seinen Plan versessen, suchte sich die Gründe für die Macht dieses Mannes zu zergliedern. Sie lag natürlich in erster Linie in seiner Herrschaft über das Geld, und Geld bedeutete soviel wie Menschenkraft. Und hier neben ihm stand ein Mann und rauchte eine Zigarre, dessen ungewöhnlicher Geist ihn befähigte, diese Macht an sich zu reißen und auszunützen; ein Mann, dem das Geld zuflog, um den sich die günstigen Gelegenheiten, es zu erlangen, geradezu häuften. Und für ihn, Doane, bedeutete Geld in diesem Augenblick – selbst in einer Menge, die für Kane kaum das Einkommen eines einzigen Tages war – so viel, daß ihm vor seinem ungeheuerlichen (dieses Eigenschaftswort kam ihm unwillkürlich in den Sinn) Mangel daran die Gedanken stockten.
Denn nun machte er sich klar, wie vollständig der Thron, wenn er wollte, allen irdischen Besitz Kang Yus vernichten konnte. Kangs Ende würde vielleicht schon in den nächsten vierundzwanzig Stunden eintreten; sicherlich würde er nur so lange warten, bis er sich würdig vorbereitet und seine letzten Aufzeichnungen gemacht hatte. Die Leute des Eunuchen waren gewiß überall im Haushalt verteilt, und vor ihnen und den Spionen unter der Dienerschaft konnte nichts verborgen gehalten werden. – Mit Geld – mit wenig Geld – konnte Hui Fei vor einem Schicksal bewahrt werden, das ebenso traurig war wie das ihres Vaters … Das mußte doch erreicht werden können! Es kam ihm sogar in diesem Augenblick sehr einfach vor. Sie konnte spurlos verschwinden. Vielleicht war es möglich, sie Missionaren auf einem Dampfer den Fluß hinab mitzugeben.
Gerade als Doanes Gedanken in wilder Hast hin und her rasten, brachte Kane den Gegenstand selbst zur Sprache.
»Dieser Vizekönig scheint eine bedeutende Persönlichkeit zu sein«, fing er an. »Ist er nicht Diplomat gewesen? Kato sagt mir, er besitze eine ausgezeichnete Sammlung von Gemälden.«
Doane fühlte sich plötzlich zum Händler werden. »Sie interessieren sich für chinesische Gemälde, Herr Kane, nicht wahr?« fragte er vorsichtig.
»O ja. Ich habe selbst eine kleine Sammlung, und hie und da treibt Kato etwas für mich auf.«
»Ich weiß natürlich nicht, wieweit Sie gehen würden, Herr Kane« – Doane überlegte jedes Wort genau, ehe er es aussprach – »aber es ist möglich, daß Sie gerade jetzt mit Seiner Exzellenz ein vorteilhaftes Geschäft abschließen könnten.«
»Wirklich?«
»Ich glaube aber, es müßte schnell geschehen.«
»Das ist interessant! Sie wissen, was die Sammlung enthält?«
»So im allgemeinen. Sie ist sehr berühmt. Seine Bildersammlung gilt für die vollständigste, die es gibt, fast alle berühmten Maler sind vertreten.«
Dawley Kane steckte sich umständlich eine frische Zigarre an. Die Bilder an sich ließen ihn augenscheinlich kalt, er war nichts als der smarte Geschäftsmann, und es war ihm keineswegs peinlich, selbst in freundschaftlichem Gespräch den andern einfach warten zu lassen. Endlich streifte er nachdenklich die Asche seiner Zigarre ab und bemerkte:
»Sie meinen wirklich, diese Sammlung wäre ein guter Kauf?«
»Unfraglich.«
»Haben Sie eine Ahnung, was er verlangen würde?«
»Ich weiß nicht einmal, ob er sie überhaupt verkaufen würde.«
»Aber wenn man in richtiger Weise an ihn heranträte … Es sind da besondere Umstände …«
»Sie wissen von der Schwierigkeit, in der er sich befindet?«
»Ich hörte, daß er in schwieriger Lage ist.«
»So … ja, Ihr Gewährsmann hat recht. Aber ich ahne den Wert der Sammlung nicht einmal. Viele dieser Gemälde sind unschätzbar. In New York, zu Sammlerpreisen und ohne den Verkauf zu übereilen …«
»Hunderttausend Dollar?«
»Das Vielfache davon.«
»Aber wenn er dringend verkaufen will – verkaufen muß –«
»Kein Zweifel –«
»Hunderttausend ist viel Geld, und wenn ich diese Summe morgen auf seinen Namen auf eine Bank in Schanghai anwiese, meinen Sie nicht, das könnte ihn verlocken?«
»Es ist immerhin möglich, obgleich Kang den Wert jedes einzelnen Stückes genau kennt.« Doane fand es schwierig, mit Dawley in der Behandlung der Sache Schritt zu halten. Aber Doanes Verstand schärfte sich. Wenn Kane ein gerissener Käufer war, so wollte er ein schlauer Verkäufer sein.
»Seine Exzellenz ist im Besitz von noch einer zweiten Sammlung, für die Sie vielleicht Interesse haben könnten. Ihr Kunstwert ist nicht bedeutend – es sind Perlen und Edelsteine.« Doane warf dies so nachlässig hin. »Die sind ganz unschätzbar –, das geht in die Millionen …«
Er sah hinter dem Rauchvorhang hervor plötzlich aus Kanes Auge einen scharfen Strahl brechen: jetzt endlich war sein Interesse wirklich erregt. Und Doane fügte anscheinend kühl, aber klopfenden Herzens hinzu: »Er besitzt berühmte alte Schmuckgegenstände aus allen Teilen Asiens – Kopfschmuck, Armbänder, Schnüre ausgesuchter Perlen von Ceylon, alten geschnitzten Nephrit von Khotan, eine Menge von dem Geschmeide, das Tschingis Khan und seine Söhne in Khorassan und Persien geraubt haben, darunter einige wirkliche fürstliche Stücke, und einige von den Schmucksachen, die Kublai Khan aus Indien gebracht hat.«
Dies, das wußte Doane, war ein Köder. Nun wollte er warten – und er wartete und wartete.
»Herr Doane –« begann Kane endlich – »ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie in meinem Namen mit dem Vizekönig verhandeln wollten. Heut abend noch, wenn Sie es für richtig halten. Ich werde Ihnen natürlich gerne eine Provision bezahlen.«
»Soll ich ihm eine feste Summe anbieten – für die Gemälde und die Juwelen?«
»Nein!« Kane überlegte. »Er soll selbst den Preis machen, danach wollen wir dann unser Angebot richten.«
»Ich darf mit Sicherheit behaupten –« Doane erinnerte sich, welche Gründe den Großkapitalisten häufig nahegelegt werden mußten, um sie zu Geldspenden für wohltätige Zwecke zu veranlassen –, »daß Sie die Hälfte der Gemälde für den Preis wiederverkaufen können, den Sie für beide Sammlungen zusammen zu bezahlen haben werden. Das gibt Ihnen die Möglichkeit, die andere Hälfte unter Ihrem Namen zu Hause in ein Museum zu stiften, ohne irgendwelche Kosten für Sie selbst.«
Kane rauchte sehr nachdenklich. »Ich nehme an, Herr Doane, daß die schwierige Lage des Vizekönigs, von der Sie gesprochen haben, in keiner Weise die sichere Ablieferung der beiden Sammlungen gefährden könnte!«
Doane überlegte. Wieviel wußte Kane? Jener Japaner war hinter der Maske seines ewigen Lächelns natürlich unergründlich. Mit plötzlicher Niedergeschlagenheit machte sich Doane klar, daß Kane sehr wahrscheinlich alles wußte. Zugeben würde er dies zwar nicht; er traute niemand, darin lag seine rücksichtslos angewandte Kraft. Er würde markten bis zum Schluß … In diesem Augenblick wurde ihm auf einmal klar, daß das bekannte allgemeine Gerede von dem ›unbegreiflichen‹ Osten der bare Unsinn war. Im Lichte der Geschichte und der Sitten und Gebräuche betrachtet, war der Geist des Orients nichts weniger als sehr geheimnisvoll; er war vielmehr beinahe ein offenes Buch, während dagegen der Geist des Westens mit seiner wunderbaren Religion, seiner Gefühlsseligkeit und seinem Materialismus und (zu gleicher Zeit) seiner schamlos ausgenützten Finanzkraft wahrhaftig Verwunderung erregen konnte.
Da Doane in seinem gequälten Herzen keinen andern Ausweg mehr erblickte, sprach er jetzt ganz offen. »Herr Kane, die Sache ist einfach die: Seine Exzellenz ist zum Tode verurteilt und seine Tochter für ein Schicksal ausersehen, das beinahe gewiß auch zu ihrem Tode führen wird. Sein Eigentum wird ihm weggenommen …« »Von wem?«
»Von der kaiserlichen Regierung – der Kaiserinwitwe und ihren Leuten. Der erste Eunuch, Tschang Yuan-fu ist abgesandt und soll die Malereien, die Juwelen und die Tochter nach Peking bringen. Offen gesagt, es könnte nötig sein – die Sachen rasch herauszuschmuggeln. Die bemalten Fächer können in Pakete verschnürt, die Gemälde auf ihre Elfenbeinstäbe aufgerollt und die Juwelen in ein paar Kistchen verpackt werden. Ich denke, sobald sie einmal in den Händen von Weißen sind, sind sie sicher. Ich glaube, daß ich das bewerkstelligen kann. Die geschnitzten Steine und die Porzellane müßten wahrscheinlich zurückgelassen werden.« Seine Stimme erstarb.
»Wie Sie die Sache jetzt darstellen, ist die Lage vollständig anders«, sagte Dawley Kane mit klingender Stimme. »Augenscheinlich ist es der Eunuch – wie heißt er gleich? – mit dem man das Geschäft machen muß.
»Aber – wirklich –«
»Der hätte die vollständigen Sammlungen mit den Porzellanen und Nephriten in der Hand. Ich möchte alles haben. Selbstverständlich versteht er nichts von den Sachen und ist käuflich; ich könnte alles um einen Pfifferling bekommen. Und dabei wäre nichts gewagt. Ja, er soll nur Besitz ergreifen. Wenn Sie sich dann für mich an ihn wenden wollen, soll es Ihr Schaden nicht sein.«
Doane zog die Luft durch die Zähne ein. »Aber, Herr Kane, das hieße doch die mißliche Lage des Vizekönigs –«
Aber er stockte. Für Kane, der ungeheueren Nutzen aus an die Wand gedrückten Eisenbahngesellschaften gezogen, der ganze Jahresproduktionen aufgekauft und dann die Großhändler erbarmungslos bis aufs Blut geschunden hatte, konnte dies nur rührselig klingen.
Doane hörte sich selbst sagen: »Es tut mir leid, Herr Kane, diesen Auftrag kann ich nicht übernehmen.« Damit ging er. Sein Mißerfolg war vollständig, ja schlimmer noch; falls der allgegenwärtige kleine Kato doch nicht genau unterrichtet gewesen sein sollte, so waren die Lücken jetzt ausgefüllt. Durch den Japaner konnte Kane ganz leicht von Hankau aus an Tschang Yuan-fu gelangen, nachdem sich das Trauerspiel, das dem Vizekönig und allem, was sein war, bevorstand, abgespielt hatte. Dann konnte er machen, was er und seinesgleichen – ein ›Bombengeschäft‹ hießen.
* * *
Die Weißen hatten aus trockenen Binsen und den Querbänken aus den Booten ein Feuer angefacht. An diesem Feuer saß Hui Fei und hielt die kleine Prinzessin in den Armen, und neben ihr saß Rocky Kane. In der Nähe hatten die Männer ihre Röcke auf den Boden gebreitet, und darauf lagen Fräulein Means und Fräulein Andrews und schliefen.
Doane schritt auf die Gruppe zu – und sah, wie der junge Kane herüberlangte und das Kind in seine eigenen Arme nahm, und sah, daß Hui Fei ihm zulächelte. Da entfernte er sich rasch wieder und konnte kaum glauben, daß sie dies wirklich zu tun vermocht habe. Aber sie hatte es getan … Nun, sie wußte schließlich nicht mehr von ihm, als daß er sich flegelhaft gegen sie benommen, dann um Verzeihung gebeten und jetzt ihre kleine Schwester an Land gebracht hatte, wobei er von der Anstrengung erschöpft niedergesunken war. Durch diese neuen Tatsachen mochte wohl in ihrer jugendlichen Erregbarkeit beim Abwägen ein Rest zu seinen Gunsten übrigbleiben.
Sie machte einen reizenden Versuch, ein Gähnen zu unterdrücken, und Rocky Kane wandte das Gesicht ab, um dasselbe zu tun. Dann lachten sie beide.
»Sie müssen zu schlafen versuchen«, mahnte er sanft.
»Sie dürfen meine Schwester nicht länger halten«, erwiderte sie. »Sie sind auch schläfrig.«
»Es ist nicht der Rede wert. Ich halte sie sehr gerne, wirklich! Mein Leben war seither nicht viel nütze. Vielleicht, wenn ich eine Schwester hätte …« Er stockte und wurde plötzlich dunkelrot. Er vermochte nur hinzuzufügen: »Sie müssen schlafen. Vielleicht währt es noch Stunden, bis das Boot kommt, Sie abzuholen. Es war solch eine entsetzliche Nacht – wie ein wüster Traum …«
»Aber Sie müssen auch schlafen. Einer von den Dienern kann meine Schwester nehmen.«
»Nein!« rief er leise, aber fest entschlossen. »Ich lasse sie mir von niemand abnehmen.« Er hatte ein unbestimmtes Gefühl, das Kind sei ein Band zwischen ihnen und hielt es darum nur um so fester. Er beugte sich hinunter und küßte zärtlich das weiche Wänglein, dann starrte er über das Kind weg Hui Fei an. Einen kurzen Augenblick schauten sie einander in dem flackernden gelben Licht tief in die Augen.
Sie wandte sich ab; ohne ein Wort zu sagen schaute sie sich um, wohin sie den Kopf betten könnte.
»Hier!« rief er. Er legte das Kind auf den Boden, zog – sehr überrascht, daß er weder Kragen noch Rock anhatte – seine Weste aus und rollte sie als Kissen für ihren Kopf zusammen. »Sie ist schon beinahe wieder ganz trocken«, fügte er mit einem verlegenen Lachen hinzu … Dann, als sie immer noch nichts sagte, fuhr er fort: »Bitte, legen Sie sich hierher. Ich werde wachbleiben. Auf die Dienerschaft ist kein Verlaß. Sie sind alle zu Tod erschrocken und verängstigt.«
Hui Fei zauderte immer noch. »Ich glaube, ich bin sehr müde«, sagte sie endlich. »Ich kann nicht mehr klar denken.«
»Ich muß Ihnen etwas sagen!« rief er, ohne recht auf sie zu hören. »Ich bin nicht wert, überhaupt mit Ihnen zu sprechen.«
»Bitte!« flüsterte sie. »Davon möchte ich lieber nicht reden –«
»Das meine ich gar nicht. Es ist etwas anderes.« Ihm versagte die Stimme, aber im nächsten Augenblick fuhr er entschlossen fort: »Ich habe alle Schlechtigkeiten ausgeführt, die mir nur eingefallen sind. Ich bin – ich glaube, ich bin einfach ein Verbrecher. Nein, bitte, hören Sie zu! Es ist wahr. Ich bin schuld an diesem entsetzlichen Feuer – habe Opium in meiner Kabine geraucht. Es muß meine Opiumlampe gewesen sein. Ich schlief ein. Aber ich wußte – natürlich – daß ich es nicht tun durfte … O Gott, es ist entsetzlich! All diese Menschenleben, all dieses Leid! Und Sie – Sie habe ich beinahe getötet – und Sie waren es doch, die …« Er nahm sich zusammen. »Denken Sie nicht, ich hätte den Verstand verloren. Ich komme schon an das, was ich sagen will. Daß ich Sie gesehen, Sie kennengelernt habe – und nun dies –, so wie Sie habe ich noch niemand gesehen. Es hat mich ganz um alle Fassung gebracht. Jetzt weiß ich, was Liebe ist. – O bitte! Ich muß das sagen! Ich liebe Sie! Über alle Maßen! Ich darf das sagen, denn jetzt kommt bald Ihr Boot, Sie gehen fort, und ich sehe Sie nie wieder. Das ist auch ganz recht so, Ich muß einen neuen Anfang machen – für mich allein – und beweisen, daß doch noch etwas Gutes in mir steckt …«
»Ich bin sehr müde!« murmelte sie und legte ihren Kopf auf die zusammengerollte Weste.
Wenn sie ihn doch nur hätte ausreden lassen! Da war etwas – irgendein Punkt, auf den er hatte kommen wollen. Er hatte sie nicht belästigen wollen oder sie verletzen … Als der lange Eunuch kam, um die kleine Prinzessin zu holen, jagte er ihn ärgerlich davon, denn Hui Fei schlief jetzt so friedlich, wie das warme kleine Mädchen in seinen Armen. –
Ein englisches Kanonenboot war das erste Schiff, das in der kühlen Morgendämmerung ankam. Ein kleines Boot fuhr mehrmals hin und her und holte die Reisenden und die Überlebenden der weißen Schiffsoffiziere des »Yen Hsin« an Bord.
Seine Exzellenz lehnte mit ruhiger Höflichkeit ab, das englische Kanonenboot zu betreten; er wollte auf die Dschunke warten, die er bestellt hatte.
Dawley Kane fand seinen Sohn vor Schläfrigkeit mit dem Kopfe nickend und das phantastisch gekleidete Kind in seinen Armen. Der junge Mann warf einen Blick auf die schlafende Hui Fei, deren Kopf auf seiner zusammengerollten Weste ruhte, und übergab jetzt das Kind dem geduldig wartenden Eunuchen, dann riß er seinen Vater geradezu in das Boot. Dieses hatte beinahe schon das Kanonenboot erreicht, als die am Ufer hörten, daß der junge Kane seine Stimme in wildem Widerspruch gegen seinen Vater erhob. Ein kurzer Wortstreit folgte, dann ein Platschen, und man sah den jungen Mann ans Ufer zurückschwimmen. Dawley Kane drehte sich um, das Boot fuhr weiter, Kane bestieg das Kanonenboot und verschwand. Triefend kletterte Rocky ans Ufer und kam, sehr blaß und erschöpft, sofort auf Doane zu.
»Das kann ich nicht!« schnappte er. »Gerade haben sie – Kato und der Vater – mir das Schreckliche mitgeteilt, das dem Vizekönig und – Hui Fei bevorsteht … Der Vater meinte, es sei Zeit, daß ich – von dieser neuen Verwicklung loskäme. Ich gehe fort von ihm! Oh, Sie halten mich wohl für einen – einen verfluchten Narren, aber –« er brach beinahe in Tränen aus – »aber ich liebe dieses Mädchen, Herr Doane! Wenn ich ihr nicht irgendwie Beistand leisten kann jetzt in dieser schrecklichen Not, dann will ich nicht weiterleben. Wollen Sie mir helfen – und mich helfen lassen?« … Voll blinden Vertrauens bot er dem großen Steuermann seine Hand; und dieser ergriff sie.
Das Kanonenboot lichtete die Anker, wendete und fuhr flußabwärts. An ihm vorbei fuhr flußabwärts eine große Dschunke mit der Takelung eines Kauffahrteischiffs aus Szetschuen, deren einziges riesiges, rechteckiges Segel von umbrabrauner Farbe und eng mit Bambusrohr gerippt schlapp an dem einzigen plumpen Mast in der Mitte des Schiffes hing. Die acht langen Riemen vorne und im langen Mitteldeck bewegten sich im Takt mit dem klagenden Gesang der Ruderer, fast hundert an der Zahl. Im Bug kauerte der Tai-kung, den Bambusstab in der Hand.
Der Schiffsrumpf war aus Zypressenholz, vom Vorder- bis zum Hintersteven mit gelbem Operment bemalt und mit Öl glänzend gerieben. Das hohe Hinterdeck, beinahe fünfzig Fuß lang, endete mit einer ausladenden Galerie zwanzig Fuß oder mehr über dem Wasser und war durchweg geschnitzt in verschlungenen Ornamenten, wie auch das Dach über dem Platz des Steuermanns und die Reling der Galerie, innerhalb deren eine Reihe von blühenden Pflanzen in gelben und grünen Töpfen stand. Die vielen kleinen Fenster an den Seiten waren mit kleinen opaleszierenden Vierecken von gemahlenen Austernschalen und Leim verglast; die am Heck (unter der Galerie) zeigten buntes Glas.
Keinem an Bord des Kanonenbootes oder unter den noch immer wartenden Gruppen am Ufer der Insel kam auch nur ein Gedanke, dieses Fahrzeug könnte auf irgend etwas anderes als friedliche Geschäfte aus sein. Seinesgleichen war kein ungewöhnlicher Anblick auf dem stets sehr belebten Flusse. Es lenkte nur vorübergehend die Aufmerksamkeit auf sich als ein in seinem reichen Schmuck wunderschöner Gegenstand, dessen kleinste Einzelheit von dem glatten Wasserspiegel wiedergegeben wurde, der seinerseits unter dem Rot und Gold des frühen Morgenhimmels wie poliertes Kupfer glänzte. Von niemand wurde beobachtet, daß drei weiße Gesichter hinter ebenso vielen offenen Fenstern verstohlen Ausschau hielten, und es wäre nicht leicht zu erkennen gewesen, daß die blaue Gestalt, die mit hinaufgezogenen Knien auf dem Deckhaus saß, gerade hinter dem Laopan, der unbarmherzig die schweißbedeckten Ruderer zur Arbeit trieb, niemand anders war als der furchtbare Tom Sung.