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Ein verwirrter und gänzlich zerschmetterter Rocky Kane hielt sich an der Reling fest und starrte ins schwarze Wasser hinunter. Diese fremde Prinzessin hatte ihn aufs tiefste gedemütigt, völlig vernichtet. Er hatte einfach nichts mehr sagen können, es war ihm nichts übriggeblieben, als zu gehen. Und sie hatte ihn gehen lassen, ohne ihn auch nur noch eines Blickes oder eines weiteren Gedankens zu würdigen. Das war nicht recht, sagte er sich. Er hatte seinen Stolz eingesteckt und um Verzeihung gebeten; mehr konnte kein Mensch tun.
Aber durch all seinen verletzten Stolz und seine beharrliche Selbstrechtfertigung hindurch drängte sich ebenso beharrlich die Erinnerung an sein unerhörtes Benehmen gegen sie an die Oberfläche. Und er hatte nicht nur sie persönlich beleidigt, sondern ihre ganze Rasse, indem er sich ohne weiteres das Recht angemaßt hatte, sie als Freiwild zu behandeln.
Dann versuchte er wieder, sich vor sich selbst zu rechtfertigen. Wie hätte er wissen können, daß sie englisch sprach und sich kleidete, wie die jungen Mädchen zu Hause in Amerika! Es war nicht recht von ihr, sich so als Chinesin zu maskieren!
Seine Nerven waren am Zusammenklappen. Er zündete eine Zigarette an, um ihnen etwas aufzuhelfen; das Streichholz zitterte in seiner Hand. Dieses nervöse Zittern hatte in der letzten Zeit zugenommen, das war ein beunruhigendes Zeichen. Vielleicht war es eine angeborene Schwäche; die große Leistungsfähigkeit, deren sich sein Vater erfreute, übersprang oft eine Generation. Ja, er war schwach, nichts hatte er zu Ende geführt. Mit seinem Studium war er verkracht, und das würde ihm sein Leben lang nachgehen. Er meinte in seinem zerrütteten Sinn, er habe alle Laster an sich, sei Spieler, Trinker, Mädchenjäger, sogar Opiumraucher. Und durch ihre Liederlichkeit erwarben sich die jungen Leute häufig Krankheiten, von deren Schrecken sie kein Geld erlösen konnte. Das war ein Gedanke, den er längst mit großem Unbehagen in einem ganz verborgenen Winkel seines Gehirns gehegt hatte …
Ihr Unrecht war, daß sie ihn so öffentlich hatte abfahren lassen. Ihr Vater wußte die Tatsachen, ebenso Fräulein Carmichael und der lange Steuermann, der Tugendprediger mit der geheimnisvollen Vergangenheit. Wer war er denn eigentlich, daß er sich anmaßte, in anderer Leute Leben einzugreifen?
Dann tauchte aus diesen sich jagenden Gedanken wieder die Prinzessin auf, so wie er sie jetzt drinnen im Gesellschaftssaal gesehen hatte. Tränen traten ihm in die Augen; er wischte sie weg, steckte sich eine frische Zigarette an und sog den Rauch tief ein. Er war aus dem Saal gestürzt; jetzt faßte ihn ein wilder Trieb, wieder zurückzustürzen. Sie war schön. Sie hatte einen ganz eigenen zu Herzen gehenden Reiz. Vielleicht war es doch möglich, daß er sie dazu brachte, ihn anzuhören. Aber was konnte er ihr sagen und erklären? Daß er doch nicht nur der geringe Kerl sei, als den sie ihn alle kannten, als der er sich erwiesen hatte?
Die wilden Gedanken klopften schmerzhaft in seinem Hirn. Das war die Schuld seines Vaters, ja, und die seiner Mutter, diese verrücktmachende Nervosität in ihm … Er haßte den langen Steuermann. Das Mitleid mit sich selbst schlug über ihm zusammen. Er starrte und starrte in das stille schwarze Wasser hinunter. Seit seinem sechzehnten Jahr hatte er oft mit dem Gedanken an Selbstmord gekämpft, wie das bei vielen reizbaren jungen Leuten der Fall ist. Das Wasser wollte ihn nicht mehr loslassen. Es war so still und ruhig und zog so widerstandslos dem Meere zu. »Eine leichte Art, aus allem herauszukommen. Ein leichtes Plätschern – ich könnte ja hinunterklettern. Niemand wüßte es. Und kein Mensch würde sich den Teufel darum kümmern. Ja, mein alter Herr würde sich einen väterlichen Schmerz einbilden! Er macht doch in seinem Leben keinen Bankpräsidenten aus mir, und das ist das einzige, woran ihm etwas liegt.«
Eine zurückhaltend-freundliche Stimme sagte neben ihm: »So müssen Sie nicht reden.«
Er fuhr herum. Fräulein Carmichael stand neben ihm an der Reling. Er hatte also laut mit sich gesprochen – wieder ein unangenehmes Symptom.
»Sie – Sie haben gesehen, wie –«
Sie nickte. »Machen Sie sich doch nichts daraus, das hilft nichts. Legen Sie sich eine Weile nieder. Eine kleine Pfeife könnte Ihnen jetzt nichts schaden. Ihre Nerven sind sehr erregt; das würde Sie beruhigen.«
Er starrte sie an.
»Legen Sie sich auf alle Fälle eine Weile nieder«, wiederholte sie, ergriff ihn am Arm und zog ihn seiner Kabine zu. »Sie wollen sich doch so von niemand sehen lassen?«
Er gab nach, denn er hatte keinen Willen mehr. Etwas von dem Einfluß, den sie auf ihn gehabt hatte, ehe Hui Fei in den Saal getreten war, lebte wieder auf.
»Kommen Sie mit herein«, sagte er mit heiserer Stimme. »Rauchen Sie eine Pfeife mit mir!«
Völlig ruhig, ganz selbstverständlich trat sie ein und verriegelte die Tür. »Wir wollen aber das Fenster dicht zumachen«, sagte sie.
»Sie brauchen das Licht nicht anzuknipsen«, sagte er und zog seinen Kabinenkoffer hervor. »Bitte, einen Augenblick. Ich sehe genügend. Ich weiß genau, wo alles ist.«
»Lassen Sie den Kabinenkoffer vorne stehen. Wir stellen Ihren Handkoffer darauf, und auf den die Opiumlampe.«
* * *
Hui Fei führte Doane zu einem Sitz unter den vorderen Fenstern.
»Es muß so aussehen, als ob wir nur Angenehmes sprächen«, sagte sie. Wieder fragte er sich, aber diesmal ohne Bitterkeit, wie sie nur dieses heitere Lächeln fertigbringe? »Ich habe noch einiges erfahren. Es ist sehr schwer zu sagen – es ist schwer, nur zu denken … Es kam mir zuerst so sonderbar vor, daß ich gelacht habe.«
… Ja, sie hatte Tränen in den Augen. Aber wie tapfer kämpfte sie sie zurück und lächelte wieder! Auch seine Augen füllten sich, und er wandte sich ab, doch nicht so rasch, daß sie es nicht bemerkt hätte. Trotz ihrer eigenen Sorgen war sie feinfühlend für andere. Eine Weile schwiegen beide in tiefstem gegenseitigen Mitgefühl, Ambrosia für sein hungerndes Herz.
In diesem Augenblick war ihre kleine Verschwörung nahe daran, zusammenzubrechen. Hätte sie jetzt jemand beobachtet, so hätte es sofort eine Klatscherei gegeben. Gewisse Mandarine, die scharfe Augen hatten, hätten Grund zu allerlei Bedenken gefunden; denn unwillkürlich schob Hui Fei ihre Hand in die seine, die zwischen ihnen auf dem Sitz ruhte, und fühlte sie warm gedrückt.
Im nächsten Augenblick sprach sie wieder, vollkommen gefaßt. »Mein Kammermädchen hat herausgebracht, daß der Obereunuch aus der Verbotenen Stadt nach unserm Haus geschickt worden ist. Und das ist gegen das Gesetz.«
»Natürlich!« stimmte er bei. »Selbst der ›Alte Buddha‹ hat es sich nur ein einzigesmal herausgenommen, einen Eunuchen auf Staatsgeschäfte auszuschicken. Und der ist niemals zurückgekommen. Er wurde in Schantung gefangen – und geköpft. Auch der ›Alte Buddha‹ konnte das nicht. Diese neue Kaiserin ist erstaunlich. Aber natürlich ist in Peking zur Zeit überhaupt keine richtige Regierung.«
»Er hat Befehl, alle Schätze meines Vaters mitzunehmen – Gemälde und Edelsteine und Steinschnitzereien.«
»Vielleicht fangen ihn die Rebellen. Sie würden kurze Arbeit mit ihm machen.«
»Ich habe mich danach erkundigt. Die Rebellen sind bei Wu Tschang über den Fluß, aber sie haben die Eisenbahn noch nicht, die auf unserer Seite nach Hankau geht.«
»Jawohl!« überlegte er. »Der Eisenbahndienst von Peking her – –«
»Ich habe Ihnen noch nicht alles gesagt.« Sie sprach jetzt leise und mit unsicherer Stimme. »Dieser Eunuch, Tschang Yuan-fu, hat Befehl von der Kaiserin, auch mich nach Peking zu bringen. Alles spricht darüber. Die Kaiserin ist böse über meine ausländischen Sitten, und will mich mit einem Mandschu verheiraten. Sie war ungehalten, als mein Vater sagte, ich müsse keinen Mann heiraten, den ich nicht selbst gewählt habe. Ich meine, Sie sollten jetzt lächeln!«
Mechanisch gehorchte er ihr.
»Es scheint manchmal so komisch,« flüsterte Hui Fei. »Manchmal kann ich gar nicht glauben, daß es möglich sei. Wenn ich an Amerika und England und die ganze Welt denke, wie sie jetzt ist, kann ich gar nicht glauben, daß so Schlechtes geschehen kann.«
Aber für Doane war dies durchaus nicht unglaublich. Er wußte nur zu gut, daß Amerika und England und selbst alle Weißen zusammen nur einen kleinen Teil der Bewohner dieser sonderbaren Erde ausmachen. Wieder füllten sich seine Augen, wenn er an das mögliche – nein, das wahrscheinliche Schicksal dieses liebreizenden Geschöpfes an seiner Seite dachte. In diesen Zeiten der Auflösung jeglicher Ordnung konnte das aller Rücksicht bare Weib in Peking alles mögliche erreichen. Wenn der ausgesandte Eunuch unterwegs das Schießen hörte, verlor er vielleicht den Kopf und floh nach Peking zurück. Aber ein mutiger Mann unter diesen lasterhaften Eunuchen setzte sich um eines so großen Gewinnes willen wohl auch einer großen Gefahr aus. Und wahrlich, die Sammlungen des Vizekönigs waren ein gewaltiger Preis; viel von den unschätzbaren Edelsteinen und Gemälden gelangte jedenfalls nicht bis an den Thron.
Es kam ihm der Gedanke, ob er nicht den Versuch machen sollte, sie zu überreden, sich in Sicherheit zu bringen; aber er wies diesen Gedanken sofort weit von sich. Sie verließ ihren Vater auf keinen Fall, solange er lebte. Er würde sich das Leben natürlich nirgends anders nehmen, als in dem Stammsitz seiner Ahnen. Und eben diesem Stammsitz zu eilte – wenn er nicht schon dort war – mit seinem Gefolge von Untergebenen und Soldaten dieser Tschang Yuanfu, eines jener mächtigen, boshaften Geschöpfe, die, gelegentlich großen Schaden stiftend, in die Geschichte von China eingegriffen haben.
Doane fragte leise und rasch: »Können Sie erfahren, wann Tschangs Zug aus Peking abgefahren ist?«
»Nein; ich habe es schon versucht. Ich glaube, es ist hier nicht bekannt. Und es wäre doch so wichtig zu wissen, weil mein Vater –« Ihr versagte die Stimme. Nach einem raschen Blick nach rechts und links ergriff Doane wieder ihre Hand und drückte sie teilnahmsvoll. »Sie haben noch nicht mit meinem Vater geredet?« fragte sie.
»Noch nicht, liebe Miß Hui … Sie müssen lächeln! … Ich finde es sehr schwierig, mir einen Weg auszudenken, wie ich damit an ihn herantreten könnte. Ihr Vater ist ein großer Vizekönig. Er könnte es übel aufnehmen, wenn ich es wagte, mich in das zu mischen, was ihm vielleicht als die heiligste Tat seines Lebens erscheint. Er könnte –« Doane stockte. »Er könnte das Gefühl haben, daß er selbst um Ihretwillen nicht am Leben bleiben dürfe.«
»Ich weiß«, sagte sie sehr leise. »Das habe ich auch schon gedacht. Aber mich sollen sie niemals nach Peking schleppen.«
Er verstand. Selbstmord junger Mädchen, um einer aufgezwungenen Heirat zu entgehen, war in China ganz allgemein. Für Tausende war dies der einzige Ausweg. Das wußte sie natürlich auch, und aus ihr sprach das Blut ihrer Rasse.
»Morgen will ich mit ihm reden«, flüsterte er. »Ehe wir nach Huang Tschau kommen. Wir können nichts dabei verlieren; er kann mich höchstens abweisen.«
Doane war sich jetzt bewußt, daß in dieses Trauerspiel alles mit verhängt war, was ihm das Leben noch an Glück bieten konnte. Sein erster Lebenszweck war jetzt, Hui Fei zu retten, zu erreichen, daß sie wieder mit glücklichem Herzen lächeln konnte. Eben flüsterte sie:
»Ich danke Ihnen!«
Nun erkundigte er sich, sein Benehmen plötzlich ändernd, mit Höflichkeit nach ihrem Leben in Amerika. Während sie sich Mühe gab, ihm in diese unpersönliche Unterhaltung zu folgen, kehrte allmählich ihre gelassene Heiterkeit wieder zurück.
Die Musik ging zu Ende, und die Tanzenden klatschten Beifall, dem sich Hui Fei anschloß. Manila Kid zog das Grammophon wieder auf, und von neuem schwangen sich die Tanzenden im Kreise.
»Ich habe viel von Ihnen verlangt«, flüsterte sie. »Aber ich bin so bang. Ich wußte nicht, was tun.«
Er mußte die Zähne zusammenbeißen, um die glühenden Worte zurückzuhalten, die sein ganz aus der Übung gekommenes Herz herausstoßen wollte. »Ich will Sie zu Ihrem Vater zurückgeleiten«, sagte er.
Zu dem einen war er fest entschlossen: Was ihnen Sonderbares auch bevorstehen mochte, sie sollte nicht nach Peking geschleppt werden. Nicht nur ihr, auch sein Leben stand auf dem Spiel. So stand es jetzt um ihn.
* * *
Beinahe Mitternacht war es, als der »Yen Hsi« auf Befehl von Hankau hin seine Fahrt flußaufwärts fortsetzte. Beim ersten Kolbenstoß der Maschine hörten die weißen Fahrgäste auf zu tanzen. Alles freute sich, und es wurde sogar Hurra gerufen.
Ungefähr zwei Stunden später mischten sich Flintenschüsse in Doanes Träume; aber bei den ersten Schreien der Weiber unter Deck sprang er von seinem Lager auf. Da schlug auch schon jemand an seine Tür, und er öffnete. Der zweite Ingenieur, Mac Kail, stand draußen, ohne Rock und Mütze, einen Revolver in der Hand und Blut an der Wange.
»Drunten ist die Hölle los«, meldete der junge Schotte. »Der Chef = Erste Ingenieur. ist drunten. Ich habe versucht, zu ihm durchzudringen, aber – sie sind übers ganze Schiff und schießen aufeinander.
»Wer schießt?« Doane zog eiligst Hosen und Rock an und schlüpfte in seine Schuhe.
»Die Soldaten des Vizekönigs. Revolutionäre Bande!«
Geschwind nahm Doane seine Selbstladepistole aus der Schublade, füllte rasch einen Reserveladestreifen und lief dem bereits vorangegangenen Schotten nach.
Die Maschine arbeitete noch, und das Schiff fuhr gleichmäßig weiter den im Mondschein liegenden Fluß hinauf. Der Aufruhr unter Deck klang gedämpft, als ob er weit weg wäre. Es wurde immer noch geschossen. Auch schrille Schreie drangen herauf und von Zeit zu Zeit ein Platschen ins Wasser. Doane stürzte an die Reling und starrte hinunter; da sah er einen Augenblick ein Gesicht in dem Schaum und Gischt der Bugwelle und einen weißen Arm. Die weißen Reisenden taumelten schlafbefangen aus ihren Kabinen; er sah einen der Zollbeamten im Pyjama und Tex Connor. Sie überhäuften ihn mit Fragen, er aber schob sie einfach zur Seite.
Der Kapitän stand mit einem Revolver in der Hand bei dem sich duckenden Lotsen.
»Maschinenraum antwortet nicht!« sagte er ganz kühl. »Und wir können nicht hinunter. Versuchen Sie mit Mac Kail durchzukommen. Ich will dafür sorgen, daß diese Ratte da das Schiff in der Fahrrinne hält.«
Doane rannte zurück. Inzwischen waren noch mehrere von den weißen Männern erschienen, und sie sprachen erregt aufeinander ein. Er blieb stehen, um ihnen zu sagen: »Holen Sie alle Waffen, die Sie haben, und sorgen Sie dafür, daß außer den Weibern niemand auf dieses Deck heraufkommt. Lassen Sie keinen Soldaten herauf!«
Mac Kail stand bei der Treppe der hinteren Kabinen und der Australier neben ihm.
»Sie bringen einander gegenseitig um da drunten«, bemerkte der Australier.
»Kommen Sie!« sagte Doane und ging die Treppe hinunter. Drunten war großer Lärm und Durcheinander. Hysterisch schluchzende Frauen drängten sich aus den unteren Kabinen herauf, rauften sich die Haare und schlugen sich die Brust, drängten sich vorne und hinten aufs Promenadendeck oder kletterten unbeholfen über die Reling und ließen sich ins Wasser gleiten.
Doane rief ihnen auf chinesisch beruhigende Worte zu; er deutete auf die Treppe, zog sogar ein Mädchen mit Gewalt vom Geländer weg und veranlaßte es, hinaufzugehen. Schreiend folgten andere nach; noch andere klammerten sich krampfhaft an die weißen Männer an.
Doane riß sich los und tauchte in die Tiefe des Schiffes hinunter. Die meisten Lichter waren erloschen. Dunkle Gestalten kämpften miteinander. Seufzen, Stöhnen und wildes Wut- und Triumphgeschrei ließ sich hören. Dazwischen vernahm Doane das Keuchen der kämpfenden Männer.
Er stolperte über einen Toten und wäre gefallen, wenn ihn der Australier nicht aufgefangen hätte. Ein langer Soldat, der mit einem triefenden Bajonett nach ihm stach, wurde von Mac Kail erschossen … Es war hier unmöglich, die einzelnen Parteien dieses wilden Kampfes zu unterscheiden, aber im inneren Gang war es heller. Zwei Republikaner mit abgeschnittenen Zöpfen = Das Zeichen des Bruches mit der altchinesischen Welt. und in eine eigentümliche Uniform aus einem leichten grauen Stoff gekleidet und eine weiße Binde um den Arm, hatten quer über den Gang Leichen aufgehäuft und schössen über diese weg auf eine dunkle Masse dicht vor dem Maschinenraum.
Doane schrie den Republikanern den Befehl zu, zurückzugehen. Sie schüttelten zornig den Kopf. Einer von ihnen, der eben antworten wollte, sank plötzlich haltlos in sich zusammen, und ein dunkler Strom ergoß sich aus einem Loch in seiner Stirne. Sein Kamerad beugte sich tief herunter, um sein Gewehr neu zu laden. Mit heiserem Geschrei setzte sich die dunkle Masse den Gang herunter in Bewegung. Doane feuerte in sie hinein, aber der Australier und Mac Kail ergriffen ihn am Arm und zogen ihn hinter die Türöffnung zurück. Von hier aus konnten sie alle drei auf die blaugekleideten Angreifer schießen, wie sie an der Öffnung vorbeikamen. Bald waren sie jedoch genötigt, sich selbst zu verteidigen. Die Soldaten kamen dutzendweise. Schon hatte Doane den zweiten Streifen Patronen im Pistol.
»Zurück!« rief er den beiden andern zu. »Haltet die Treppe! – Gleich werden sie heraufdrängen, um zu plündern.«
Sie gingen zurück. Zwei Leichen lagen auf den Stufen, die sie vor wenigen Augenblicken verlassen hatten. Mehrere tote Frauen lagen auf dem Deck und ein oder zwei Männer.
Welche überraschenden Vorfälle diesem plötzlichen Kampf vorangegangen waren, sollte niemals bekanntwerden. Der Erste Ingenieur hätte es vielleicht sagen können, aber bei Doanes zweitem Versuch, unten durchzudringen, fand er dessen Leiche auf der Schwelle des Maschinenraumes liegen, gerade als wäre er dort herausgetreten, um mit den Leuten zu verhandeln.
Der ganze Kampf währte kaum eine halbe Stunde. Für die Weißen war das eine Zeit des Schreckens und der Verwirrung. Gegen Ende des Kampfes machten die blaugekleideten Soldaten, jetzt eine gesetzlose Bande von Aufrührern, einen Angriff nach dem andern auf die verschiedenen Treppen und Leitern, wurden aber von den Weißen und den wenigen überlebenden Offizieren des Vizekönigs überall zurückgeschlagen. Sie waren jetzt wie die primitivsten Wilden, kannten keine Todesfurcht und auch keine Vernunft. Der Blutrausch, der von Zeit zu Zeit dieses sonst so seelenruhige und vernünftige Volk ergreift, hatte sie vollständig toll gemacht.
Endlich aber sammelten sie sich unten. Zwei von den Booten waren ihnen zugänglich, und trotz der Geschwindigkeit des Schiffes und der Strömung, wenn auch nicht ohne Verlust an Menschenleben, gelang es ihnen, die Boote zu Wasser zu fieren; sie stürzten sich hinein und verschwanden in der Nacht. Und nun zum erstenmal während dieser Nacht wurde Doane den zweifelhaften Tom Sung gewahr. Er stand im letzten Boot, schwang ein Gewehr und brüllte wilde chinesische Worte.
Mac Kail übernahm den Maschinenraum. Kapitän Benjamin zwang immer noch mit grimmiger Entschlossenheit, den Revolver in der Hand, den Lotsen zu seiner Arbeit. Mannschaft, um die unteren Decks von Blut und Leichen zu reinigen, war keine mehr vorhanden, aber mit den wenigen getreuen Soldaten, denen es gelungen war, sich zu verstecken, war es doch möglich, die Feuerung zu bedienen und den Dampfer in Fahrt zu halten.
Doane fand in dem unteren Gang das, was einst der erste Sun Schi-pi gewesen war. Er trug die graue Uniform und die weiße Binde mit dem Motto derer die ›Den Tod nicht scheuen‹. Ihm war der Kopf abgeschlagen.
Erregt durcheinanderschwatzende, ganz und halb bekleidete Fahrgäste trieben sich auf den Decks herum. Die beiden Lehrerinnen saßen merkwürdig gefaßt nebeneinander am Speisetisch. Aus den Räumen Seiner Exzellenz drang fortgesetzt das Stöhnen und Jammern von Frauenstimmen … Für ein uneingeweihtes Auge fuhr hier nur ein bekannter Dampfer auf seiner regelmäßigen Fahrt im Mondschein den Fluß hinauf. Aber denen an Bord erschien die Sache wie ein Alp, der sie gequält hatte, wie eine unglaubliche Erinnerung an geträumte Schrecken, die schwinden, während sich die schlummerschweren Augen dem Lichte wieder öffnen … Für den gewaltigen Fluß aber war es nur ein kleiner nebensächlicher Vorfall mehr in dem blutigen Drama eines endlos leidenden und kämpfenden Volkes …
In seiner geräumigen Kabine, die Augen durch einen Schirm von Nephrit in einem Untersatz von Rosenholz vor dem elektrischen Licht geschützt, angetan mit seinen Staatsgewändern, die rubinengekrönte Staatsmütze mit der hinten herabhängenden Pfauenfeder auf dem Kopf, saß Seine Exzellenz und las voll Ruhe in den Vorschriften des Tschuang Tzü.
»Hui Tzü fragte«, so las er, »gibt es denn Menschen, die keine Leidenschaften haben? Wer ein Mensch ist, kann der ohne Leidenschaften sein?«
»Unter einem Menschen ohne Leidenschaften«, antwortete Tschuang Tzü, »verstehe ich einen solchen, der weder Gutem noch Bösem gestattet, sein inneres Leben zu stören, sondern gelassen annimmt, was da kommt … Die reinen Menschen der alten Zeiten liebten weder das Leben noch haßten sie den Tod. Heiter taten sie das Ihre und harrten geduldig auf ihr Ende. Dieses heißt, das Herz nicht vom Tao abwenden … Der wahre Weise achtet nicht Gottes; er achtet nicht des Menschen; er achtet keines Anfanges; er achtet keiner Sache; er nimmt das Leben, wie es sein mag, und läßt sich nicht erschüttern. Gelingen, Mißlingen, was kümmert ihn das? Wenn ihm etwas gelingt, war ihm nicht ohne sein Zutun die Tatkraft gegeben, die nötig ist zum Erfolg? … Das menschliche Leben eilt vorüber wie ein Pferd im Galopp, und es ist ein ewiger Wechsel. Was soll der Weise tun, was soll er lassen? Das Leben vergeht wie ein Sonnenstrahl, der durch ein Löchlein in der Wand fällt – er ist da und gleich wieder weg … Laß das Wissen halt machen vor dem, das nicht zu wissen ist. Das ist Vollkommenheit.«
* * *
Es ist fraglich, ob selbst Doane gleich im ersten Augenblick darauf achtgab, wo das Feuer entstanden war. Es hatte sich durch die Luftgitter über mehrere der Kabinen des Promenadendecks verbreitet, und die Flammen züngelten schon aus einer Türöffnung heraus, als er das neue Geschrei vernahm und herbeieilte. Die Weißen liefen entsetzt umher. Rocky Kane, ohne Kragen und mit verwirrten Haaren, mühte sich erfolglos mit dem Spritzenschlauch ab; ihn stieß Doane zur Seite. Aber die Flammen verbreiteten sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit, fraßen sich durch die Gitter von Kabine zu Kabine und leckten bald darauf an den Wänden und den Möbeln des Gesellschaftssaales.
Doane verließ Dawley Kane und Tex Connor – ein seltsam zusammengewürfeltes Paar – beim Spritzenschlauch, andere an der Arbeit mit den chemischen Feuerlöschern, während er durch den immer dichter werdenden Rauch zur Kommandobrücke vorging.
Kapitän Benjamin sagte mit heiserer Stimme fast wie um Verzeihung bittend – seine Augen waren starr und gerötet, sein Gesicht ganz verstört –; »Ich lasse das Schiff auflaufen.«
Und im nächsten Augenblick stieß es auf den Grund, wo die Fahrrinne nahe bei einer Insel vorbeilief.
Ohne Mannschaft die Boote zu Wasser zu fieren, stellte sich als sehr schwierig heraus. Die Boote vorne hatte das Feuer bereits erreicht. Doane, der zweite Steuermann und Mac Kail taten, was sie konnten. Überall drängten sich schreiende Chinesinnen und machten jegliche Ordnung unmöglich. In dieser Verwirrung stieß ein Boot ab, in dem niemand war als Tex Connor, Manila Kid und Fräulein Carmichael.
Kapitän Benjamin war durch die rasche Ausbreitung des Feuers abgeschnitten. Die ganze vordere Seite der Kabinen war jetzt ein Meer von Flammen, die von einem Augenblick zum andern immer höher lohten. Die Hitze war entsetzlich. Doane veranlagte den Vizekönig und sein Gefolge, hinunterzugehen, wo das Deck noch voll Leichen lag und schlüpfrig war von Blut. Mit den drei verfügbaren Booten schickte er zuerst die Frauen, dann den Vizekönig und die Männer an Land. Hui Fei – sie war rasch in das chinesische Gewand geschlüpft, das sie bei ihrer mitternächtlichen Unterredung getragen, und darüber hatte sie einen Theatermantel aus New York umgenommen – kam in eines der ersten Boote; Doane selbst half ihr hinein. Die beiden Lehrerinnen, bleich, aber gefaßt, folgten. An den Riemen saßen zwei von den Zollbeamten, die Gesichter mit Schweiß und Ruß bedeckt.
Als das letzte Boot abfuhr, sagte Doane zu dem Vizekönig: »Ich komme bald nach; ich muß mich erst noch einmal nach dem Kapitän umsehen.«
»Ich werde ein Boot zurückschicken«, versprach Seine Exzellenz.
Doane lief über das obere und das Promenadendeck. Außer dem Knistern und Krachen des Feuers war nichts zu hören. Es schien nicht möglich, nach vorne zu gelangen. In der großen Kabine achtern stand der Ming-Wandschirm. Rasch faltete er ihn zusammen; es schien ihm nicht unmöglich, ihn an Land zu bringen. Mit vorübergehendem Bedauern dachte er an den Pi aus Nephrit; aber seine eigene Kabine noch zu erreichen, war unmöglich. Er ging weiter; und da, ganz achtern, an die Kabinenwand gelehnt, stand Rocky Kane, schlaftrunken sich die Augen reibend. Und gegen sein Knie gedrückt, sich fest an seine Hand klammernd, stand da die kleine Prinzessin in der goldgelben ärmellosen Jacke über dem geblümten Gewand und ihrer sonderbaren Haube aus Fuchsfell.
Doane faßte den jungen Mann bei der Schulter, drehte ihn um und schaute ihm nahe in die trüben, glasigen Augen mit den winzigen Pupillen.
»So!« rief er. »Also das wieder!«
»Ich begreife nicht«, stammelte Rocky. »Ich weiß nicht, wie es zuging. Meine Schuld kann es nicht sein.«
Doane sah jetzt, daß sein Kopf über dem einen Ohr verbrannt war, und die Hand, die er sich vors Gesicht hielt, war voller Brandblasen.
»Ich bin nicht schuld. Ich stand plötzlich auf Deck. Ich wollte den Schlauch losmachen.«
»Ja, ich habe Sie gesehen. Gehen Sie rasch hinunter!«
Behutsam hob Doane die kleine Prinzessin auf den Arm.
Rocky sprach immer noch unzusammenhängendes Zeug; gelobte, sich zu bessern und klagte sich im nächsten Augenblick an, nachdem er sich eben hitzig verteidigt hatte. Seine Stimme war belegt, und er taumelte trunken hin und her, als er der Treppe zuging.
Doane sprach beruhigende chinesische Worte zu dem Kind und blieb einen Augenblick überlegend stehen. Die Hitze wurde immer unerträglicher. Es ging nicht an, das Kind hier oben zu lassen. Er trug die Kleine hinunter.
Drunten stellte sich der junge Mann vor ihm auf. »Ich bin nichts nutz!« wimmerte er. »Ich kann nicht aufwachen. Hauen sie mich – tun Sie irgend etwas – so will ich nicht sein!«
Doane überlegte; dann schlug er den jungen Mann mit der flachen Hand gegen die Seite des Kopfes, die nicht verbrannt war. Er hatte härter zugeschlagen, als er gewollt, denn Rocky fiel zu Boden und rappelte sich brummend wieder auf die Beine.
»So war's ganz recht!« rief er mit unsicherer Stimme. »Ich habe Sie ja darum gebeten. Ich komme jetzt wieder zu mir. Ich bin ein Nichtsnutz gewesen – aber ich will dagegen ankämpfen – es soll besser werden!« Seine Selbstsucht hatte ihn sogar jetzt in den Krallen – er nahm sich immer noch sehr wichtig. Aber seine Pupillen waren wieder etwas weiter geworden und es war ihm Ernst – er schrie auf aus einem eingeschläfert gewesenen Sinn und Gewissen heraus. In Doanes Herz regte sich – seltsam gemischt mit einem Stich von Eifersucht dieser hoffnungsreichen Jugend gegenüber – die Teilnahme, die er aus langer Erfahrung für die blindkämpfende Jugend in sich trug. Junge Leute waren schließlich immer selbstsüchtig. Und bei Gott, diesem jungen Mann hatte sich wenig Gelegenheit geboten, sich davon zu befreien.
Doane ging voraus ganz nach achtern. Die Hitze war entsetzlich. Mit dem Wasser aus einer Reihe von Feuereimern benetzte er die kleine Prinzessin; das Wasser war zwar warm, aber es tat dennoch gut.
Mit einer raschen Bewegung ergriff der junge Kane zuerst einen und dann einen zweiten Eimer und goß ihren Inhalt über sich aus. Sichtlich erwachte er wieder zum Leben. »Vielleicht kommen wir nicht lebendig davon, Herr Doane«, sagte er. »Wir sind ja in einer entsetzlichen Lage.« Je mehr er wieder zu sich kam, desto wichtiger nahm er die Sachlage und sich selbst, »Aber das eine will ich Ihnen sagen: Noch nie habe ich einen Mann gesehen wie Siel Sie sind prachtvoll – Sie sind groß – Sie haben mit geholfen wie sonst niemand. So wie Sie kann ich nie werden – ich hab's nicht in mir. Ich war schon beinahe unrettbar weit auf dem Weg zur Hölle –«
»Können Sie schwimmen?« fragte Doane kurz.
»Ich – nun ja, ein bißchen. Ein sehr guter Schwimmer bin ich nicht.«
Doane benetzte der kleinen Prinzessin und sich selbst das Gesicht. Nur ein klein wenig Zeit blieb noch. Jetzt war auch hier unten Rauch, und das Atmen wurde schwierig. Offenbar hatte sich das Feuer vorne jetzt auch zu den unteren Decks durchgefressen.
»Es wird nicht möglich sein, mit einem Boot hier heranzukommen«, sagte er und deutete auf die noch brennenden Bretter, die, nachdem sie in die Luft gewirbelt worden waren, auf dem Wasser vorbeitrieben. Eine entsetzliche Hitzewelle wogte über sie hin: offenbar hatte sich der Wind gedreht und trieb jetzt das Feuer nach hinten.
»Warten Sie hier einen Augenblick auf mich, fügte Doane hinzu.« Ich muß noch einen letzten Versuch machen, Kapitän Benjamin zu finden. Wenn das nicht gelingt, schwimmen wir ans Land.«
* * *
Doane versuchte, nach vorne zu gelangen, allein die Hitze war allzu groß, und das Feuer fraß sich immer weiter nach achtern durch; er kam nicht weit. Er mußte umkehren, und als er zurückkam, sah er, daß Rocky und das Kind verschwunden waren. Nach einer Weile erblickte er im Wasser, ziemlich entfernt, zuerst einen gelben Streifen, wohl von der Jacke der kleinen Prinzessin, und dann die beiden Köpfe dicht beieinander.
Er ließ sich an einer Bootsleine hinunter und schwamm ihnen nach. Das Wasser war kühl und erfrischend. Er streckte sich in voller Länge aus und tauchte den Kopf unter, während er mit einem Arm nach dem andern gewaltig ausgriff. Nahe beim Ufer holte er die beiden ein.
Der junge Kane keuchte schwer, und das Kind, das sich um seinen Hals klammerte, wimmerte.
»Ich hatte Sie aufgegeben«, stieß er hervor. Und als der Steuermann ihm das Kind abnehmen wollte, bat er: »Nicht, bitte, meine Kraft reicht noch – müssen ja gleich Grund finden!«
Sampane und die Boote der Scharbenfischer gelangten in den weiten, hellerleuchteten Umkreis des brennenden Dampfers. Am Ufer der Insel standen die Mandarine in einer Gruppe beisammen, und ihre seidenen Gewänder bildeten einen glänzenden bunten Fleck in dem lebenden Bilde.
Jetzt fühlte Doane Sand unter seinen Füßen; er machte ein paar Schritte und half dann dem beinahe völlig erschöpften jungen Mann ans Land.
»Da kommen sie«, sagte Rocky mit dem vergeblichen Bemühen, dies als eine nebensächliche Bemerkung erscheinen zu lassen.
Doane schaute auf und sah sie laufen – Weiße, chinesische Diener und Mandarine mit aufgehobenen Gewändern, Frauen und zuletzt mit raschen Schritten Seine Exzellenz.
Hui Fei warf ihren Mantel ab und rannte leichtfüßig voraus; sie war es, die das verstörte Kind dem jungen Kane aus den Armen nahm und es das Ufer hinauftrug. Der lange Eunuch wickelte die kleine Prinzessin in seinen eigenen Überrock, und Hui Fei nahm ihren Theatermantel entgegen, der sie im Nu wieder aus einem schlanken Mandschumädchen zu einer New Yorker Dame machte.
Doane stand daneben; ihm schenkte sie keinen Blick, aber zu Rocky Kane, der erschöpft am Ufer lag, wandte sie sich mit großem Eifer. Nicht ohne Anstrengung kam er endlich wieder auf die Füße.
Mit glücklichem Lächeln – wie es dem verwirrten, düster brütenden Doane vorkam – reichte sie ihm die Hand und führte ihn zu ihrem Vater.
»Du kennst Herrn Kane«, sagte sie. »Er hat die kleine Schwester gerettet mit eigener Lebensgefahr, Vater.«
Rocky, das Haar zurückwerfend und sich das Wasser aus den Augen wischend, stand mit nervös zuckendem Gesicht, sehr aufrecht und sehr respektvoll vor dem Vizekönig und ergriff die Hand, die ihm dieser reichte.
Es war also doch Mannheit in ihm. Der Vizekönig erkannte diese Tatsache mit einem freundlichen Lächeln an.
Auch Hui Fei erkannte sie offenbar an, als sie heiter plaudernd an seiner Seite hinschritt.
Doane war unbeachtet auf die Seite getreten; endlich setzte er sich zu Boden, stützte den Kopf in die Hände und starrte zu dem brennenden Schiff hinüber. Bald würde es aus mit ihm sein. Der arme Benjamin hatte schon sein Ende gefunden. Es war eine tragische Nacht, und dennoch würde sie mit all ihren Schrecken in der sich jetzt ausbreitenden Revolution nur ein kleiner Einzelfall sein. So war es in China von jeher gewesen.
Er vergaß diese Gedanken über denen an die rasch wachsende neue Liebe in seinem Herzen. Die Hoffnung auf eigenes Glück war jetzt vorbei, und statt ihrer nahm eine tiefe Zärtlichkeit für das Mädchen immer mehr in ihm zu. Ein Geheimnis, ein Wunder war diese unverhofft über ihn gekommene Herzensregung, ein Beweis, daß auch für ihn, den Gescheiterten, das Leben noch reiche Gaben in Bereitschaft halten konnte. Und es war ihm eine Aufforderung, sein Leben, seine Gaben in den Dienst der Sache Chinas zu stellen; er mußte Mittel und Wege finden, sich und seine Dienste anzubieten.
Der Vizekönig entfernte sich von der Gruppe, die sich um das Kind gebildet hatte, und kam langsam am Ufer daher geschritten. Das wachsende Gefühl von Zärtlichkeit, das Doane für Hui Fei erfüllte, dehnte sich auch auf deren Vater aus, der mit solch feiner Würde dem grimmen Ende eines reichen, nutzbringend geführten Lebens entgegensah. Jetzt vielleicht war es möglich, an ihn heranzutreten und ihn zu bitten, um seiner Tochter willen seine Absicht noch einmal in Erwägung zu ziehen. Irgendwie mußte ein Glück für sie gefunden werden. Auf diese Weise konnte er ihr dienen. Sie nannte sich so unbefangen eine ›Amerikanerin‹. Der Westen hatte ihr den Sinn erregt; sie durfte nicht dem Eunuchen Tschang und den finsteren Geschehnissen in der Verbotenen Stadt ausgeliefert werden.