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Auferstandene Gefühle

Als die Reisenden am nächsten Morgen erwachten, waren die Maschinen immer noch nicht im Gang, und es wurde allen klar, daß das Schiff jedenfalls noch bis zum nächsten Morgen hier stilliegen werde. Die jungen Leute beschlossen, das Vernünftigste wäre, ein Tänzchen zu machen. Schon vor dem Tiffin machten sie sich daran, die Ausschmückung des Gesellschaftssaales für den Ball zu überlegen. Fräulein Means zeigte sich reich an hübschen Einfällen, und im Lauf des Tages stellte sich heraus, daß Fräulein Andrews einen guten Geschmack im Aufhängen von Flaggen hatte.

Der chinesische Tag beginnt mit der Morgendämmerung, und der kleine Herr Kato, der mit seinem ewigen Lächeln am Frühstückstisch saß, war schon stundenlang auf dem unteren Deck bei seinen dortigen Bekannten gewesen. Nach dem Frühstück saß er oben mit den beiden Kanes und sprach höchst eifrig. Fräulein Carmichael beobachtete sie dabei, und als Rocky nachher allein an der Reling stand, strich sie in seiner Nähe vorüber. Als er sie sah, wurde er sehr verdrießlich.

»Warum sind Sie gestern abend nicht gekommen?« fragte er sehr leise, aber voll Entrüstung.

»Ich konnte nicht. Man kann nicht immer alles voraussehen.«

»Aber Sie haben doch gesagt –«

»Bitte, Rocky! So dürfen Sie nicht mit mir reden. Wenn man uns beobachtete!«

»Nun –« Er schloß den Mund. Zum erstenmal hatte sie ihn bei seinem Vornamen genannt, das war schon etwas. Und sie hatte ja recht, sie durften nicht auffallen. Sie war außerordentlich gescheit, lebte, wie sie wollte, gleich einem Mann und verlor keinen Augenblick den Kopf. Nun, er wollte ihr beweisen, daß er auch nicht von Pappe sei.

»Kato hat heute morgen einige sonderbare Neuigkeiten aufgeschnappt«, berichtete er. »Unter Deck bereitet sich eine Meuterei vor. Hinter alle Einzelheiten ist er noch nicht gekommen; jetzt eben ist er wieder drunten. Es gärt unter den Soldaten des Vizekönigs. Ehe wir's uns versehen, werden sie das Schiff in die Luft sprengen.«

»Nun, wir müssen es alle darauf ankommen lassen«, meinte sie und trat einen Schritt zur Seite, indem sie sich anmutig auf den Ballen ihrer Füße wiegte.

»Bleiben Sie doch noch!« flüsterte er.

»Es ist besser, wenn ich gehe. Es tut nicht gut, wenn wir zu häufig beisammen sind.«

»Zu häufig?«

»Ich lasse heute abend für Sie einige Tänze frei.«

»Viele! Alle!«

Sie lächelte über seinen Eifer und sagte: »Wir können ja nachher noch beisammensitzen.« Damit ging sie.

An der andern Seite des Decks fand sie Manila Kid, der verdrießlich an einem Streichholz kaute. Seine verdrossenen Blicke richteten sich sofort auf ihr Handgelenk.

»Du trägst sie doch nicht!« murrte er.

»Du weißt doch warum, Jim.«

»Gewiß. Der junge Kane!«

»O Jim, wo hast du denn deinen Verstand! Mach' mir doch nicht weis, daß Tex die Uhr nicht bei dir gesehen hat! Soll er vielleicht merken, daß wir etwas miteinander haben – gerade jetzt?«

»Ich weiß nicht – ich –«

Ihre hellen, scharfen Augen flogen über das Deck hin und sie lächelte in ihrer leichten, gefälligen Weise. »Jim, warum hast du mir nicht gesagt, daß Tex mit dieser Sache ohne mich angefangen hat?«

»Ich habe nur auf eine Gelegenheit gewartet.«

Sie dachte über diese Antwort nach, und er fuhr fort:

»Sieh her, Dixie, das geht um bedeutende Werte.«

»Natürlich.«

»Ich habe mir Mühe gegeben, zu überlegen, wie wir stehen. Gestern nacht habe ich dich nicht ganz begriffen. Tex und sein Boxer Tom haben jetzt einen Haufen Soldaten auf ihre Seite gebracht, aber sie müssen vorsichtig sein, denn drunten ist noch etwas anderes im Gang. Einer von den richtigen Revolutionären ist drunten und hetzt sie auf. Einige sind voll von diesem republikanischen Gedanken, wollen sterben dafür und all der Blödsinn, und Tex muß sehr vorsichtig sein. Sag', wozu braucht er so viele?«

»Je mehr, je besser.«

»Aber wie wollt ihr sie bezahlen?«

»Laß sie plündern.«

»Aber Tex – und Tom – haben ihnen von den richtigen Wertsachen versprochen – Edelsteine.«

»Ach, etwas versprechen muß man. Aber wenn sie mitten drin sind und genug zu plündern und zu trinken und Weiber haben, wird es nicht schwer sein, sie sich selbst zu überlassen.«

»Aber wie wollt ihr sie vorher im Zaum halten? Weißt du, was sie unter sich besprechen? Sie wollen ein Leck ins Schiff sägen, dann heraufkommen und sich über die Habe des Vizekönigs hermachen.«

»Aber er hat nicht viel bei sich auf dem Schiff. Wir sind auf mehr aus.«

»Ich weiß – und es würde uns dies auch ein Kriegsschiff auf den Hals ziehen. Das ist es, was sich Tex bemüht, Tom klarzumachen. Eben hat er ihn in seiner Kabine. Aber mein Gott, Dixie, wenn ich bedenke, was du da in deiner nachlässigen Weise ins Rollen gebracht hast …«

»Tex wird sie schon im Schach halten. Das ist eine gute Eigenschaft von ihm – er kennt keine Schwäche. Du bist nervös. Geh hinein und hilf den Lehrerinnen, Fahnen aufhängen. Das wird dich beruhigen. Wir beide dürfen auch nicht mehr miteinander reden. Hast du mir etwas Wichtiges mitzuteilen, so schicke mir Nachricht durch einen Boy.«

Jim schaute sie trübselig an. Und wie er so dies kleine Ding von einem Mädchen betrachtete, das vor wenigen Jahren so geheimnisvoll unter den Schwindlern und Abenteurern an der Küste aufgetaucht war und vom ersten Anfang an so schlau und geschickt seinen Weg gemacht hatte, fühlte sich sein zerrütteter Geist unwiderstehlich zu ihr hingezogen. Sie hatte Verstand und nützte ihn. Sie verstand es, nett gegen einen zu sein, und Manila Kid hungerte nach liebevoller Teilnahme. Und sie war sehr verlockend, teilweise gerade dadurch, daß sich die Männer erfolglos um sie bemühten. Er wußte, als er sie so betrachtete, daß ihre ›liebevolle Teilnahme‹ – so nannte er das bei sich – nur um hohen Preis zu haben war. Und dieser Preis erschreckte ihn. Er konnte den Gedanken von Tex und Dixie mit seinem Geiste nicht nachkommen und vermochte sich auch nicht vorzustellen, daß er sich Tex widersetzen könnte, denn der Mann war stark und erbarmungslos. Dennoch …

»Sieh her, Dixie, meinst du, ich ließe mich von dir in dieses zweifelhafte Abenteuer mit hineinziehen, wenn ich nicht so toll in dich vernarrt wäre? Du lieber Gott – als ich während der Nacht darüber nachdachte – die Gefahr, der ihr euch aussetzt –«

»Es geht um Großes, Jim. Du kannst nicht erwarten, daß dir eine Million einfach in den Schoß fällt. Man muß schon etwas daranrücken! Sag', versteht dieser Tom Sung englisch?«

»Natürlich. Er ist Landarbeiter in Kalifornien gewesen und Koch bei der Marine der Vereinigten Staaten. Warum?«

»Es könnte nötig werden, daß ich selbst mit ihm rede, ehe wir mit dieser Sache fertig sind.«

»Du weißt doch, daß Tex die Absicht hat, dich zu prellen?«

»Selbstverständlich. Geh jetzt, Jim. Dies ist kein Spiel für schwache Nerven. Vergiß nicht, ich brauche dich.«

»Ich fürchte mich nicht vor Tex Connor, wenn du meinst, daß ich gegen ihn stehen müsse. Sieh her – wenn ich mit dir durch dick und dünn geh – wenn ich alles tu, was du mir sagst – wie stehen wir dann, du und ich?«

»Ich habe doch die Uhr von dir angenommen, nicht?«

»Ja – schon recht – aber ich hab' dich einmal gebeten, mit mir auf die Inseln zu gehen, und du wolltest nicht.«

»Nein, nicht dorthin. Dort kenn' ich zu viele Menschen.«

»Dann woanders hin. Jetzt gib mir eine gerade Antwort. Wenn wir damit durch sind – und wenn wirklich etwas Erkleckliches dabei herausspringt – gehst du dann mit mir?«

Nachdenklich schaute sie ihn einen kurzen Augenblick an und dann wieder über den Fluß hinaus. »Du weißt doch, daß ich dich gern habe, Jim.«

»Ist das ein Wort, Dixie: Wenn ich zu dir halte, dann hältst du auch zu mir?«

Sie überlegte. Dann sagte sie sehr ruhig und kaum die Lippen bewegend einfach: »Ja!«

Mit einem pfeifenden Ton zog er den Atem ein.

Sie fügte noch hinzu: »Vorsicht, Jim! Ich weiß, wie du fühlst, aber sprich nicht davon.«

»Ich weiß, Dix, aber du lieber Gott! Wenn ich daran denke, wie du mich dieses letzte Jahr hast tanzen lassen – und jetzt –«

»Ich sage dir dies eine Jim – nur dies eine! Wenn du alles über Tex Connor wüßtest –«

»Du meinst, er hat den Versuch gemacht –«

»Ich meine gewisse Dinge, die er zu mir gesagt hat. Wenn du mich wirklich so liebhast, dann mußt du begreifen, daß ich ihn verschiedene Male gern umgebracht hätte. Er ist ein Teufel, Jim.«

Damit schlüpfte sie davon.

###

Fräulein Carmichael saß beim Tiffin, wie immer ganz gelassen; augenscheinlich hatte sie gar keine Nerven. Manila Kid aß hastig ohne ein Wort zu sprechen und kaum einmal von seinem Teller aufsehend. Tex Connor saß wie immer da, wie aus Holz geschnitzt, aber gelegentlich fühlte Fräulein Carmichael doch, daß der Blick seines einen Auges auf ihr ruhte.

Nach Tisch lag sie, anscheinend lesend, behaglich auf ihrem Deckstuhl, als Tex Connor erschien, seine unvermeidliche Manilazigarre rauchend.

Als sie ihm nachlässig zunickte, blieb er stehen und starrte sie kalt von oben an.

»Platz nehmen?« fragte sie; da ließ er sich in den Stuhl neben dem ihren fallen.

»Sieht aus, als ob wir bis zur Nacht hier festlägen«, knurrte er. »Heller Unsinn! Zwischen hier und Hankau ist's sicher. Kann nicht hier hängenbleiben. Muß nach Peking, eh die Eisenbahn abgeschnitten ist.«

Ruhig wartete sie das Ende seines Geredes ab und sagte dann: »Vorschlag überlegt, Tex?«

»Welchen Vorschlag? … Och, deine Sache da? Nicht zu machen, Dix.«

»Warum nicht?«

»Zu schwierig. Hast du je einen Haufen blutdürstige Soldaten gesehen, wenn sie losgelassen sind? Die sind nicht mehr zu regieren. Das mach' ich nicht, Dix, jedenfalls nicht blindlings. Ich müßte jeden Schritt vorher genau kennen.« Er stand schwerfällig auf. »Nein, ich laß die Hand davon.«

Er setzte sich eben langsam in Bewegung, als ihn ihre leichten, leisen Worte aufhielten: »Tex!« sagte sie. »Ich sehe, daß du schließlich doch auch nichts anderes bist, als ein ganz gemeiner Lügner.«

Und nun sah sie, wie ihm das Blut ins Gesicht stieg. Es war immerhin etwas, dieses steinerne Gesicht in Bewegung gebracht zu haben, und sie empfand ein perverses Vergnügen dabei.

Lange blieb er regungslos stehen. Endlich sagte er mit nicht ganz fester Stimme: »Du weißt, was einem Mann geschähe, der mir das gesagt hätte.«

»Was würdest du denn tun? Schießen? Was hätte das für Folgen! Hör' zu! Komm setz' dich.«

Aber er blieb vor ihr stehen.

»Ich weiß alles, was du tust«, sagte sie.

»Oh – wirklich?«

»Du verhandelst hinter meinem Rücken mit den Soldaten. Mein Gott, Tex, hast du denn gar keinen Verstand? Hast du wirklich gemeint, ich werde meine Karten zeigen? Ich weiß, wo die Sachen liegen, aber das behalte ich vorerst für mich als letzten Trumpf.«

»Schön. Und ohne meine Hilfe kommst du nicht 'ran. Sag' mir, wo sie sind, und ich mach' die Sache und teile mit dir. Willst du nicht, so kommst du um deine Beute.«

Sie erwiderte nichts, und einen Augenblick tauchten beider Blicke ineinander. Dann schlenderte er weiter.

Und der Tag verging.

* * *

Doane stand in der frühen Abenddämmerung an der Reling und schaute durch die offene Tür in den Gesellschaftssaal hinein. Dieser war lustig mit Flaggen ausgeschmückt, und die beiden Lehrerinnen hatten ihr bestes helles Kleid an. Die Herren waren im Frack.

Dixie Carmichael in ihrer unvermeidlichen blauen Matrosenbluse saß ruhig lesend in einer Ecke. Ein sonderbares Geschöpf mit ihrem unzerstörbar kindlichen Aussehen. Doane hatte sie gelegentlich auf dem Schiff und auch schon früher im Astor-Hotel in Schanghai beobachtet, und trotz der höchst merkwürdigen Gerüchte, die über sie umliefen, hatte er sie nie anders als still und bescheiden gesehen.

Als er später wieder an der offenen Tür vorbeikam, wurde drinnen Walzer getanzt. Dixie und der junge Kane tanzten zusammen. Fräulein Means, gesetzter als je, schwang sich mit dem Australier im Kreise; Braker tanzte mit dem kleinen Fräulein Andrews. Die übrigen Herren tanzten lustig miteinander. Manila Kid stand am Grammophon und suchte Platten heraus.

Zu der entgegengesetzten Tür trat jetzt der Vizekönig mit seiner Tochter und seinem ganzen Gefolge ein. Als Doane Hui Fei unter der Tür erblickte, versagte ihm der Atem. Sie trug ein amerikanisches Kleid aus einem weichen rosa Stoff mit Silber ausgeputzt und silberfarbige Strümpfe und Schuhe. Ihre reichen schwarzen Haare waren an der Seite gescheitelt und legten sich um die Schläfe und einen Teil der breiten Stirne. Ihre Wangen waren gerötet, und ihre Augen glänzten. Jetzt schien sie gänzlich ein Kind des Westens zu sein in voller Jugendlust.

Doane legte einen Augenblick die Hand über die Augen. Er konnte ihre Fröhlichkeit nicht begreifen. War ihr unerschütterlicher moderner Sinn über ihres Vaters Entschluß, zu sterben, Herr geworden? Oder ließ sie sich eben doch auch beim Gedanken an eine Tanzgesellschaft von Jugendlust mitreißen? Bei diesem Gedanken biß Doane die Zähne zusammen. Er mußte dabei an den Fatalismus des Orients und dessen anscheinende Anpassungsfähigkeit denken, die ihm unbegreiflich waren. Sicherlich war doch dieses Mädchen, das eine so klare westliche Anschauung von der schwierigen Lage ihres Vaters gezeigt hatte, im tiefsten Herzen auch nur eine Orientalin!

Was ihn dabei am ernstesten stimmte, war, daß ihm dies so brennend naheging. Schon ihr Anblick allein erschütterte ihn. Die ganze Nacht hindurch und während dieses ganzen Tages hatte er gegen dieses neue Gefühl seines Herzens angekämpft; jetzt merkte er, daß er die Schlacht verlor.

Er fühlte eine brausende Lebenskraft von Körper und Geist in sich. Er fühlte sich als junger Mann. Er würde niemals krank, niemals müde sein. Er hatte nicht gewußt, daß ihm eine Frau fehlte, bis er diese Frau getroffen; keiner andern, das fühlte er, konnte er die reich quellenden Empfindungen seines Herzens weihen. Dieses junge Mädchen stand, wie sie selbst zugegeben hatte, gleich ihm zwischen zwei Welten. In China konnte sie nie glücklich sein und außerhalb Chinas auch kaum. Wenn – wenn – Bittere Gedanken kamen ihm an sein Alter, seine Armut. Er nannte sich selbst einen Narren. Und dennoch wollte sich die wilde Hoffnung nicht unterdrücken lassen.

Der Walzer war vorbei. Manila Kid wechselte die Platte und zog das Grammophon neu auf. Ein Dolmetscher trat aus der Gruppe der Mandarine, sprach mit dem Australier und geleitete ihn zu Seiner Exzellenz. Einen Augenblick später ertönte die Musik, und der Australier tanzte mit Hui Fei davon. Doane hatte niemals getanzt, und augenscheinlich tanzte Hui Fei gerne. Sie tanzte leicht und anmutig wie eine Elfe, und ihr ovales Gesicht, wenn er es sehen konnte, war leicht gerötet und strahlend.

Doane fühlte geradezu Haß in sich aufsteigen gegen den Mann, der sie so eng in den Armen hielt, und wandte sich ab. Er merkte nicht, daß Seine Exzellenz ihn draußen im Schatten stehen sah und sich grüßend verneigte; er sah nicht – und es kümmerte ihn auch nicht – daß Dixie Carmichael mit dem deutschen Zollbeamten tanzte, während Rocky Kane, plötzlich blaß geworden, in einer Ecke stand, eine Zigarette an der andern ansteckte und Hui Fei mit den Augen, verschlang. Doane fuhr auf, als im nächsten Augenblick der junge Mann an seiner Seite zu sprechen anhob, denn er hatte niemand kommen hören. Rockys Haare waren verwirrt, als ob er mit nervösen Fingern hindurchgefahren wäre; seine Wangen waren gerötet und seine Augen flammten wild. Er warf seinen Zigarettenstummel ins Wasser und pflanzte sich vor dem Mann in der blauen Uniform auf.

»Ich weiß nicht, was Sie von mir denken werden –« sprach er beinahe atemlos und mit unsicherer Stimme.

Unter der Tür stand Dixie Carmichael und beobachtete sie. Rocky machte eine nervöse Handbewegung, als ob er sie gerne wegschieben möchte, und schaute dann wieder dem ernsten älteren Mann ins Gesicht.

»Ich weiß nicht, was Sie von mir denken werden –« fing er wieder an. »Natürlich bin ich ein hochprozentiger Narr, das weiß ich. Aber – Sie haben sie gesehen.«

Doane warf einen Blick nach der Tür; Dixie Carmichael war verschwunden.

»Nein, die nicht!« rief der junge Mann erregt; dann aber mäßigte er seine Stimme. »Das Mädchen dort drinnen! Die – Prinzessin?«

Doane nickte.

»Dann ist sie es, die ich – Sie wissen doch!«

»Ja. Die Prinzessin Hui Fei.«

»Ein reizender Name! … Sie – ich weiß wohl, Sie werden mich nicht verstehen. Es ist so schwierig. Ich bin jung, natürlich. Und ich habe Dummheiten gemacht. Ich glaube, Sie halten mich für einen rechten Tunichtgut. Es kommt mir selbst vor, als hätte ich gemeint, ich müsse von allem genascht haben. Aber heut abend – so etwas wie sie habe ich noch nie gesehen – in meinem ganzen Leben nicht. Ich weiß nicht, was mein Vater sagen würde – ich und ein Mandschumädchen – Sie halten mich auch für verrückt, nicht wahr?«

»Nein.«

»Vielleicht bin ich es doch. Ich bin ganz wirr im Kopf. Wenn ich sie nur ansehe, hämmert mein Puls wie rasend. Sagen Sie – sie sah doch ganz wie eine Chinesin aus – damals – über und über geschminkt. Großer Kopfputz mit Blumen darauf. Warum macht sie das?«

»Aus Hochachtung für ihren Vater. Die Schminke und der Kopfputz sind chinesische Sitte.« Er schaute auf den jungen Mann hinunter und fügte mit Nachdruck hinzu: »Hochachtung vor den Eltern ist der feinste Zug im chinesischen Familienleben. Wir haben in Amerika nichts so Feines.«

Der junge Mann senkte die Blicke. »Oh!« murmelte er. Dann hob er den Blick wieder. »Ich kann's nicht ändern, was ich gewesen bin – aber ich kann einen neuen Anfang machen, nicht wahr? Das werde ich jedenfalls tun – einen ganz neuen Anfang machen.« Er richtete sich auf und seine Lippen bebten. »Wollen Sie mit mir zum Vizekönig hineingehen und ihm meine Bitte um Verzeihung übersetzen?«

Doane schwieg einen Augenblick, dann aber sagte er ruhig: »Ja!« und schritt voraus in den Gesellschaftssaal. Dann beobachtete er die kleine Szene … Mit ruhigem Lächeln erhob sich der feine alte Herr von seinem Sitz und wartete in vollkommen höflicher Haltung auf das, was kommen werde. Rocky Kane sah jünger aus als vorhin, wirklich wie ein aufgeregter Junge, der unerschütterlich zu etwas entschlossen ist. Jetzt fiel es Doane auf, daß Rocky eine schöne Stirn hatte, breit und nicht zu hoch; dazu eine Adlernase gleich der seines Vaters. Die Augen, die jetzt ganz dunkel aussahen, waren sonst blau, der Mund war weich und die Haut fein.

»Bitte, sagen Sie ihm –« fing der junge Mann an – »Sagen Sie ihm, ich hätte mich benommen wie ein dreckiger Kaffer, aber es tue mir leid und ich – ich bitte um Verzeihung.«

Doane übersetzte taktvoll. Ein Tanz ging eben zu Ende, und neugierige Blicke richteten sich auf die kleine Gruppe. Die Mandarine in ihren reichen Gewändern standen hinter dem Vizekönig.

Die Exzellenz, ohne ihr Lächeln einzubüßen, antwortete in musikalischem Tonfall.

»Was sagt er?« fragte Rocky Kane, zitternd vor Erregung.

»Er sagt, er nehme Ihre Bitte um Entschuldigung an mit Achtung für Ihre Mannhaftigkeit.«

Die vor Aufregung gerunzelte Stirn des jungen Kane glättete sich. Er war sehr angenehm berührt.

»Bitte, fragen Sie ihn, ob ich mit der Prinzessin tanzen darf«, bat er jetzt.

Doane tat es. Er fühlte jetzt bei dem unerzogenen jungen Mann eine innere Feinheit heraus, die ihm in seinem eigenen erregten Zustand merkwürdig zu Herzen ging … Eben trat Hui Fei herzu, mit dem Australier an ihrer Seite.

»Der Vizekönig schlägt vor, Sie möchten sie selbst fragen. Er weiß nicht, ob sie noch einen Tanz frei hat.«

Der junge Mann biß sich auf die Lippen. Und nun begrüßte die Prinzessin den Steuermann. »Ich freue mich, Sie zu sehen, Herr Doane«, sagte sie. »Ich war gespannt, ob Sie wohl an der Unterhaltung teilnehmen würden.«

Doane meinte, persönlich die Blicke zu fühlen, mit denen der junge Mann das Mädchen verschlang. Jetzt war der Augenblick gekommen, wo er handeln mußte. Der Australier merkte, daß hier etwas vorging, dankte der Prinzessin und entfernte sich. Gelassen sagte Doane: »Miß Hui Fei, dies ist Herr Kane, der um die Erlaubnis bittet, Ihnen vorgestellt zu werden.«

Sie wich erst ein wenig zurück, wie Doane bemerkte; allein die Höflichkeit ihrer Rasse ließ sie nicht im Stich. Sie neigte den Kopf und lächelte sogar.

»Soll ich englisch sprechen?« fragte der junge Mann in der hellsten Verwirrung; dann fing er an: »Miß Hui Fei« – er war totenblaß und brachte die Worte kaum hinter den Zähnen hervor – »mein höchst ungezogenes Benehmen von neulich tut mir sehr leid.«

Das war alles. Er wartete. Hui Feis Lächeln verschwand. Kein Orientale wäre so einfach herausgeplatzt. Augenscheinlich überlegte sie. Allmählich kehrte ihr Lächeln zurück, und mit der Miene höflichen Verzeihens sagte sie:

»Ich habe es vergessen.«

Kane nahm all seinen Mut zusammen. »Wollen Sie mir gestatten, mit Ihnen zu tanzen?« bat er.

Hui Fei schwieg eine Weile auffällig; vielleicht mußte auch sie sich erst zusammennehmen. Es währte jedoch nur kurz, dann sprach sie mit freundlichem Lächeln anmutig, sogar gütig: »Ich bedauere sehr. Ich habe schon jeden Tanz versprochen. Es sind so wenige Damen da.«

Das war alles, und der junge Mann schien es nicht begreifen zu können. Er stand regungslos da, und dann stieg ihm heiß das Blut ins Gesicht. Steif verneigte er sich zuerst vor ihr, dann vor ihrem Vater und stürzte davon.

Hui Fei lächelte zu Doane hinauf. »Ich habe Ihnen den Tanz aufbewahrt, um den Sie gebeten haben«, sagte sie freundlich. »Den, der jetzt kommt.«

Manila Kid setzte eine neue Platte ein und brachte die Musik in Gang.

»Ich bedauere«, sagte Doane, als sie zusammen weitergingen. »Ich tanze nicht.«

»Dann wollen wir uns während dessen setzen«, sagte Hui Fei freundlich.

Und während des kurzen Ganges durch den Saal neben diesem anmutvollen Mädchen fühlte er trotz der Blicke, die ihnen folgten, den Zauberwein der Jugend durch seine Adern brausen. Was war sie für ein Feengeschöpf! Und dieses Jugendgefühl verließ ihn auch nicht, als er neben ihr saß und mit seiner altgewohnten ernsten Freundlichkeit auf sie wieder hinuntersah, während sie eifrig zu ihm sprach.


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