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Zwischen zwei Welten

Gegen Mittag lagen Fräulein Means und Fräulein Andrews auf ihren Deckstühlen, als ein vergnügtes Gelächter ihre Aufmerksamkeit erregte. Hinter dem trennenden Segeltuch hervor lief das Kind, das sie am Landungsplatz in Nanking gesehen hatten. Ein ernsthafter chinesischer Diener (Fräulein Means und Fräulein Andrews brauchten nicht zu wissen, daß es ein Eunuch war) folgte mit etwas würdigeren Schritten.

Das Mädchen trug ein wattiertes Kleid von heller, geblümter Seide, dessen Unterteil ihm wie eine Glocke um die Knöchel stand, und die Ärmel gingen ihm weit über die Hände. Die hohen Schuhe von schwarzem Tuch hatten Sohlen aus Papier. Über dem Kleid trug sie eine goldgelbe ärmellose Jacke, mit Bändern ausgeputzt und mit goldenen Knöpfen zugemacht. Über Kopf und Schultern war eine Haube aus Fuchspelz gezogen mit dem Fell nach innen, oben auf dem Kopf geschmückt mit den Augen, der Schnauze und den Ohren eines Fuchses. Während sie über das Deck lief, streckte sie den Kopf vor und attackierte damit den großen Ersten Steuermann. Der lächelte, fing sie auf, drehte sie im Kreise herum und ließ sie wieder los; dann nickte er dem Eunuchen freundlich zu und ging weiter.

Vor den beiden Damen blieb er stehen und sagte: »Wir sind jetzt in Taiping, der Stadt, die dem schrecklichsten Aufruhr in China den Namen gegeben hat. Wenn Sie an die andere Seite des Decks treten wollen, können Sie sich das merkwürdige Leben hier am Fluß betrachten.«

»Er scheint sehr nett zu sein – der Erste«, bemerkte Fräulein Andrews. »Was er wohl früher gewesen sein mag? Sicherlich ist er ein Mann aus der guten Gesellschaft.«

»Danach darf man an der chinesischen Küste nicht fragen, habe ich mir sagen lassen«, erwiderte Fräulein Means kühl.

Sie fanden den alten Flußhafen schmutzig und verfallen, aber farbenreich und überquellend von menschlichem Leben und Treiben. Wie immer wimmelte es auf dem Flusse von kleinen Fahrzeugen. Beinahe zwanzig solche warteten auf den Dampfer, und in jedem wohnte augenscheinlich eine ganze Familie, und von jedem wurden Bambusstäbe mit einem Korb daran ausgestreckt. Als der Dampfer hielt, erschien eine lange Reihe von diesen Körben an der Reling, und Rufen und Singen stieg vom Wasser herauf.

Das kleine Mandschumädchen hatte in Herrn Rocky Kane einen Freund gefunden. Er hielt sie auf der Reling fest und versah sie mit Kupfermünzen, die sie vergnügt in die Körbe fallen ließ. Lächelnd stand der Eunuch daneben. Nach dem Tiffin = Lunch. erschien das Kind wieder und suchte seinen neuen Freund. Sie setzte sich auf seinen Schoß und machte ihm den Mund auf, um zu sehen, woher die sonderbaren fremden Laute kämen. Und seine Zigaretten waren ihr Entzücken.

* * *

Manila Kid selbst fragte bei den Fräulein Means und Andrews an, ob sie nichts dagegen hätten, wenn im Gesellschaftssaal ein kleines Wettboxen abgehalten würde. Sofort zogen diese sich in ihre Kabine zurück, nachdem Fräulein Means ein erstauntes, aber würdevolles: »Durchaus nicht, nehmen Sie keine Rücksicht auf uns«, von sich gegeben hatte.

Kurz nach dem Abendessen banden die Kabinenstewards ein Seil um vier Pfeiler gerade vor dem Eßtisch. Die Männer steckten sich Zigarren und Zigaretten an und traten mit steigendem Interesse näher. Tex Connor, der gleich nach dem Kaffee verschwunden war, brachte jetzt seinen Champion, einen großen grinsenden Gelben in einem Badeanzug, herein. Der zweite Steuermann und zwei Ingenieure setzten sich um den improvisierten Ring. Da öffnete sich eine Tür, und der große Mandarin erschien mit höflich vor der Brust zusammengelegten Händen, lächelnd und sich verbeugend. Die fünfzehn geringeren Mandarine folgten, alle in rauschende bunte Seide gekleidet.

Die jungen Deckoffiziere sprangen auf und stellten Stühle für die Gesellschaft. Der Vizekönig nahm Platz, und sein Gefolge gruppierte sich hinter ihm.

In diese erwartungsvolle Gesellschaft trat der Erste Steuermann in Kniehosen und einem Sweater; er bückte sich unter dem Türbalken, richtete sich dann auf und blieb erstaunt stehen. Rasch erfaßten seine Augen das Bild, das sich ihnen bot – den graubärtigen Mandarin in seinem Sessel und hinter ihm eine Masse orientalischer Farbenpracht; ihm gerade gegenüber jene andere Persönlichkeit, Dawley Kane mit der Adlernase, den heimlich scharfblickenden Augen und dem völlig humorlosen Gesicht, ebenso wahrhaftig ein Mandarin unter den Weißen, wie der gelassene alte Kang unter den Gelben; das erhitzte, gespannte Gesicht von Rocky Kane; die übrigen Weißen, alle rauchend, alle ihn scharf betrachtend und ungeduldig auf den Beginn des Schauspiels wartend. Er runzelte die Stirn, aber als der Mandarin ihm zulächelte, trat er ernsthaft vor, schlüpfte unter dem Seil durch und redete ihn chinesisch an.

Der Mandarin, der offenbar erfreut war, seine eigene Sprache zu hören, stand auf, um ihm zu antworten. Beide legten die Hände zusammen und verbeugten sich tief in Beobachtung einer in langen Zeiten eingebürgerten Etikette, die dem asiatischen Herzen so teuer ist.

»Wie wär's mit einer kleinen Wette?« flüsterte Rocky Kane Tex Connor zu. »Ich bin bereit, auf den langen Kerl zu wetten.«

»Wieviel geben Sie vor?« erwiderte der Unbewegte.

»Nichts! Ihr Mann ist ein geschulter Boxer und wohl zwanzig Jahre jünger.«

»Aber dieser Doane ist ein alter Athlet und hat sein Leben lang immer wieder geboxt. Und er hat sich in Form erhalten. Nehmen Sie nur sein Gewicht und seine langen Arme!«

»Was ist ausgemacht?«

»Oh – sechs Runden zu zwei Minuten.«

»Wer ist der Schiedsrichter?«

»Wohl einer von den Engländern.«

Aber die Engländer waren nicht dafür zu haben. Ein freundschaftlicher Wettkampf zwischen einem Gelben und einem Weißen, das ging über ihre Sportbegriffe. Jedoch einer der Zollbeamten, ein Australier, übernahm das Amt.

»Ich wette Tausend gegen Tausend«, sagte Rocky Kane.

»Sagen Sie Zweitausend.«

»Ich wette Zweitausend, gleich zu gleich«, sagte Dawley Kane gelassen.

»Angenommen! Im ganzen also Dreitausend – Gold.«

Doane, der sich eben von dem Mandarin verabschiedete, fing das auf; unverwandt schaute er sie an, und seine Brauen zogen sich finster zusammen.

»Meine Herren!« sagte er endlich. »Ich bin hierhergekommen unter der Voraussetzung, daß es sich nicht um einen öffentlichen Wettkampf, sondern nur um eine kleine private Übung handelt. Ich hatte natürlich nichts dagegen, daß einige von Ihnen dabei zusehen – dies aber …«

»Ach, kommen Sie doch!« rief Tex Connor. »Es geht nur um die Punktzahl. Tom will sich ja gar nicht ernsthaft mit Ihnen messen.«

Der junge Kane faßte nervös das Seil mit beiden Händen und rief: »Sie werden doch nicht kneifen wollen!«

Doane schaute auf all diese Männer herunter. »Nein«, sagte er in derselben ernsten, gelassenen Art. »Ich trete nicht zurück. Ich tue es darum nicht, weil Seine Exzellenz uns die Ehre erwiesen hat, in dieser demokratischen Weise unter uns zu treten. Er hat mir gesagt, daß ihm ein Boxkampf Vergnügen macht. Ich will versuchen, ihm diese Unterhaltung zu verschaffen.« Und er zog sich den Sweater über den Kopf und fing die Boxerhandschuhe auf, die ihm Manila Kid zuwarf.

Der ältere Kane zog ihn scharf in Erwägung. Die Überlegenheit des Mannes war nicht zu bezweifeln. Ohne auch nur die Stimme zu erheben, hatte er diese ganze eigentümlich zusammengesetzte Gesellschaft beherrscht. Sein Körper war einfach eine Augenweide; sein ernstes, besonnenes Gesicht zeigte tiefe Linien; Schultern, Arme und Brust zeugten von großer Körperkraft, und es war noch keine Spur von dem vermehrten Umfang zu bemerken, den die vierziger Jahre meist mit sich bringen.

Dawley Kane betrachtete sich dann auch den Chinesen. Dieser Mann, obgleich er an Größe den Riesen vor ihm nicht ganz erreichte, erschien in jedem Zoll als der richtige Schwerathlet. Kane hatte den Osten zu gut begriffen, als daß er darüber erstaunt gewesen wäre. Er hatte die stämmigen Männer aus dem Norden Chinas in Yuan Schi Kais neu aufgestelltem Heer gesehen; er wußte, daß die ausgebildeten Läufer der kaiserlichen Regierung gelegentlich hundert Meilen im Tag laufen konnten; mit einem Wort, daß der sonderbare Begriff der Amerikaner von der Körperbeschaffenheit der Chinesen sich auf den gelegentlichen Anblick eines Wäschers aus den Tropen gründete. Und zufrieden lehnte er sich in seinem bequemen Sessel zurück, überzeugt, daß er für sein Geld etwas haben werde. Diese Sache versprach wirklich eine vorzügliche Unterhaltung zu bieten.

* * *

Doane, immer noch mit leicht gerunzelter Stirne, schaute sich rund um. Nicht ein einziges von den vielen gespannten Gesichtern hinter dem Seil verriet auch nur die leiseste Spur von Teilnahme für ihn als Mensch. Er war weiter nichts als der Steuermann eines Flußdampfers, ein Mann, der seinen Platz in der Gesellschaft nicht zu behaupten vermocht hatte – der Grund davon war ihnen völlig einerlei. Er hob seine Arme.

Tom Sung deckte sich, schob die linke Schulter vor, zog das Kinn dahinter ein, suchte vorzukommen und seinen Gegner mit raschen, harten Magen- und Herzhaken zu bearbeiten. Doane wich aus, war fleißig in der Beinarbeit, um den Gegner kennenzulernen, seine Schwächen auf Schlag, Stand und Gewichtverteilung herauszubekommen. Rasch wurde ihm klar, daß er einen vollständig ausgebildeten Berufsboxer vor sich habe, der in vollem Ernst zu kämpfen im Sinne hatte … Er gab sich nicht in harten Schlägen aus, während er das überlegte. Tex Connor, das war klar, war kein anständiger Sportsmann.

Toms Linke schoß, geradeaus und landete mit einem dumpfen Dröhnen auf Doanes Gesicht; darauf folgte merkwürdig rasch ein Schwung des rechten Armes, dem der Erste nur gerade noch so weit ausweichen konnte, daß ihn der Schlag nur streifte. Und dann, als Doane eben einen linken Schwinger ansetzen wollte, traf ihn Tom mit aller Kraft von oben herunter. Der Schlag traf Doanes Unterarme so gewaltig, daß sein ganzer Körper davon erschüttert wurde.

Scharf zogen die Zuschauer den Atem ein, und den meisten von ihnen hatte dieser Schlag als entscheidend erscheinen müssen. Doane, der zur Seite trat und sich den Schweiß aus den Augen und von der Stirne wischte, hörte den Ton und sah sie einen Augenblick, wie sie sich alle vorbeugten, gespannt, gierig auf den Knockout, auf die letzte nahegerückte Aufregung.

Wieder war der Gelbe Leib an Leib an ihm und bearbeitete seinen Magen mit rechten und linken Haken, zugleich stieß er ihm seinen rasierten Kopf mit aller Kraft gegen das Kinn. Einen Augenblick fuhr Doane das Feuer aus den Augen, denn dem Kopf waren die Ellbogen gefolgt und bearbeiteten in gänzlich regelwidriger Weise sein Gesicht. Doane nahm sich rasch zusammen, sprang zurück und ließ die Arme sinken.

»Was soll das heißen?« rief er Tex Connor scharf zu, dessen rundes, ausdrucksloses Gesicht mit dem einen Auge und dem schmalen Mund ihn verständnislos anstarrte. »Kopf? Ellbogen? Soll hier geboxt werden oder nicht?«

Die erstaunten Blicke der Zuschauer trafen Doane durchaus nicht freundlich. Was kümmerten sie seine kleinen Schwierigkeiten! Ihr Blut war erhitzt. Sie wollten das, was die Amerikaner unter ihnen »Momente« und »Ergebnisse« genannt hätten.

Wieder hämmerte Tom auf ihn los. Es sollte also wirklich ein richtiger Kampf werden; alle vorhergegangenen Abmachungen hatten keinen Wert. Mit tiefstem inneren Abscheu schlug er einen Angriff nach dem andern ab mit seiner vollen Kraft und mit Ausnutzung seiner größeren Reichweite, die es ihm ermöglichte, Toms Arme abzufangen und zu stoppen.

Jetzt rief der Australier Halt.

* * *

Rocky Kane – hochrot und aufgeregt wie ein Schuljunge – suchte in seinen Taschen nach Zigaretten und fand keine; eilig schlüpfte er hinaus auf Deck.

Das Rauschen eines seidenen Kleides ließ ihn plötzlich Halt machen. Eine schlanke Gestalt, in ein gesticktes Gewand gehüllt, zog sich eben von einem Kabinenfenster zurück. Das Licht von drinnen fiel während eines kurzen Augenblicks voll auf ein ovales Gesicht, das rot und weiß geschminkt war unter glänzend gebürsteten schwarzen Haaren. Die nur wenig schief stehenden Augen schauten aufgeweckt unter den nachgezeichneten Brauen hervor. Sie beeilte sich, hinter die Segeltuchwand zu kommen; er jedoch, noch geschwinder, sprang vor sie hin und starrte sie an. Dann lachte er leise in freudigster Überraschung, und mit einem schnellen Blick rundum flüsterte er ihr, er wußte selbst nicht wie, dick aufgetragene Schmeicheleien zu und griff nach ihr, verfolgte sie bis an die Reling und fing sie ein.

»Du reizende kleine Schönheit!« flüsterte er jetzt. »Du Wunder! Du Allerliebste!« Heiß erregt lachte er wieder und beugte sich über sie, um sie zu küssen. Allein sie riß ihren einen Arm los, wehrte ihn ab und lehnte dann schwer atmend an der Reling.

»Aha, ein kleiner gelber Tiger!« rief er leise. »Nun, ich bin ein großer weißer Tiger!«

»Das ist unerhört!« sagte sie auf englisch.

Erstarrt blieb er stehen, bis sie hinter dem Segeltuch verschwunden war; dann taumelte er zurück und stieß dabei an einen Deckstuhl an. Als er sich umwandte, sah er das sonderbare schlanke junge Mädchen in der Matrosenbluse behaglich in ihren Teppich gewickelt darauf liegen.

Mit kühler Unbefangenheit sagte sie: »Es ist so angenehm heute abend hier draußen. Ich mochte wirklich nicht in meiner Kabine bleiben.«

Er flüsterte irgend etwas und stürzte dann in seine Kabine; dann stürzte er ebenso eilig in den Gesellschaftssaal zurück.

* * *

Der Australier rief zur zweiten Runde.

Als Doane in die Mitte des Ringes trat, stürzte Tom wie zuvor mit vorgestrecktem Köpf auf ihn los. Doane ließ einen Schwinger auf ihn niedergehen und warf ihn damit, ehe Tom einen Hieb ansetzen konnte, zurück. Seinen nächsten beiden Angriffen begegnete er in derselben entschiedenen, aber nur abwehrenden Weise; setzte einen Schwinger an und wehrte ihn damit ab. Der Schweiß lief ihm andauernd in die Augen, während er fast seine volle Kraft ins Spiel brachte. Und Tom Sungs Schultern und Arme strahlten unter dem elektrischen Licht in hellem Gelb.

Rocky Kane, der sich eine Zigarette angesteckt hatte, rief laut, indem er das noch brennende Streichhölzchen wegwarf: »Auf ihn! Tun Sie doch was, um Gottes willen! Werden sich doch nicht vor einem Chinesen fürchten!«

Doane warf einen raschen Blick zu ihm hinüber, und wieder stürzte Tom vor. Wieder hielt er das Gehämmer der mit der vollen Kraft des trainierten, fast zwei Zentner schweren Körpers erteilten Schläge aus. Zusammenzuckend wich er aus, denn er wußte, daß auch die größte Härte im Nehmen zermürbt wird … Plötzlich schlug Tom noch stärker als seither zu, und wieder traf dieser harte Kopf sein Kinn von unten. Wieder bearbeitete ein Ellbogen und die Randnaht eines Boxerhandschuhs in der unerlaubtesten Weise sein Gesicht … Doane wandte all seine Kraft an, um Raum zwischen sich und den Gegner zu bringen. Dann war er sich über den Gegner einig und begann vorzugehen.

Endlich war die Urkraft in diesem Riesen erregt. Seine Augen flammten. Der Kerl war offenbar zu dieser unehrlichen Kampfweise geradezu ausgebildet. Das sah Tex Connor ganz gleich, sich jeden Vorteil zu verschaffen und eine große Wette einzugehen, wenn er des Gewinnes sicher war. Das Boxen betrieb man hier an der Küste offenbar ebenso skrupellos wie das Spielen und andere Laster.

Als Tom wieder ansetzte, ging Doane überhaupt nicht mehr in Deckung. Ein Schlagwechsel folgte, und er traf mit einem vollen runden Schwinger seines rechten Armes die gelbe Wange, auf der sofort ein Striemen anschwoll. Im nächsten Augenblick traf ein zweiter Schwinger dieselbe Stelle.

Beim Krachen dieser Schläge richteten sich die Zuschauer in größter Erregung auf. Und wieder wurde der lange, muskulöse Arm in der Runde geschwungen, und die eng behandschuhte Faust durchfuhr Toms Deckung und traf ihn so, daß er beinahe das Gleichgewicht verlor. Mit einem köstlichen linken Schwinger stellte ihn Doane jedoch selbst wieder auf die Beine. Es war ein Schlag, der den jetzt fast außer sich geratenen Zuschauern klang, als ob er den Backenknochen zerschmettert haben müsse.

Tom kroch in sich zusammen und suchte sich hinter Boxhandschuhen und Ellenbogen zu decken. So wich er zurück.

»Haben Sie genug?« fragte Doane, und als er keine Antwort bekam, wiederholte er seine Frage auf chinesisch.

Statt jeder Antwort schoß Tom zum neuen Angriff mit wild ausgeworfenen beiden Armen vor. Doane stellte sich fest dagegen. Sein rechter Arm traf die Magengrube des Chinesen mit einem fürchterlich harten, sicheren Haken, der den Gelben hob, so daß die Füße den Boden verloren und er sich niedersetzte.

Langsam sank der Rumpf des Knockout-Geschlagenen zur Seite.

»Was wollen Sie noch?« rief Tex Connor, all die vielen erregten Stimmen überschreiend. »Wollen Sie ihn umbringen?« Damit eilte er seinem Mann zu Hilfe.

Doane zog seine nassen Handschuhe ab und schleuderte sie auf den Boden. »Bringen Sie Ihrem Mann bei, wie man ehrlich boxt, sonst tut es jemand anders«, erwiderte er. Damit trat er aus dem Ring, zog seinen Sweater an und begab sich, nach einer höflichen Verneigung vor dem Vizekönig, hinaus auf Deck. Dort suchte ihn Dawley Kane auf, nachdem er von dem sehr verdrießlichen Connor seinen Gewinn eingestrichen hatte.

»Nun, das war ja ein höchst merkwürdiger Kampf«, rief der Geldmensch, der bisher ganz kühl geblieben war.

Unfähig, eine Antwort zu geben, schaute Doane auf ihn herunter. Immer noch atmete er schwer und tief, und seine Gedanken wandelten seltsame Pfade. Er hörte, daß der Mann noch allerlei sprach, und endlich fragte er auch nach dem chinesischen Gast.

»Es ist Kang Yu, der Vizekönig von Nanking«, antwortete Doane jetzt ganz höflich.

»Wahrhaftig! Der war ja in Amerika!«

»Er ist in der ganzen Welt gewesen, war Gesandter in Paris, Berlin und London. Er ist ein großer Staatsmann, unbedingt der bedeutendste hier seit Li Hung Tschang.«

»Wirklich? Wie interessant!«

»Er ist der Herrscher über fünfzig Millionen Seelen.« Doane hatte seine Stimme wiedergefunden und sprach etwas hitzig, als ob es ihm darum zu tun wäre, den großen Amerikaner von dem Wert dieses großen Chinesen zu überzeugen. »Er hat sein eigenes Heer und seine eigene Münze. Er hat über Eisenbahnen, Arsenale, Fabriken und Bergwerke zu gebieten. Nebenbei, er ist auch Präsident dieser Dampferlinie.«

»Der Chinesischen Schiffahrtsgesellschaft? Wirklich? Sie kennen ihn persönlich?«

»Nein. Aber er ist hier eine Macht. Und ich – ich bin doch zur Zeit sein Angestellter.«

»O ja, natürlich. Es scheint, Sie sprechen chinesisch?«

»Jawohl, ich spreche chinesisch«, antwortete Doane trocken.

Hinter ihnen ertönten schleppende Schritte, und beide wandten sich um. Der Vizekönig war aus der Kabine getreten und kam auf sie zu, hinter ihm alle seine Mandarine. Er blieb vor ihnen stehen, und wieder wechselte er mit Doane die reizvolle asiatische Begrüßung. Er sprach chinesisch, und diese Sprache, die nur einer klingenden, gebildeten Stimme bedarf, um ihre große Würde und Schönheit voll zu entfalten, floß ihm wie Musik von der Zunge:

»Es wird mir ein großes Vergnügen sein, Herr, wenn Sie morgen um zwölf Uhr mein Gast sein wollen.«

Der Erste Steuermann erwiderte mit ernstem Lächeln und einer Verneigung:

»Das ist eine große Ehre. Ich bin Ihr gehorsamer Diener.«

Wieder verneigten sie sich, die Hände vor der Brust, und alle Mandarine verneigten sich ebenfalls. Dann zogen sie sich in vornehmem Schweigen in ihren Teil des Schiffes zurück.

Jetzt ließ sich Kane vernehmen: »Wie sonderbar! Höchst sonderbar!«

Doane gab darauf keine Antwort.

»Sie scheinen wirklich Charme zu haben, diese Leute der oberen Klasse. Schade, daß sie so schlecht für den modernen Kampf ums Dasein geeignet sind.«

Doane schaute auf ihn hinunter und dann zur Seite. Als ein mit dem Osten innigst vertrauter Mann wußte er, wie völlig nutzlos es war, über diesen Osten mit einem Manne des Westens zu sprechen, noch dazu mit einem erfolgreichen Geschäftsmann, für den Tätigkeit, Streben, Willenskraft einfach Religion waren.

Seine Gedanken eilten zweitausend Jahre zurück, zu der großen Kultur der Han-Dynastie, wo in Zucht gehaltene chinesische Heere den Überlandweg nach Baktrien und Parthien offen hielten, damit die Porzellane, Seiden und Perlen sicher in die wartenden römischen Hände gelangen konnten; zu den späteren reicheren und reiferen Jahrhunderten Tang und Sung, nachdem Rom gefallen war; als die chinesische Zivilisation allein stand, ein majestätisches Gebilde in der sonst überall zusammengestürzten und chaotischen Welt.

Dieser Riese, der hier über den dunkeln Fluß hinstarrte, war keiner, der in leeren Gefühlen schwelgte; er kannte die herrschenden Fragen und Schwierigkeiten sehr genau. Aber er sah sie mit halb östlichen Augen an und Amerika ebenfalls, und darum vermochte er nicht, sie mit dem sehr gescheiten Mann da neben ihm zu besprechen, der den Westen und die übrige Welt mit gänzlich westlichen Augen betrachtete. Nein, das war nutzlos.

»Bitte, entschuldigen Sie, Herr – Sie sehen, ich weiß nicht einmal Ihren Namen – aber Sie interessieren mich, offengestanden. Sie sind sicherlich viel zu bedeutend für den Posten, den Sie hier innehaben. Das ist klar. Es würde mich freuen, wenn Sie mir sagten, woran der Fehler liegt. Vielleicht könnte ich Ihnen helfen.«

Und dies von dem Mann, der Eisenbahnlinien und Wasserwerke und elektrische Anlagen und Schiffahrtslinien in seiner hohlen Hand hielt und Banken, die in einer Kette von Meer zu Meer über das große junge Land reichten, das politische Freiheit ebenso glühend verehrte, wie die Chinesen ihre Ahnen, und das dennoch die bedeutendste Übermacht – die des Geldes – gänzlich unverantwortlichen privaten Händen überließ.

Die von Anfang an groteske Lage kam Doane jetzt völlig unglaublich vor. Er strich sich mit der Hand über die Stirne und machte dann mit zwingender Höflichkeit, aber mit einem entschiedenen Übergewicht, das der andere wohl fühlte, ein Ende. »Sie sind sehr gütig, Herr Kane«, sagte er. »Ein andermal werde ich mich mit großem Vergnügen mit Ihnen unterhalten; aber meine Stunden sind streng eingeteilt, und ich bin müde.«

»Sehr begreiflich. Sie haben in wundervoller Weise gezeigt, was ein Mann von Charakter mit seinem Körper zu leisten imstande ist. Ich wollte, ich hätte Sie als Trainer für mich und meinen Sohn. Und ich wollte, Ihr Beispiel könnte dann meinen Jungen veranlassen, etwas gesünder zu denken … Gute Nacht!« Und er streckte Doane freundschaftlich die Hand hin.

* * *

Herrn Kanes Junge erwies sich am nächsten Morgen als eine unmittelbar brennende Frage. Er trieb sich kurz nach dem Frühstück an Deck herum und spielte mit dem Mandschukind. Und dann, nach elf Uhr, händigte Kapitän Benjamin seinem Ersten ein Briefchen ein, mit Bleistift auf ein Blatt aus einem Notizbuch geschrieben und zusammengefaltet. Die Ueberschrift lautete:

»An die chinesische Dame, die gestern abend englisch gesprochen hat.« Und der Inhalt lautete: »Ich hätte nicht ungezogen sein sollen, aber ich muß Sie noch einmal sehen. Könnten Sie nicht heut abend spät auf unser Deck kommen? Ich erwarte Sie.« Eine Unterschrift fehlte.

»Begreifen Sie?« fragte der Kapitän. »Der alte Kang hat es mir zugeschickt, er verlangt, daß wir mit dem jungen Mann reden sollen. Aber wie soll ich wissen, wer das ist?«

»Wie wurde ihr der Zettel zugestellt?«

»Die kleine Prinzessin hat ihn ihr gebracht.«

»Dann ist der junge Mann nicht schwer zu finden.«

»Sie wissen, wer es ist?«

»Ich vermute es bestimmt.«

»Na, dann sagen Sie ihm das Nötige.«

»Ich werde mit ihm reden.«

»Warten Sie einen Augenblick! Sie denken an den jungen Kane?«

Doane nickte.

»Nun – Sie wissen doch, wer er ist, nicht wahr? Wer beide Kanes sind?«

Wieder nickte Doane.

»Machen Sie es also mit etwas Takt.«

Doane schritt der Kabine Nummer sechzehn zu. Auf dieser Seite wehte ein scharfer Wind, und die Deckstühle waren alle auf die andere Seite gebracht worden, wo der Sonnenschein warm auf den Planken lag. Aus dem offenen Fenster der Kabine Nummer zwölf drang das Ticken einer Schreibmaschine und Menschenstimmen; das war wohl Herr Kane, der seine »Selbstbiographie« mit deren Verfasser durchging.

Vor Nummer sechzehn blieb Doane stehen und schnupperte. Ein sonderbarer Geruch drang durch die geschlossenen Läden, ein Geruch, den er kannte. Wieder schnupperte er, dann klopfte er rasch an die Tür.

Eine schläfrige Stimme antwortete: »Was gibt's? Was wollen Sie?«

»Ich muß Sie sofort sprechen!« rief Doane.

Es kam keine Antwort, aber sonderbare Töne waren zu hören, ein leises Klirren von Glas, ein Scharren, das öffnen und Schließen einer Schranktür. Endlich wurde die Tür ein paar Zoll weit geöffnet. Im Spalt erschien Rocky Kane mit verwirrten Haaren, ohne Rock, Kragen und Krawatte, das Hemd oben offen. Doane schaute ihm scharf in die Augen; die Pupillen waren unnormal klein, und der Geruch war jetzt stärker und leicht würgend.

»Was sehen Sie mich so an!« rief der junge Kane und zuckte ein wenig zurück.

»Ich meine, es wäre gut, wenn Sie mich hereinkommen und mit Ihnen reden ließen«, sagte Doane.

»Welches Recht haben Sie, mir derartiges zu sagen? Was fällt Ihnen ein?«

»Ich habe Ihnen bis jetzt tatsächlich noch nichts gesagt.«

Kane war augenscheinlich verwirrt und trat zurück. Der lange Erste Steuermann, tief den Nacken beugend, trat ein.

»Ihr Briefchen ist zurückgeschickt worden«, sagte er kurz und überreichte den Zettel.

Kane nahm das Papier, starrte es an und sank dann auf das Ruhebett.

»Was geht Sie das an?« brachte er endlich heraus. »Welches Recht – was fällt Ihnen ein, zu behaupten, ich hätte dies geschrieben!«

»Das haben Sie doch! Sie haben es durch das kleine Mädchen übersandt.«

»Nun, und wenn auch! Welches Recht –«

»Ich stehe vor Ihnen auf Ersuchen Seiner Exzellenz, des Vizekönigs von Nanking. Sie haben seine Tochter belästigt. Die Tatsache, daß es ihr beliebt, solange sie sich im Haushalt ihres Vaters befindet, die Kleidung der Mandschu zu tragen, berechtigt Sie nicht, sie anders denn als Dame zu behandeln. Vielleicht können Sie nicht begreifen, daß Seine Exzellenz einer der größten jetzt lebenden Staatsmänner ist, und daß diese junge Dame, die in Amerika erzogen wurde, die Hauptstädte Europas zweifellos besser kennt als Sie, und eine geborene Prinzessin ist. Sie hat in England die Schule und in Massachusetts die Universität besucht. Nehmen Sie einen guten Rat an und lassen Sie derartiges künftig bleiben.«

Der junge Mann starrte ihm jetzt gänzlich verwirrt ins Gesicht. »Na, vielleicht habe ich wirklich mich ein wenig gehen lassen,« stotterte er. »Aber was wollen Sie! Man will doch auch hie und da seinen Spaß haben, nicht wahr?«

Doane ließ seine Blicke scharf in dem unordentlichen kleinen Gelaß umherschweifen.

»Nun, haben Sie noch etwas zu sagen?« rief Kane ärgerlich. »Ich begreife, und werde sie künftig in Ruhe lassen.«

»Glauben Sie nicht, eine Bitte um Entschuldigung wäre angebracht?«

»Um Entschuldigung bitten? Dies Mädchen!«

»Ihren Vater.«

»Um Entschuldigung bitten – so einen Gelben!«

Der verächtliche Ton ging Doane stark auf die Nerven.

Plötzlich rief der junge Mann: »Nun – sonst noch etwas? Warum schauen Sie sich so um?«

Die ernsten tiefliegenden Augen des Steuermannes blieben an dem Waschtisch neben dem Bett haften. Dort, hinter die Wasserkaraffe geschoben, stand eine kleine Lampe, mit einem Cloisonnéfuß in Blau und Gold, und einem kleinen, halbkugeligen Zylinder aus rauchgeschwärztem Glas.

»Was schauen Sie so? Was soll das heißen?«

Der junge Herr wand sich unter dem unverwandten Blick des großen Mannes, der ernst auf ihn niedersah: er wand sich, machte eine abwehrende Armbewegung, rappelte sich auf die Füße und stand nun da mit einem schwachen Versuch, zu trotzen.

»Jetzt werden Sie vermutlich zu meinem Vater gehen?« rief er. »Gehen Sie nur! Ist mir egal! Ich bin mündig und habe mein eigenes Vermögen. Er kann mir nichts tun. Und er weiß, daß ich seine Schliche kenne. Denken Sie ja nicht, ich wisse nicht allerlei, was er getan hat – er und seine Leute. Wir sind keine Heiligen, wir Kanes. Wir sind Kerle, wir haben Schneid, und wir haben Erfolg – aber Heilige sind wir nicht.«

»Seit wie lange rauchen Sie Opium?« fragte Doane.

»Überhaupt nicht – habe es nie getan – wenigstens nicht vor Schanghai. Brauchen nicht zu meinen, mein alter Herr hätte nicht auch sein Pfeiflein in aller Stille. Ich hatte noch niemals eine Opiumlampe gesehen, bis mich mein Vater letzten Monat in Schanghai zu dem großen Hong-Essen mitnahm. Dort gab's das, und es war nicht einmal das Schlimmste, was es dort gab.«

»Wenn Sie die Wahrheit sagen –« fing Doane an.

»Jawohl. Ich sage die Wahrheit.«

»– dann kann es Ihnen nicht schwerfallen, wieder aufzuhören. Es dauert einige Wochen, bis es zur Gewohnheit geworden ist. Hier auf dem Schiff dürfen Sie jedenfalls keine Pfeife mehr rauchen.«

»Aber welches Recht – Herr Gott, wenn mich doch mein Vater gewaltsam mit hierhergenommen hat, weg von allen meinen Bekannten … Sie halten mich wohl für ein ganz verkommenes Subjekt, nicht wahr?«

»Was ich von Ihnen denke, darum handelt es sich nicht. Ich muß Sie ersuchen, mir jetzt alles Opium, das Sie haben, auszuhändigen.«

Langsam, mürrisch, augenscheinlich voll trotziger und empörter Gedanken kniete der junge Mann vor dem Schränkchen nieder und zog einen kleinen Karton hervor. Doane machte ihn auf und fand mehrere Gläschen Opium darin. Sofort schleuderte er sie über die Reling. »Ist dies alles?« fragte er.

»Sehen Sie selbst nach!«

Doane heftete seine Blicke auf die Reisetasche und den Kabinenkoffer. »Sie geben mir Ihr Wort, daß Sie sonst keines mehr haben?«

»Das ist – alles«, sagte der junge Mann.

Doane überlegte sich diese Antwort, entschloß sich, sie gelten zu lassen, und wandte sich, um zu gehen. Aber der junge Mann faßte ihn am Ärmel.

»Sie halten mich für ganz verkommen!« rief er. »Vielleicht bin ich es auch, und es ist nichts mehr zu retten. Aber was kann ich anfangen? Mein Vater ist eine Maschine – ja, das ist er, eine erbarmungslose Maschine. Meine Mutter hat sich vor zehn Jahren von ihm scheiden lassen. Sie hat da den englischen Kapitän geheiratet – quetschte so viel Geld aus meinem alten Herrn heraus, daß sie davon leben konnten, und jetzt ist sie wieder von dem geschieden. Was soll da aus mir werden? Ich weiß, ich bin nervös, überreizt. Ich habe immer alles bekommen, was ich haben wollte. Können Sie sich da wundern, wenn ich mich nach etwas Neuem umgesehen habe? Vielleicht fahr' ich zur Hölle, ich weiß, Sie denken so. Ich seh' es Ihnen an den Augen an. Aber wen kümmert's denn?«

Doane stand lange Zeit nachdenklich an der Reling. Die Schiffsglocke im Gesellschaftssaal schlug acht Glas. Sein äußeres Ohr fing den Klang auf. Es war Zeit, sich zu Seiner Exzellenz zu begeben.


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