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Kapitel XLV. Der Bauer wacht auf

Rhoda sprach von der Tür aus mit ihrem Vater, die Hand am Türgriff.

Zuerst schenkte er ihr nur geringe Aufmerksamkeit, und als er anfing achtzugeben, sagte er zunächst, er hoffe, sie wisse, daß sie sich verpflichtet habe, den jungen Gutsherrn zu heiraten und beabsichtige nicht etwa, launenhaft und störrisch zu sein, denn der junge Herr habe es eilig damit, die Sache in Ordnung zu bringen, damit er selber zur Ruhe komme. »Ich leugne nicht, daß es eine Ehre für uns ist und auch 'n Trost,« sagte der Bauer. »Seit Jahren ist dies der erste Morgen, an dem ich ohne Sorgen in meinem Lehnstuhl gesessen habe. Robert tut mir ja leid, denn er 's unglücklich genug dran, aber du wolltest nun mal höher hinaus, wie mir scheint.«

Es durchzuckte Rhoda, ein Wort zu ihrer Selbstverteidigung einzuschalten, aber sie bezwang sich und erzählte aufs neue Dahlias Erlebnis, voll Staunen, daß der Vater keinerlei Erregung darüber zeigte. Im Gegenteil erschien ein Anflug seines tonlosen In-sich-hinein-Lachens auf dem Hohl der einen Wange, der auf eine langsame, ihm durchaus nicht unangenehme Überlegung hindeutete. Er sagte: »Nun ja, das 's recht traurig, – das heißt, wenn es sich wirklich so verhält,« und vorerst sagte er nichts mehr.

Sie entdeckte, daß er auf ihren Onkel Anton anspielte, an dessen glücklichen Verhältnissen ihm gewisse Bedenken aufzusteigen anfingen. »Oder sonst«, sagte der Bauer und tippte auf seine Stirn, »is' es hier nich' richtig bei ihm. Es wär' doch wirklich komisch, wenn sein verachteter Schwager geschäftlich', wie er zu sagen pflegte, und das sag' ich, ohne daß ich ihm was nachtrüge, schließlich doch noch, – ich will ja nich' grade sagen Millionen! – aber doch immerhin etwas wert wäre.«

Der Bauer nickte mit einer Art mißbilligender Befriedigung.

Rhoda konnte kein Gehör für ihre Nachrichten erlangen, bis ihr instinktiv der Gedanke kam, welches Interesse die Geschichte ihres Onkels und der Geldsäcke für ihn haben werde. Sie erzählte ihm dieselbe, und das rüttelte ihn auf. Darauf erzählte sie ihm zum drittenmal von Dahlia.

Rhoda sah ihres Vaters Brust sich dehnen und ein seltsames Leuchten in seine Augen treten. Er blickte sie mit einem völlig fremden Gesicht an. Zorn und neuaufsteigende Befürchtungen und ein unerschütterlicher Wille lagen darin, und als er sie um jede Einzelheit der Wahrheit befragte, die ihm vorenthalten worden war, empfand sie einen Respekt, der in ihren Gefühlen dem Vater gegenüber etwas ganz Neues war, aber er ging auf Kosten ihrer Liebe.

Nachdem er alles gehört und verstanden hatte, war alles, was er sagte: »Schick mir Dahlia her.«

Aber Rhoda flehte: »Sie ist zu elend, alles an ihr zittert. Sie erträgt kein Wort hierüber, nicht mal soweit es sich um Freundlichkeit und Liebe handelt.«

»Dann sagst du ihr,« sagte der Bauer, »daß sie jetzt eine Pflicht hat, die für sie die allererste Pflicht ist. Gehorsam gegen ihren Mann! Hörst du? Dann laß sie es auch hören! Gehorsam gegen ihren Mann! Und der Mann soll mir willkommen sein, wenn er zu mir kommt. Er soll mir willkommen sein. Meine Tür steht ihm offen. Ich bin ihm dankbar. Ich achte ihn. Ich segne seinen Namen. Ihm verdanke ich – Du gehst jetzt zu ihr und sagst ihr, ihr Vater verdanke es dem jungen Mann, der sie geheiratet hat, daß er seinen Kopf wieder hoch tragen darf. Geh' hinauf. Ach, seit Jahren habe ich etwas derartiges gefürchtet. Ich sage dir, Mädchen, ich verstehe nichts von Kirchtüren und Verstoßen, – er 's hier un' will sie holen. Is' es nich' so? Ich sag dir, von der ganzen Geldgeschichte verstehe ich kein Wort: aber geheiratet hat er sie. Gut, also dann is' sie seine Frau. Un' wie kann er sich auf 'ne Verpflichtung einlassen, sie nich' zu sehen?«

»Der elende Lump!« rief Rhoda.

»Hat er sie nich' geheiratet?« blieb der Bauer hartnäckig bei. »Hat er dem armen Ding nich' 'n Namen gegeben? Ich will ihr ja nichts Schlechtes nachsagen, aber ihm bin ich dankbar, un' ich sag' nochmal, wenn er kommt, hier 's meine Hand! Hier, meine Hand ist ausgestreckt un' wartet auf ihn!«

»Vater, wenn du mich das sehen läßt –«, Rhoda hielt den leidenschaftlichen Ausbruch zurück, der ihr auf den Lippen lag. »Vater, es ist ein schlechter, – ein schlechter Mann. Er ist ein sehr böser Mensch. Wir sind alle miteinander von ihm hintergangen worden. Robert kennt ihn. Er kennt ihn seit Jahren und weiß, daß er ein ganz schlechter Mensch ist. Dieser Mann hat unsre Dahlia geheiratet, nur um –«, Rhoda stöhnte auf und die Worte versagten ihr. »An der Kirchtür stieß er sie mit gräßlichen Worten von sich. Wie kann er nach alledem Ansprüche auf sie geltend machen? Ich habe ihm von Onkels Geld alles bezahlt, was er nur irgend erwarten konnte, und dafür hat er mir bei seinem heiligsten Eid versichert, meine Schwester nie zu beunruhigen, noch ihr nahe zu kommen. Danach kann er, kann er sie gar nicht fordern! Wenn er es tut –«

»Er ist ihr Mann,« unterbrach sie der Bauer, »und wenn er hierher kommt, soll er mir willkommen sein. Ich sage, er is' mir willkommen. Meine Hand streckt sich ihm entgegen. Und sei es nur darum, daß er den Namen Fleming vor Schande bewahrt hat. Ich bin ihm dankbar, und meine Tochter ist sein. Wo ist er jetzt? Du sagtest was von 'ner Rauferei mit Robert? Ich hoffe, Robert wird nicht vergessen, wie er sich zu benehmen hat. Geh' zu deiner Schwester hinauf un' sag' ihr, ich ließe ihr sagen: Alles wäre vergeben im' vergessen, sag' ihr, alles wäre so gut wie begraben, aber sie müsse von heute an ein gutes Kind sein. Und wenn sie am Tor stehen will, um ihren Mann hier willkommen zu heißen – so würd' sich ihr Vater um so mehr über sie freuen, – das sag' ihr. Ich wünsche den Mann zu sehen. Es ist mir ein aufrichtiger Kummer gewesen, daß er sich die ganze Zeit nicht hat blicken lassen; wenn ich ihn sehe, will ich ihn willkommen heißen, und das werde ich auch von diesem ganzen Haus verlangen.«

Das war die Art, wie Farmer Fleming den Bericht von der unglückseligen Lage, in die seine Tochter geraten, aufnahm.

Rhoda hätte für Dahlias Sache besser eintreten können, wäre sie nicht zu entsetzt, zu empört gewesen über die Selbstsucht, die ihr in ihrem Vater entgegentrat und besonders über seinen entschiedenen Wunsch, Dahlia zu züchtigen, den ihr feines Empfinden aus der väterlichen Verzeihung und aus der Klausel, die an diese Verzeihung geknüpft wurde, deutlich herausfühlte.

Sie ging zu Dahlia hinauf, der sie einfach mitteilte, daß ihr Vater von der ganzen Lage der Dinge in Kenntnis gesetzt sei.

Dahlia blickte sie an, wagte aber keine Frage zu stellen.

So verging der Tag. Weder Robert noch Anton erschien. Die Nacht brach herein; alle Türen wurden verschlossen. Die Schwestern schliefen die Nacht zusammen, es war ihnen, als fühlten sie jeden Pulsschlag der Zeit; keine von ihnen war völlig hoffnungslos, obgleich eine bange Angst auf beiden lag.

Als der Tag dämmerte, war Rhoda angekleidet. Das alte, vertraute Gelände rings um das Haus lag so still da, als wüßte es nichts von irgendwelcher Erwartung. Sie bemerkte Master Gammon, der feldeinwärts stapfte, und bald hörte sie auch ihres Vaters Stimme unten im Haus. Das ganze Getriebe des Alltagslebens setzte sich in Bewegung, aber augenscheinlich waren Robert und Anton immer noch abwesend. Bin Gedanke durchfuhr sie, Robert könne den Mann getötet haben. Er stieg auf wie ein Freudenstrahl, der alsbald jähem Entsetzen wich, und sie begann heftig und zusammenhangslos zu beten. Dahlia lag erschöpft auf dem Bett, aber als die Stunde nahte, wo die Briefe ausgetragen zu werden pflegten, richtete sie sich auf und sagte: »Es ist ein Brief für mich da, hole ihn herauf.«

Es war wirklich ein Brief für sie unten, er lag in ihres Vaters Hand und war geöffnet.

»Komm mit nach draußen,« sagte der Bauer, als Rhoda zu ihm ins Zimmer trat. Als sie im Garten waren, befahl er ihr den Brief zu lesen und ihm zu erklären, was das zu bedeuten habe. Der Brief war an Dahlia Fleming adressiert.

»Er ist für meine Schwester,« murmelte Rhoda halb empört und halb furchtsam.

Der Bauer bedeutete sie mit strenger Miene zum zweitenmal zu lesen, und sie las:

»Dahlia, es gibt noch eine Erlösung für uns. Du bist mir nicht verloren.

Edward.«

In einer Frauenhand folgten hierauf die Worte:

»Es ist wirklich Hoffnung vorhanden. In wenigen Stunden wird sich alles entschieden haben. Bleiben Sie standhaft. Wenn er Ihnen nähe kommt, halten Sie sich fern. Sie sind nicht sein. Laufen Sie fort, verbergen Sie sich, gehen Sie irgendwohin, wenn irgend Sie Grund haben anzunehmen, daß er in der Nachbarschaft ist. Ich wage nicht zu schreiben, was es ist, das wir erwarten. Gestern hieß ich Sie hoffen, heute darf ich sagen: Glauben Sie daran, daß Ihre Rettung nahe ist. Sie sind nicht verloren. Alles hängt von Ihrer Standhaftigkeit ab.

Margaret L.«

Rhoda hob die Augen.

Der Bauer ergriff den Brief und legte den Finger auf die erste Unterschrift:

»Ist das der Taufname des Verführers meiner Tochter?«

Er wartete eine Antwort nicht ab, sondern drehte kurz um und trat an den Frühstückstisch, wo er anordnete, daß Dahlia ein Tablett mit ihrem Frühstück aufs Zimmer gebracht werde. Sobald dies geschehen, drehte er selbst den Schlüssel ihrer Schlafstubentür um und verriegelte sie. Mrs. Sumfits Gesicht war all diesem seltsamen Gebaren gegenüber voll stummer Verzweiflung, aber keiner achtete auf sie, und so verschluckte sie ihre Klagen. Der Bauer erwähnte weder Roberts noch Antons. Er saß bis zum Mittagsessen in seinem Lehnstuhl ohne Buch oder Pfeife, ohne irgendwelche Beschäftigung weder für die Augen, noch für die Hände, ganz stillschweigend, aber mit scharf gespanntem Ohr.

Der Nachmittag brachte Rhoda eine gewisse Beruhigung. Ein Bote kam auf den Hof gelaufen, mit einem mit Bleistift beschriebenen Zettel von Robert an sie, des Inhalts, daß er mit ihrem Onkel gemeinsam Sedgett vermittels physischer Gewalt dem Hause fern halte, und daß kein Grund vorliege, sich zu fürchten. Rhoda küßte die Worte, eilte auf ein paar Minuten aufs Feld hinaus, um dem zu danken, den zu segnen, von dem zu träumen, der gesagt hatte, es sei kein Grund zum Fürchten vorhanden. Sie wußte, daß Dahlia keine Ahnung davon habe, daß sie gefangen gehalten werde, so empfand sie weniger Gewissensbisse darüber, die Minuten ihrer Abwesenheit nicht zu zählen. Die Sonne prangte in vollem Gelb und fing an rötliche Strahlen zu werfen, ehe sie daran dachte, zurückzukehren, so süß erschien es ihr plötzlich, ihre Gedanken bei Robert weilen zu lassen, und als sie endlich ihre Schritte heimwärts lenkte, war es ihr halb und halb entfallen, welche Traurigkeit im Hause herrschte. Als sie indes den Riegel am Tor hob, beschlich sie ein plötzliches Angstgefühl, welches einer halb unbewußten Selbstanklage entsprang. Sie betrat das Zimmer und sah ihren Vater und Mrs. Sumfit, welche dasaß und die Schürze über den Kopf geschlagen hatte.

Sedgett saß zwischen ihnen.


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