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Kapitel XXXVII. Edward versucht, was seine Beredsamkeit vermag

Ein fester Glaube an den Erfolg seiner Beredsamkeit, wenn er sie auszuüben beliebte, war eine der wesentlichen Stützen von Edwards Überlegenheitsgefühl, – eine geheime Überzeugung, die gewissen Leuten in jeder Lebenssphäre eigen ist und manchem sonst jedwedem Eindruck zugänglichen und hin und her schwankenden Intellekt als Stütze dient. Hatte er ein wenig getändelt, oder war er irgendwie ins Gleiten geraten, so konnte er sich mit dieser Gabe, wie er mit Befriedigung feststellte, immer wieder ins rechte Licht setzen. Es ist eine Gabe, die einem vielversprechenden Jüngling gelegentlich zum Verderben gereichen kann, obschon sie selbst in derselben in der Regel eine außerordentlich gute Hilfsquelle sehen werden. Edward hatte diese Gabe sowohl seinem Vater wie Robert gegenüber mit Glück ins Feld geführt. Als er Rhoda auf sich zukommen sah, dachte er ihrer, wie ein siegreicher Kämpfer seiner Waffe gedenkt, seine Phantasie ließ ihre mutmaßlichen schwachen und starken Seiten Revue passieren, und er studierte sie aufs genauste, noch als sie dicht an ihn herangekommen war. Mit Robert, dem Repräsentanten der Kraft, als Verbündeten, war sie nicht länger im Lichte eines verächtlichen Hindernisses für seine Wünsche anzusehen. Obschon er stark dazu hinneigte, sie zu verabscheuen, war er dennoch gezwungen, sie zu achten. Sie besaß Initiative und verfügte über eine würdevolle Haltung, ein wunderbar blühendes Äußeres und einen Verstand, der nach jeder Richtung hin tätig war. Als sie sprach, wobei sie den Wunsch an den Tag legte, er möge neben ihr hergehen, war er angenehm berührt von ihrer Stimme und von der Konzession, die sie den Gesetzen der Schicklichkeit machte, und es dünkte ihn jammerschade, daß sie nicht das Weib eines Gentleman werden sollte. Nach und nach gelang es ihm, nachdem er nur zögernd begonnen, sie mit seinem Zauber zu umspinnen, denn sie hörte ihm aufmerksam zu und schritt neben ihm dahin, den ernsten, gradaus gerichteten Blick auf das Pflaster gesenkt; in Wirklichkeit achtete sie nur wenig auf das, was er sagte, bis er – wie unwillkürlich – einige Sätze aus Briefen Dahlias zitierte: und da heftete sie ihre Augen auf ihn, in einem Gefühl des Staunens, daß er solcherart Verdammnis auf sein eigen Haupt heraufbeschwören könne. Die Sätze, welche er zitierte, waren höchst eindringlicher Natur und bewiesen den Kampf zwischen ihrer Liebe und der versteinernden Überzeugung von deren Hoffnungslosigkeit, sowie dem Heranschleichen einer sie verzehrenden Krankheit. Sie gaben ein solches Bild von Dahlias anbetender Liebe zu diesem Mann, von ihrer langen Qual, der Rauschzeit ihrer Seele, ihrer einfältigen Unschuld und dem immer stärker werdenden, erdrückenden Angstgefühl, wie Rhoda es niemals vollkommen erfaßt hatte. Durch einen Nebel von Tränen hindurch versuchte sie zu ihm hinzusehen.

»Wie konnten Sie es aushalten, die Briefe zu lesen?« schluchzte sie.

»Konnte irgendein menschliches Wesen diese Briefe lesen, ohne daß ihm das Herz um sie gebrochen wäre?« sagte er.

»Wie konnten Sie das lesen und sie dennoch dem Verderben überlassen?«

Seine Stimme vertiefte sich zu einer äußerst eindrucksvollen dunklen Färbung: »Ich habe sie gestern morgen in Frankreich zum erstenmal gelesen, und ich bin hier.«

Es war unleugbar in seiner Wirkung auf Rhoda eine Glanzleistung flehender Beredsamkeit. Es entschuldigte zum Teil, jedenfalls erklärte es seine Handlungsweise, während es Gefühle in ihr wachrief, von denen sie fühlte, daß auch er sie empfände, und daher war es ihr unmöglich, länger als ein teilnahmloser, fremder Mensch neben ihm herzugehen.

Als er so viel erreicht hatte, ließ er alle Künstelei beiseite. Er erzählte ihr die ganze Geschichte, mit Ausnahme der einen schwarzen Episode, dem einen unbegreiflichen Vorgehen verzweifelter Gemeinheit, das er in dem blinden Verlangen, frei zu werden, mit voller Absichtlichkeit zugelassen, oder dem gegenüber er wenigstens bewußt die Augen zugedrückt hatte, und dessen Schuld somit an ihm haften blieb. Im Geist machte er eine Pause, während er zu ihr sprach, um mit staunendem Schauder darüber zur Klarheit zu gelangen, wie und wodurch er so weit hatte sinken können, seiner Manneswürde ins Gesicht zu schlagen, und er blieb davor stehen, wie vor einem ihm selbst unlösbaren Rätsel. Im übrigen beschönigte er sein Tun in keiner Weise. Er verurteilte seinen krassen Ehrgeiz aufs schärfste und sprach verächtlich von ihm, als von einem Irrlicht. »Dennoch habe ich nur wenig vollbracht, seit ich mich von ihr getrennt habe.« Und dann versicherte er sie mit überzeugender Beredsamkeit, daß er, getrennt von Dahlia, weder zu arbeiten noch zu leben vermöge. »Sie ist mir das Liebste auf Erden, sie ist die reinste Frau, die es geben kann. Ich habe mit ihr gelebt, ich habe getrennt von ihr gelebt, – ich kann nicht ohne sie leben. Ich liebe sie mit der Liebe eines Gatten. Glauben Sie noch, daß ich mich auf eine Trennung von ihr einlassen kann? Ich weiß, daß ihr Herz mir gehört, solange es schlägt. Versuchen Sie, sie von mir fern zu halten, und Sie werden sie töten.«

»Sie ist nicht gestorben,« sagte Rhoda; seine Drohungen verwirrten sich ob ihrem Einwand.

»Diesmal könnte sie daran sterben,« konnte er sich nicht enthalten zu murmeln.

»Ah!« Rhoda wich unwillkürlich von ihm zurück.

»Aber ich sage Ihnen, ich will sie sehen,« stieß er heraus.

»Wir sagen, daß sie tun soll, was ihr zum Besten gereicht.«

»Sie haben einen Plan? Lassen Sie mich ihn hören. Sie sind wahnsinnig, wenn Sie irgendwelche Pläne für sie gemacht haben.«

» Wir haben nichts Derartiges getan, Mr. Blancove. Was geschehen soll, geschieht auf ihren eigenen Wunsch. Sie will sich nicht ihr Lebenlang zu schämen haben, ihrem Vater ins Gesicht zu sehen. Sie wagt ihn nicht zu sehen, ehe sie dessen wieder würdig geworden ist. Ich glaube, daß sie auf dem rechten Wege ist.«

»Und was ist es, was sie zu tun beabsichtigt?«

»Sie hat selbst die Wahl getroffen, einen guten und würdigen Mann zu heiraten.«

Edward rief aus: »Haben Sie ihn gesehen, – diesen Mann?«

Rhoda, welche glaubte, daß er nur die Bestätigung der von ihr behaupteten Tatsache zu hören wünsche, erwiderte: »Ja.«

»Ein guter und würdiger Mann,« murmelte Edward. »Krankheit, Schwäche, Verzweiflung haben ihre Sinne verwirrt. Sie hält ihn für einen guten, würdigen Mann?«

»Ich halte ihn dafür.«

»Und Sie haben ihn gesehen?«

»Ja.«

»Nun, um was für eine entsetzliche Täuschung kann es sich hier handeln? Es ist unmöglich! Mein gutes Mädchen, ich fürchte, Sie sind das Opfer einer ganz unbegreiflichen Täuschung. Wie heißt der Mann? Ich kann es ja begreifen, daß Dahlia ihren Willen und ihren klaren Blick verloren haben kann, aber Sie sind eine Frau von klarem Urteil, Sie vermögen einen Menschen richtig abzuschätzen. Wie heißt der Mann?«

»Das kann ich Ihnen sagen,« sagte Rhoda, »sein Name ist Mr. Sedgett.«

»Mister –!« Edward antwortete mit einem einzigen hohlen, scharfen Auflachen. »Und Sie haben ihn gesehen und halten ihn –«

»Ich weiß sehr wohl, daß er kein Gentleman ist,« sagte Rhoda. »Aber er ist von Herzen gut gegen meine Schwester gewesen, und ich bin ihm dankbar und achte ihn.«

»Von Herzen!« wiederholte Edward ihre Worte. Das Verlangen, alles zu verraten und einzugestehen, überkam ihn, aber der Mut versagte ihm.

Gleichzeitig sahen beide sich um, denn sie hörten nahende Schritte.

Der Mann, von dem sie soeben sprachen, erschien – im Sonntagsanzug, erregt, lächelnd, einen Rosenstrauß in der Hand. Er studierte augenscheinlich die Kunst, den Frauen zu gefallen. Sein Auge fiel auf Edward, und das Lächeln erstarb auf seinen Lippen. Rhoda zeigte ihm durch kein Wort, daß sie ihn erkannte. Im Weitergehen schloß er aus dem Umstand, daß er an Stelle Mr. Algernons – Mr. Edward gesehen habe, und aus dem Blick des letzteren, daß mutmaßlich allerhand Wechsel in der Luft schwebe, vielleicht irgendwelche Chikanen, und er hoffte aufrichtig, daß es ihm gelingen möge, dem Paar, das ihn so fein zu prellen hoffte, ein Schnippchen schlagen zu können.

Nachdem er vorübergegangen, sahen Edward und Rhoda einander an. Beide wußten, für wen der reizende Strauß bestimmt war. Dies gemeinsame Bewußtsein ließ in ihrem Hirn gleichsam einen erleuchtenden Funken aufflammen, aber sie blieb dennoch im Dunkeln und dachte nur, daß er eine merkwürdig starke Divinationsgabe besitze, vielleicht auch nur, daß er ihr schwer verständlich sei. Was ihn betraf, so fuhr ihm ein eisiger Schauer durch alle Glieder. Er fühlte, daß er in diesem entsetzlichen, grinsenden Schurken einen Teufel heraufbeschworen habe. Vielleicht darf man zu seiner Ehre hoffen, daß er nicht mit Bestimmtheit gewußt, daß Sedgett der Mann sei. Sicherlich hatte er indessen an die Möglichkeit, daß er es sei, gedacht. Sehr selbstsüchtige und eigensinnige Naturen besitzen nicht die Fähigkeit, die Taten, welche auf ihre Veranlassung oder mit ihrer Zustimmung geschehen, genau zu übersehen. Sie verstehen sie nicht eher, als bis die finstere Wirklichkeit vor ihren Augen dasteht.

Ein »Großer Gott!« hervorstoßend, entfernte sich Edward ein paar Schritt von Rhoda und kehrte dann zurück.

»Es ist ein Wahnsinn, Rhoda! der größte Wahnsinn, der jemals erdacht worden ist. Ich glaube nicht – ich weiß, Dahlia würde niemals darin willigen, erstlich überhaupt einen andern Mann, als mich, zu heiraten und zweitens einen Mann zu heiraten, der nicht ein vollkommener Gentleman ist. Ihr feines Empfinden zeichnet sie vor allen Frauen aus.«

»Mr. Blancove, meine Schwester ist halbtot, nur ihre zähe Natur hält sie noch aufrecht. Die Schmach hat sie völlig gebrochen, das hat sie. Wenn sie erst verheiratet ist, wird sie ihm danken und ihn achten und wird nichts anders sehen als seine Liebe und Güte. Ich lasse Sie jetzt allein.«

»Ich gehe zu ihr,« sagte Edward.

»Tun Sie es nicht!«

»Genug des Redens! Ich hoffe, es wird mir niemand in den Weg kommen. Wo bin ich?«

Es sah nach dem Namen der Straße und schoß davon. Rhoda ging in andrer Richtung fort, fest entschlossen, seit sie Sedgett hatte vorübergehen sehen, daß sein Edelmut ihm nicht mit Undank vergolten werden solle. Sie legte ihm allerlei schöne moralische Eigenschaften bei, die sie mit den bösen Edwards verglich, und es geschah mit der Wut demokratischen Hasses, daß sie die äußeren Vorzüge, welche den vornehmen Herrn auszeichneten, von ihrer Betrachtung ausschaltete.


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