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Kapitel XXV. Von der schrecklichen Versuchung, die an Anton Hackbutt herantrat, und von seiner Begegnung mit Dahlia

Es gehört glücklicherweise eine lange Reihe von Jahren in dem Leben eines gewöhnlichen Sterblichen dazu, ihn an die außerordentliche Mannigfaltigkeit und Menge von Dingen glauben zu lehren, die man für Geld kaufen kann, hat indessen ein unbefangenes Gemüt den vielvermögenden Charakter des Metalls voll erfaßt, so wird es sehr leicht zu der Annahme kommen, daß sich alles dafür kaufen lasse – und alsdann folgt das sehnliche Verlangen, es zu besitzen.

Diese Entwickelungsphase ist in den großen Seelen von Geizhälsen der springende Punkt. Es ist der Augenblick ihres Erwachens, ihr erstes völliges Realisieren einer Ernte, die sich in ihren Händen befindet. Sie haben angefangen, unter dem Einfluß der Leidenschaft, die noch nichts anderes ist, als eine blinde Leidenschaft der Fingerspitzen, Schätze zu sammeln. Der Gedanke, daß sie bei kleinem eine Macht aufgespeichert haben, wandert erst ganz allmählich ihr langsam arbeitendes Hirn hinauf. Haben sie ihn indessen erst einmal erfaßt, so umklammern sie ihren Besitz wie einen Götzen. Jedermanns Hunger danach ist ihre Nahrung. Und – daß wir es nur gestehen! – er wird ihnen zu einem wundervollen Festmahl.

Anton Hackbutt war kein Geizhals. Er war nur ein alter Mann, der gern zurücklegte. Sein Ehrgeiz war der, für einen Geizhals zu gelten, als ein Geizhals beneidet zu werden. Er lebte in der täglichen Hörweite des lieblichen Geklimpers mit dem Golde und er liebte diesen Klang, aber eher mit einer Art poetischer Liebe, als mit dem niedrigen Gelüsten, Goldstücke anzuhäufen. Obschon er ein alter Mann war, der gern zurücklegte, gab er doch etwas auf eine gewisse Behaglichkeit des Lebens, und wenn er hie und da Gewissensbisse darüber empfand, daß er einem gelegentlichen Verlangen nach Hering und Miesmuscheln und anderen See-Leckerbissen nachgab, die nach ihrem Verschwinden keinerlei Ergebnis aufzuweisen haben, so legte er doch fortwährend etwas Kupfer und Silber zurück, alle Woche, alle Monat, und war Besitzer einer kleinen Summe.

Er wußte den Umfang dieser Summe ganz genau, auch wie hoch sie bis heute übers Jahr, und wahrscheinlich heute über fünf Jahr angewachsen sein würde. Er wußte es nur allzu gut. Große Sprünge machte die Summe nicht. Sie vermehrte sich, aber sie schien sich niemals zu verdoppeln.

Er war der Besitzer von zwölfhundert Pfund, die sicher und im Hafen geborgen lagen, das heißt, der größere Teil befand sich auf der englischen Bank und ein Teil in Boynes Bank. Dazu kamen ein paar verstreute Sümmchen und einige Papierfetzen, wie ihm Algernon einen an jenem denkwürdigen Abend seines Theaterbesuches in dem Wirtshaus gegeben hatte.

Diese erfüllten ihn, wenn die Schuldner säumige Zahler waren und um eine Verlängerung der Zahlungsfrist baten, mit einem Gefühl von Bedeutung, die ihm sein solider Besitz nicht gewährte. Dennoch lag die antipoetische Neigung in seinem Innern mit der poetischen in steter Fehde, sie zwang ihn, seine Forderungen in nackten Ziffern zu Papier zu bringen und beeinträchtigte den vollen Genuß innerer Befriedigung.

Er brauchte sich nur Farmer Flemings Vorstellung seines Reichtums vor die Seele zu rufen, um die elende Geringfügigkeit dessen, was er rechtmäßig zu besitzen schien, zu empfinden, und er empfand sie zuzeiten mit einem so stechenden Schmerzgefühl, daß das Bewußtsein, ein Toter sei unfähig, hinsichtlich der endgültigen Klarlegung seiner Vermögensverhältnisse nebelhafte Umrandungen anzudeuten, ihn mit einer Furcht vorm Tode erfüllte. Da würde es liegen, tot, gleich ihm selber! zusammengeschrumpft, eingesargt, verächtlich!

Was würde der Bauer denken, wenn er erführe, daß der Besitz seines Bruders Toni nicht ausreichte, um Queen Annes Farm aufzukaufen? wenn er tatsächlich herausfände, daß er die ganze Zeit der Reichere von ihnen beiden gewesen sei!

Antons Trost lag in der unerschütterlichen Zähigkeit seiner Konstitution. Er erlaubte sich, dieselbe so hoch einzuschätzen, daß er eine Bemerkung betreffs der Wahrscheinlichkeit hinzuwerfen wagte, daß er seinen Bruder William John, dem er kein irdisches Ungemach wünschte, sondern nur, daß er eine leichte Verehrung für ihn während seines Lebens bewahren sollte, überleben werde. Er weidete sich buchstäblich an dem gierigen Entzücken, mit dem der Bauer seine gemutmaßten Haufen von Reichtümern betrachtete. Manchmal konnte er sich wochenlang in die Vorstellung hinein versetzen, er sei selber Teilhaber der Bank, mit der er so lange in Verbindung stand, und nachher folgte dann eine jammervolle Reaktion.

Dann konnte es passieren, daß die Berührung des Geldes der Bank ihn wunderlich berauschte. Zeitweise drückte er Tausende an seine Brust, und sein Herz schwoll ins Unermeßliche mit den Geldbeuteln. Er war, nachdem er sie abgeliefert hatte, ein trauriges, aber ein dankbares Geschöpf. Das Delirium befiel ihn stoßweise, als lauere ein Teufel im Verborgenen, um ihn von Zeit zu Zeit zu überfallen.

»Mit diesem Gelde«, sagte der Dämon, »könntest du spekulieren und könntest die Summe in zwei Tagen verzehnfachen.«

Worauf Anton antwortete: »Der Ruf, den ich genieße, ist das Fünfzigfache der Summe wert.«

Eine solche Antwort gab er dem Versucher in seinem Innern wohl, aber seine eigentliche Überzeugung war es nicht. Er war ehrlich, und seine Ehrlichkeit war ihm zur Gewohnheit geworden, aber das Geld war das einzige, was seine Phantasie in Bewegung setzte, sein Charakter war noch nicht bis zu einem Heiligenschein gediehen, sein jährliches Einkommen und seine persönliche Hochachtung für das Gesetz zogen ihm die ganz genauen Grenzen. Das Geld entflammte sein Hirn!

»O, wenn es mein wäre!« seufzte er. »Wenn ich es nur einmal vierzig oder fünfzig Stunden lang mein nennen könnte! Aber das ist es nich', und das kann ich nich'!«

Er focht hartnäckige Kämpfe mit dem Versucher aus und schlug ihn wieder und wieder zurück. Eines Tages hatte er eine Vereinbarung mit ihm getroffen, er hatte nämlich gesagt, wenn jemals der Bauer einen Nachmittag in der Stadt sein würde, wollte er zehn Minuten oder so stehlen, er wollte irgendwo eine Verabredung mit ihm treffen und ihm dann, ohne ein weiteres Wort, die Geldbeutel zeigen, wollte ihn sie wägen und ansehen lassen und dann – so ging Antons Plan weiter – wollte er sie einstecken und von Politik zu reden anfangen, während des Farmers Seele sich in einem Aufruhr befinden würde.

Mit diesem Übereinkommen schien die höllische Macht zufriedengestellt, und Anton war zeitweise aus aller Bedrängnis heraus. Mit anderen Worten, dies alte Geschöpf war von einer Art intermittierenden Fiebers, einer Art harmlosen Spitzbubentums befallen. Den Gedanken, richtig mit dem ihm anvertrauten Gelde davonzulaufen, hatte er niemals gehabt.

Wohin sollte ein alter Mann fliehen? An fremde Länder dachte er nur als an Orte, die ihn schaudernd vor die Notwendigkeit stellten, von neuem in aller Nacktheit und Hilflosigkeit geboren zu werden, im Falle er sie je sehen und betreten sollte.

London war seine Heimat, und sie gewährte ihm warme und ehrbare Kleidung, und das sagte er dem Dämon bei ihrem nächsten Zwiegespräch.

Anton hatte sich der Torheit schuldig gemacht, ihm Unterredungen zu gestatten und wie mit seinesgleichen mit ihm zu verhandeln. Man sagt, daß die Torheit der Weiber, an die eine Versuchung herantritt, solcher Art sei, und vielleicht trieben Ursachen, die denen, welche sie gefährden, ähnlich sind, auch Anton an den Rand des Abgrundes, vielleicht auch war der Widerstand, den er zu leisten versuchte, ähnlicher Art.

Infolge dieses Kompromisses nahm der Dämon allgemach an seinem Frühstückstisch Platz, so daß Mrs. Wicklow, seine Wirtin, Anton in einem Tone reden hören konnte, als werde er zum Äußern der bestimmtesten Gegengründe gezwungen. Sie dachte sich, der alte Mann werde wohl ein wenig kindisch.

Eines Nachmittags im Frühling befand er sich auf einem seiner eiligen Gänge, die das Tragen des Geldes mit sich brachte, als ein junges Weib ihn am Rock ergriff und seinen Zorn gegen einen Vergewaltiger des Rechts augenblicklich zu hellster Wut auflodern ließ.

»Hände weg, Dirn!« rief er. »Gleich laß ich dich in Verwahrsam bringen. Wo 's 'n Polizist?«

»Onkel!« sagte sie.

»Bist mir 'n schöner Schwindler in Frauenröcken!« Anton schäumte.

Aber eine seltsame Erinnerung an das Gesicht stieg in ihm auf, und als sie in jämmerlichem Ton wiederholte: »Onkel!« sah er sie genauer an und sagte –

»Nein!« mehrmals hintereinander, wie in Verwunderung.

Ihr Haar war wie das eines Knaben geschnitten. Sie war in einfachen Gewändern, trug eine festanschließende Kappe über dem Kopf und einen schwarzen Strohhut darüber, keine Handschuhe, ihr Teint war schlecht, und tiefe dunkle Linien zogen sich von den Augenwinkeln herunter. Dennoch überzeugte ihn eine genaue Betrachtung, daß er Dahlia, seine Nichte, vor sich sähe. Er war sehr erstaunt, aber da er sich sofort wieder des unschätzbaren, ihm anvertrauten Gutes in seinen Armen und zugleich der Schlechtigkeit der Straßen erinnerte, hieß er sie, ihm zu folgen. Sie tat es mit Anstrengung, denn er lief und bewegte sich in wunderlichen Zickzacklinien und behandelte die ganze Welt als seinen persönlichen Feind, plötzlich verschwand er und erschien dann frei aufatmend wieder.

»Nun, mein Kind?« sagte er. »Nun, Dahl – Mrs. Wie-heißt-du-noch? Na, wer hätte dich denn erkennen können? Ist das« – er näherte seine Augen ihrem Haar – »ist das jetzt Mode für Damen? Denn, wenn es is', denn brauchen unsere jungen Strömer ja man bloß 'n Kapottehut zu kaufen, und, – na, aber, 'n Staat is' das ja nich' gerade mit dir. Gar nich' wie sonst, Miss, – Ma'am, mein' ich – ne, gar nich' wie sonst. Na, was gibt's denn Neues? Was macht dein Mann?«

»Onkel,« sagte Dahlia, »könnt' ich wohl, bitte, irgendwo mit dir sprechen?«

»Stehen wir hier denn nicht zusammen?«

»O, bitte, wo nicht so viele Menschen sind!«

»Dann komm mit mir nach Haus, wenn meine Wohnung nicht zu armselig für dich is',« sagte Anton.

»Onkel, das kann ich nicht, ich bin krank gewesen. Ich kann nicht weit gehen. Willst du mich an irgendeinen ruhigen Platz bringen?«

»Willst du mich vielleicht mit 'ner Droschke traktieren?« Anton lachte höhnisch.

»Ich fahre nicht mehr, Onkel.«

»Was? Halloh!« rief Anton. »Hast wohl das Geld denen zu Hause in den Rachen geworfen, was? Na, sag mal?«

Dahlia senkte die Augenlider und bat ihn nochmals eindringlich, sie zu einem ruhigen Platz hinzuführen, wo sie, vom Lärm entfernt, zusammen sitzen könnten. Sie war sehr ernst und sehr traurig und schien nicht viel Kräfte zu haben.

»Ist es dir unangenehm, meinen Arm zu nehmen?« sagte Anton.

Sie legte ihre Hand auf seinen Arm, und er zog sie mit sich über den Fahrdamm, zwischen Omnibussen und Droschken hindurch, während er ihnen durch das Getöse hindurch zurief:

»Wir sind die zweibeinige Unabhängigkeit, garantiert zuverlässig und ohne Konkurrenz,« und während er zu Dahlia sagte: »Allmächtiger Gott! die da wissen einem nichts zu antworten, sonst wollte ich ihnen mal was zurufen, was des Hörens lohnte! Aber das 's, als ob du 'n Löwen in 'n Käfig mit rohem Fleisch vollstopftest, nich' so viel wie 'n Schwefelholz kriegst du aus denen 'raus, 'n paar kennen mich. Die könnten, wenn sie wollten, die Burschen da! Ich hab' die ganz gute Sachen sagen hören. Aber da sitzen sie un' haben kein'n Blutumlauf im Leib – nie zur rechten Zeit da, höchstens, wenn's sich um 'ne alte Frau handelt, oder wenn sie einen in 'ner Brodullie finden und merken, daß man nich' 'raus kann. Das kannst dir merken, du kriegst nie 'n männlichen Schnack aus 'n großen Hümpel von solchen Burschen 'raus, die kein'n richtigen Blutumlauf haben. Dafür is' der Fluß der rechte Platz. Auf 'n Fluß hab' ich ganz gute Schnacke gehört, – nich' von denen da, aber gehört hab' ich sie. So 'n andern Kram, da 's meist nich' viel mit los. Un' ich hab' auch sagen hören, so zu Pferde, das wär' fein für Schnäcke. Sieht man wieder: Blutumlauf! Schlagfertig und lebhaft, mein' ich, nich' so 'n Schrei'n, un' so 'n Über-die-Schulter-'rüber-sprechen, – das 's meist nur Unverschämtheit un' sonst weiter nichts – un' dann auf und davon. Das 'n feige Art Schnack! Jungens, das 'n schlimme Bande – da 's auch Blutumlauf! Da lass' ich mich meist nich' viel mit ein, höchstens, daß ich da mal so mitten mang fahr', wie 'ne Kugel zwischen die Kegels. 's allens 'ne Frage des Blutumlaufs. Übrigens, liebes Kind,« Anton wandte sich mit großem Ernst an sie, »mußt mich nie beim Arm kriegen, wenn mich so losrennen siehst wie heut' Nachmittag. Ich dacht', du wärst 'n Dieb oder noch was Schlimmeres – ganz gewiß, das dacht' ich! Hattest du da auf mich gewartet?«

»Ein bißchen,« antwortete Dahlia ganz außer Atem.

»Bist wohl wirklich krank gewesen?«

»Etwas,« sagte sie.

»Hast nach 'n Hof geschrieben? 'türlich hast du das!«

»O, Onkel, wart' ein bißchen,« stöhnte Dahlia.

»Aber sag bloß, bist krank gewesen un' hast nich' nach Haus geschrieben?«

»Warte, bitte, warte,« flehte sie ihn an.

»Ich will schon warten,« sagte Anton, »aber das 's wahr, wenn eine wunderlich is', dann 's da nichts bei zu machen, un' wunderlich, das bist du! Nu' müssen wir über London Bridge. Da 's der Tower, – der 's aus 'ner Zeit, wo kein Mensch sich auf sein eigen Geld verlassen konnte, weil die Könige so happig danach waren, – allens Krallen und Kronen. Ich bin 'n Republikaner, soweit sich's um 'n ›Keiner-von-der-Sorte‹ handelt. Da sind die Schiffe. Da geht die Sonne hinter auf und geht davor unter, un' man könnt' fast meinen, da wär' immer Gold in ihrer Takelage! Deerns von deiner Art meinen – ja, hör' mal, im' sag' mir bloß, – bist du im' eig'n'lich 'ne Dame?«

»Nein, Onkel, nein!« rief Dahlia, und dann fügte sie leiser hinzu, »wenigstens nicht für dich.«

»'s letzte Mal, daß ich über diese Brücke ging mit 'nem jungen Mädchen an 'm Arm, da war's dein' Schwester. Ich hab' gehört, sie 's bei dir gewesen, un' du hast sie nich' sehen woll'n, un' so 'ne treue Deern, die findet man doch nich' alle Tage als Schwester! Was ziehst mich denn so?«

Dahlia sagte nichts, sie klammerte sich nur mit tiefgesenktem Kopf an ihn an, und so eilten sie vorwärts, bis Anton vor einem Laden anhielt, vor dessen Fenster Tassen und gestrichene Semmel und schimmelig aussehende Streifen Speck und Würste zu sehen waren, die so lange nach hungrigen Mäulern geangelt hatten, bis sie ganz blasse, weiche Dinger, gleichsam ausgeblichener Köder, geworden waren.

In diesen Laden führte er sie hinein, sie nahmen an einem der Tische Platz und bestellten Tee und Semmel.

Der Laden war leer.

»Das 's nu' eine von den Ausgaben, die die Verwandtschaft mit sich bringt,« seufzte Anton, nachdem er vergeblich abgewartet hatte, ob es Dahlias Absicht sei, für beide oder wenigstens für sich allein zu bezahlen und fand, daß sie auch gar keinen Stolz besäße. »Meine Schwester heiratet deinen Vater und infolgedessen – na! ein Semmel hie und da, das macht schließlich so viel nicht aus. Woll'n's vergessen, wenn es auch – das 's ja wahr – beim Zusammenzählen nachher is' es 'n Extra! und wenn das alle Tage so ging', mit zwei Groschen extra, dann macht das in 'm Jahr 'n Loch in 'ne Schloßmauer, so groß wie 'ne Kanonenkugel! Hast du nach Haus geschrieben?«

Dahlias Gesicht zeigte die helle Verzweiflung unvergossener Tränen.

»Onkel, o, sprich 'n bißchen leise. Ich bin ganz nah' am Tode gewesen. Ich bin so furchtbar lange krank gewesen. Ich bin zu dir gekommen, weil ich gern was von ihnen hören wollte, – von meinem Vater und von Rhoda. Erzähl' mir, was sie machen, schlafen sie gut, und essen sie gut, und haben sie keine Sorgen? Ich konnte nicht schreiben. Ich war hilflos. Ich konnte keine Feder halten. Sei so gut, lieber Onkel, und mach mir keine Vorwürfe. Bitte, sag' mir, daß sie nicht traurig gewesen sind!«

Bin scharfer Blitz aus Antons Augen traf sie: »Dann sag' du mir, wo dein Mann ist!«

Sie machte einen traurigen Versuch zu lächeln. »Er ist auf Reisen.«

»Wie 's denn mit seinen Verwandten? Is' da denn keiner von denen, der ihm schreiben kann, wenn du krank bist?«

»Er ... Ja, er hat Verwandte. Die könnt' ich nicht bitten. O, ich bin nicht stark, Onkel; wenn du es nur lassen wolltest, mich so mit Fragen zu quälen, aber erzähl' mir, erzähl' mir, was ich wissen möchte!«

»Na, denn sag' du mir, auf welcher Bank dein Mann sein Geld hat!« blieb Anton bei.

»Wirklich, das kann ich nicht sagen.«

»Bekommst du,« Anton streckte erst einen, dann einen zweiten Finger aus, – »bekommst du dein Geld von ihm, mit dem du deine Ausgaben bestreiten mußt, in Gold, ober bekommst du's in Papier?«

Sie starrte ihn an wie jemand, der eine Fallgrube wittert. »In Papier,« sagte sie aufs Geratewohl.

»Schön, dann nenn' mir die Bank.«

Es war keinerlei Verschmitztheit in ihrem Blick, als sie antwortete: »Ich kenne keine andere Bank als die Englische Staatsbank.«

»Was Teufel sagst du das denn nich' gleich – was?« rief Anton. »Er gibt dir Banknoten. Bess'res gibt's ja überhaupt nich' in der Welt. Un' in der letzten Zeit hat er dir wohl nich' g'rad' viel gegeben, – was? Was für 'n Beruf hat er denn, oder was für 'n Geschäft?«

»Er ist – er hat gar keinen Beruf.«

»Was is' er denn? Is' er 'n feiner Herr?«

»Ja,« hauchte sie klagend.

»Also dein Mann is' 'n feiner Herr. Na – und hat er denn sein Geld verloren?«

»Ja.

»Wie 's das denn gekommen?«

Das arme Opfer dieses hartnäckigen Verhörs wand sich innerlich, um ihm zu entschlüpfen. »Das darf ich nicht sagen,« antwortete sie.

»Du versuchst 'n Geheimnis zu bewahren, was?« sagte Anton, und sie, in dem Gefühl der Erleichterung, das sie bei der Pause ihrer Qual empfand, erwiderte mit einem müden, etwas kindischen, halben Lächeln: »Ja.«

»Na, schön! 'n Geheimnis bist du ja selbst ziemlich lange gewesen und 'n gut bewahrtes,« fuhr der alte Mann fort.

»Dein Mann is' woll recht stolz? Is' woll orndtlich stolz, was? Wird woll aus 'ner vornehmen Familie sein, nehm ich an. Is' er aus 'ner vornehmen Familie? Mocht' er das denn gern, daß du dich wie so 'n Putzmamsell aufwertest, un' in die Stadt kamst un' mich aufsuchtest?«

Dahlia dachte nicht an Verstellung und Vorsicht. »Das war ihm einerlei.«

»So, das war ihm einerlei? Na, un' daß du dein Haar so abschnittst, das 's ihm auch woll einerlei? Was? Is' ihm das auch einerlei?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein!«

Anton schoß wie ein Habicht auf sie herab.

»Was denn? Er 's doch auf Reisen!«

»Ja, ich mein' nur, er hat mich ja nicht gesehen.«

Damit war sie ihm für den Augenblick entschlüpft; aber ihr Herz schlug laut, ihre Lippen waren trocken, und ihre Gedanken verwirrten sich.

»So, das weiß er denn also nich', daß du dich so hast abrasieren lassen, un' 'n Schädel hast wie 'n Stiftekopf von 'nem Dieb? So, das soll er also erst noch wissen, was?«

Das Bild ihrer verblühten Schönheit versengte ihre Augen wie heißes Metall. Mit einer festen Hand ergriff sie Antons Arm, um ihn zum Schweigen zu bringen, mit der andern bedeckte sie ihre Augen, bis der Weinkrampf vorüber war.

Als die Tränen versiegt waren, ließ sie den Griff, mit dem sie den erstaunten alten Mann, der sich über den Tisch zu ihr hinübergelehnt hatte, gepackt hatte, fahren. Als habe der Geist, der von ihr ausging, mit diesem Griff die Herrschaft über ihn erlangt, flüsterte er, wie einer, der unter dem Druck eines Geheimnisses steht, ihr zu: »Dem alten Bauern geht's gut, un' Rhoda, mein' dunklen Deern, auch. 'n büschen mitgenommen hat es sie ja. Un' denn haben sie's mit der Religion gekriegt, zum Trost. Der alte Bauer geht nu' immer nach die Methodisten-Versammlungen un' wirft mit Bibelsprüchen um sich, a's wär er 'ne Pumpe, die auf die Schrift aufgeschraubt is', un' a's könnt' er gar nich' anners atmen, a's mit 'n Bibelspruch. Rhoda, die 's meist immer mit 'n Pastor seine Frau, un' geht bei die Armen un' Kranken zu pflegen, und liest ihnen vor – na, un' das Predigen, das besorgt der alte Bauer. Un' die alte Mutter Sumfit is' noch immer gerad' so fett wie sonst un' sagt, ihr Geld, das 's für dich. Un' der alte Mas' Gammon, der ißt immerlos seine Klöße weiter, 'n komischer alter Kerl is' er. Kommt mir immer so vor, a's wenn der aus 'ner Zeit war', wo's noch kein Geld gab. Der Mr. Robert, der 's weg ... is' nich' wieder hingekommen, seit er wegging, damals, weil mein' dunkle Deern sich zu gut für ihn dünkte. Un' das is' sie auch – die 's zu gut für jeden. Sie woll'n von 'n Hof weg, woll' 'n verkaufen un' nach London ziehen.«

»O nein!« rief Dahlia aus, »nicht den alten lieben Hof verkaufen! und die Dorfstraße und die alten Eichen, an denen vorbei es in die Heide geht. Das woll'n sie doch nicht? Vater wird sich so dahin zurücksehnen. Und Rhoda wird so traurig sein. Kein anderer Platz kann ihnen je sein, was ihnen der Hof war! Ich hab' ihn auch lieber als irgendeinen Platz auf der Welt.«

»Das 's ja komisch,« sagte Anton. »Warum gehst da denn nich' mal hin oder läßt deinen Mann dich da mal hinbringen, wenn du den Hof so rasend gern hast. Aber ›komisch‹, das 's immer dein Fall! Die Sache is' die – nu' hör' mal gut zu! Hör' zu – still! Ich will das nich' so laut rufen. Bist doch 'ne vernünftige Deern, un' du weißt nicht, – das heißt, du verstehst das nicht – der alte Bauer, dem is' das ungemütlich –«

»Aber ich hab' ihm doch nie geholfen, als ich noch dort war,« sagte Dahlia, die plötzlich, als erriete sie, was er sagen wollte, mit einem sichtlichen Zittern zusammenfuhr. »Ich war ja gar nichts nütze. Ich hab' ihm nie geholfen, – gar nicht. Ich war nichts wert, gar nichts!«

Anton zwinkerte mit den Augen, er wußte gar nicht recht, wie ihm war, daß er so ganz von seinem Wege abgekommen war. Er fing in seinem umständlichen Zartgefühl noch einmal an: »Na, das is' einerlei, aber der alte Bauer, der fühlt das, er mag da nun Hilfe von gehabt haben oder nich', – und das is' auch ganz natürlich. Man hat doch sein Gefühl, als Vater und auch als Mensch, un' was der alte Bauer fühlt, das is' –«

»Aber Rhoda ist Vater immer mehr gewesen als ich,« rief Dahlia, die jetzt mit dem Mut der Verzweiflung weiter redete, um ihrem Onkel die Stange zu halten und seine Rede abzulenken und zu hindern, daß er das eine Schreckliche sage, das sie fürchtete: »Rhoda war ihm alles. Mutter hielt vielleicht was von mir, – meine Mutter!«

Ihre lange, schmale Unterlippe bildete eine scharfe Linie in ihrem Bemühen, neue Tränen zurückzuhalten, und sie hielt im Sprechen inne.

»Das 's' alles ganz schön mit Rhoda,« sagte Anton, »mir is' sie auch alles.«

»Jeder, jeder hat sie lieb!« stimmte ihm Dahlia bei.

»Das laß sie man, so lange ihr nur keiner was zuleide tut,« bemerkte Anton. Er hatte seine besonderen Gedanken, als er das sagte, und seine Phantasie malte ihm denselben weiter aus. Es dauerte eine Weile, ehe er seinen Angriff erneuerte.

»Die Nachbarn haben natürlich immer was zu schnacken. Aber das wirst du ja auch wissen.«

»Ich höre nie darauf hin,« sagte Dahlia, und es war ihr, als stände sie nackt da, und als müsse der Streich, den sie kommen sah, jeden Augenblick auf sie niedersausen.

»Nein, in London kann man das wohl; aber auf dem Lande, da is' das anders, un' wenn 'n Mann von sein'n Kind hört – ›Das 's doch komisch!‹ un' ›Immer so wegzubleiben!‹ un' ›Was mag wohl mit ihr los sein?‹ im' so was Ähnliches, das nimmt ihn doch bös' mit.«

Dahlia verschluckte eine Antwort, als höre sie das in vollkommener Gemütsruhe und sähe nicht die geringste Anzüglichkeit in Antons Worten, die ihr gelten könne.

Aber sie sagte zerstreut: »Mein lieber Vater!« und damit gab sie Anton einen neuen Ausgangspunkt.

»Das is' es ja. Du hast ihn ja sicher lieb. Hast den alten Bauer lieb, der dein Vater is'. Was willst' da denn nich' 'mal hingehen ins Dorf, un' ihnen das zeigen. Ich hab' mein' Vater lieb, sagst du. Ich kann mein'n Mann mitbringen oder nich' mitbringen, scheinst du zu sagen, aber ich bin da un' will mein'n Vater besuchen. Willst du morgen mit mir hinfahren?«

»O!« Dahlia fuhr zusammen, und jede Spur der Verteidigung ging in einem Aufstöhnen unter: »Ich kann nicht, ich kann nicht!«

»Also du kannst nich',« sagte Anton, »du gibst zu, du kannst nich', das 's denn auch wohl der Grund, weswegen dein Vater so schwermütig is'. Er hört das ja doch, was die Nachbarn schnacken, un' so ab un' an, kommt ihm doch was davon zu Ohren, – wenn so jeder fragt: ›Wo 's ihr Mann?‹ un' sie darauf antworten: ›Sie hat wohl gar kein'n‹ – denn 's am Ende ganz natürlich, daß er aus 'n Dorf weg geht. Ich kann ihm da ja nichts von sagen, wie du weggegangen bist, und wer der Mann ist, der Glückliche oder der Unglückliche. Du gingst eines Morgens ganz plötzlich davon, hattest mir noch 'n Kuß gegeben nach 'n Frühstück, – un' denn – keine Dahly mehr zu sehen. Un' er hat so 'ne Ahnung, – mehr, a's so 'ne Ahnung hat er. Der Hof ist zum Verkauf ausgeschrieben. Der alte Bauer denkt, ich bin 'n schlechten Bruder, daß ich 'n nich' kauf, un' ich kann ihm das nich' begreiflich machen, daß ich doch nichts von 'n Land versteh'; mir kommt das so vor, a's wenn ich mir für Goldstücke Lehmklumpen vertauschen wollt', un' das 's nich' nach mein 'n Geschmack. Na, das Kurze und Lange von der Sache is' – die Leute da unten in Wrexby un' da 'rum sagen, du bist gar nich' verheiratet. Un' er hat da keine Antwort auf, das 'n grausame Sache zu hören, un' is' noch viel grausamer zu denken: er hat da keine Antwort auf, der arme alte Bauer! un' so muß er 'rein in 'ne Verbannung. Der Hof is' zum Verkauf ausgeschrieben.«

Anton trat mit dem Fuß auf den Boden, als wollte er damit sagen: »Die Sache ist abgemacht!«

»Zu sagen, ich sei nicht verheiratet!« sagte Dahlia, und ein glühendes Rot flog über ihr Gesicht. »Sie sagen, ich wär' nicht verheiratet – und das bin ich doch, ich bin verheiratet. Es ist grausam von Vater, darauf zu hören, – auf solche schlechten Menschen, gemeine, schlechte Menschen! Ich bin verheiratet, Onkel! Sag' Vater das' und laß ihn nicht den Hof verkaufen! Sag' ihm, ich hätte dir gesagt, ich wäre verheiratet. Ich bin eine ehrbare Frau. Ich hab' nur eben ein wenig Sorgen, das haben doch and're auch sicher mitunter. Das haben wir alle. Sag' Vater, er soll nicht weggehen. Es bricht mir das Herz. O, Onkel, sag' ihm das von mir!«

Dahlia zog ihr Tuch fester um sich und griff mit unsicherer Hand nach ihren Hutbändern, mit einer Bewegung, als habe die Hand ihrer Bestimmung vergessen. Sie konnte nichts mehr sagen. Sie konnte nur die Augen auf ihren Onkel heften, um die Wirkung dessen, was sie gesagt, zu beobachten.

Anton nickte ins Leere. Er hatte die Brauen in die Höhe gezogen und ließ sie nicht sinken. »Ja, siehst du, dein Vater wünscht 'ne Sicherheit, er verlangt Tatsachen. Die sind leicht zu geben, wenn du sie geben kannst. Ja, richtig, 'n Trauring am Finger hast du ja. Richtiges Gold – und, großer Gott, was sind deine Finger mager geworden, Dahly. Wenn du 'ne Sünderin bist, bist du jedenfalls 'n magere jetzt, und so schlecht kommst du mir nich' vor. Ich klag' dich nich' an, mein liebes Kind. Ich möcht' vielleicht ganz gern 'mal deines Mannes Bankbuch sehen. Aber was deinem Vater zu Ohren kommt, das is' – daß du auf 'n schlechten Weg gekommen bist.«

Dahlia lächelte, als wolle sie in diesem Lächeln ihre ganze erheuchelte Verachtung zusammenfassen.

»Und dein Vater hält es für wahr.«

Sie lächelte in einem ebenso erheuchelten, traurigen Mitleid.

»Und er sagt dies: ›Beweise!‹ sagt er, ›ich will nur 'n Beweis, daß sie 'ne ehrbare Frau ist. Er verlangt, daß du dich von dem Verdacht reinigen sollst. Er sagt: ›Es is' hart für 'n alten Mann,‹ das sind seine Worte, – ›es is‹ hart für 'n alten Mann, wenn er hört, daß man seine Tochter 'ne –«

Anton schlug sich mit der Hand fest auf den offenen Mund.

Es lag ihm fern, absichtlich grausam zu sein, und Dahlias erster Impuls, als sie wieder zu Atem gekommen war, war der, ihm freundlich zuzusprechen. Sie nahm seine Hand. »Der liebe Vater! der liebe, liebe Vater!« sagte sie immer wieder.

»Rhoda glaubt es nich',« versicherte Anton sie.

»Nein?« und Dahlias Brust hob sich jauchzend, – aber es tat nur um so weher.

»Rhoda versichert, du wärest verheiratet. Zu hören, wie die Deern für dich kämpft, – da 's in ganz Wrexby kein einziger, der es wagen würde, auch nur 'ne Andeutung von so 'was zu machen, auf 'ne Meile Entfernung hin von ihr.«

»Meine Rhoda! meine Schwester!« stieß Dahlia heraus, und Tränen überströmten rückhaltlos ihre Wangen.

Vergebens bemühte sich Anton, sie zu trösten, indem er die Tasse Tee und den Teller mit Brötchen zu ihr emporhob. Sein Zuspruch und seine Beruhigungsversuche waren lauter als ihr Weinen. Außerstande, einer solchen Beteuerung ihrer Unschuld zu widerstehen, sagte er: »Und ich glaube es auch nicht.«

Sie drückte ihm krampfhaft die Hand und bat ihn, zu zahlen, auf welches Zeichen ihrer anscheinenden Mittellosigkeit hin Anton sich nicht enthalten konnte zu murmeln: »Wenn ich auch nicht herauskriegen kann, wie sich die Sache mit deinem Manne verhält, und wie er dich so hat abrasieren lassen können, – na, vielleicht kann er da ja nichts für! – aber warum er dich so wie 'ne Putzmamsell 'rumlaufen läßt und dir nicht mal 'ne Droschke leisten kann. Is' er sehr arm?«

Sie neigte den Kopf.

» Arm

»Er ist sehr arm.«

»Is' er denn 'nen vornehmen Herrn oder nich'?«

Dahlia schien wiederum der Verzweiflung nahe.

»Na, ich kann's mir denken,« sagte Anton. »Er geht 'rum und versucht dir einzureden, daß er einer ist, un' nu' hast du 'rausgefunden, daß das nich' so is', nicht? Dann könnt' ich mir dein komisches Wesen ja noch so ziemlich erklären. War's der Mensch, mit dem dich diese Wicklow gesehen hat?«

Dahlia schüttelte heftig verneinend den Kopf.

»Denn hab' ich wohl richtig geraten, denn is' es keinen richtigen Herrn, – was, Dahly? Brauchst ja bloß immer zu nicken, wenn das lieber machst. Ach was, die Leute im Laden! Denen 's das ganz egal! Wir sind anständige Leute, un' das 's alles, was sie was angeht. Also, sag' mal Dahly, 'n richtigen Herrn is' er nich'? Brauchst bloß ja oder nein zu sagen oder mit 'n Kopf zu nicken. Dacht'st, du hätt'st dir 'n feinen Herrn gekapert, un' nachher war's gar keiner. Ja, die feinen Herren, die sind nich' so leicht zu kapern! Die sind alle zu Schule gegangen, un' da sind sie so gerissen von! Na also, – 'n feinen Herrn is' er nich.«

Dahlias Stimme klang wie aus schwerem, innerem Kampf heraus, als käme sie aus dem Grabe hervor: »Nein,« sagte sie.

»Kannst mir ihn denn nich' mal zeigen? Laß mich ihn mal seh'n.«

Von einer elenden Empfindung zur andern gestoßen, kämpfte sie wiederum mit sich, dann sagte sie mit der gleichen hohlklingenden Stimme: »Ja«

»Willst du's wirklich?«

»Ja.«

»Sehen un' glauben, das is' eins. Wenn du mir ihn zeigen willst oder mich ihm –«

»Ach, sprich doch nicht so!« Dahlia schlang ihre Finger krampfhaft ineinander.

»Bloß sehen möcht' ich ihn, mein' Deern! Wo wohnt er denn ungefähr?«

»Da unten, ganz da unten, ganz, ganz im Westen.«

Anton starrte sie an.

Als Antwort auf diesen Blick wiederholte sie: »Im Westen Londons, ganz, ganz weit im Westen.«

»Da wohnt er?«

»Ja.«

»Ich dachte – hm!« fuhr der alte Mann argwöhnisch fort. »Wann soll ich ihn denn sehen? Gelegentlich?«

»Ja, gelegentlich.«

»Sagte ich nicht Sonntag

» Nächsten Sonntag?« Dahlia stieß einen halb unterdrückten Schrei aus.

»Ja, nächsten Sonntag. Übermorgen. Un' morgen schreib' ich dem alten Bauer, daß er sich die Sache man nich' so zu Herzen nehmen soll, un' Rhoda wird ganz stolz auf dich sein. Ob's 'n feinen Herrn is' oder nich', das is' der ganz egal. Un' den alten Bauern auch! Wenn das man bloß 'n ehrbares Leben un' Sterben is' un' keine Schande auf Vater und Mutter bringt. In so'n Sachen is' das Altmodische immer noch die beste Mode, mein' ich. Komm also Sonntag, da bringst mir deinen Mann mal in meine Wohnung, wenn du das lieber nich' willst, daß ich zu euch hingeh'. Sag' man bloß, was du lieber magst.«

»Nicht nächsten Sonntag. Den Sonntag darauf,« flehte Dahlia. »Augenblicklich ist er nicht hier.«

»Wo 's er denn hin?«

»Er ist auf einem Gut.«

Anton fuhr scharf auf sie los, wie schon einmal.

»Du sagtest doch, er wär' im Ausland.«

»Ja, im Ausland, auf einem Gut. Nicht – nicht in 'ner großen Stadt, mein' ich. Ich könnte ihm deine Wünsche nicht mitteilen.«

Ihre Augen wichen scheu zur Seite, während sie diese kaltblütige Erwiderung abgab, und sie erhob sich, während sie dieselbe aussprach, doch wollten ihre Beine sie kaum tragen, denn während der eben verflossenen Stunde hatte sie die schärfste Prüfung ihres Lebens durchgemacht und sich ein für allemal für den Weg entschieden, den sie einschlagen wollte. Anton war dem gegenüber völlig ahnungslos, seine Unfähigkeit, zu ergründen, worin und inwieweit sie ihn getäuscht hatte, führte ihn gänzlich irre, aber er hatte sämtliche Butterbröte auf dem Teller verzehrt, und entnahm aus ihrem Aufstehen, daß sie nicht die Absicht habe, weitere zu bestellen, was immerhin angenehm war. Ohne abzusetzen trank er ihre Tasse Tee aus.

Die Kellnerin nannte die zu entrichtende Summe und beschleunigte, nachdem ihr in Erwiderung ihres erwartungsvollen Aufschauens, nachdem der Betrag auf den Tisch gelegt worden war, nichts als ein nachdenklicher Blick geworden, ihren Abzug aus dem Lokal dadurch, daß sie ihnen die Tür öffnete.

»Wenn ich überhaupt Pfennige zu verschenken hätte, würde ich sie dir schenken,« sagte Anton, sobald er außer Hörweite war. »Darin einen Mann nach seinem Gesichtsausdruck zu taxieren, seid ihr Frauen den Männern über. ›Du bist 'n ehrlicher Kerl,‹ sagte sie, ›'n respektabler Kerl, – aber 'n Verschwender bist du nicht.‹ Das ist es, was sie so ohne Worte sagt, wenn sie den Menschen durchschauen kann. So, Dahly, mein Deern, nu' nimm man meinen Arm. Häng' dich man ornd'tlich ein. Wir woll'n nach 'n Westen. Weißt noch, der alte Bauer, der sagt immer: › noch 'n Westen‹. Also ›noch 'n Westen!‹. Ich kann's mir leisten, über die vornehmen Häuser da zu lachen.

»Wo 's der Grund davon, wenn sie fest und solide sind. Na, in der City!

»Ich will dich 'mal beim Haus von unserm Chef vorbeiführen. Du weißt doch, Dahly, oder weißt du's nicht? daß wir erst seinen Neffen in Verdacht hatten? Weil wir den mit dir ins Theater sahen.

»Ich hab' ihn nicht in Verdacht gehabt. Ich wußte, daß er bloß irgendwie per Zufall da mit zwischen kam. Un' ich hab' auch gesehen, was du da an hattest. Kein Wunder, daß dein Mann arm is'. Er wollte, daß du da auffallen solltest wie eine von den Allerschönsten, un' das 's grade so bös' wie Droschken, das ruiniert 'n Mann. Ja, ja!«

Anton lachte, aber ohne zu offenbaren, was ihm plötzlich aufgefallen sei.

»Sir William Blancoves Haus, das 's 'n ganz nobles Haus. Bin da 'mal drin gewesen. Er wohnt in der Bibliothek. All die anderen Zimmer – wenn man da 'rein kommt, wie in 'n Erbbegräbnis is' es da. Ich will verdammt sein, wenn er seinen Sohn dazu kriegen kann, da bei ihm zu wohnen, un' dabei steh'n sie sich ganz gut, un' alles Geld kriegt er auch 'mal un' kommt ins Parlament un' wird da sicher 'ne Rolle spielen, – da brauch' man gar nich' bange um zu sein.

» Übrigens, Robert hab' ich auch geseh'n. Er hat mich in der Bank aufgesucht. Fragte nach dir.

»›Sie gesehen?‹ sagte er.

»›Nein‹, sag' ich.

»›Mr. Edward Blancove kürzlich hier geseh'n?‹ sagt er.«

»Ich sagte, ich hätte gehört, Mr. Edward Blancove reiste auf 'n Kontinent. Und damit ging Robert weg. Er meint, du wärst gar nich' in England, weil 'n Polizist, mit den er gesprochen hat, dich nirgends finden kann.

»›Komm‹, sag' ich, ›den Polizisten, denen wollen wir man die Diebe überlassen, was willst du die 'rankriegen, daß sie 'n armen Ding von Frauenzimmer auflauern‹.

»Er 's ganz auseinander über Rhoda. Die könnt' auch wirklich was Dümmeres tun, als ihn nehmen. Aber ich glaub', er hat auch nich' für 'n Groschen Aussicht nu', wo sie das mit der Religion gekriegt hat, wenn er auch der sanftmütigste Kerl is, den ich kenn'. Ich hab' ganz vergessen, aus ihm 'rauszukriegen, was er von Mr. Edward wollte. Das hab' ich ja gesagt, nich'? daß Mr. Algernon da nix mit zu tun hat? Nich'? Wie bist du bloß mit ihn ins Theater gekommen?«

Dahlia sprach mit heiserem Ton. »Er hatte mich gesehen. Er kannte mich von zu Hause her. Es war ganz zufällig.«

»Na ja, ganz wie ich's Robert sagte. Un' er sah's auch ein. Ja, das 'n verständigen jungen Mann. Na, un' dein Mann, der wollte das nich' haben, daß du nach uns hinkommen solltest, – ja, warum wollt' er das doch bloß nich'? Wie war das doch?«

Dahlia hatte auf der Zunge zu sagen: »Weil er ärmer war, als ich dachte«, aber die Fülle ihres Jammers bäumte sich gegen die Erbärmlichkeit dieser Lüge auf. »O, um Gottes Willen, Onkel, laß mich doch damit in Frieden!«

Der alte Mann murmelte: »Ja, ja!« und fand es natürlich, daß sie Andeutungen hierüber nicht liebte.

Sie passierten eine der Brücken, Dahlia blieb plötzlich stehen und sagte: »Gib mir einen Kuß, Onkel.«

»Ich schenier mich nich',« sagte Anton.

Nachdem es geschehen, bestand sie darauf, daß er sie nun nicht weiter begleite.

Anton nahm ihr, als einer verheirateten Frau, ihr Ehrenwort ab, daß sie ihren Mann am nächsten Sonntag um drei nach eben diesem Fleck, wo sie standen, hinbringen wollte. Sie versprach es.

»Ich will dem alten Bauer gleich schreiben – kost't 'n Groschen,« sagte Anton, um zu beweisen, daß er die Ausgabe wohl erwogen habe und bereit sei, sie auf sich zu nehmen.

»Und Onkel,« nun formulierte sie ihrerseits ihre Bedingungen – »sie sollen mich einstweilen noch nicht sehen. Sehr bald, aber noch nicht. Halte Wort und komm' allein, sonst ist es deine Schuld – sonst komm' ich nicht. Also denk' daran. Und bitte sie, die Farm nicht zu verlassen. Das wäre Vaters Tod. Kannst du« – in ihre Stimme kam der alte, süße Klang von früher, als sie das sagte – »kannst du sie denn nicht kaufen Onkel, und sie Vater in Pacht geben? Er würde sicher regelmäßig bezahlen.«

Anton zuckte ärgerlich die Achseln.

»Adieu, Dahly. Sei du man 'n gute Deern, un' denn läuft sich schon allens zurecht. Der alte Bauer hat das jetzt mit 'n Beten gekriegt. Wenn die Geschichte nich' so was verflucht Düsteres an sich hätte, denn könnte ich auch noch dazu kommen. Aber du solltest es 'mal versuchen. Versuch 's man 'mal, Dahly. Bet' 'n büschen jeden Abend.«

»Ich bete jeden Abend,« sagte Dahlia.

Ihr Blick resignierter Verzweiflung ging Anton auf seinem ganzen Heimwege nach.

Er schrieb ihre Traurigkeit dem Mangel an Geld zu, und noch einmal begann der fürchterliche Kampf mit dem Dämon des Geldes sich in ihm zu regen.


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