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Kapitel XXXII. La question d'argent

Da Squire Blancove in der Stadt zu tun hatte, sprach er auf der Bank bei seinem Bruder vor und fragte, ob »Baron William« zu Hause sei, wobei er einen sarkastischen Nachdruck auf den Titel legte, der für ihn einen Beigeschmack nach Handel hatte. Baron William lud ihn ein, in seinem Hause zu dinieren und zu übernachten.

»Du wirst Mrs. Lovell und einen Major Waring, einen Freund von ihr, treffen, der sie und ihren Mann in Indien gekannt hat,« sagte der Baron.

»Teufel noch mal, natürlich will ich!« war des Squires Antwort, und mit einem maliziösen Lächeln nahm er die Einladung an.

Wo der Squire zu Mittag aß, da trank er auch, allen Damen und allen Mäßigkeitsvereinen, denen man neuerdings mit so viel Unterwürfigkeit zu begegnen anfing, zum Trotz. Das war allgemein bekannt. So erlaubte man Major Waring, nachdem Rotwein und Portwein ein paarmal die Runde gemacht hatten, Mrs. Lovell zu folgen, und der Squire und sein Bruder blieben zu einem behaglichen Zwiegespräch sitzen, wobei zunächst das Thema der Gicht aufs Tapet kam. Baron William hatte vor kurzem einen leichten Anflug dieses Familienleidens empfunden und sprach in Ausdrücken davon, welche in dem Gutsherrn ein gewisses brüderliches Gefühl rege machten. Hierauf kamen sie auf das Gebiet der Politik, auf welchem ihre Ansichten auseinandergingen. Eine Wendung des Gesprächs zu einer Unterhaltung über ihre Söhne heilte diesen Bruch wieder. Der Squire wußte sehr wohl, daß sein Sohn ein Taugenichts sei.

»Du wirst nie irgend etwas mit ihm erreichen,« sagte er.

»Schwerlich,« gab Baron William zu.

»Hab' ich dir das nicht gleich gesagt?«

»Das hast du. Aber die Frage ist die, was gedenkst du mit ihm zu machen?«

»Ich werde ihn wohl nach Jericho schicken und ihn wilde Esel zureiten lassen. Das ist das einzige, wozu er sich vielleicht eignen mag.«

Das überlegene Wohlwollen, das Baron Williams Lächeln zum Ausdruck brachte, erregte des Gutsherrn Aufmerksamkeit.

»Was für Absichten hast du mit Ned?«

»Ich hoffe, ihn zu verheiraten, ehe das Jahr um ist,« war die Antwort.

»Mit der Witwe?«

»Der Witwe?« Baron William runzelte die Brauen.

»Mrs. Lovell meine ich.«

»Wie kommst du darauf?«

»Nun, Ned hat ihr ja einen Antrag gemacht. Weißt du das nicht?«

»Davon weiß ich nichts.«

»Glaubst es auch nicht? Aber die Sache steht fest. Er wartet nur augenblicklich, drüben in Paris, ab, daß er mit heiler Haut aus einer Unannehmlichkeit herauskommt, – du entsinnst dich wohl dessen, was ich dir in Fairly sagte? – und dann wird Mrs. Lovell ihn nehmen, wenigstens denkt er das. Aber, weiß der Himmel, mir scheint dieser Major Waring, den du da eingeladen hast, versteht sich auf Weiberröcke und weiß seine Ernte unter Dach zu kriegen, solange der Feind abwesend ist.«

»Ich glaube, du bist hinsichtlich beider völlig im Irrtum,« bemerkte Baron William.

»Warum meinst du das?«

»Ich habe Edwards Wort.«

»Lügen ist ihm etwas so Natürliches, wie dem kleinen Kinde Saugen.«

»Da muß ich doch bitten! Du sprichst von meinem Sohne.«

»Gewiß. Und ich trinke deinen Portwein, und darum will ich nicht mehr sagen.«

Der Squire leerte sein Glas, und Baron William trommelte auf dem Tische.

»Na, mein Windhund hat bereits seinen Namen,« nahm der Gutsbesitzer das Gespräch wieder auf. »Ich bin nicht ehrgeizig, was ihn betrifft. Du bist es ja entschieden für deinen Sohn, und du mußt ihn ja kennen. Mag er nun verschwenden oder nicht. Die Frage ist nicht die, ob er sich in Schulden stürzt, sondern, ob er mit dem, was er ausgibt, Unheil anrichtet. Wenn Algernon ein leichter Vogel ist, so hat Ned ein bißchen von einer Schlange; verdammt gescheit, zweifellos. Ich nehme an, du würdest schwerlich damit einverstanden sein, wenn er des alten Flemings Tochter heiratete.«

»Wer ist Fleming?« donnerte Baron William heraus.

»Fleming ist des Mädchens Vater. Er tut mir recht leid. Er verkauft seinen Hof – ein Grundstück, auf das ich seit Jahren ein Auge geworfen habe, so kommt mir die Sache nur sehr gelegen, aber ich sehe nicht gern einen Mann, wie ihn, auf diese Weise zusammenbrechen. Algy ist ein leichter Vogel, wie ich schon sagte. Aber ich möcht' mich doch gleich begraben lassen, wenn ich mir vorstellen würde, er könnte wie Ned gehandelt haben. Wenn er es getan hätte, würde ich ihn gezwungen haben, das Mädel zu heiraten, und würde sie beide sofort außer Landes befördert haben, damit sie anderswo ihr Glück versuchten.

»Du bist stolz, ich bin praktisch. Nicht, als ob ich von dir etwas Ähnliches erwarten würde. Ich bin augenblicklich in London, um Geld aufzunehmen und den Hof, Queen Annes Farm, zu kaufen. Ich sehe, daß er zum Verkauf ausgeschrieben ist. Unter der Hand will Fleming ihn mir nicht verkaufen, weil ich den Namen Blancove trage und der Vater meines Sohnes bin, und er Algy für den Verführer hält. Warum? Er hat Algy mit dieser seiner Tochter in London im Theater gesehen, – schließlich waren wir ja alle mal jung! – und der Schlingel nahm Neds Kreuz auf seine Schultern. So muß ich mit anderen Käufern auf den Hof bieten und höchstwahrscheinlich infolgedessen das Grundstück ein paar hundert Pfund höher bezahlen. Glaubst du jetzt, was ich dir sage?«

»Kein einziges Wort,« erwiderte Baron William liebenswürdig.

Der Squire ergriff die Karaffe und goß in heller Wut ein Glas hinunter.

»Ich weiß es von Algy.«

»Das würde mich um so weniger veranlassen, der Sache Glauben zu schenken.«

»Hm!« der Squire runzelte die Stirn. »Ich kann dir sagen, – ein Windhund ist er, – aber immerhin ist's 'ne verteufelt harte Sache, von seinem eigenen Fleisch und Blut so mißachtend sprechen zu hören. Sieh mal her: Die beiden geben sich nichts nach. Einer von ihnen hat ein Mädchen zum Narren gehalten. Mein Schlingel kann es nicht gewesen sein – einen Augenblick, bitte! – er ist nicht der Mann, denn ihn würde das Mädchen unbedingt zum Narren gehalten haben, das steht fest. Er ist ein gutmütiger Gesell. Er würde auf 'nen Spatzen zielen und sich freuen, wenn er vorbeischösse. Das ist ganz er. Er war immer, was man so einen guten Jungen nennt. Ich pflegte zu seiner lieben Mutter zu sagen: ›Wenn du aufhören wirst, für ihn zu denken, wird er dem ersten besten pfiffigen Gesellen in die Hände fallen, und das heißt so viel wie, er wird zum Teufel gehen.‹ Und so ist es auch gekommen. Aber da steckt der Unterschied: er geht selber, – er läßt nicht jemand anders an seiner statt gehen. Ich will dir was sagen: wenn du von Mr. Neds sauberen Streichen nichts weißt, ist es hohe Zeit, du erfährst einmal etwas davon. Und du müßtest darauf dringen, daß er das Mädchen heiratet und mit ihr nach Neu-Seeland oder sonst nach irgendeinem gottvergessenen Ort auswandert, wo er damit anfangen kann, eine kleine Farm zu bewirtschaften und mit seinen Fähigkeiten bald genug überall Hahn im Korbe sein wird. Am Ende schreibt er uns dann noch mal einen Brief, um uns die Mitteilung zu machen, er ziehe es vor, sich von seinem Vaterlande loszusagen und eine Republik zu gründen. Er hat ja die gleichen politischen Anschauungen wie du. O, er wird sich ja hier gut genug machen, selbstredend! Er ist gerade der Mann, seinen Weg gut zu machen. Klopf an, wo du willst, er ist hart wie Stahl, und was er einmal festhält, das läßt er nicht wieder fahren. Als ich hierüber in Fairly, wo irgendein alter Liebhaber des Mädchens den armen Pechvogel von Algy für ihn hielt und wie ein Wahnsinniger auf ihn loshaute, mit dir sprach, wolltest du nichts davon wissen.«

»Nein,« sagte Baron William, »nein, das wollt' ich nicht. Und jetzt will ich es ebensowenig. Übrigens –«, fügte er sanfter hinzu, »zuhören tu ich ja.«

»Kannst du mir sagen, was er tat, als er nach Italien ging?«

»Er ging zum Teil auf meine Anregung dahin.«

»Ja, er weiß dich um den kleinen Finger zu wickeln! Mit seinem Mädel ist er dagewesen; er wollte sie bilden oder irgendeinen derartigen Blödsinn. Das war es, was Mr. Ned da zu suchen hatte. Wahrhaftig, um des alten Flemings willen tut mir die Geschichte leid. Ich höre, er soll sich die Sache sehr zu Herzen nehmen. Er ist ganz daran zusammengebrochen. Na, wenn sich die Sache nun wirklich so verhalten sollte, daß Ned derjenige ist, würdest du ihn dazu zwingen, das Mädel wieder ehrlich zu machen, indem er es heiratete? Das würdest du nicht tun!«

»Dir ist augenscheinlich der Grundsatz unbekannt, daß es ratsam sein dürfte, eine Hypothese auf ihre Richtigkeit hin zu prüfen, ehe man sie als entscheidendes Moment benutzt,« bemerkte Baron William, nachdem er ein mildes Lächeln über den Squire hatte hingleiten lassen, der sich gegen die frostige Verstandessphäre seines Bruders zu schützen suchte, indem er trank.

Sir William hatte in dem stolzen Bewußtsein seiner intellektuellen Überlegenheit von den gegen seinen Sohn erhobenen Vorwürfen so gut wie nichts in sich aufgenommen.

»Nun,« sagte der Gutsherr, »du magst ja in diesen Dingen denken und tun, was du Lust hast, mir soll's gleich sein. Du bist befriedigt, das liegt klar zutage, und ich bin um einige hundert Pfund ärmer geworden. Dieser Major macht der Witwe also den Hof, nicht wahr?«

»Das kann ich nicht behaupten.«

»Es wäre recht gut, wenn sie heiratete.«

»Ich würde mich freuen.«

»Ich meine, für sie wäre es recht gut.«

»Ich hoffe, für ihn wäre es auch gut.«

»Ja, – wenn er ihre Schulden bezahlen kann.«

Baron William schwieg und nippte von seinem Wein.

»Und wenn er die Zügel fest in der Hand zu halten vermag. Denn das wird nötig sein,« sagte der Squire.

Der Herr, dem man solcherart seinen Weg zum Glück vorzuzeichnen bemüht war, stand im Wohnzimmer neben Mrs. Lovells Stuhl. Er hielt einen Brief in der Hand, nach welchem die ihre sich bittend ausstreckte.

»Ich weiß, daß Sie die Wahrheit in Person sind, Percy,« sagte sie gerade.

»Das kommt nicht in Betracht. Vielmehr ist die Frage die, ob Sie die Wahrheit zu ertragen vermögen.«

»Sollte ich das nicht können? Wer möchte ohne Wahrheit leben?«

»Ich bitte um Verzeihung, hier handelt es sich um mehr. Sie behaupten, diesen meinen Freund zu bewundern, und das tun Sie auch zweifellos. Geben Sie wohl acht, ich werde Ihnen den Brief geben. Einstweilen möchte ich nur, daß Sie sich fragen, ob es Ihnen gefällt, daß ich einen Mann in Robert Eccles' Lebensphäre zu meinem Vertrauten mache, ob Sie das natürlich und berechtigt dünkt? Bitte, antworten Sie mir darauf.«

»Berechtigt finde ich es durchaus,« sagte Mrs. Lovell. »Ob natürlich? Ja, natürlich auch, wenn schon außergewöhnlich. Exzentrisch ist es, was nichts anderes bedeutet als hors du commun, und was natürlich sein kann. Es ist natürlich. Ich war davon überzeugt, daß er ein Mensch von vornehmer Gesinnung sei, ehe ich wußte, daß Sie ihn zu Ihrem Freund gemacht hätten. Jetzt bin ich um so sicherer. Und hat er Ihnen nicht das Leben gerettet, Percy?«

»Ich habe Ihnen im voraus gesagt, daß sich der Brief hauptsächlich mit Ihnen beschäftigt.«

»Vergessen Sie, daß ich ein Weib bin, und darum nur um so ungeduldiger danach verlange?«

Major Waring ließ sich den Brief aus der Hand nehmen und stand da wie jemand, der sich einer Prüfung unterzieht oder die Wirkung eines verhängnisvollen Medikaments abwartet.

»Es ist ein zweiter Brief an Sie,« murmelte Mrs. Lovell. »Ich sehe, es ist eine Antwort auf einen Brief von Ihnen.«

Sie las einige Zeilen und blickte dann errötend auf. »Beschuldigt man mich nicht härter, als ich verdiene?«

»Wenn Sie ein solches Unheil einem Manne gegenüber, der ein anderes Weib liebt, anzurichten vermögen, ohne sich etwas dabei zu denken,« sagte Percy.

»Ja,« nickte sie, »ich verstehe Ihre Schlußfolgerung wohl. Aber solche Schlußfolgerungen sind gleich Schatten an der Wand – sie werden von irgendeinem Gegenstand geworfen, aber sie sind nichts anderes als scheußliche Verzerrungen desselben. Aus diesem Grunde haben Sie ein so verkehrtes Urteil über die Frauen. Sie folgern eins aus dem andern und lassen sich von den Schlüssen, die Sie daraus ziehen, leiten.«

Er verneigte sich stumm. Edward würde ihr in einer glänzenden Rede geantwortet und sie selbst veranlaßt haben, allerlei Außergewöhnliches zu sagen, um ihr dann plötzlich, wie in einem blendenden Lichtstrahl zu beweisen, daß sie auf Abwege geraten sei und sie die Kraft und Überlegenheit seines streng-logischen Verstandes fühlen zu lassen. Der Gedanke durchfuhr ihr Hirn. Im nächsten Augenblick wies ihr Herz denselben zurück.

»Percy, als ich um die Erlaubnis bat, einen Blick in diesen Brief zu werfen, hatte ich keine Ahnung davon, eine wie große Auszeichnung es für mich bedeuten würde, wenn Sie es mir gestatteten. Der Brief verrät Ihren Freund.«

»Er verrät noch anderes.«

Mrs. Lovell schlug die Augen nieder und las ohne weitere Zwischenbemerkung.

Der Inhalt des Briefes war der folgende:

»Mein lieber Percy!
Jetzt, wo ich sie Tag für Tag wieder sehe, bin ich schlimmer dran als je, und doch habe ich ein- oder zweimal denken müssen, daß mich Mrs. Lovell kuriert habe. Ich bin eine Art Mensch, der springen würde, um den Gipfel eines Berges zu erreichen. Ich begreife vollkommen, wie weit Mrs. L. allen Frauen der Welt, die ich je gesehen, überlegen ist; aber in dieser Hinsicht kuriert mich Rhoda. Mrs. Lovell macht die Männer toll und glücklich, und Rhoda macht sie verständig und elend. Meine Unterredung mit Rhoda liegt hinter mir. Es ist alles vorbei. Seitdem habe ich ein Gefühl, als wäre ich allein in einem großen Zimmer mit einer einzigen Kerze darin. Sie hat mich nicht angesehen, sie tut nichts, als sich in ihres Vaters Nähe halten, soweit sie dies nur irgend kann, als seine Hand in die ihre nehmen und sie festhalten. Ich sehe, wo der Schlag sie getroffen hat: er hat ihren Stolz tödlich verletzt, und Rhoda ist kaum etwas anderes als Stolz. Ich vermute, unser Plan dünkt sie der beste. Sie hat es nicht gerade gesagt, sie erwähnt ihrer Schwester überhaupt nicht. Sie wird entweder sterben oder in ein Kloster gehen oder einen vornehmen Herrn heiraten. Ich werde sie nie bekommen. Sie wird mir niemals verzeihen, daß ich der Überbringer dieser Nachrichten gewesen bin. Ich schrieb Dir, wie sie errötete, an dem ersten Tag, als ich kam, das geschieht jetzt nie mehr. Nur, daß sie eben die Lippen öffnet. Du erinnerst Dich an Korporal Thwailes? Du hieltst sein Pferd an, als er sich beinah den Fuß abgeklemmt hätte, während er durch das Tor jagte – und an seine Art und Weise, durch die untere Zahnreihe hindurch die Luft einzuziehen, – der arme Kerl litt solche fürchterlichen Schmerzen – gerade so ist es, wenn sie Atem holt. Dann kann sie zuweilen das Aussehen des Weibes haben, das statt der Haare Schlangen hatte. Hierüber zerbreche ich mir den Kopf: wie bringen Du und Mrs. Lovell es nur fertig, über derartige Dinge miteinander zu reden? Zwei Männer, – na, selbst die werden dabei ein wenig verlegen. Meine Ansicht ist die, Frauen – und vor allem Damen, sollten von derart traurigen Dingen überhaupt nie etwas hören. Natürlich meine ich nicht, daß es ihnen schaden könnte, wenn sie es einmal tun. Aber es bringt sie so gänzlich aus der Fassung. Warum sind Damen in derart Dingen weniger eigen, als Mädchen von Rhodas Schlag? (›Weil Schamgefühl eine Tugend ist,‹ kommentierte Mrs. Lovell innerlich.)

Morgen kommt sie mit ihrem Vater zur Stadt. Der Hof ist ruiniert. Der arme alte Mann mußte eine Anleihe bei mir machen, um die Reise zu bezahlen. Glücklicherweise hat Rhoda mit ihrem Zurücklegen von Pennys und Twopence ein bißchen zusammengespart. Die ganze Zeit, seit ich von hier fort bin, ist der Hof in den Händen eines alten Esels gewesen, der ihn nach seiner Manier bewirtschaftet hat. Was im Grund und Boden steckt, das ist einmal drin und kann auch drin bleiben.

Ich lasse das Schreiben sein, ich schreibe ja doch nur Unsinn, und wenn ich noch länger schreibe, werde ich schließlich mit lauter solchen Dingern enden: ›–! –! –!‹ Die Art und Weise, in der Du über Mrs. Lovell schreibst, beweist mir, daß Du Dich nicht in einer ähnlichen Patsche befindest, wie ich, oder sonst sind Herren ebenso grundverschieden von unter ihnen Stehenden, wie Damen von Frauen niederen Standes. Wer weiß? Was bedeutet es, daß Du ›sie nicht einen einzigen Tag verlassen kannst aus Furcht, sie könne anderen Einflüssen anheim fallen‹? Ich muß noch ein paar andere Worte aus Deinem Brief abschreiben. Du sagst: ›Sie ist jedem alles und kann es nicht helfen.‹ Ist das der Fall, so würde ich meine Gelegenheit beim Schopfe und sie selbst um die Taille lassen und ihr sagen, daß ich sie vor anderen unter Schloß und Riegel zu halten gedächte. Freundschaften mit Männern – aber ich kann Freundschaften mit Frauen nicht verstehen, und wenn man sie bewachen muß, um sie auf dem rechten Wege zu halten, was doch am Ende so viel bedeutet wie, daß Du nicht allzu viel auf sie gibst –«

Bei dieser Wendung erhob Mrs. Lovell ihre Augen plötzlich von dem Briefe und gab ihn zurück.

»Sie sprechen recht freimütig mit Ihrem Freunde über mich,« sagte sie.

Percy beugte sich zu ihr herab. »Ich habe Sie gewarnt, als Sie den Wunsch äußerten, den Brief zu lesen.«

»Aber Sie haben ihn gänzlich verwirrt, wie Sie sehen. Es war kaum weise von Ihnen, etwas anderes, als nackte Tatsachen zu schreiben. Männer dieser Gesellschaftsklasse –« Sie unterbrach sich.

»Dieser Gesellschaftsklasse?« sagte er.

»Männer aller Gesellschaftsklassen meinetwegen, – und Sie selber auch – wenn Ihnen irgend jemand etwas Derartiges schriebe, was für einen Schluß würden Sie daraus ziehen? Es ist höchst ungerecht. Ich genieße aus dem Grunde täglich die Ehre, Sie zu sehen, weil Sie mich nicht aus ihrem Sehkreise zu lassen wagen? Was habe ich Unerklärliches an mir? Nimmt es Sie etwa wunder, daß ich offen über betrogene Frauen rede und mein Bestes tue, um ihnen zu helfen?«

»Im Gegenteil, damit erwerben Sie sich meine Hochachtung,« sagte Percy.

»Aber Sie halten mich für eine Drahtpuppe?«

»Vielleicht lieben Sie Drahtpuppen?« Der Ton seiner Frage hatte etwas, das ihr unwillkürlich ein Lächeln entlockte.

»Ich hasse sie,« sagte sie, und ihr Gesicht bekräftigte ihre Worte.

»Aber Sie machen die Menschen dazu.«

»Inwiefern? Sie quälen mich.«

»Wie kann ich den Zauber erklären? Machen Sie mich nicht augenblicklich zu einer Drahtpuppe, wie ich da gehe und stehe?«

»Dann setzen Sie sich doch!«

»Oder vielleicht darf ich knien?«

»O Percy, machen Sie sich nicht lächerlich.«

Einen Menschen bis auf Herz und Nieren zu prüfen war ein charakteristischer Zug Major Warings, aber nichtsdestoweniger befand auch er sich in Mrs. Lovells Netzen. Er wußte, daß dies ein Zauber war, den sie unbewußt ausübte. Sie war nichts anderes als ein liebliches Instrument für diejenigen, die darauf zu spielen verstanden, und darin lag ihr gewaltiger Reiz. Roberts derber Rat, er solle doch die Gelegenheit beim Schopfe fassen, sie nehmen und sie sich zu eigen machen, klang mächtig in ihm nach. Er bezwang eine Aufwallung zu der speziellen besitzergreifenden Handlungsweise, die Robert ihm vorgeschlagen.

»Ich bin Ihnen eine Erklärung schuldig,« sagte er, »Margaret, meine Freundin.«

»Können Sie an mich, als an Ihre Freundin denken, Percy?«

»Wenn ich Sie meine Freundin nennen kann, welchen Namen würde ich Ihnen nicht sonst noch geben mögen? Ich habe Ihnen, als Sie jünger waren, ein bitteres, schändliches Unrecht zugefügt. Still! Sie verdienten das nicht. Urteilen Sie über sich selbst, wie Sie wollen, aber ich weiß jetzt, welcher Art meine Gefühle damals waren. Der erhabene Richter war nichts weiter als ein gehässiger Mann. Sie gewähren mir Ihre Verzeihung, nicht wahr? Ihre Hand?«

Sie hatte ihm die Hand hingereicht, aber sie entzog ihm dieselbe schnell.

»Nicht Ihre Hand, Margaret? Irgend jemand müssen Sie dieselbe geben. Sie werden ruiniert sein, wenn Sie es nicht tun.«

Sie blickte ihn groß an. »Das wissen Sie also?« sagte sie langsam, aber das Leuchten in ihrem Blick erlosch allmählich, als er fortfuhr:

»Ich weiß aus allem, was ich von Ihnen weiß, daß Sie in allererster Linie eine Frau sind, die eines direkten Schutzes bedarf. Kommen Sie, gestatten Sie mir einmal ein Privilegium. Sind Sie frei?«

»Würden Sie derart mit mir reden, wenn Sie mich nicht für frei hielten?« fragte sie.

»Ich glaube wohl,« sagte Percy. »Etwas würde es natürlich von der Person abhängig sein. Sind Sie in irgendwelcher Weise Mr. Edward Blancove verpflichtet?«

»Halten Sie mich für eine Frau, die sich verpflichtet?«

»Er macht sich einer gemeinen Handlungsweise schuldig.«

»Dann möge Ihnen als Antwort meine Versicherung genügen, Percy, daß ich das weiß.«

»Sie lieben den Mann nicht?«

»Sprechen Sie lieber von verachten!«

»Weiß er das?«

»Wenn er eine klare und bündige Auseinandersetzung darüber versteht.«

»Sie haben ihm das alles gesagt?«

»Jedenfalls kann er sich den Schluß daraus ziehen!«

»Und weiter, Margaret, ich muß jetzt sprechen: Handelte er, so wie er es getan, mit Ihrer Zustimmung oder mit Ihrem Vorwissen?«

»Himmel, Percy, Sie fragen mich aus, als wenn Sie mein Mann wären!«

»Das ist es, was ich sein möchte, wenn Sie mich haben wollen.«

Die Gestalt der schönen Dame erbebte wie unter einem Peitschenhieb, und dann schlug sie mit einem weichen Ausdruck ihre Augen zu ihm auf.

»Ich dachte doch, daß Sie mich kennten. Dies ist unmöglich.«

»Sie wollen nicht die Meine werden? Warum ist das unmöglich?«

»Ich könnte fast sagen, weil ich Sie dazu zu hoch stelle.«

»Weil Sie meinen, Sie hätten nicht den Mut dazu?«

»Wozu?«

»Einzugestehen, daß Sie unter einem schlechten Einfluß gestanden haben und nicht die Margaret waren, die ich aus Ihnen würde machen können? Lassen Sie das alles beiseite! Wenn Sie bleiben wollen, was Sie sind, bedenken Sie, was für Fallen auf Sie lauern! Wenn Sie jemand heiraten, den Sie verachten, bedenken Sie den Abgrund, den das bedeutet! Ja, Sie werden die Meine sein! Meine halbe Liebe zu meinem Vaterland und zu meinem Beruf ist nur Liebe zu Ihnen. Margaret ist das Feuer in meinem Blut. Ich habe zu Gott gefleht, er möge mir Möglichkeiten senden, durch die Margaret von mir hören werde. Ich wußte, daß jedes tapfere Tun ihr ans Herz griffe, ich würde froh gefallen sein, war ich doch sicher, daß ihr Herz rascher schlagen würde, wenn sie von mir hörte. Laß es an meinem schlagen. Sprich!«

»Ich will sprechen,« sagte Mrs. Lovell, und sie versuchte das heftige Klopfen ihres Herzens zu beschwichtigen. Ihre Stimme klang rauh, und aus ihrem Antlitz war alles Blut gewichen. »Wieviel Geld haben Sie, Percy?«

Dieser plötzliche Guß kalten Wassers auf seine Leidenschaft versteinerte ihn.

»Geld?« sagte er, indem er ihre Züge mit eiskaltem Blick musterte. Wie in einem plötzlich grell beleuchteten Spiegel sah er, wie hart, wie erschöpft, wie habgierig und unanziehend ihr Gesicht aussah. Dennoch bemühte er sich, sich selber einzureden, daß es eine völlig berechtigte Frage ihrerseits wäre, über die sie zunächst Klarheit haben müsse.

So erwiderte er bedächtig: »Ich besitze ein Einkommen von fünfhundert Pfund jährlich, abgesehen von meiner Gage als Major in Ihrer Majestät Diensten, die also noch dazu käme.«

Er hielt inne, und das Stillschweigen legte sich zwischen sie wie ein gähnender, immer breiter werdender Abgrund.

Sie brach es, indem sie sagte: »Haben Sie noch weiteres zu erwarten?«

Dies war noch grausamer, obschon es ihn kaum mehr überraschte. Nur in seinem Herzen weinte etwas darüber, daß ihre Stimme so jeden Zauber eingebüßt habe.

Mit einer Präzision, der jede Gefühlsregung abzugehen schien, erwiderte er: »Bei dem Tode meiner Mutter –«

Sie unterbrach ihn mit einem sanften Ausruf:

»Bei meiner Mutter Tode wird mir ein Erbschaftsanteil von fünf- oder sechstausend Pfund zufallen. Bei meines Vaters Tode wird mir wahrscheinlich sein Besitztum vermacht werden. Aber darauf kann ich nicht rechnen.«

In ihren Augen standen wirkliche Tränen. Fingierte sie Tränen der Teilnahme angesichts dieser fernliegenden Möglichkeiten?

»Sie werden jetzt kaum mehr vorgeben, Sie kennten mich, Percy,« sagte sie, indem sie zu lächeln versuchte, und in ihrer Stimme war wieder der natürliche weibliche Ton. »Ich bin sehr auf meinen Vorteil bedacht, wie Sie sehen; nur als Freundin bin ich es nicht. Darum lassen Sie mich Ihre Freundin bleiben, – sagen Sie mir, daß Sie mein Freund sein wollen.«

»Nein, Sie hatten ein Recht darauf, das zu erfahren,« widersprach er ihr.

»Es war schmählich, schändlich, – aber es war notwendig für mich, das zu wissen.«

»Und nun Sie es wissen?«

»Nun ich es weiß, kann ich nur das eine sagen, denken Sie so milde über mich, wie Sie es irgend vermögen!«

Sie ließ ihre Hand in die seine sinken, und mit einem Schauer der Verzweiflung empfand er die heißaufwallende Leidenschaft, die seine erstarrten Adern noch einmal neu belebte.

»Sei meinetwegen auf deinen Vorteil bedacht, aber sei mein! Ich will dir einen besseren Lebenszweck geben, als dies alberne Leben der Mode, das du jetzt führst. Du berechnest deine Bedürfnisse nach diesem Maßstab. Gewiß – es wird relative Armut für dich zu bedeuten haben; trotzdem, – trotzdem vermag ich dir einigen Luxus zu bieten. Du kannst einen Wagen haben und ein Reitpferd. Ich kann jeden Tag wieder einberufen werden, ich kann avancieren. Gib dich mir zu eigen, und du wirst mich lieben und nichts vermissen!«

»Nichts! Ich würde nichts vermissen. Ich verlange gar keinen Wagen noch Pferde, noch sonstigen Luxus. Ich könnte mit dir von der Gage eines Subalternoffiziers leben. Ich kann dich nicht heiraten, Percy. Ich kann dich aus eben dem Grunde nicht heiraten, aus dem ich es sehnlich wünschen würde, es zu können.«

»Sie sprechen in Rätseln!« sagte er, und unter dem verächtlichen Ton dieses Ausspruches beugte sie ihr Haupt tief.

»Liebster Freund, Sie brauchen nicht erst zu lernen, auf welche Weise Sie mich am besten strafen.«

Der kleine Vorwurf, der noch zu der Wunde hinzukam, die sie seinem Stolz geschlagen, verlangte nach einer heilenden Berührung: sie zog seine Finger an ihre Lippen.

Sicherlich würde die Komödie damit noch nicht ihren Abschluß gefunden haben, aber sie wurde durch den Eintritt des Squires, dem Sir William folgte, jäh abgebrochen. Der Squire – voll süßen Weines und rachsüchtiger Gefühle – summte ein »Ah! Hm–m–m! So–o–o–o!« vor sich hin, Sir William dagegen wandte sich in der Tür zu jemand zurück, der ihm folgte und sagte: »Nun, wenn du deinen Schlüssel verloren hast, und Algernon fort ist, hat es ja keinen Zweck für dich, nach dem Temple zurückzufahren, um dir dort ein Nachtquartier zu suchen. Ich möchte es mir speziell ausbitten, daß du heute nacht mein Gast bist. Ich wünsche es, denn ich habe mit dir zu reden.«

Mrs. Lovell erfuhr, daß der Baron mit seinem Sohne gesprochen habe, der frisch von Paris zurückgekommen und – seiner eignen bescheidenen Meinung nach – nicht in der Verfassung sei, sich vor den Augen einer Dame zu präsentieren.


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