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31. Kapitel

Pawjel Fjodorew war von dem Arzte verbunden und infolge des kaiserlichen Befehls in einem für besonders ausgezeichnete Verwundete bestimmten kleinen Kabinett einquartiert worden. Die Kugel hatte den Arm ganz nahe dem Schultergelenk getroffen, seine Wunde war nicht außerordentlich gefährlich, bedurfte aber doch längere Zeit ruhiger und sorgfältiger Pflege zu ihrer Heilung.

Stjepanida hatte sogleich ihre bisherigen Kranken anderen Pflegerinnen übergeben, um sich ganz ausschließlich der Sorge für Pawjel zu widmen. Bald war der junge Mann auf seinem weichen, bequemen Lager gebettet und empfand die Wohltat der ruhigen Stille, des kühlenden Verbandes und der beruhigenden Arznei.

Einige Tage waren vorübergegangen, das heftige Fieber, das sich zuerst eingestellt hatte, war allmählich gewichen, und Pawjel, dem anfangs jede Unterhaltung verboten gewesen war, hatte allmählich angefangen, Stjepanidas Worten zu lauschen, welche nach dem Rate des Arztes ihm von heiteren, freundlichen Erinnerungen der Vergangenheit vorplauderte. Sie sprach von ihren ersten Begegnungen in Muschina an der Grenze ihrer Gärten, und Pawjel hörte ganz glücklich zu, da ihre Worte ihm bewiesen, daß sie so viele kleine Züge aus der Zeit des Anfangs ihrer Liebe noch treu im Gedächtnis bewahrte. Beide genossen eine Zeitlang das süße Glück, das alle jungen Herzen empfinden, wenn sie miteinander die Zeit des ersten, zarten und allmählichen Aufblühens ihrer Liebe noch einmal in der Erinnerung durchleben. Dann aber verdüsterte sich Pawjels Gesicht, er sah Stjepanida lange an, faßte ihre Hand und sagte so ernst und feierlich, daß das junge Mädchen vor dem Ton seiner Stimme erschrak:

»Ja, Stjepanida, es war schön, sehr schön zu jener Zeit in Muschina, und Wohl möchte ich jeden Augenblick aus jenen Tagen noch einmal durchleben – aber,« fuhr er schaudernd fort, »was dann weiter kam, das möchte ich nie erlebt haben, das möchte ich aus meiner Erinnerung vertilgen. Stjepanida,« fuhr er fort, ihre Hand näher zu sich heranziehend, »es ist so hart, hassen zu müssen, wo die Natur verlangt, daß man lieben und achten sollte –« er zögerte einen Augenblick, dann sagte er: »Du mußt es ja dennoch wissen, Stjepanida – dein Vater –«

»Oh, sprich nicht von ihm,« rief Stjepanida bittend, »Gott wird alles zum Guten wenden – sprich jetzt nicht von ihm, ich will, ich werde niemals vergessen, was ich ihm schuldig bin.«

Zornig blitzten Pawjels Augen.

»Was du ihm schuldig bist,« rief er, »du, die er den Türken verkaufen wollte, den Türken, denen er noch heute dient und an die er seine christlichen Brüder und sein Vaterland verkauft? Sieh hier, Stjepanida, diese Kugel, die mich vielleicht die Bewegung meines Armes kosten wird, sie war meinem Herzen bestimmt in tückischer Arglist, und die Hand, Stjepanida, die dieses Geschoß gegen mich verräterisch sendete, war deines Vaters Hand.«

»Meines Vaters Hand! – Du bist ihm begegnet?«

Pawjel erzählte alles, was zwischen ihm und Leonew auf seinem Streifzuge gegen Plewna vorgegangen war. Stjepanida bedeckte das Gesicht mit den Händen und hörte, leise schluchzend, zu.

Lange noch saß sie stumm da, als Pawjel geendet hatte – dann richtete sie den Kopf auf und streckte ihm ihre beiden Hände entgegen; ihr Gesicht war blaß und traurig, aber ihre Blicke strahlten in sicherer Ruhe und festem Entschluß.

»Es ist klar in mir geworden, Pawjel,« sagte sie, »ich habe meinen Vater verloren. Das ist hart und traurig, aber vielleicht mußte es so sein, vielleicht hatte ich niemals teil an seinem Heizen. Er hat mir das Leben gegeben, aber nie habe ich seine Liebe empfunden – jetzt hat er seine Hand erhoben zu meuchlerischem Mord gegen dich, meines einsamen Lebens einziges Gut. Das löst«, sagte sie schaudernd, »die Bande der Pflicht, welche mich zurückhielten, das macht mein Gewissen frei – ich bin dein, Pawjel – ich gehöre dir, und dir allein auf Erden.«

Pawjel sah sie voll sprachlosen Glückes an und drückte stumm ihre Hand – von diesem Augenblick an war zwischen beiden nie wieder von Leonew die Rede; wohl warf die Erinnerung an ihn zuweilen einen trüben Schatten in Stjepanidas Seele, aber dieser Schatten vermochte ihr Glück nicht dauernd zu verfinstern, ihr Gewissen war frei geworden von jedem Bedenken, und mit ganzer, voller Seele gab sie sich dem Glück ihrer Liebe hin.

Prottrubin war abgereist, um sich bei dem Fürsten Tscherkasky zu melden, und in dem Lazarett, diesem Ort der Schmerzen und her Trauer, verlebten die vier jungen Leute im freundlichen und herzlichen Verkehr miteinander Tage voll reinen, ungetrübten Glücks. Pawjels Wunde heilte schnell und glücklich, und bald war auch er imstande, seine Zelle zu verlassen und, den Arm in der Binde, kleine Spaziergänge durch das Lager mit seinen Freunden zu machen.

Fester und fester hatte sich inzwischen der eiserne Ring der russischen Einschließungsarmee um Plewna geschlossen, auch die Garden und das Grenadierkorps waren vollständig in ihre Stellungen eingerückt, keine Munition, kein Proviant, keine Botschaft konnte in die engzernierten türkischen Befestigungen dringen; man wußte durch die Überläufer, daß die Lebensmittel bei den Türken knapper und knapper wurden. Am frühen Morgen des 10. Dezember bemerkte man vom russischen Lager aus, daß die Türken, nachdem schon am Tage vorher ihre Artillerie auf allen Punkten verstummt war, in starken Kolonnen die befestigten Stellungen um Plewna verließen und aus den Verschanzungen heraus nach dem Widflusse vorrückten.

Sogleich wurden die von dem General Tottleben längst für den Fall eines türkischen Durchbruches vorbereiteten Bewegungen ringsum in der ganzen russischen Einschließungsarmee ausgeführt, um die zum Ausfall drängende türkische Armee von den verlassenen Stellungen bei Plewna abzuschneiden und ihr den Rückweg zu verlegen.

Der Großfürst sendete einen Adjutanten zum Kaiser nach Poradin, um zu melden, daß die Türken aus den Verschanzungen hervorbrächen und daß eine Schlacht beginne, welche Wohl die endliche Entscheidung bringen werde. Der Kaiser befahl sofort die Pferde, und durch das Dorf sowie die umliegenden Lagerplätze rasselte der Generalmarsch, alle Truppen, auch diejenigen, welche nicht unmittelbar an der ersten Aktion beteiligt waren, unter das Gewehr rufend.

Kaum war die Meldung an den Kaiser gelangt, als auch schon von der Seite des Widflusses über Plewna her das Toben der Schlacht herüberschallte; die Gewehrsalven rollten in immer längerer Ausdehnung am Horizont her, und immer gewaltiger und betäubender krachte dazwischen der Donner der Geschütze; ja selbst das furchtbare Geschrei des erbitterten Kampfes drang hin und wieder bis nach Poradin vernehmbar herüber.

Auch in die stillen Räume des Lazaretts hinein drang das wilde Getöse des Kampfes. Rossianow und Jewa, Pawjel und Stjepunida waren, wie gewöhnlich, am Morgen in dem mit einem leichten Strohdach gegen den Schneefall gesicherten Vorhof des Lazaretts beieinander, um einige Augenblicke in der frischen Luft, welche so wesentlich zur Kräftigung der Kranken beitrug, zuzubringen. Sie achteten nicht zu sehr auf die ersten Salven und Kanonenschläge, welche zu ihnen drangen, in der letzten Zeit waren ja die Geschütze nur selten ganz verstummt; als aber der Schlachtenlärm immer furchtbarer herüberdröhnte, sagte Pawjel, aufmerksam lauschend:

»Das ist mehr als sonst, das ist kein einzelner Kampf an einer Redoute, diesmal muß die ganze Armee im Gange sein, diesmal«, fügte er lauschend hinzu, »muß um die Entscheidung gerungen werden.«

Auf den Straßen vor dem Lazarett hörte man den Generalmarsch und laute Rufe, einige Ärzte kamen und brachten die Nachricht, daß die ganze türkische Armee ihre Verschanzungen verlassen habe, um die Umzingelung zu durchbrechen, und daß die allgemeine Entscheidungsschlacht im Gange sei.

»Ich muß hin!« rief Pawjel flammenden Blickes.

Entsetzt beschwor ihn Stjepanida, zu bleiben, seine Wunde war fast geheilt, aber er konnte den in der Binde ruhenden Arm nicht bewegen.

»Ich weiß den Säbel mit der linken Hand zu führen«, sagte er, sich von dem Mädchen losmachend. Schnell war er in seiner Zelle verschwunden, um in wenigen Augenblicken in seiner Feldrüstung wieder zu erscheinen.

»Leb wohl, Stjepanida,« sagte er, die Geliebte umarmend, »dort wird für mein Vaterland gekämpft, dort ist mein Platz! Gott, der mich bisher geschützt, wird mich dir erhalten, und wenn ich falle, so wirst du mit Stolz meinen Namen unter unserem Volke nennen können.« Stjepanida war ruhig und gefaßt, das Blut ihres Volkes wallte in ihren Adern.

»Geh hin, mein Geliebter,« sagte sie, »die Engel des Himmels mögen dich umschweben – und«, flüsterte sie leise, als er zum Abschiedskuß sich zu ihr herabbeugte, »schone meinen Vater.«

Schnell ging Pawjel hinaus. Er suchte sein Pferd in den Ställen des kaiserlichen Hauptquartiers, wo dasselbe gepflegt ward, und in wenigen Augenblicken sprengte er auf dem freudig wiehernden Tier auf der Straße nach Bogot hin, immer näher dem lauter und lauter ihm entgegenschallenden Donner der Geschütze zu. Rossianow hatte ihm finster nachgeblickt.

»Ich habe beide Arme,« sagte er, »und ich sollte hier in sicherer Ruhe zurückbleiben, während dort für die Ehre Rußlands gefochten wird?«

Ehe Jewa ihn hindern konnte, war auch er in seine Zelle geeilt und hatte seine Uniform angelegt und den Säbel umgeschnallt. Zwar waren seine Schritte noch unsicher und schwankend, und die Uniform hing ihm in weiten Falten um seine abgemagerten Glieder, dennoch aber wies er Jewas Bitten zurück und durchschritt, sich mühsam zu fester Haltung zwingend, den Vorhof, das Lazarett zu verlassen.

»Ich werde ein Pferd finden,« sagte er, »und wenn ich den Kaiser selbst darum bitten sollte – soll der Bulgare den Russen beschämen?«

Er hatte die Schwelle überschritten, Jewa stand an seiner Seite, sie fühlte an seinem leicht zitternden Arm, daß er noch der Stütze bedürfe, und beschwor ihn mit Tränen, sein Leben zu schonen, auch die Ärzte schlossen sich den Bitten des weinenden Mädchens an – aber vergebens.

Da fuhr der Wagen des Kaisers, von der ganzen Suite gefolgt, heran. Jewa stürzte vor und rief:

»Erbarmen, Majestät, Erbarmen!«

Auf den Wink des Kaisers hielt der Wagen, er erkannte das Mädchen und den jungen Offizier und sagte verwundert: »Nun, was ist geschehen – ich glaubte euch glücklich und zufrieden?«

»Er will fort, Majestät, er will fort, großmächtigster Kaiser,« rief Jewa, auf Rossianow deutend, »er will in den Kampf, und doch ist er noch so schwach; er will auf meine Bitten nicht hören, Eure Majestät allein können ihm befehlen, sein Leben Ihrem Dienst zu erhalten.«

Der Kaiser blickte mit freundlichem Wohlwollen auf Rossianow, der, ebenfalls an den Wagen herantretend, mit militärischem Gruß sagte:

»Ich bitte Eure Majestät um ein Pferd, um dahin zu gehen, wo die russischen Fahnen wehen.«

»Aber dein Regiment«, sagte der Kaiser, »ist nicht im Gefecht vor Plewna, es steht am Balkan.«

»Gleichviel,« erwiderte Rossianow, »ich werde mich als Freiwilliger der ersten Truppe anschließen, der ich begegne, und werde meine Schuldigkeit tun.«

»Nein,« sagte der Kaiser, der fast mit Bewunderung in das von Begeisterung glühende Gesicht des kaum genesenen Offiziers blickte, »nein, das wirst du nicht tun.«

»So wollen Eure Majestät,« fragte Rossianow finster, »daß ich hier zurückbleibe und daß dieser Ehrentag der russischen Armee für mich immer ein Tag der Trauer, ja,« fügte er dumpf hinzu, »ein Tag der Schande bleiben solle?«

»Die erste Pflicht des Soldaten ist der Gehorsam«, sagte der, Kaiser; »aber du sollst nicht zurückbleiben, du sollst den Kampf sehen, doch dein Leben soll mir und dem Vaterlande erhalten bleiben, und die Erinnerung an diesen Tag soll keine traurige für dich sein. Der Platz neben deinem Kaiser kann dir keine Schande bringen, ich ernenne dich für heute zu meinem Ordonnanzoffizier und befehle dir, bei mir zu bleiben. Steige in meinen Wagen, wir haben keine Zeit zu verlieren.«

Ganz betäubt stand Rossianow da, der Kaiser mußte seinen Befehl noch einmal wiederholen; einer der Ärzte unterstützte den jungen Offizier, der mit einiger Mühe in den Wagen stieg und seinen Platz im Rücksitz, dem Kriegsminister, Miljutin gegenüber, einnahm. Noch einmal reichte er Jewa die Hand, der Kaiser winkte ihr freundlich, und schnell fuhr der Wagen weiter.

Jewa blickte dem in einer Staubwolke verschwindenden Gefolge nach, helle Tränen rennen über ihre Wangen, aber diesmal waren es Tränen der Freude und der Dankbarkeit. Langsam kehrte sie in das Lazarett zurück. In Pawjels Zelle fand sie Stjepanida, in stummer Umarmung umschlangen sich die beiden Mädchen – dann sanken sie in die Knie, und vereint stiegen ihre Gebete zum Himmel auf, während immer lauter und furchtbarer der Donner der Geschütze zu ihnen herübertönte.

Der Kaiser, war bis in die Nähe von Grivitza gefahren. Hier bestieg er die früher von den Rumänen genommene türkische Redoute, von der aus fast das ganze Schlachtfeld übersehen werden konnte. Man stellte einen Feldstuhl auf, der Kaiser nahm, sein Glas in der Hand, auf demselben Platz, das Gefolge gruppierte sich um ihn auf den Erdwällen. Die Schlacht war ringsumher in vollem Gange, die Luft erzitterte von dem furchtbaren Geschützfeuer und dem wilden Geschrei der Kämpfenden. Der Kaiser, sprach kein Wort und verfolgte aufmerksam durch sein Glas die Bewegung des Kampfes, und die glänzende Gruppe des kaiserlichen Gefolges, in welcher sich nur flüsternd die einzelnen ihre Beobachtungen und Vermutungen mitteilten, bildete ein eigentümliches Bild inmitten des entsetzlichen Ringens, das die ganze Ebene umher erfüllte und in dem so viele Tausende röchelnd ihr Leben aushauchten.

Die Türken waren mit unwiderstehlicher Gewalt gegen die russischen Stellungen vorgedrungen, sie hatten unter Osman Paschas persönlicher Führung die russische Zernierungsfront durchbrochen und die von den Grenadierregimentern Sibirien und Kleinrußland verteidigten Bollwerke erobert. Einen Augenblick schien es, als wenn an dieser Stelle wirklich der Durchbruch gelingen solle. Der Kaiser nahm das Glas nicht von seinen Augen, das ganze Gefolge hatte sich dicht zusammengedrängt und blickte mit ängstlicher Spannung dorthin, wo man deutlich das Vordringen der Türken bemerken konnte. Da traf das Regiment Kleinrußland an jener Stelle ein – ein Bataillon den anderen voraus – einen Augenblick stand der Kampf, aber mit neuer Gewalt drangen die Türken vor. Schon begannen die russischen Reihen zu Wanken – da sah man einen Offizier, den anderen weit voran, mit hochgeschwungenem Degen den türkischen Bajonetten entgegenstürmen; sein Beispiel mußte die russischen Truppen von neuem begeistert haben, die schwankenden Reihen schlossen sich fester, die beiden feindlichen Fronten berührten sich in unmittelbarem Kampf. Eine kurze Zeit stand die Entscheidung von neuem still – da kamen die anderen Bataillone des Regiments Kleinrußland heran, neue, furchtbare Salven krachten herüber, – die Türken wichen, die Stellung war gehalten, der Durchbruch zurückgeschlagen.

Der Kaiser lehnte sich wie erschöpft in seinen Stuhl zurück und sagte, indem er die Hand mit dem Glase in seinen Schoß sinken ließ, zu dem neben ihm stehenden Kriegsminister:

»Jener Offizier dort – hast du ihn gesehen?«

»Zu befehlen, Majestät,« erwiderte der General Miljutin.

»Er hat ein großes Verdienst um die Erhaltung jener Stellung. Dort rücken«, fuhr er fort, »die Regimenter Fanagoria und Astrachan heran, jetzt ist's entschieden, an jener Stelle werden die Türken nicht mehr durchdringen. Jener Offizier soll nicht vergessen werden«, sagte der Kaiser; »man soll sich nach ihm erkundigen, und wenn er am Leben geblieben ist, soll man ihn zu mir führen.«

Der Kriegsminister machte eine Notiz in seine Schreibtafel, der Kaiser hob seufzend sein Glas wieder an das Auge.

Der Durchbruch war überall zurückgeschlagen, die Türken wollten sich nun wieder in die festen Stellungen bei Plewna zurückziehen, aber bereits waren die russischen und rumänischen Truppen hier eingedrungen. Von der sogenannten grünen Höhe seitwärts von Plewna her stürmten die Russen unter dem General Skobeljew auf die zurückgedrängten Türken, und zugleich drangen die Rumänen unter den Obersten Cerkez und Angelescu in Plewna selbst ein. Die Schlacht glich nun einem weitausgedehnten Kesseltreiben, von allen Seiten drangen die Russen vor, und immer enger wurde der Raum, auf welchem die Türken ihren letzten verzweifelten Widerstand leisteten.

Ein leichtes Schneegestöber wirbelte in der Luft, dazwischen krachten die Granaten und knatterten die Gewehrsalven; der Kampf hatte seine höchste Erbitterung erreicht, aber er mußte nun auch bald seinem Ende nahen. Um zwölf Uhr mittags wurde das Feuer schwächer und schwächer, und bald darauf sah man auf einer Anhöhe neben dem Wege, der zur. Brücke über den Widfluß führt, eine Weiße Fahne wehen.

Tausendstimmiger Jubel erschallte von allen Seiten, auch die Umgebung des Kaisers brach in einen lauten Hurraruf aus; Alexander selbst aber saß müde und gebrochen auf seinem Stuhl, nur ein dankbarer Blick seines Auges richtete sich zu dem grau bewölkten Himmel auf, aber dieser Blick war von Tränen verdunkelt, und ein schmerzlicher Seufzer stieg aus seiner Brust empor.

Der Kaiser war aufgestanden und ging schweigend auf und nieder. Er blieb vor dem General Miljutin stehen.

»Dimitri Alexejewitsch,« sagte er, den General ernst anblickend, »du hast stets für die Fortsetzung des Kampfes gesprochen, du hast nie den Mut verloren, wenn andere zaghaft wurden, vielleicht hätte ich ohne dich nicht so festgehalten; wenn die Sache eine gute Wendung nimmt, so bin ich dir viel Dank schuldig, ich werde das nie vergessen.«

Ehe der General antworten konnte, ging der Kaiser abermals auf und nieder, er schien von unruhiger Erwartung verzehrt, obgleich sein Gesicht seinen unbeweglichen, fast starben Ernst behielt. Das ganze Gefolge stand zusammengedrängt an dem Rande des Abhanges. Da sprengte ein Reiter die Höhe hinauf, von weitem schon mit lautem Hurraruf die Mütze schwenkend. Der Kaiser trat vor, der Reiter sprang vom Pferde, atemlos eilte er heran und rief:

»Osman Pascha hat sich auf Gnade und Ungnade ergeben, die ganze Armee streckt die Waffen.«

Von neuem rief er mit heiserer Stimme Hurra, und das ganze Gefolge wiederholte dreimal in jubelnder Begeisterung seinen Ruf.

Der Kaiser nahm die Mütze ab, bekreuzigte sich und sprach ein stilles Gebet. Dann trat er zu dem mit Pulverdampf und Staub bedeckten Reiter hin und sagte: »Du bist es, Feodor Michaelowitsch? Ich danke dir; du scheinst bestimmt, mir Gutes zu bringen und«, fügte er leiser hinzu, »Böses von mir abzuwenden.« »Der Großfürst hat mir die Ehre erzeigt,« erwiderte Blagonow, »mich mit dieser ersten vorläufigen Meldung zu Eurer Majestät zu senden. Seine Kaiserliche Hoheit hat sich nach Plewna begeben und wird sobald als möglich zu ausführlichem Bericht bei Eurer Majestät erscheinen.«

»Ich danke dir, ich danke dir von Herzen!« rief der Kaiser, Blagonow die Hand reichend; »doch«, sagte er dann wie in plötzlichem Besinnen, »hast du den Kampf bei den Batterien am Widfluß gesehen, den das Regiment Kleinrußland entschied?«

»Zu befehlen, Majestät!« erwiderte Blagonow. »Ich war von Seiner Kaiserlichen Hoheit abgesendet, um das Regiment Kleinrußland nach jener Stelle zu beordern und traf mit demselben auf dem Kampfplatz ein.«

»Du warst bei dem ersten Bataillon?« fragte der Kaiser forschend.

»Zu befehlen, Majestät!«

»Und wer war der Offizier,« fragte der Kaiser weiter, »der, als dies Bataillon einen Augenblick stockte, allein gegen die türkischen Reihen stürmte und die Truppen mit sich fortriß?«

Dunkle Röte bedeckte Blagonows Gesicht, er schlug die Augen nieder und erwiderte:

»Ich weiß es nicht, Majestät – ich weiß nicht, wen Eure Majestät meinen – der General Skrutow kommandierte die Brigade –«

»War es Skrutow,« fragte der Kaiser mit durchdringenden Blicken, »der vor dem Bataillon gegen den Feind stürmte? Wenn du dort warst, mußt du das gesehen haben.«

Blagonow blickte schweigend zur Erde.

»Er war es, Majestät, er war es selbst!« rief der General Miljutin, indem er, die Rücksicht auf die Gegenwart des Kaisers vergessend, die Hand Blagonows ergriff. »Ich bitte Eure Majestät, ihn anzusehen, so sieht nur jemand aus, der aus dem dichtesten Kampfgewühl kommt.«

»Sage Nein, wenn du es nicht warst!« rief der Kaiser. Blagonow schwieg.

Der Kaiser trat ganz nahe zu ihm heran, umarmte ihn und küßte ihn auf beide Wangen. Dann winkte er den Flügeladjutanten vom Dienst heran, ließ sich die Ledertasche, welche derselbe trug, reichen und nahm daraus ein Georgskreuz dritter Klasse.

»Hier«, sagte er, »dies ist das äußere verdiente Zeichen meines Dankes, der nie in meinem Herzen erlöschen wird.«

Dann wendete er sich zum Kriegsminister, und während Blagonow, keines Wortes mächtig, von dem ganzen Gefolge umringt und beglückwünscht wurde, hing der Kaiser dem General Miljutin ein Georgskreuz zweiter Klasse um den Hals. Der General nahm die Mütze ab, beugte sich auf die Hand des Kaisers und sprach mit unsicherer Stimme:

»Ich habe nichts getan, Majestät, in diesem Kampfe, in welchem Tausende ihr Leben einsetzten! belohnen Sie mich nicht, so, ich bin dessen nicht würdig.«

»Nimm das Kreuz und trage es,« sagte der Kaiser, »du verdienst es, wir danken dir viel hier.«

Dann nach kurzem Besinnen sagte er fast schüchtern:

»Würdest du dafür stimmen, Dmitri Alexejewitsch, daß ich das Georgsportepee an diesem Tage anlege?«

Die Offiziere des Gefolges hatten diese Frage gehört, ein einstimmiger Hurraruf beantwortete dieselbe. Augenblicklich war ein Georgsportepee zur Stelle, der General Miljutin befestigte dasselbe an dem Säbel des Kaisers, und ein erneuter Jubelruf schallte durch die Luft.

»Laßt den Wagen vorfahren,« sagte Alexander, »ich will nach Plewna, um meinen Bruder aufzusuchen und«, fügte er wehmütig hinzu, »den Platz zu sehen, der so viel Blut gekostet hat.«

Während der Wagen heranfuhr und die Pferde vorgeführt wurden, winkte der Kaiser Blagonow heran. Er trat einige Schritte seitwärts und sagte, die Hand auf die Schulter des jungen Offiziers legend:

»Du hast die Verirrung deiner Jugend herrlich gesühnt, Feodor Michaelowitsch. Gott hat dein Leben vor den Kugeln und Bajonetten der Türken behütet, ein unsichtbarer Dolch schwebt vielleicht über deinem Haupt – wie über dem meinen; möge auch ihn der Himmel ablenken.«

Schnell sich umwendend, stieg er in den Wagen. Abermals mußte sich Rossianow zu ihm setzen, und lächelnd sagte der Kaiser: »Ich hoffe, du wirst diesen Tag nicht vergessen, und er wird dir eine stolze und ehrenvolle Erinnerung sein.«

Pawjel war nach schnellem Ritt in Bogot angekommen. Bereits tobte der Kampf überall. Pawjel erfuhr, daß die bulgarische Legion mit den Rumänen nach Plewna vorzudringen bestimmt sei, er folgte derselben, und sobald er sie, erreicht hatte, schloß er sich einer Abteilung an, welche zwar nicht von seinen unmittelbaren Landsleuten und bisherigen Kampfgenossen gebildet wurde, ihn aber dennoch mit jubelndem Zuruf begrüßte. Mehrere kleinere türkische Truppenabteilungen wurden siegreich zurückgeworfen, Pawjel sprengte stets den Seinen voran und führte mächtig seinen Säbel mit der linken Hand. Sein Glück, das ihn auf dem Streifzuge vor Plewna verlassen hatte, schien wieder wie früher über ihm zu schweben, ohne eine Wunde erreichte er mit der Abteilung des rumänischen Obersten Cerkez die kleine Stadt Plewna, welche ein Bild der Verwüstung und des Schreckens darbot; Geschosse hatten in die Häuser geschlagen und viele derselben gänzlich niedergerissen, Leichen von türkischen und russischen Soldaten und Kadaver, von Pferden lagen umher, bulgarische Einwohner, Weiber und Kinder irrten jammernd auf den Straßen umher oder kauerten hinter den Haustüren, die einrückenden Truppen unter lautem Wehklagen um Erbarmen anflehend. Mehrere große, mit Ochsen bespannte Wagen, ganz angefüllt mit Weibern und Kindern, standen auf der Straße, sie hatten fliehen wollen, waren aber vor dem ringsum tobenden Kampfgetümmel entsetzt zurückgekehrt. Die russischen und bulgarischen Soldaten reichten ihre Feldflaschen und die wenigen Nahrungsmittel, die sie zufällig bei sich hatten, freundlich den geängstigten und verschmachtenden Einwohnern dar.

Die Hauptplätze und Gebäude der Stadt wurden besetzt, und dann wendeten sich die übrigen Truppen in die Erdbefestigungen hinaus, um den vom Widflusse zurückgeworfenen Türken sich entgegenzustellen.

Pawjel hatte einen Teil seiner Leute vor der zwar etwas zerschossenen, aber in ihrem Hauptteile erhaltenen Kirche aufgestellt und ritt nun durch die Stadt, um die Abteilung des Obersten Cerkez wieder einzuholen. Als er über einen freien Platz in der Nähe der Kirche hinritt, hörte er wilde, zornige Stimmen; an der Tür eines Hauses stand ein Haufe von Soldaten der bulgarischen Legion dicht zusammengedrängt, und als er näher heranritt, sah er, wie in der Mitte dieses Menschenknäuels ein Mann in bulgarischer Tracht auf einen Mauervorsprung emporgehoben wurde; um seinen Hals war die Schlinge eines Strickes gelegt, der um das Fensterkreuz des oberen Stockwerkes geschlungen war; laut schrie der Unglückliche um Erbarmen und wehrte sich mit Händen und Füßen gegen die kräftigen Arme, welche ihn festhielten. Schnell sprengte Pawjel heran, er drängte sich, sein Pferd rücksichtslos vorwärts treibend, in den Menschenhaufen und rief unwillig mit lautschallender Stimme: »Halt – was geht hier vor, dürfen christliche Soldaten einen feigen Mord begehen? Wißt ihr nicht, daß wir nur den Feind töten dürfen, der uns mit den Waffen in der Hand gegenübersteht? Der Wehrlose gehört dem Richterspruch des Kaisers, und wenn er ein Verbrechen begangen, so wird die Strafe ihn treffen.«

Schon war die Schlinge angezogen. Als Pawjels Stimme den Lärm übertönte, wurde der Strick nachgelassen und der Mann auf dem Mauerstein warf schnell die Schlinge über seinen Kopf zurück.

»Pawjel Fjodorew!« ertönte es rings aus den Reihen, von allen Seiten drängten sich die Bulgaren heran, um dem jungen Mann die Hand zu reichen; er erkannte seine Freunde aus Muschina. – »Pawjel Fjodorew,« rief auch der Verurteilte mit gellender Stimme, »Pawjel Fjodorew, rette mich, denke an Stjepanida!«

Pawjel blickte auf, er hatte den Mann mit den Zerrissenen Kleidern im Eifer, ihn zu retten, nicht näher betrachtet, jetzt erkannte er Theofil Leonew, dessen Gesicht von Todesangst verzerrt war und der hilfeflehend die Hände nach ihm ausstreckte. Finster zogen sich Pawjels Augenbrauen zusammen, er machte eine Bewegung, als wolle er sich von dem Elenden abwenden, aber Leonew rief noch einmal in herzzerreißendem Jammerton:

»Pawjel – Pawjel, denke an Stjepanida!«

Rasch entschlossen sprang Pawjel vom Pferde, Warf einem der Bulgaren den Zügel zu und drängte sich bis zu Leonew durch.

»Laßt ihn frei,« sagte er, »ihr habt kein Recht, ihn ungehört zu morden; hat er eine Schuld, so wird er nach Recht und Gesetz gerichtet werden, und seine Strafe wird ihn finden.«

»Ob er eine Schuld hat?« rief einer der bulgarischen Männer. »Der Tod ist eine leichte Strafe für seine Schandtaten, und wir werden nicht warten, bis er seine Richter belügt und betrügt oder heimlich entwischt. Hat er nicht den Türken gedient gegen sein Vaterland und seinen Glauben? Hat er nicht dabei gestanden, als der blutige Achmed Aga, der in seinem Hause wohnte, dem ehrwürdigen Vater Julian die Ohren abschneiden ließ, um den Priester des Herrn zum Spott vor dem Volk zu machen? Er muß sterben, wir haben ihn gerichtet und werden unser Urteil vollstrecken.«

»Pawjel, Pawjel, denke an Stjepanida!« kreischte Leonew mit heiserer Stimme; er hatte den Eindruck bemerkt, den diese Mahnung auf Pawjel machte, und wiederholte in kurzen Zwischenräumen immer dieselben Worte.

»Was er auch immer getan haben mag,« sagte Pawjel, »ihr dürft ihn so nicht morden, ich verbiete es, ich verlange ihn von euch, er ist mein. Ich verspreche, ihn vor Gericht zu stellen, und werde selbst den Kaiser bitten, sein Urteil zu sprechen.«

Zögernd, mit finsteren Blicken standen die Bulgaren da und hielten Leonew auf dem Steine fest, während er in Todesangst sich loszureißen versuchte.

Gebieterisch streckte Pawjel den Arm aus.

»Laßt ihn frei,« rief er, »ich habe euch gerettet und für euch mein Leben eingesetzt, er ist mein, ich verlange ihn von euch!«

Stolz und gebieterisch stand er da, den linken Arm ausgestreckt, mit seinen flammenden Blicken die Soldaten bannend. Er war gewohnt, zu befehlen, die Bulgaren waren gewohnt, ihm zu gehorchen.

Die Soldaten, welche Leonew festhielten, zögerten nach einen Augenblick, dann ließen sie, leise murrend, ihr Opfer los und traten von dem Stein zurück.

Leonew sprang hinab und wollte zu Pawjel hineilen – aber in demselben Augenblick krachte ein Schuß, der Soldat, welcher vorhin gesprochen, war vorgetreten, die Kugel aus seiner Pistole hatte Leonews Brust durchbohrt, mit einem halberstickten Wehruf sank der Unglückliche zuckend zu Boden.

»Er hat seinen Lohn«, sagte der Bulgare. »Du hast viel für uns getan, Pawjel Fjodorew, aber du hast nicht das Recht, uns unsere gerechte Rache zu nehmen.«

Finster blickte Pawjel zu dem Gefallenen nieder, dann sagte er traurig zu dem Soldaten, der mit trotzig entschlossener Miene vor ihm stand:

»Es ist geschehen, was ich nicht zu hindern vermochte – vielleicht hat Gott durch deine Hand sein Urteil vollstreckt: auf dein Haupt komme dies Blut, du wirst davon Rechenschaft geben vor dem Richter, der über uns allen thront.«

»Ich werde es,« erwiderte der Bulgare, »und ich weiß, daß Gott mich freisprechen wird, denn ich habe seine heilige Erde von dem Verräter am Vaterland und Glauben befreit.«

Pawjel trat zu dem Gefallenen heran, dessen Brust mit Blut überströmt war und dessen Körper leise zuckte; er faltete die Hände und bewegte seine Lippen in leisem Gebet.

Plötzlich rief er: »Er lebt noch – seine Lippen bewegen sich, es gilt, ihn zu retten – Wasser, Wasser!« Er kniete neben Leonew nieder und nahm dessen Haupt in seine Arme. In der Tat bewegten sich die Lippen des Verwundeten – er schlug die Augen auf und starrte mit gläsernen Blicken umher. Der grimmige Haß der Bulgaren schien, nachdem die Rachetat vollzogen war, verschwunden zu sein, mitleidig blickten sie auf Leonew herab, einer von ihnen brachte ein in Wasser getränktes Tuch.

Pawjel legte dasselbe auf Leonews Stirn, die erfrischende Kühle schien diesen noch einmal zu beleben; seine Blicke wurden klarer, er sah Pawjel mit fernen wundersam durchdringenden Ausdruck der Sterbenden an, und leise wie ein Hauch klang es von seinen Lippen:

»Pawjel – du hast mich retten wollen – ich danke dir. Sorge für Stjepanida – verzeihe mir um Jesu Christi willen.«

Er erhob mühsam die Hand, um das Zeichen des Kreuzes auf seiner durchschossenen Brust zu machen – dann aber zuckte sein Körper in einem letzten Kampfe, seine Augen brachen, röchelnd tat er seinen letzten Atemzug.

Tief ergriffen standen die Bulgaren umher. Pawjel ließ das Haupt des Toten auf die Erde sinken, er stand auf und sprach ernst und feierlich: »Sein letzter Atemzug hat den Namen des heiligen Erlösers angerufen; was er verschuldet, hat er gebüßt. Tragt ihn in dies Haus, er soll ein ehrliches Begräbnis haben.« Schweigend gehorchten die Bulgaren.

»Jetzt fort,« rief Pawjel, »wir haben keine Zeit zu verlieren, fort gegen die Feinde, welche Gott in unsere Hand gegeben!«

Er schwang sich in den Sattel und ritt an der Spitze der kleinen Schar aus der Stadt hinaus, um den Kampfplatz zu erreichen.

Schon aber war das Feuer verstummt. Bald begegneten sie russischen Truppen, welche gefangene Türken heranführten, die gierig das Brot verzehrten, das die Sieger ihnen mitleidig boten. Sie vernahmen, daß der Kampf beendet sei und die türkische Armee die Waffen gestreckt habe. Da fuhr ein Wagen heran, von Kosaken umgeben, in demselben saß Osman Pascha, den Arm in der Binde, das blasse Gesicht mit dem dunklen Vollbart wehmütig geneigt; er trug einen blauen Mantel ohne alle Abzeichen, den Fes auf dem Kopf. Hinter den Kosaken ritten etwa dreißig türkische Offiziere. Langsam fuhr der Wagen nach Plewna hin. Die russischen Truppen traten an die Seite des Weges und Präsentierten die Gewehre.

Ein Reitertrupp jagte über das Feld her auf den Wagen zu, an der Spitze desselben befand sich der Großfürst Nikolaus. Er ritt zu dem Wagen heran. Osman Paschas Wagen hielt. Der Großfürst grüßte militärisch und sah den feindlichen Heerführer einige Sekunden lang schweigend an, dann reichte er ihm die Hand und sagte in französischer Sprache:

»Ich wünsche Ihnen Glück zur Verteidigung von Plewna, sie gehört zu den glänzendsten Kriegstaten, welche die Geschichte kennt.«

Osman Pascha lächelte traurig und erwiderte:

»Ich glaube meiner militärischen Ehre Genüge geleistet zu haben, und das ist ein Trost in so schwerer Stunde.«

Jetzt ritt auch der Fürst von Rumänien heran und schüttelte herzlich Osman Paschas Hand; dieser verbeugte sich, aber er sprach kein Wort und sah den Fürsten, den er als den rebellischen Vasallen der Pforte betrachten mochte, mit einem Blick voll grimmigen Zornes an.

Noch einmal grüßte der Großfürst, der Wagen des Paschas fuhr weiter nach Plewna zu.

»Ein gewaltiges Gesicht,« sagte der Großfürst ernst zu seiner Umgebung, »wir können stolz sein, solchen Gegner bezwungen zu haben.«

»Es ist das Gesicht eines großen Heerführers,« rief der General Skobeljew, welcher sich im Gefolge des Großfürsten befand, »ich freue mich, ihn gesehen zu haben, und werde ihn mein ganzes Leben nicht vergessen. Osman Ghazi nennen ihn die Türken, und Osman der Siegreiche wird er trotz seiner Niederlage in der Geschichte heißen.«

Der Großfürst wendete sein Pferd und sprengte über das Feld zurück, um den Kaiser aufzusuchen, dessen Annäherung ihm gemeldet war. Pawjel ritt langsam nach dem Lager zurück, hier war nichts mehr für ihn zu tun; er mußte der bangenden Stjepanida die Nachricht bringen, daß er dem Leben und der Liebe erhalten sei.

»Gott hat gerichtet – Gott hat erlöst,« sagte er leise vor sich hin, »möge seine Gnade meiner Zukunft nach so viel Haß und Kampf Liebe und Frieden schenken.«

Noch einmal blickte er durch den stöbernden Schnee zum Himmel auf – dann sprengte er, sein Pferd anspornend, durch die aufgelösten Reihen der türkischen Truppen über die Leichen hin, welche die blutigen Kampfplätze bedeckten, nach Poradin zurück, Glück und Freude, Liebe und Hoffnung im Herzen.


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