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24. Kapitel

Früh schon am nächsten Morgen hatte sich Blagonow erhoben, die Wonne des glücklichen Wiedersehens hatte seine Seele gestärkt, und mit klaren, ruhigen Blicken sah er durch die halbgeschlossenen Vorhänge auf den im Licht der Morgensonne schimmernden Garten des Palais hinab. Marpha lag noch in tiefem Schlummer, der sich nach langen Nächten voll qualvollen Leidens zum ersten Male wieder rein und erquickend auf ihr Haupt herabgesenkt hatte. Tiefe, friedliche Stille herrschte noch überall, und allmählich erst begann die erwachende Dienerschaft ihr Tagewerk, leise sich auf den Korridoren bewegend, um den Schlaf der Herrschaft nicht zu stören, denn auch der Fürst hatte befohlen, ihn nach der ermüdenden Unruhe des vergangenen Tages erst später zu wecken.

Blagonow hatte sich noch am Abend vorher die anonymen Briefe geben lassen, welche seine Frau in betreff Sacharins erhalten. Er durchlas dieselben eifrig und genau mit all der Klarheit und Ruhe, welche er aus dem festen Entschluß schöpfte, um jeden Preis die Fesseln zu zersprengen, welche sich um ihn und Marpha geschlungen hatten; er fühlte, daß er im Begriff stand, einen Kampf auf Leben und Tod zu beginnen, denn der ernste, ruhige und schweigsame Sacharin, der in seinem ganzen Auftreten stets so unveränderlich die Haltung eines trockenen, nur seinem Beruf lebenden Geschäftsmannes festgehalten hatte, mußte furchtbar sicher treffende und vernichtende Waffen in seinen Händen halten, wenn er es wagte, mit solcher Sicherheit gegen ihn und Marpha aufzutreten. Aber gerade das Bewußtsein von der Schwere des Kampfes, den er um der Sicherheit seiner Zukunft, um der Ruhe seiner Seele und seiner Selbstachtung willen für notwendig hielt, gab ihm den freien Blick und den festen Willen wieder, welche er in den bangen Zweifeln der letzten Zeit fast verloren hatte, und mit kaltem, geschäftsmäßigem Blick prüfte er die Wirksamkeit der einzigen Waffe, welche er gegen seinen Feind in Händen hielt.

Die Briefe enthielten genaue Angaben über Veruntreuungen, welche Sacharin in der Verwaltung des fürstlichen Vermögens begangen und durch welche große Summen in seine Hände gelangt sein sollten, ohne daß bei dem außerordentlichen Reichtum des Fürsten der Ausfall bemerklich geworden. Es waren zwar keine bestimmten Beweismittel angegeben, doch würden sich dieselben, wenn man den bezeichneten Spuren folgte, leicht haben finden lassen, und die anonymen Denunzianten hatten versprochen, ganz bestimmte Beweise beizubringen, sobald die Untersuchung eingeleitet und Herrn Sacharin die Verwaltung des fürstlichen Vermögens abgenommen sein würde.

Lange ging Blagonow, nachdem er die Briefschaften gelesen, in tiefes Sinnen versunken auf dem weichen Teppich des Schlafzimmers auf und nieder – immer höher stieg die Sonne herauf, und immer lauter ließen sich draußen auf dem Korridor die Schritte und Stimmen der mit ihrer Morgenarbeit beschäftigten Dienerschaft vernehmen, bald mußte der volle Tag beginnen, und wenn der Fürst sich erst erhoben hatte, so blieb Blagonow keine Minute mehr zu eigener Verfügung; um jeden Preis aber wollte er den Bann sprengen, der ihn gefangen hielt, und auch nicht einen Tag länger die unwürdigen Fesseln tragen, gegen die sein ganzes Wesen sich empörte. Er mußte also schnell und rücksichtslos handeln, wie er es während der ruhigen, stillen Einkehr in sich selbst beschlossen. Eilig kleidete er sich an, nahm aus seinem Reisenecessaire einen kleinen, sechsläufigen Revolver und steckte die Waffe, nachdem er sich überzeugt, daß sie vollständig montiert sei, in die Tasche seines Uniformüberrockes; dann trat er noch einmal vor das von den seidenen Gardinen beschattete Lager, auf welchem Marpha noch immer in festem Schlummer ruhte; ein glückliches Lächeln spielte um ihre Lippen, holde, freundliche Traumbilder mußten ihre Seele umschweben.

Einen Augenblick stand Blagonow in ihren Anblick versunken, seine Hände waren gefaltet, seine Lippen bewegten sich, als ob er ein stilles Gebet spräche für dieses liebliche Wesen, das ihn erwählt hatte, als er noch so tief unter ihr stand, das um seinetwegen so viel gelitten und für dessen Ruhe und Glück er nun seine ganze Kraft einzusetzen bereit war. Er beugte sich herab, um einen Kuß auf ihre Stirn zu drücken, aber schnell fuhr er wieder zurück – sie hatte eine unwillkürliche Bewegung gemacht, und er fürchtete, sie zu erwecken.

Er nahm die Briefe, verließ sein Zimmer und stieg, an den verwunderten Bedienten vorbeischreitend, nach Sacharins Wohnung hinab.

Er verbot dem Diener im Vorzimmer, ihn zu melden, und trat festen, entschlossenen Schrittes und erhobenen Hauptes in das Kabinett des Sekretärs. Herr Sacharin saß bereits an seinem Schreibtisch, erstaunt sah er auf, ein wundersamer Blitz sprühte aus seinen Augen, seine Lippen verzogen sich zu einem eisig kalten, höhnischen Lächeln, aber er empfing den unerwarteten Besuch mit all der ehrerbietigen Artigkeit, die er dem Schwiegersohn seines Herrn schuldig war, und rückte einen Lehnstuhl neben den Schreibtisch zurecht.

Blagonow aber setzte sich nicht; ernst, durchdringend, drohend ruhten seine Blicke auf Sacharin, und trotz der mächtigen Gewalt, welche er aufbot, seine Erregung niederzukämpfen, zitterte seine Stimme, als er sagte:

»Ich komme so früh zu Ihnen, Paul Andrejewitsch, um eine ernste Unterredung mit Ihnen ungestört zu Ende zu führen.«

Sacharins Gesicht zeigte nicht die leiseste Bewegung, nur aus seinen kleinen, scharfen Augen blitzte es wie überlegener Hohn. Schweigend deutete er durch eine Bewegung an, daß er bereit sei, zu hören.

»Es sind hier«, sagte Blagonow, die Briefe in seiner Hand emporhebend, »Anzeigen eingegangen, welche schwere Beschuldigungen gegen Sie enthalten über Veruntreuungen, welche Sie an dem Ihrer Verwaltung anvertrauten Vermögen begangen, indem Sie durch doppelte und gefälschte Quittungen fortgesetzt große Summen unrechtmäßig in Ihren Besitz gebracht. Die Angaben sind ernst, gewichtig und genau präzisiert, es wäre vielleicht meine Pflicht gewesen, dem Fürsten sogleich davon Mitteilung zu machen und eine strenge Untersuchung zu veranlassen; allein ich habe Rücksicht auf einen Diener genommen, der so lange im Dienste des fürstlichen Hauses steht, ich habe meinem Schwiegervater den peinlichen Eklat und die schmerzliche Aufregung ersparen wollen, wenn es möglich ist, deswegen komme ich zu Ihnen, Sie aufzufordern, sich zu rechtfertigen oder Ihre Schuld einzugestehen, damit ich zu einer milden und nachsichtigen Lösung die Hand bieten kann.«

Sacharins Haltung und Miene blieben ebenso unbeweglich wie bisher, Blagonows Worte schienen keinen Eindruck auf ihn zu machen, nur wurden seine stechenden Blicke noch höhnischer und feindlicher.

»Ich muß in meiner Stellung gewärtig sein,« erwiderte er mit schneidender Kälte, »daß Neid und Bosheit ihre Verleumdungen erheben – des Fürsten Reichtum mehrt sich, und ich bin arm, das allein sollte mich gegen alle solche Verleumdungen schützen. Ich werde dem Fürsten antworten, wenn er Rechenschaft fordert und eine Untersuchung verlangt, nicht aber demjenigen,« fügte er, jedes Wort scharf betonend, hinzu, »der, aus dem Nichts emporgestiegen, nur der Mann seiner Frau ist und keine Erinnerung mehr für seine Vergangenheit hat.«

Helle Glut flammte in Blagonows Gesicht auf, drohend machte er einen Schritt gegen Sacharin, dieser blieb unbeweglich wie ein Bild von Erz.

»Ich war auf diesen Trotz gefaßt,« sagte Blagonow, schnell wieder seine Fassung gewinnend, »so hören Sie denn. Ich bin überzeugt von der Richtigkeit dieser Anzeigen hier, ich selbst werde die Anklage gegen Sie erheben, wenn der Fürst zögern sollte, ich selbst werde die Beweise suchen und werde sie finden, ich werde Ihre Bücher prüfen und die Lieferanten vernehmen, welche Sie schonungslos preisgeben werden, sobald sie nichts mehr durch Sie gewinnen können. Ihre Verurteilung zu schimpflicher Strafe ist gewiß, Ihre Existenz ist zu Ende, und Ihr Leben wird in der Zelle des Sträflings oder in den Tiefen der Bergwerke verlaufen.«

Sacharin schwieg noch immer, sein Blick, der bisher fest auf Blagonow geheftet war, senkte sich auf die Papiere herab, welche dieser ihm vorhielt; schnell zog Blagonow seine Hand zurück und fuhr fort:

»Aber ich biete Ihnen einen Ausweg. Sie haben es gewagt,« sprach er mit bebender Stimme, »gegen meine Frau, die Tochter Ihres Herrn, eine vermessene Sprache zu führen und Drohungen auszustoßen, weil Sie irgendein Geheimnis aus meinem vergangenen Leben kennen oder zu kennen glauben – nun denn, ich bin hier, um eine solche Vermessenheit zurückzuweisen, Drohung gegen Drohung, Geheimnis gegen Geheimnis. Sie werden mir hier auf der Stelle das Bekenntnis unterzeichnen, daß Sie den Fürsten in der Ihnen anvertrauten Verwaltung wiederholt betrogen haben; Sie werden die unterschlagenen Summen, die Art des Betruges und Ihre Helfer bei demselben genau angeben; sobald diese Erklärung mit Ihrer Unterschrift versehen in meinen Händen ist, so verspreche ich Ihnen, dieselbe als unverbrüchliches Geheimnis so lange zu bewahren, bis Sie mich durch irgendeinen feindlichen Schritt oder irgendeine Drohung zwingen, von meiner Waffe Gebrauch zu machen. Sie werden bei dem Fürsten Ihre Entlassung erbitten, und ich werde für Sie eine Pension erwirken, so hoch, als sie die großmütige Freigebigkeit des Fürsten nur irgend bestimmen mag, und Sie werden dann statt der Schande und des Kerkers die allgemein geachtete Existenz eines Mannes führen, der von seinem Herrn für langjährige Dienste reich belohnt wurde, und sich für das, was Sie getan, nur noch mit Ihrem Gewissen abzufinden haben.«

»Und wenn ich die verlangte Erklärung verweigere?« fragte Sacharin mit ruhigem, geschäftsmäßigem Ton, ohne die Augen aufzuschlagen.

»Wenn Sie diese Erklärung verweigern,« erwiderte Blagonow, »die Ihnen Rettung und sicheren Rückzug bietet, so lasse ich Sie im nächsten Augenblick als Fälscher und Betrüger verhaften und zur Untersuchung abführen. Verkünden Sie dann wie und wem Sie wollen, was Sie von mir zu wissen glauben, ich fürchte es nicht – die Aussage des entlarvten Betrügers gegen den Schwiegersohn des Fürsten und den Offizier des Kaisers wird wenig Glauben finden, und würde es Ihnen wirklich gelingen, mir Verlegenheiten zu bereiten, wohlan, ich fürchte sie nicht und will alles lieber ertragen als die erniedrigende Anmaßung eines unverschämten Dieners. Sie haben meinen Entschluß gehört, er ist unabänderlich, wählen Sie, aber schnell, denn ich bin nicht gesonnen, auch nur einen Augenblick länger, als es nötig ist, einen Zweifel über unsere gegenseitige Stellung bestehen zu lassen.«

Sacharin hatte immer noch unbeweglich wie vorher dagestanden und langsam sein Haupt tiefer und tiefer geneigt, so daß Blagonow mehr und mehr an die zerschmetternde Wirkung seiner Worte glaubte. Plötzlich aber schnellte Sacharin mit einer blitzartigen Bewegung empor, hochmütiger Hohn und grimmiger Haß zuckten über sein bleiches Gesicht, drohende Blitze sprühten aus seinen Augen, und indem er die Hand gegen Blagonow ausstreckte, sprach er mit einer Stimme, welche schauerlich wie der Donner eines heraufziehenden Wetters klang:

»Armer, verblendeter Tor, der du dich für frei hältst, weil die Hand deines Herrn den Faden nachließ, an den du gekettet bist, der du glaubst, dich lösen zu können von der Vergangenheit, die dich auf ewig festhält, dein Freiheitstraum wird gefährlich, und es tut not, dich zu erinnern an die Macht, der du verfallen bist, denn auch ein Abtrünniger wie du soll nicht umsonst dem Verderben verfallen, obgleich er es tausendmal verdiente. Feodor Michaelowitsch Blagonow, hast du vergessen, daß du dein Leben mit seiner ganzen Kraft dem heiligen Bunde zur Befreiung der Menschheit verschworen hast – hast du vergessen, daß dir der Befehl geworden war, Marpha Nikolajewna, die Tochter des Fürsten Kudiakow, dem Bunde und seiner heiligen Sache zu gewinnen und durch sie dem Bunde einen neuen, geheimen Weg zu öffnen bis in die Nähe des Thrones hinauf? Du hast jenen Befehl nicht auszuführen verstanden, du hast deine eigensüchtigen Wünsche verfolgt und bist hinaufgestiegen zu ungeahnter Höhe, aber glaubst du darum frei geworden zu sein von deiner Pflicht, frei geworden von dem Gehorsam, auf dessen Verletzung der Tod steht? Dein Schicksal hat sich gewendet, anders, als es zu erwarten war, als du selbst es zu hoffen wagtest – aber auch in deiner neuen Stellung gehörst du dem Bunde, und die Dienste, die du vermitteln solltest, hast du jetzt selbst zu leisten. Wohl hatte ich unrecht, daß ich Marpha Nikolajewna das Geheimnis ahnen ließ, das sie in ihrer Angst und Schwäche nicht vor dir bewahren konnte; ich wollte dich in deiner unbefangenen Sicherheit erhalten, um dich noch besser und wirksamer den Zwecken des Bundes dienen zu lassen. Nun aber, da du erfahren, was ich dir noch verbergen wollte, befehle ich dir im Namen des Bundes, alles unweigerlich zu tun, was von dir verlangt werden wird, und fürs erste ist das nicht viel, denn der Bund«, fügte er, mit dem Ausdruck mitleidiger Verachtung die Achseln zuckend, hinzu, »verlangt von seinen Gliedern nur, was sie zu leisten vermögen. Du hast nur zu sehen und zu hören, genau auf alles zu achten, was im Hauptquartier geschieht, und mir ebenso genau darüber zu berichten. Du kennst jetzt meinen Befehl und deine Pflicht, an dir ist es, durch strengen und pünktlichen Gehorsam die Auflehnung, die du schon zweimal versucht hast, vergessen zu machen.«

Blagonow hatte Sacharin, dessen ganze Erscheinung sich, während er sprach, so vollständig verändert hatte, zuerst in zitterndem Entsetzen angestarrt, allmählich aber nahmen seine Züge wieder den Ausdruck finsterer Entschlossenheit an – als Sacharin geendet, fragte er ebenso kalt und ruhig, als jener ihm vorher gegenübergestanden hatte:

»Und wer bist du, daß du es wagst, in diesem Ton mit mir zu sprechen? Würdest du meine Beziehungen zu jenem geheimen Bunde kennen, wie du vorgibst, so würdest du auch wissen, daß dieselben gelöst sind und daß ich keine Verpflichtungen gegen denselben habe, als zu schweigen über das, was ich von ihm weiß.«

»Wer ich bin?« rief Sacharin mit flammenden Blicken, »ich bin der, dessen Leitung Feodor Michaelowitsch Blagonow anvertraut wurde, als er in den ersten Grad des Bundes eintrat, ich bin der, in dessen Händen der von dir geschriebene und unterzeichnete Schwur des Gehorsams ruht, der dich allein kennt und allein über dich zu gebieten hat – wer auch immer dich deiner Pflicht enthoben haben mag, er hat unrecht gehabt, er durfte es nicht, denn nach den Gesetzen des Bundes, die dir bekannt sind, gehört ein jeder der Brüder nur dem, der unmittelbar über ihm steht, dem er übergeben wurde, der ihn überwacht und ihm die Befehle des Bundes übermittelt, ohne daß er selbst ihm bekannt ist. Du aber bist mir übergeben worden, ich habe dich geführt, ungesehen und ungeahnt von dir selbst, ich habe dich in das Haus des Fürsten gebracht, um Marpha zu unterrichten, weil ich sie kannte wie dich, weil ich wußte, daß ihr Herz sich dir zuwenden würde, und weil ich durch dich einen neuen Weg bahnen wollte zu den Höhen der Gesellschaft, welche du damals so bitter verabscheutest, daß ich mich selbst in dir täuschte. Auch wähne nicht, daß du dich von deinen Pflichten befreien kannst, weil das Glück dich den Haß gegen die Gesellschaft vergessen ließ, wer einmal dem Bunde geschworen, hat nicht Ruhe in trägem Genuß der Güter des Lebens, die ihm nicht gehören und die er der ganzen darbenden und leidenden Menschheit wieder zu erobern geschworen hat. Wer es auch immer sei, der dich von deinen Pflichten befreit hat, ich erkenne es nicht an, ich halte dich fest, ich befehle dir, zu gehorchen und zu arbeiten für die heiligen Zwecke des Bundes; ich halte dich fest, denn in meiner Hand ruht der Schwur, mit deinem Blute unterzeichnet, und erbarmungslos werde ich dich von deiner Höhe herabstürzen, wenn du es wagst, mir zu trotzen.

Nun geh hin und mache deine Anzeige, wie du gedroht, aber sei gewiß, daß unmittelbar darauf der hochmütige Feodor Michaelowitsch Blagonow, der Schwiegersohn des Fürsten Kudiakow, der Ordonnanzoffizier des Kaisers als Hochverräter vor Gericht stehen wird – für mich aber gibt es keinen Kerker und keine Fesseln, denn ehe noch das erste Verhör über dich gehalten sein wird, werde ich frei wie der Vogel dahinziehen. Der Bund, dem du deinen Schwur brechen möchtest, weiß ebenso sicher zu schützen als unerbittlich zu strafen.«

Immer bleicher war Blagonow geworden, immer finsterer ruhten seine Blicke auf dem höhnisch triumphierenden Gesicht Sacharins.

»Ich bin gekommen,« sagte er ernst und feierlich, »um Frieden zu bieten –«

»Es gibt keinen Frieden,« rief Sacharin, »mit einem Verräter und Abtrünnigen, so lange er sich nicht in Demut beugt und zu seiner vergessenen Pflicht zurückkehrt –du bist mein, ich kann den reumütigen Gehorsam schonen, aber die trotzige Auflehnung werde ich zu beugen oder zu brechen wissen.«

»Du hast den Kampf um Leben und Tod gewollt,« sagte Blagonow, »mein ist das Leben, dein ist der Tod.«

Schnell zog er den Revolver aus seiner Tasche, ruhigen, sicheren Blickes erhob er mit fester Hand die Waffe gegen Sacharins Stirn, ehe dieser seine blitzschnelle Bewegung bemerken und begreifen konnte – der Schuß krachte und vornüber stürzte Sacharin zu Boden, nur einen dumpfen, röchelnden Laut ausstoßend und in konvulsivischen Bewegungen zuckend.

Starr, blickte Blagonow auf den Gefallenen nieder.

»Es mußte sein,« sagte er leise, »er oder ich, jedes geschaffene Wesen hat das Recht, sein Leben zu verteidigen.«

Man hatte draußen den Schuß gehört, Diener traten erschrocken durch den Salon in das Kabinett; sie schrien entsetzt auf, als sie den blutenden Leichnam am Boden erblickten. Blagonow hatte sich herabgebeugt und den Revolver neben die Hand des Toten gelegt.

»Der Arme«, sagte er ruhig, »hat sich den Tod gegeben, um sich der Rechenschaft zu entziehen, die ich von ihm forderte; er ist der Versuchung erlegen und hat des Fürsten Gelder veruntreut. Die Strafe, die er sich selbst gab, ist doch zu hart, ihm wäre wohl Nachsicht geworden, wenn er seine Schuld gestanden hätte.«

Niemand zweifelte an Blagonows Worten; seine Blässe und der finster verstörte Ausdruck seines Gesichtes waren ja vollkommen durch den plötzlichen Vorfall erklärlich, und nichts konnte den Verdacht erregen, daß er Sacharin getötet habe.

Schnell durchflog die Schreckenskunde das ganze Palais; nach wenigen Augenblicken erschien der Fürst, halb angekleidet, seinen Schafpelz über die Schultern geworfen, in höchster Aufregung. Schaudernd fuhr er vor dem in seinem Blute liegenden Körper Sacharins zurück. Blagonow führte ihn aus dem Kabinett in den Salon, wo der Fürst, ganz erschöpft und unzusammenhängende Klagen ausstoßend, in einen Sessel sank.

»Ich wollte dir Sorge und Aufregung ersparen«, sagte Blagonow; »diese Briefe hier, welche Marpha erhalten, klagten Sacharin des Betruges und der Unterschlagung an. Ich wollte die Wahrheit ermitteln, aber die Sache schonend behandeln, deshalb ging ich zu ihm, hielt ihm die Anklage vor und verlangte von ihm Geständnis oder Rechtfertigung durch Vorlegung seiner Bücher. Er hat den entsetzlichsten Beweis seiner Schuld gegeben, indem er den Revolver aus seinem Schreibtisch nahm und, ehe ich es verhindern konnte, gegen seine Stirn abschoß. Ich wollte ihn schonen und bin gewiß, daß du, mein Vater, Nachsicht geübt hättest. Gott hat gerichtet,« fügte er im Tone der Wahrheit und Überzeugung hinzu, »er möge alle irdische Schuld vergeben und dem Unglücklichen den ewigen Frieden schenken, der als Opfer seiner Taten gefallen ist.«

Der Fürst sprach und fragte in höchster Aufregung bunt durcheinander, bald verwünschte er Sacharin, der so schmählich sein Vertrauen getäuscht habe, bald jammerte und klagte er über seinen Verlust und versicherte wiederholt, daß er ihm ja alles gern verziehen hätte, wenn er seine Schuld gestanden und seine Vergebung erbeten habe.

Blagonow behielt in all dieser Aufregung, welche das ganze Haus ergriffen, seine volle Ruhe. Er hatte sogleich die Anzeige auf der Polizei machen lassen, ein Beamter erschien, um den Tatbestand zu konstatieren. Blagonow gab sicher und klar seine Erklärung zu Protokoll, er legte die Briefe vor, welche Sacharin anklagten und über welche er nach seiner Aussage des Toten Rechtfertigung verlangt hatte. Das Protokoll wurde unterzeichnet und die Leiche fortgebracht; der Fürst befahl, daß dieselbe nach seinen Gütern transportiert und ehrlich begraben werden solle, und damit war die Sache abgemacht. Niemand dachte an eine weitere Untersuchung, niemand faßte einen Verdacht, der zu weiteren Nachforschungen über das Ende des unglücklichen Sacharin hätte Veranlassung werden können. Der Fürst in seiner sanguinischen, leicht empfänglichen und ebenso leicht beweglichen Natur beruhigte sich bald; der alte Iwan Gregorjewitsch, der nie ein Freund Sacharins gewesen, versicherte seinem Herrn, daß er sich vollkommen imstande fühle, um selbst die ganze Vermögensverwaltung zu überwachen, und verschwor sich hoch und teuer, daß er allen Spitzbuben scharf auf die Finger sehen werde, und daß unter seiner Aufsicht auch nicht ein einziger Heller werde veruntreut werden.

So rauschte denn schnell die Woge der Vergessenheit über den Tod, und der Fürst schickte sich an, seine gewohnten Besuche zu machen, um allen seinen Bekannten das außerordentliche Ereignis mitzuteilen und den peinlichen Eindruck desselben in dem Aussprechen seiner Empfindungen sich verflüchtigen zu lassen. Blagonow aber stieg zu Marpha hinauf, nachdem er den Schlüssel zu Sacharins Wohnung an sich genommen, um demnächst dessen Papiere auf Grund der so schauerlich erwiesenen Anklage einer genauen Durchsicht zu unterziehen.

Marpha trat ihm bleich und zitternd entgegen, ihre ganze Seele lag in ihren starren, auf ihn gerichteten Augen.

»Was ist geschehen?« fragte sie tonlos.

»Wir sind frei,« erwiderte Blagonow, »er, der es wagte, dir zu trotzen, ist tot.«

»Entsetzlich!« rief sie, und schaudernd wich sie vor ihm zurück.

»Du fürchtest mich, Marpha,« fragte er finster, »möchtest du ungeschehen machen, was ich getan – möchtest du lieber die Sklaverei ertragen, die dich gestern zur Verzweiflung trieb, und in schwächlichem Jammern von einem Zufall Befreiung hoffen?«

»Es ist entsetzlich,« sagte sie, scheu zu ihm aufblickend, »sein Blut klebt an deiner Hand.«

»Das Blut meines Feindes,« erwiderte er, »der nach meinem Herzen zielte. O hättest du ihn gesehen, wie er in höhnischem Triumph sich die Herrschaft über meine Seele, über meinen Willen, über meine Kraft anmaßte, und ich sollte mein Leben nicht verteidigen, das Gott mir gab und das so viel wert ist wie das seine! Wenn der Soldat im Felde dem Feinde gegenübersteht, der den Arm erhebt zum tödlichen Streich gegen ihn, und wenn er ihm zuvorkommt und den Gegner niederstößt, so nennt man ihn einen Helden und schmückt ihn mit dem Lorbeerkranz des Ruhmes – ich bin Soldat geworden, und was im Felde zu tun meine Pflicht ist, das sollte ich hier nicht tun dürfen, um einen Feind niederzustrecken, der nicht nur mein Leben bedroht, sondern mich verurteilen wollte zu einem Leben in elender, entwürdigender Knechtschaft? – Nein, ich bereue nicht, was ich getan, ich habe ihm den Frieden geboten, er hat ihn zurückgewiesen, und ich würde mich selbst verachten, ich würde kein Mann, ich würde deiner nicht wert sein, wenn ich ohne Kampf mich gebeugt hätte, wenn ich die Waffe nicht gebraucht hätte gegen den Feind, den ich wahrlich ein größeres Recht hatte zu vernichten, als den armen türkischen Soldaten, der seine Waffe gegen mich zückt, ohne mich zu kennen, weil seine Pflicht ihn mir gegenüberstellt. Sei stark, Marpha, du selbst hast den Kampf gewollt gegen den höhnischen, unversöhnlichen Feind, und jetzt wolltest du zagen und zweifeln, da ich den Kampf aufgenommen und da der Himmel mir den Sieg gegeben!«

Sie breitete die Arme aus und warf sich an seine Brust.

»Verzeihe dem schwachen Weibe,« rief sie, »mein Held, mein Befreier! Du hast recht, und ich wäre deiner nicht wert, wenn ich schaudern wollte vor dem, was du für unsere Liebe getan.«

Der Fürst kam, um Blagonow abzuholen. Er fuhr mit seinem Schwiegersohn zur Kaserne von dessen Regiment und lud alle seine Kameraden zum Diner ein; er machte unzählige Besuche, überall erzählte er den traurigen Vorfall in seinem Hause – bald war es in ganz Petersburg bekannt, daß der Sekretär des Fürsten Kudiakow sich erschossen habe, weil man große Unterschiede in seiner Verwaltung entdeckt.

Der Vorfall fand namentlich in dieser bewegten Zeit wenig Beachtung in der Gesellschaft – man war dergleichen Dinge gewöhnt, wenn sie auch nicht immer einen so tragischen Ausgang nahmen – um so mehr Aufsehen aber erregte die Sache in der Geschäftswelt, und noch am Abend desselben Tages erhielt Blagonow zahlreiche Zuschriften von großen Lieferanten, welche sich erboten, jede gewünschte Auskunft zu geben, und daran die dringende Bitte knüpften, daß ihnen die Lieferungen für den Haushalt des Fürsten belassen werden möchten.


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