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22. Kapitel

In dem äußerst einfachen Kabinett seiner Wohnung in dem Palais des Fürsten Kudiakow-Newolenski saß der Intendant Sacharin vor seinem mit Aktenheften, Rechnungsbüchern und Briefen bedeckten Schreibtisch.

Das Zimmer enthielt außer diesem großen Tisch nur noch einige Lehnstühle, große Repositorien, mit Büchern und Papieren gefüllt, und einen mächtigen, feuerfesten Geldschrank, in welchem die unmittelbar disponiblen Geldsummen niedergelegt waren.

Herr Sacharin war ernst, kalt und gemessen wie immer, er übertrug mit geschäftsmäßiger Ordnung und Pünktlichkeit eine Zahl nach der andern aus einer Reihe übereinandergelegter Quittungen in das große Hauptbuch und war so tief in diese Arbeit versenkt. daß er kaum den Diener bemerkte, der ebenso ehrerbietig und vielleicht noch scheuer in das Kabinett des allmächtigen Sekretärs trat, als er vor dem Fürsten selbst erschienen wäre.

»Der Baumeister Martinow bittet den Herrn Sekretär um Gehör«, sagte der Diener. »Er kommt wegen des Baues eines Arbeiterhauses auf der fürstlichen Domäne Dwinowo, wie er sagt.«

»Ich weiß,« sagte Sacharin kurz, indem er die Meldung des Dieners mit einer ungeduldigen Bewegung unterbrach, »es ist richtig, führe den Herrn Martinow herein.«

Er legte die Feder zur Seite und lehnte sich in seinen hölzernen Schreibstuhl zurück, um den Angemeldeten zu erwarten. Nach einigen Augenblicken führte der Diener einen Mann von etwa fünfzig Jahren in einfachem, schwarzem Überrock, von etwas gebückter Haltung, mit einem scharfen, etwas kränklichen Gesicht und kurzen, grauen Haaren ein. Der Baumeister trug eine goldene Brille, und man sah deutlich, daß seine hinter den Gläsern etwas zusammengedrückten Augen schwach und kurzsichtig sein mußten. Er verbeugte sich mit der ehrerbietigen Unterwürfigkeit, welche bei einem Geschäftsmanne dem Verwalter des großen fürstlichen Vermögens gegenüber natürlich war, während Herr Sacharin mit kalt zurückhaltender Herablassung seinen Gruß erwiderte – aber kaum war der Diener hinausgegangen, als der demütig gebeugte alte Mann sich hoch aufrichtete, seine Brille abnahm und lachend sagte:

»Nun, Paul Andrejewitsch, wie findest du meine Maske? Ich glaube, jeder Schauspieler könnte von mir lernen, und die Spürhunde des allwissenden Herrn Mesenzow werden in diesem harmlosen Baumeister Martinow, der sich so demütig um die Kundschaft des hochloyalen Fürsten Kudiakow bewirbt und dessen Papiere so vollständig in Ordnung sind, wohl niemals den staatsgefährlichen Hochverräter Boris Jossisowitsch erkennen.«

»Bah,« sagte Sacharin, »es bedarf kaum der Verkleidung für diese alberne Polizei, deren eine Hälfte in unserem Solde steht, während die andere auf die harmlosesten Schwätzer Jagd macht. Doch warte,« sagte er aufstehend, »wenn wir auch die Blicke der Polizei nicht zu fürchten haben, so müssen wir uns doch vor unberufenen Ohren in acht nehmen.«

Er öffnete weit die beiden Türen des Kabinetts, deren eine nach einem großen, einfach möblierten Salon, die andere nach dem geräumigen Schlafzimmer führte.

»Und die Wände?« fragte Boris Jossisowitsch.

»Ich bin bei mir,« sagte Sacharin, »und du wirst begreifen, daß ich auch die Mauern, die Fußböden und die Decken meiner Wohnung genau kenne, habe ich doch sechs Agenten des Herrn Mesenzow hier im Palais, welche alle Gespräche der Domestiken belauschen und täglich der dritten Abteilung über die eifrige Dienstbereitschaft berichten, welche der Sekretär des Fürsten Kudiakow den Wünschen der Behörde entgegenträgt.«

Boris Jossisowitsch nahm auf einem Sessel neben dem Schreibtisch Platz, und obgleich er jetzt in seiner Haltung und seiner Sprache jede Verstellung aufgab, so war doch seine durch seine Schminke und eine täuschend gearbeitete Perücke hergestellte Maske so täuschend und natürlich, daß niemand in diesem einfachen alten Mann den eleganten modischen Weinreisenden wiedererkannt haben würde, welcher einst im Restaurant Vert mit dem Intendanten des Fürsten Kudiakow, seine Lieferungen verabredet hatte.

»Du hast mich gerufen,« sagte er, »was gibt es? Ich habe geglaubt, daß wir nach unserer früheren Verabredung jetzt nichts zu tun hätten als abzuwarten.«

»Die Zeit des Wartens ist vorbei,« erwiderte Sacharin, »der Augenblick des Handelns ist gekommen; doch habe ich es für nötig gehalten, vor dem Schlage, den wir jetzt zu führen haben, mich mit den Brüdern draußen durch dich zu verständigen, damit jeder weiß, was zu tun ist, und alle gemeinsam handeln, um die Frucht zu pflücken, welche schneller gereift ist, als ich glaubte.«

»Einen Schlag jetzt,« fragte Boris Jossifowitsch, »in diesem Augenblick, in welchem die ganze Armee unter den Waffen steht und das ganze Volk voll nationaler Begeisterung die Regierung umgibt, nichts anderes sinnend und träumend als nationale Größe? Wir alle sind niedergedrückt, und ich kann dir nicht verhehlen, daß die Brüder fast alle bedauern, daß wir diesen Krieg nicht verhindert haben, als es noch in unserer Macht lag.«

»Wir hatten recht,« erwiderte Sacharin, »der Erfolg beweist es, der schneller gekommen ist, als ich selbst es vermutete. Die Armee ist unter den Waffen, das ist richtig, aber sie ist festgehalten weit außerhalb der Grenzen des Reiches; die Garden haben den Befehl erhalten, nach dem Kriegsschauplätze abzugehen die letzte waffenfähige Mannschaft wird überall ausgehoben, um aus dem Lande geführt zu werden, das Volk ist begeistert für den Zaren, weil es von demselben Ruhm und glänzende Siege erwartet.«

»Und was sollen wir tun?« fragte Boris Jossifowitsch kopfschüttelnd.

»Schlagen,« erwiderte Sacharin, »und mit einemmal wird alles uns gehören, was wir erst in langer Arbeit mühsam zu erringen hofften. Die Siegesnachrichten«, fuhr er fort, »haben das ganze Volk in seinen Tiefen erregt, der unerwartete Übergang über den Balkan hat alles berauscht, man erwartet weitere größere Siege und träumt schon von der Eroberung Konstantinopels, welche Rußland den Schlüssel der Weltherrschaft in die Hand geben soll. Nun aber hat die Torheit der Regierenden, welche stets unsere beste Verbündete ist, den geträumten Sieg gefährdet, ja fast unmöglich gemacht; ein gewaltiges türkisches Heer steht bei Plewna mitten in den russischen Aufstellungen, die Armee kann nicht weiter vorrücken, oder wenn sie es tut, wird sie in kurzer Zeit vernichtet sein. Der an die Garden ergangene Befehl beweist, in welcher Not man sich im Hauptquartier befindet, aber auch die Garden werden nicht genügen, um die Schuld der törichten Sorglosigkeit wieder gutzumachen. Ich habe den Gang des Krieges sorgfältig studiert und weiß genau, was im Hauptquartier vorgeht; in kurzer Zeit wird die russische Armee von drei Seiten angegriffen sein, und wenn es ihr wirklich gelingt, sich wieder freizumachen, so wird darüber eine lange Zeit vergehen, eine Zeit voll ungeheurer Opfer, schwerer Verluste und bitterer Demütigungen. Unendlich schnell wird die jetzige Volksstimmung in ihr Gegenteil umschlagen, sobald die verzweiflungsvolle Lage der Armee in ihrer ganzen Wahrheit überall bekannt sein wird.«

»Ich gebe zu,« erwiderte Boris Jossifowitsch, »daß du recht hast, ich weiß, wie gut du unterrichtet bist und wie scharf du zu rechnen verstehst – aber wenn alles wirklich so geschieht, so wird das nationale Gefühl um so begeisterter aufwallen – das Unglück stärkt die Monarchie, wie das Jahr 1813 beweist.«

»1813 ist nicht 1877,« erwiderte Sacharin, »und wir haben diesmal keinen feindlichen Eroberer im Lande, der das Volk in seinen innersten Gefühlen verletzt, wir haben es mit einem unnütz begonnenen und töricht geführten Krieg zu tun, für den die Regierung die Verantwortung trägt, dessen unglückliche Wendung ihr allein zur Last fällt; das Gefühl des Volkes schließt sich nur an den Zaren, den man liebt und in dem man den Befreier der Bauern verehrt. Nun wohl,« sagte er, die Stimme dämpfend, »der Augenblick ist gekommen, in welchem der Zar verschwinden muß, die Maschine ist genügend zerrüttet, um auseinanderzufallen, sobald ihr Mittelpunkt, die einzig treibende Feder, ihr genommen ist.«

Boris Jossifowitsch fuhr erschrocken zusammen.

»Der Zar muß verschwinden?« fragte er – »du denkst den Zaren zu treffen in diesem Augenblick inmitten seiner Armee? – Ganz Rußland würde sich erheben in einem einzigen Racheschrei.«

»Ganz recht,« sagte Sacharin kalt, »aber gegen wen würde diese Rache sich richten? – Zunächst gegen den Mörder des Zaren – das Werkzeug muß der großen Sache geopfert werden – dann aber wird das Chaos beginnen, das Chaos, welches wir beherrschen, das wir zu einem neuen Weltbau ordnen werden, nachdem die Trümmer des Bestehenden hinweggeschwemmt sind; der Racheschrei wird sich richten gegen die herrschenden Personen und die herrschenden Klassen, welche das Volk um seine Siegeshoffnung betrogen und das Blut so vieler Taufende unnütz vergossen haben. Nach jeder Niederlage sucht man die Schuldigen – haben die Franzosen nicht jeden geschlagenen General zum Verräter gestempelt? – Und bei uns würde das nicht einmal falsch, nicht einmal ungerecht sein; der neue Kaiser selbst würde an die Schuld aller derer glauben, welche bisher regierten, und der Schmerz über den Tod seines Vaters würde seinen Zorn nur steigern, er wird in der wilden Erregung des Augenblicks das Werk vollenden und alles zertrümmern, was von der alten Maschine nach ganz ist, er ist von Aksakows Ideen erfüllt, er wird von neuen Einrichtungen Hilfe in der Not suchen, er wird diese Einrichtungen dekretieren, aber nicht die Macht haben, sie auszuführen, und seine Dekrete werden die Erregung des Volkes nur bis zur Siedehitze treiben; er wird, von den Feinden eingekeilt, vor allem kämpfen müssen, um den Sieg zu erringen, vielleicht um die Existenz zu erhalten, und verließe er selbst die Armee, käme er in das Land zurück, so wird er einsam auf einem Vulkan mit tausend Kratern stehen, und den Ausbruch dieses Vulkans werden wir lenken und beherrschen. Petersburg gehört uns, sobald die Garden nicht mehr da sind, die Armee wird auseinanderfallen auf den bulgarischen Schlachtfeldern, und das ganze Volk wird ratlos und verzweifelt der einzigen festen Fahne folgen, die es noch aufrecht sieht, diese Fahne aber wird die unsere sein; lassen wir diesen Augenblick vorübergehen, so wird nie ein ähnlicher sich bieten.«

»Ein Mord,« sagte Boris Jossifowitsch schaudernd – »ein Mord an einem Mann, der im Grunde gut ist, der das Volk liebt und der keine andere Schuld hat, als daß er als unumschränkter Herrscher geboren ist!«

»Haben wir dieser Rasse nicht Vernichtung geschworen, ist ihre Vernichtung nicht notwendig, um die Menschheit zu befreien und glücklich zu machen? – Auch du wirst schwach, wenn es gilt, zu handeln und zu tun, was wir längst als unerbittliche Notwendigkeit erkannt haben! Auch ich verwerfe und verabscheue den Mord, wenn er unnütz ist, wenn er keinen weiteren Zweck erfüllt als die Vernichtung eines einzelnen Feindes; aber keine Faser meines Nervensystems zuckt in unwürdiger Schwäche, wenn ich die Notwendigkeit vor mir sehe, einen Menschen zu vernichten, um das ganze Menschengeschlecht glücklich zu machen – darf denn das Mitleid einen Platz finden in unserer Arbeit? Würden denn jene, die wir bekämpfen, weil sie die Freiheit der Welt unterdrückten, Mitleid mit uns haben – würde die Hand dieses Kaisers selbst, den du für gut hältst, von dem du sagst, daß er sein Volk liebt, würde diese Hand zucken, wenn es sich darum handelte, das Todesurteil über einen von uns zu unterzeichnen?«

Boris Jossifowitsch seufzte.

»Du hast recht,« sagte er, »du hast recht, aber ich kann meinem Herzen nicht verbieten, daß es nicht zuweilen menschlich fühlt auch für diejenigen, welche unsere Feinde sind.«

»Ich weiß, daß dein Sinn fest ist und dein Wille stark,« erwiderte Sacharin – »aber«, fügte er mit strengem Vorwurf hinzu, »du mußt es lernen, auch deine Nerven zu beherrschen, denn es kann verhängnisvoll werden, wenn eine einzige dieser Fasern im entscheidenden Augenblick den Dienst versagt; ich würde meinen Bruder zerschmettern, wenn er im Augenblick der notwendigen Tat zögerte und schwankte.«

»Du bist stark,« sagte Boris, indem er mit scheuer Bewunderung in das unbewegliche, gleichmäßige Gesicht Sacharins blickte, »aber sei überzeugt, auch ich werde niemals fehlen, wo es gilt, für unsere Sache mit ganzer Kraft und vollem Willen einzutreten. Du bist also der Meinung, daß wir jetzt schlagen, den Zaren treffen müssen, um mit einem Male in kühnem Fluge unser Ziel zu erreichen, während die russische Macht am Balkan und an den Erdwällen von Plewna zerschellt. Deine Gründe haben mich fast überzeugt; wenn es gelingt, wie du es berechnet hast, so wird freilich Rußland unser sein, und unser Reich wird beginnen über der schnell versunkenen Vergangenheit; wir werden Zeit haben, unsere Gesellschaft aufzubauen, denn kaum möchten die monarchischen Mächte Europas es wagen, sich in unsere Angelegenheiten zu mischen, und wenn sie dennoch es unternehmen sollten, so würden sie noch schneller und noch vernichtender zurückgeschlagen werden, als ihnen dies einst von dem zur Freiheit erwachten Frankreich widerfuhr, und hinter ihren versprengten Heeren her würde die Revolution vom Osten aus noch sicherer ihren Siegeslauf durch die Welt unternehmen, als sie dies damals vom Westen her tat. Aber wenn nun dennoch deine Berechnung dich täuscht, wenn der Schlag dennoch nicht die Wirkung hätte, die wir erwarten, oder wenn er mißlänge, würden dann nicht die Folgen für uns verderblich sein – dürfen wir unsere große, heilige Sache, deren Sieg wir so lange vorbereiten, in einem einzigen Wurf wagen?«

»Wir wagen nichts,« erwiderte Sacharin im Tone sicherer Überzeugung, »und sollten wir wirklich diesmal nicht zum vollen, endgültigen Siege durchdringen, so wird die grenzenlose Verwirrung, die Sprengung des ganzen Räderwerks der Staatsmaschine uns wenigstens dem Siege um ein Menschenalter näher führen. Und sollte der Schlag mißlingen, so wird der erschrockene, eingeschüchterte Zar selbst die Verwirrung noch vermehren und uns in die Hände arbeiten. Übrigens möchte ich dafür stehen, daß der Schlag nicht mißlingt«, fuhr er mit ruhig sicherem Lächeln fort; »ich habe dafür gesorgt, daß unser Arm bis in das Hauptquartier reicht, und daß uns der Weg offen steht bis vor das Zelt des Kaisers. Die fortschreitende Wissenschaft hat sich in unseren Dienst gestellt – die Kugel und der Dolch sind trügerisch, das Gift entzieht sich der Berechnung und hängt oft vom Zufall ab – aber das Dynamit ist sicher, es verwundet nicht und tötet nicht, es vernichtet und zersprengt sein Opfer in Atome – das ist unsere Waffe, denn auch wir wollen ja die alte Gesellschaft zersprengen und ihre Atome in dem leeren Raum zerstreuen lassen; die Hand eines Kindes, das einen Federball werfen kann, genügt, um mit dieser neuen Waffe der Wissenschaft ein Bataillon vom Erdboden verschwinden zu lassen. Sieh hier,« sagte er, indem er die Schublade seines Schreibtisches öffnete und aus derselben eine kleine Kugel von starkem Glase hervorzog – »sieh hier, dieser leichte Ball, zu den Füßen des Zaren niedergeworfen, genügt, um ihn zu vernichten, und du wirst begreifen, daß ein einzelner Mann wenigstens sechs solcher Bälle schleudern kann, bevor man imstande sein wird, ihn daran zu hindern.«

Boris beugte sich unwillkürlich schaudernd rückwärts.

»Die Kugel ist nicht gefüllt,« sagte Sacharin mit kaltem Lächeln, »aber die Sprengmasse würde sie nicht schwerer machen. Du siehst, ich habe an alles gedacht, und es müßte ein sonderbar unglücklicher Zufall sich uns entgegenstellen, wenn der Schlag mißlingen sollte. Ich bin nicht zum Verschwörer gemacht,« sagte er finster und hart, »ich weiß wohl, daß manche von den Brüdern einen Reiz darin finden, im Dunkeln Fäden zu knüpfen und wieder zu lösen, in kleinen Streiten ihre Macht zu zeigen, das ist nicht meine Sache – ich will auf das Ziel losgehen, ich will mit einem Schlage den Preis des Kampfes erringen, um womöglich auch meinerseits noch teilzunehmen am Genuß der Frucht des Sieges.«

Boris betrachtete sinnend die Glaskugel, welche Sacharin ihm gereicht hatte.

»Diese Kugel«, sagte er, »ist ein Werkzeug, aber um sie sicher treffen und vernichten zu lassen, ist eine Hand erforderlich, die sie schleudert – hast du eine solche Hand, bist du gewiß, daß sie nicht zittert und in sicherem Wurf ihr Ziel treffen wird?«

»Ich habe sie,« erwiderte Sacharin, »sie ist bereit, die Waffe zu schleudern, und daß der Wurf fest und sicher treffen wird, dafür bürgt mir die Furcht, das beste Mittel, die Menschen zu regieren, solange noch das tausendjährige Gift des Despotismus in ihrem Blute steckt, solange sie nicht in der neuen Gesellschaft zur Freiheit erzogen wird. Derjenige, in dessen Hand ich diese Kugel legen werde, wird wissen, daß auf dem Ungehorsam der Tod steht, daß er verloren ist, wenn er schwankt und zögert, und nur sein Leben retten kann, wenn er sicher und vernichtend trifft – da er das weiß, so wird er nicht schwanken, er wird sicher treffen, und die Furcht wird ersetzen, was leider der Mut und der Wille bei den wenigsten Menschen des heutigen Geschlechtes vermag.«

»Ich sehe,« sagte Boris, »du bist auf alles gefaßt, auf alles vorbereitet. Gut denn, ich beuge mich deinem Willen – was habe ich zu tun?«

»Nichts, um die Tat zur Ausführung zu bringen,« erwiderte Sacharin – »viel, ja alles vielleicht, sobald sie geschehen ist. Du weißt, daß die bedeutendsten und hervorragendsten unserer Brüder im Auslande sind, eile zurück nach London, vereinige sie schnell, laß sie sich bereithalten, um hier zu sein, sobald der Schlag gefallen ist. Zum ersten Male werden wir dann nicht zu zerstören, sondern zu organisieren haben; die Zerstörung wird sich von selbst mit der Geschwindigkeit des fallenden Steines vollziehen – wir aber müssen bereit sein, die Zügel zu ergreifen, um auf der Stelle das herrenlose Reich in Besitz zu nehmen und von hier aus die Zersetzung in die Armee zu werfen, damit der neue Zar und seine Kaste allein bleibe inmitten der türkischen Heere. Eine Anzahl der entschlossensten unserer Brüder müssen sogleich um jeden Preis, mit guten Pässen versehen, hierherkommen; die Zahl derer, über die ich verfügen kann, reicht nicht aus, um alle Hauptplätze des Reiches zu besetzen, und doch muß dort sogleich gehandelt werden; die übrigen müssen bereit sein, sowie die Kunde von dem Schlage in die Welt dringt, hierher zu eilen. Ich selbst übernehme Petersburg, dir habe ich Moskau zugedacht, für den ersten Anlauf ist es in guten Händen, sobald du kommen kannst, gehe dorthin. Mit diesen beiden Plätzen in unseren Händen gehört Rußland uns, und wahrlich, wenn mein wohlvorgedachter Plan gelingt, so wird die neue Welt zum Heil der Menschheit sich aufbauen, ohne daß nur die Hälfte von dem Blut vergossen wird, das einst in Frankreich vergebens geopfert wurde, um einem neuen Despoten einen Thron aufzubauen. Hier,« sagte er, Boris einen großen, mit eigentümlichen Charakteren beschriebenen Bogen reichend – »hier ist die Disposition, die ich für unseren Plan entworfen; sie ist in unserer geheimen Schrift geschrieben, nimm sie mit dir, ich bin gewiß, daß du sie billigen wirst, und verfüge danach über die Brüder im Ausland; dein ist die Sorge, daß jeder an seinem Platz sei, wenn der Augenblick kommt, ich übernehme es, den Schlag zu führen und die Hauptstadt in meiner Hand zu halten.«

Boris steckte das Blatt ein und sagte: »Es soll geschehen, wie du verlangst, du wirst zufrieden sein. Wieviel Zeit gibst du uns für die Vorbereitung?«

»Drei Wochen zum höchsten,« erwiderte Sacharin, »denn wenn auch kaum eine günstige Wendung in Bulgarien zu erwarten ist, so dürfen wir doch dem Zufall nichts überlassen.«

»Gut,« erwiderte Boris, »das wird genügen, wir sind ja alle immer bereit und des Rufes zur Tat gewärtig – doch,« sagte er dann, »unsere Mittel sind erschöpft, wir bedürfen starker Unterstützungen, um frei handeln und rechtzeitig eingreifen zu können; was kannst du tun, auf welche Summen können wir rechnen?«

»Genügen hunderttausend Rubel?« fragte Sacharin – »diesen Betrag kann ich dir sogleich zur Verfügung stellen; ist mehr nötig, so bedarf ich acht Tage.«

»Es ist genug, weitaus genug,« erwiderte Boris, »mit dieser Summe bin ich gewiß, alle nötigen Ausgaben überschießend decken zu können.«

Sacharin öffnete den eisernen Geldschrank und nahm aus einem Fache desselben ein Paket mit Banknoten über tausend Rubel. Er zählte hundert Stück von denselben ab, verschloß sie in einem starken Kuvert und reichte Boris Jossifowitsch die Papiere, welche ein Vermögen repräsentierten.

»Ich kenne deine Vorsicht,« sagte er, »es ist besser, du nimmst das Geld unmittelbar mit, Wechsel und Anweisungen können Aufsehen erregen und Nachfragen veranlassen.«

Boris barg das Paket sorgfältig in seinen Taschen.

»Paul Andrejewitsch,« sagte er dann, »weißt du, daß ich oft fast mit Schrecken und Furcht zu dir aufblicke, daß mich neben dir ein Gefühl überschleicht, als ob neben mir ein Felsen zu schwindelnder Höhe aufsteige? Deine Gedanken umfassen die Welt, du kennst die Furcht nicht und das Zagen, und immer sind in deiner Hand die Mittel bereit, um auszuführen, was du ersonnen und beschlossen hast; wie machst du es möglich, über solche Summen zu verfügen – die Mittel des Bundes kommen zum größten Teil von dir, und was wir mit Mühe hier und dort zusammenbringen, das überbietest du stets mit deinen Gaben, du mußt Dämonen in deinem Dienste haben.«

»Meine Dämonen«, erwiderte Sacharin lächelnd, »sind der klare Blick und der feste Willen. Du bist erstaunt über die Summen, die mir zu Gebote stehen – du kennst das Vermögen des Fürsten Kudiakow nicht, das ich verwalte.«

»Aber,« fragte Boris, »kann das dauern, in welche Gefahren bringst du dich dadurch, bedenke, wenn wir dich verlören, wer sollte dich ersetzen?«

»Sei ruhig,« erwiderte Sacharin, »ich setze mich solcher Gefahr nicht aus. Der Fürst ist reich genug, um noch mehr, als bis jetzt geschehen, für die Zwecke des Bundes beizutragen, und vielleicht«, fügte er mit spöttischem Lächeln hinzu, »werden wir ihm einst anrechnen, was er für unsere Sache getan. Er wirft nie einen Blick in seine Rechnungen, und wenn er es tut, so würde er sie in der musterhaftesten Ordnung finden – es ist so leicht, einer Quittung in einem Ausgabeposten eine Zahl vorzuschreiben und im Laufe des Jahres große Posten verfügbar zu machen. Ich habe keine Bedürfnisse, mein Lebensziel ist die Befreiung der Menschheit aus der Sklaverei des unnatürlichen, frevelhaften Despotismus, und was andere für sich und ihren flüchtigen Lebensgenuß tun, das tue ich für die Zukunft der Menschheit. Sei also ruhig, bald, so hoffe ich, werden wir dieser Mittel nicht mehr bedürfen, denn uns wird alles gehören, worüber jetzt die entartete Kaste verfügt. Aber wäre es auch nicht, meine Quellen werden nicht versiegen, da ich arm bin für mich, werde ich immer reich sein für die heiligen Zwecke unseres Bundes.«

Er stand da, mit seinem ruhigen, stillen Lächeln, stolz blitzten seine Augen, und über sein strenges, kaltes Gesicht zog es leuchtend hin wie ein Schimmer idealer Verklärung. Boris faßte mehr ehrerbietig als vertraulich seine Hand und sagte:

»Paul Andrejewitsch, ich bewundere dich, aber fast fürchte ich dich. Wenn dein Plan gelingt, wenn deine Berechnung nicht trügt, dann wird die alte Gesellschaft zusammenbrechen – aber ich glaube, die neue Welt, an der wir bauen, wird einen Herrn haben.«

»Vielleicht,« sagte Sacharin – »vielleicht ist es ein Gesetz der Natur, daß jede neue Schöpfung einen Führer und Meister hat; aber ich schwöre dir, Boris Jossifowitsch, daß der Herr, den du fürchtest, keinen andern Wunsch und kein anderes Streben haben wird, als das Glück der freien Menschheit für alle Ewigkeit zu befestigen. Jetzt eile, daß, wenn die Stunde der großen Entscheidungsschlacht naht, jeder auf seinem Posten steht.«

Boris neigte sich tief vor Sacharin, der noch einmal mit kräftigem Druck seine Hand schüttelte; dann setzte er seine Brille wieder auf, nahm seine gebückte Haltung an, und die Diener in dem Vorzimmer sahen den bescheidenen Baumeister, dem der Intendant einen Bau auf den Gütern des Fürsten übertragen, schüchtern und demütig durch das Vorzimmer schreiten und das Palais verlassen.

Herr Sacharin fuhr so ruhig, als ob er in der Tat nur über den Bau eines Arbeiterhauses verhandelt habe, in der Beschäftigung mit seinen Akten und Rechnungsbüchern fort. Da trat hastig und aufgeregt sein Diener ein und rief:

»Soeben ist der gnädige Herr Feodor Michaelowitsch Blagonow angekommen; er bleibt einige Tage hier, um mit seinem Regiment auszurücken.«

»Ich werde die Ehre haben, mich dem gnädigen Herrn vorzustellen und nach seinen Befehlen zu fragen«, sagte Sacharin, ohne daß eine Muskel seines Gesichts sich bewegte; aber als der Diener wieder hinausgeeilt war, zog sich sein Gesicht finster zusammen, und sinnend sprach er:

»Was bedeutet das – ist das Zufall, oder sollte sie dennoch gewagt haben, ihm eine Mitteilung zu machen? Es gilt aufmerksam zu sein und fest die Zügel zu fassen, damit nicht das Sandkorn eines Zufalls das wohlgefügte Räderwerk meiner Berechnung hemme – ihn jedenfalls halte ich sicher in meiner Hand, und wenn er es wagen sollte, meinen Weg zu kreuzen, so habe ich die Zauberformel, die ihn machtlos zu meinen Füßen niederwirft.«

Er verschloß seine Bücher in den eisernen Schrank, nahm seinen Hut und ging nach den Gemächern des Fürsten, in dessen Vorzimmern sich die ganze unmittelbare Dienerschaft neugierig und leise untereinander flüsternd zusammendrängte.


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