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7. Kapitel

Der Kollegienrat von Dobbrodorow hatte trotz der Erschütterung, in welche ihn der außerordentliche Befehl des Generalgouverneurs versetzte, die Geschäfte seines Bureaus mit der gewohnten Ordnung und Pünktlichkeit abgemacht. Er hatte die Listen zur Versendung des Artikels der Moskauer Zeitung, dessen Verfasser zwanzig Jahre früher in den abgelegensten Fernen Sibiriens verschwunden wäre, aufgestellt und die Expedition der Exemplare, welche in rascher Folge von der Druckerei im Gouvernementsgebäude einliefen, geordnet. Die verwunderten Gesichter seiner Unterbeamten, welche teils noch fester als er in dem Boden der Vergangenheit wurzelten, teils von dem neuen Geiste negativer Kritik durchdrungen waren, hatte er durchaus nicht beachtet, auch auf keine der Fragen geantwortet, welche mit Schreck und Entsetzen, oder mit kaum verhülltem höhnischen Triumph an ihn gerichtet wurden; er gab sich, wie das ja auch zu den Gewohnheiten in der dienstlichen Hierarchie gehörte, mit sicherem Geschick den Anschein, als ob er in die Gründe der hohen Verfügung vollkommen eingeweiht sei und die Überzeugung von der Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit derselben vollkommen teile, denn niemand von seinen Untergebenen durfte ja ahnen, daß eine so wichtige Maßregel habe getroffen werden können, ohne daß der Herr von Dobbrodorow darüber befragt und zu Rate gezogen worden wäre.

Alle diese Erschütterungen und all der Zwang, den er sich auflegen mußte, erschöpften ihn und ließen ihn das Ende der Dienststunden freudig begrüßen. Sonst hatte er sich fast mit einer gewissen Wehmut von seinen Bureaus getrennt, denn hier war ihm alles, soweit sein Blick reichte, untertänig, alles lauschte seinem Wort, und der kleinste seiner Befehle wurde mit der ängstlichsten Pünktlichkeit befolgt. Wenn er in der kurzen Vortragszeit bei seinem Chef den schuldigen Tribut der Ehrfurcht und des Gehorsams abgetragen hatte, so konnte er dafür die ganze übrige Zeit in den Räumen, welche sein Wille beherrschte, und in welchem sein Blick nur auf demütig geneigte Häupter fiel, sich in den süßen Traum versetzen, daß die ganze unumschränkte Macht der kaiserlichen Selbstherrscher aller Reußen in seine Hände gelegt sei, denn soweit die Wände und Aktenrepositorien seiner Bureaus reichten, war er der einzige Repräsentant der kaiserlichen Macht und Autorität. Weder auf der Straße noch in seinem Hause fand er eine gleiche Anerkennung der Wichtigkeit und unumschränkten Machtvollkommenheit seiner Person, und es entstieg daher jedesmal ein leichter Seufzer der Wehmut seiner Brust, wenn er seinen Überrock anzog, seinen Hut aufsetzte und nach einem letzten Abschiedsblick auf die wohlgeordneten Aktenrepositorien mit herablassendem Gruß durch die ehrfurchtsvoll geneigten Reihen seiner Unterbeamten hinausschreitend, sein Bureau verließ, um in die Welt draußen zurückzukehren, in welcher es gar so viele Personen gab, die über ihm standen, und in welcher auch die in der Rangordnung des Tschin unter ihm Stehenden mehr und mehr anfingen, den Respekt zu vergessen, den sie seiner Würde schuldig waren.

Heute aber erwartete er den Schluß der Bureaustunden fast mit Ungeduld, denn es schien ihm nach dem Unerhörten und Unglaublichen, das er erlebt, als ob die Grundsäulen seiner ganzen Existenz ins Schwanken geraten wären, und er fühlte das Bedürfnis, sich in einsamer Ruhe zu sammeln, um darüber nachzudenken, auf welche Weise er sich in die neu hereinbrechende Zeit einfügen könne. Denn von Jugend auf war ja seine ganze geistige Tätigkeit darauf gerichtet, die in den maßgebenden Kreisen herrschenden Ideen ganz in sich aufzunehmen, sich mit denselben zu durchdringen und zu einem lebendigen Typus derselben zu machen, und so widerwärtig ihm diese neue Strömung auch war, welche von oben herab die Regierung zu durchdringen schien, so zögerte er doch keinen Augenblick, die ganze Geschmeidigkeit seines Geistes aufzubieten, um auch in dieser neuen Strömung auf der Oberfläche zu bleiben. So schnell aber war dies nicht möglich, und Herr von Dobbrodorow sehnte sich deshalb nach der stillen Einkehr in sich selbst, um den Grimm über die so verhaßte neue Richtung niederzukämpfen, welche ihn zwang, sein ganzes, inneres Wesen gewissermaßen in neue Falten zu legen.

Er stieg die Stufen der drei Treppen, welche ihn zu seiner Wohnung an der Mjanitzkaja führten, hinauf, zog sich in sein kleines, an der Hinterseite des Hauses liegendes Zimmer zurück, dessen einziges Fenster ihm einen weiten Blick über die Gärten der Stadt bot, und war sehr zufrieden, als sein Diener ihm meldete, daß die gnädige Frau noch nicht zu Hause sei, obgleich die Stunde des Diners unmittelbar bevorstand und er sonst über jede Störung der pünktlichen Hausordnung sehr ungehalten zu sein pflegte, wenn er auch seinen Unwillen, dem er seiner Frau gegenüber nicht Luft zu machen wagte, wesentlich an dem Diener ausließ, der doch die geringste Schuld an der Verletzung der regelmäßigen Ordnung hatte.

Dieser Diener führte den französischen Namen Jean, obwohl seine ganze Erscheinung deutlich zeigte, daß seine Wiege nicht in Frankreich, sondern auf dem Boden des alten, heiligen Rußland gestanden habe. Seine nach der Nasenwurzel schräg zusammenlaufenden Augen, seine breiten Backenknochen, sein großer Mund mit den vollen Lippen und den kräftigen, blendend weißen Zähnen, sein volles, dichtes, welliges Haar konnten keinen Zweifel über seine echt slawische Abstammung übriglassen – aber er war in eine blaue Livree mit etwas abgetragenen Tressen gesteckt, seine Haare waren mit dem Brenneisen bearbeitet und mit Pudermehl bestreut, und er hatte die für das Anmelden von Besuchen nötigen französischen Phrasen erlernen müssen, da Frau von Dobbrodorow es für nötig hielt, bei der Rangstellung ihres Mannes ihr Haus auf französischen Fuß einzurichten.

Der gute Jean, welcher nur schüchtern die Meldung gemacht hatte, daß das Diner sich wohl noch ein wenig verzögern werde, sah seinen Herrn ganz erstaunt an, als dieser über die Meldung recht zufrieden schien, und Herr von Dobbrodorow setzte sich in seinem Zimmer nieder, um langsam und bedächtig den Artikel der Moskauer Zeitung zu lesen, welcher ihn am Morgen in so große Aufregung versetzt hatte. Immer eifriger studierte er denselben, er wiederholte einige besonders vollklingende Sätze desselben mehrere Male mit lauter Stimme, als ob er dieselben seinem Gedächtnis einprägen wolle. Endlich schien er mit seinem Studium zu Ende zu sein, er faltete das Blatt zusammen und sagte mit zufriedenem Lächeln:

»Es ist nicht so schwer, diesen Ton anzuschlagen, und man wird sich leicht daran gewöhnen können, die eine oder die andere dieser Phrasen zuweilen anzubringen, denn da die Sache von oben kommt, so wird sie Wohl eine Zeitlang Mode bleiben, wer sie nicht mitmacht, kommt in Gefahr, ausrangiert zu werden. Ich begreife es wohl,« sagte er lächelnd, »der Krieg wird ungeheuer viel Geld kosten, und da hat man diese nationale Begeisterung nötig, damit das Volk nicht murrt, und noch über die Steuern hinaus freiwillig seine Beiträge zusammenträgt. Der Krieg,« sagte er achselzuckend, »warum dieser Krieg, der alle Ordnung und Sicherheit stört? – Nun, mir kann es gleich sein, aber wie wird es möglich sein, das alles wieder zur alten Ordnung zurückzuführen, wenn der Krieg vorbei ist – muß das nicht zur Zersetzung aller Verhältnisse, zur Revolution führen? Und kann ich die Revolution verhindern, kann ich es hindern, daß man den Geist des Aufruhrs großzieht, den man später nicht wird bannen können? – Nein, nein, mögen das die Herren dort oben mit der Zukunft ausmachen, meine Sache ist es nicht, gegen den Strom zu schwimmen.«

Er schien seine ganze Heiterkeit wiedergewonnen zu haben, und als nach einiger Zeit der Diener Jean in einer neuen Livree mit glänzenden Tressen ihm meldete, daß Madame zurückgekehrt sei, vertauschte er seinen Frack mit einem weiten, bequemen Überrock und begab sich in den nach der Straße gelegenen Salon.

Dieser dreifensterige Raum war mit mehr Glanz als Geschmack dekoriert. Man sah viel roten Samt an den Fenstervorhängen und Portieren und den Möbeln, doch zeigte der Stoff hier und da bereits die Spuren einer langen Dienstzeit. Bei den Bildern an den Wänden schienen die mächtigen Goldrahmen der wertvollste Teil zu sein, und die verschiedenen kleinen Nippes von Bronze und Porzellan, welche in großer Menge die an den Wänden befindlichen Konsolen bedeckten, standen mit keiner Kunstepoche in irgendwelchem Zusammenhang.

Ein junges Mädchen von sechzehn bis siebzehn Jahren saß in halb liegender Stellung auf einer in die Nähe des Fensters gerückten Chaiselongue und schien in die Lektüre eines Buches vertieft, das sie in ihrer Hand hielt. Dieses junge Mädchen, die jüngste Tochter des Kollegienrats, war von einer ganz außergewöhnlichen und idealen Schönheit – aschblonde Haare lockten sich in reicher Fülle über dem zarten Oval ihres Gesichts, ihre großen, von dichten, dunklen Wimpern überschatteten Augen waren von tiefblauer Farbe und schienen träumend in ferne Märchenreiche Zu blicken, ihr seiner, zarter Mund zeigte den ganzen kindlich frischen Reiz der aufknospenden Jugendblüte. Sie trug ein Kleid von leichtem, lichtblauem Seidenstoff, das ihre zarte, schlanke Gestalt anmutig hervorhob; ihre Hände und ihre von weiten Spitzen halb bedeckten Arme waren von untadelhafter Schönheit.

Die Blicke des Kollegienrats ruhten bei seinem Eintritt mit einem warmen Ausdruck, dessen man sein bureaukratisch strenges und trockenes Gesicht kaum fähig gehalten hätte, auf seiner jüngsten Tochter Darja, welche sich langsam aufrichtete und mit matten, träumerischen Blicken ihrem Vater die Hand entgegenstreckte.

»Du siehst trübe und traurig aus, mein Kind,« sagte Herr von Dobbrodorow, »bist du leidend?«

»Ich bin angegriffen,« erwiderte Darja, »meine Nerven schmerzen mich; Mama«, fügte sie etwas zögernd hinzu, »hat gescholten.«

»Gescholten – und warum?« fragte der Kollegienrat seufzend, indem er zärtlich die Hand seiner Tochter streichelte.

»Ich war mit der Mama ausgegangen,« erwiderte das Mädchen, »und da begegneten wir«, fügte sie leicht errötend hinzu, »dem Leutnant Rossianow; ich plauderte mit ihm – er weiß so hübsch zu sprechen und zu erzählen – er bat mich um ein Veilchenbukett, das ich trug – ich gab es ihm – und darüber war Mama sehr, sehr böse.«

»Warum denn?« fragte Herr von Dobbrodorow, »der Leutnant Rossianow besucht ja fast täglich unser Haus, und deine Mutter hat ihn immer freundlich empfangen.«

»Ja,« fugte Darja, »Mama ist wohl freundlich mit ihm, als Gesellschafter ist er ihr ja auch ganz recht – aber sie will nicht, daß –«

»Nein, ich will nicht, daß er dir die Cour mache und daß sich da ein Verhältnis entspinne, das doch niemals zu etwas führen wird und führen darf«, rief eine helle, scharfe Stimme, und zugleich trat die Frau Kollegienrätin raschen und entschiedenen Schrittes unter der Portiere eines kleinen Kabinetts hervor, das sie ihr Boudoir nannte und das durch einen Diwan, einen kleinen Schreibtisch und einige Blumenständer mit ziemlich trübseligen Blattpflanzen ausgefüllt wurde.

Die Dame war etwa vierzig Jahre alt, sie trug ein grünes Seidenkleid, dessen nicht mehr ganz frischer Stoff nicht recht zu dem hochmodernen Schnitt paßte. Ihr von Natur stark gerötetes Gesicht, aus dessen scharfen Zügen selbständige Entschlossenheit und Willenskraft sprach, war mit weißem Pudermehl eingerieben, die Augen blitzten durchdringend unter scharf gezeichneten Brauen hervor, und das hochtoupierte Haar war mit großen Schleifen von gelbem Seidenband durchflochten; ihre ganze Erscheinung mit der kräftigen, untersetzten Gestalt, deren ursprünglich anmutige Linien durch das steigende Embonpoint verändert waren, machte den Eindruck, als ob sie im Reiche ihres Hauses eine ebenso unbedingte Selbstherrschaft ausübe, als dies ihr Gemahl in seinen Bureaus tat.

Der Kollegienrat ging, während Darja den Kopf in die Kissen ihrer Chaiselongue zurücksinken ließ, seiner Frau entgegen, führte mit einer etwas steifen Galanterie deren Hand an die Lippen und sagte:

»Warum erzürnst du dich, meine Liebe? Wenn der Leutnant Rossianow unserer Darja Alexiewna wirklich die Cour macht und an eine ernste Verbindung denken sollte, so wäre dagegen doch kaum etwas einzuwenden. Sein Vater ist ein reicher Grundbesitzer, und er ist dessen einziger Sohn, was sollte Darja Alexiewna Besseres wünschen als eine solche Partie?«

»Ich bitte, dich, mon cher,« sagte die Frau Kollegienrätin mit scharfer Entschiedenheit im Tone einer fast mitleidigen Belehrung, »habe die Güte und überlaß meine Töchter und die Angelegenheiten unseres Hauses mir, wie ich dir ja niemals einen Rat in den Sachen deines Dienstes aufdringen werde. Der Leutnant Rossianow ist ein angenehmer, gewandter Gesellschafter, ich sehe ihn gern in meinem Hause – aber der Grundbesitz seines Vaters repräsentiert immerhin nur ein mäßiges Vermögen; er ist kein Edelmann, sein Vater war Kaufmann –«

»Er ist Offizier«, fiel Herr von Dobbrodorow ein. »Leutnant,« sagte seine Gemahlin achselzuckend, »weit unter uns also, und ob er jemals weiter emporsteigt, scheint sehr zweifelhaft, denn er hat es häufig ausgesprochen, daß er sich nach einigen Jahren vom Dienste zurückziehen und die Bewirtschaftung der Besitzung seines Vaters übernehmen wolle. Also alles in allem, er ist keine Partie für unsere Dorette, und ich will nicht, daß sie durch ihr Benehmen ihm Hoffnungen erwecke, die ich niemals zu erfüllen gesonnen bin.«

Das junge Mädchen seufzte – ein Tränentropfen perlte an ihren Wimpern.

»Aber meine Liebe,« sagte Herr von Dobbrodorow ein wenig schüchtern, »unsere Darja Alexiewna hat meines Wissens keine andere Partie in Aussicht –«

»Sie wird sie haben,« unterbrach ihn seine Frau, indem sie mit strenger Miene die Augenbrauen zusammenzog, »überlaß das mir, mon cher, ich bitte dich nochmals; ich habe die Angelegenheiten unseres Hauses wohl geordnet und eingeteilt, und es ist mir lieb, daß ich einmal Gelegenheit finde, dir klar und bestimmt meine Entschlüsse in dieser Beziehung mitzuteilen. Unsere Tochter Jewa hat durchaus die Universität besuchen wollen, ich habe dieser Phantasie kein Hindernis in den Weg gelegt, sie ist nicht besonders schön – sie gleicht mehr dir als mir – sie hat einen sprudelnden Geist, exzentrische Ideen, ein genialer Lebensweg eignet sich für sie. Sie hat eine kleine Novelle und einige Gedichte drucken lassen, über die man mir viele Komplimente gemacht –«

»Und die mich in große Verlegenheit gesetzt haben,« sagte Herr von Dobbrodorow seufzend, »denn es waren in jenen schriftstellerischen Kindereien Ideen enthalten – Ideen, die – nun heute«, sagte er halb für sich, »möchte das vielleicht besser in die Richtung der Zeit passen.«

»Gleichviel, gleichviel,« unterbrach ihn die Kollegienrätin ungeduldig, »sie mag ihren Weg verfolgen, es gehört zum vornehmen Ton, eine literarische Persönlichkeit in der Familie zu haben, das stellt eine Verbindung mit den Kreisen der Künstler, der Gelehrten und der Schriftsteller her, und ohne diese Kreise kann heute kein aristokratischer Salon mehr bestehen. Ich zweifle nicht, daß unsere Tochter Jewa sich bald einen berühmten Namen machen wird, und das wird uns dann in die Mode bringen, wie ja die vornehmsten Familien, die Meschtscherskis und die Tscherkassis, ebenfalls durch ihre Mitglieder mit der literarischen Welt zusammenhängen – aber«, fuhr sie eifrig fort, »darum darf man sich doch nicht von dem gesellschaftlichen Boden, auf den man einmal gestellt ist, entfernen, und gerade die exzentrische Richtung unserer ältesten Tochter, der ich nicht entgegengetreten bin. Zwingt uns, unsere Stellung in der vornehmen Welt um so mehr zu behaupten und zu befestigen – dazu ist Dorette bestimmt. Sie ist schön – sie gleicht mir,« fügte sie mit einem flüchtigen Seitenblick auf den Spiegel hinzu, »und es kann nicht fehlen, daß sie eine Partie macht, welche sie nicht herabzieht, sondern noch weit emporhebt, – man kann wohl eine Exzentrizität gestatten, welche zu literarischer Berühmtheit führt, aber nicht eine Gefühlsverirrung, durch welche meine Tochter als Madame Rassianow aus der vornehmen Welt verschwinden würde. Ich habe bereits bei meiner Schwester, der Generalin Prottrubin in Petersburg, meinen Besuch angemeldet, dorthin werde ich Dorette mitnehmen, und ich bin gewiß, daß sie dort eine andere Partie finden wird als Herrn Rossianow – Grafen und Fürsten verkehren im Hause meiner Schwester, und wenn Dorette meiner Anleitung folgt, so wird es nicht fehlen, daß sie, ehe ein Jahr vergeht, in einem Wagen mit fürstlichem Wappen über den Newskiprospekt fährt. Auch dir, mein Freund, wird es wohl tun, wenn wir einen Schwiegersohn finden, dem es peinlich sein wird, den Vater seiner Gemahlin in der zehnten Rangklasse stecken zu lassen. Laß mich also gewähren und bestärke durch deine Einmischung nicht den Ungehorsam, zu welchem Dorette geneigt scheint.«

Herr von Dobbrodorow hatte während der Rede seiner Frau zuerst, wie er in solchen Fällen zu tun gewohnt war, demütig den Kopf auf die Brust sinken lassen; nun aber schien ein ganz außergewöhnlicher Geist des Widerstandes in ihm zu erwachen, es blitzte trotzig in seinen Augen auf, und schon öffnete er den Mund, um seiner Frau etwas zu erwidern, was ohne Zweifel ihr unwilliges Erstaunen erregt haben würde, als sich hastig die Tür öffnete und der Eintritt zweier neuer Personen seine Erwiderung abschnitt.

Voran trat ein junges Mädchen von etwa zwanzig Jahren in einem anschließenden, bis auf die Knöchel herabreichenden Kleide, das um den Hals und in den Ärmeln fast den Schnitt eines Herrenrockes hatte. Ihr dunkles Haar hing in kurzen, etwas verworrenen Locken um den Kopf bis zu dem weit übergeschlagenen Hemdkragen herab, die Züge ihres Gesichts waren fein und regelmäßig und erinnerten ein wenig an diejenigen des Herrn von Dobbrodorow, nur lag auf dem Gesicht des Mädchens noch die Frische und Weiche der Jugend, wenn auch ihre Gesichtsfarbe die Blässe einer gewissen Überreizung zeigte. Ihre Augen waren groß und glänzend, um ihren etwas sinnlich vollen Mund lag ein Lächeln spöttischer Überlegenheit, und die ganze Erscheinung des Fräulein Jewa von Dobbrodorow war durchaus nicht so unschön, wie ihre Mutter es meinte; dieses blasse, geistvolle, jeden Ausdrucks fähige Gesicht und diese geschmeidige Gestalt konnten wohl auf manchen Geschmack einen höheren Reiz ausüben als die weiche und träumerische Erscheinung ihrer jüngeren Schwester, nur wurde dieser ganze Eindruck nicht wenig abgeschwächt und fast ins Lächerliche verkehrt durch eine Brille mit großen, blauen Gläsern, welche Fräulein Jewa auf der Nase trug, und welche ihre lebhaften, ausdrucksvollen Augen fast vollständig verdeckte.

Unmittelbar hinter ihr folgte der Neffe der Frau von Dobbrodorow, der Student Wallerjan Sebastianowitsch Prottrubin, der Sohn eines mit Generalmajorsrang im Kriegsministerium in Petersburg angestellten Schwagers des Kollegienrats. Der junge, zwanzigjährige Mensch war elegant gekleidet, aber sein Anzug zeigte, abgesehen von der etwas geschmacklosen Übertreibung der Mode, daß der junge Mann den größten Teil des Tages im Staube der Straßen oder auf den Diwans der Kaffeehäuser zugebracht haben mochte, und ein strenger Duft von türkischem Tabak strömte von ihm aus. Wallerjan Sebastianowitsch Prottrubin war nicht älter als seine Kusine Jewa, sein regelmäßiges, hübsches Gesicht trug den Ausdruck einer unnatürlichen Frühreife und einer hochmütigen, selbstzufriedenen Blasiertheit, wodurch demselben der sympathische Reiz fast ganz genommen wurde, welcher sonst der Jugend eigentümlich ist.

Der junge Mensch näherte sich der Dame des Hauses und küßte ihr die Hand in aller Form ehrerbietiger Galanterie, doch mit einer Miene, als ob er sich innerlich über diese von seiner Tante streng geforderte Zeremonie lustig mache. Fräulein Jewa eilte dagegen zuerst auf ihren Vater zu, schloß ihn kräftig in ihre Arme, und küßte ihn laut auf beide Wangen; dann reichte sie ihrer Schwester die Hand und schüttelte dieselbe, während sie prüfend Darjas leicht gerötete Augen betrachtete, so kräftig, daß das nervös empfindliche Mädchen einen leichten Schmerzensschrei ausstieß.

»Du kommst spät, ma fille,« sagte Frau von Dobbrodorow streng, als endlich Fräulein Jewa auch zu ihr hintrat, um ihr durch den vorgeschriebenen Handkuß, den sie ziemlich kavaliermäßig abmachte, ihre Ehrerbietung zu bezeigen, »du weißt, daß ich die Pünktlichkeit liebe.«

»Ich bitte um Entschuldigung, meine gnädigste Tante,« erwiderte Wallerjan statt seiner Kusine, die sich achselzuckend abwendete, »ich habe Jewuscha wie immer vom Kolleg abgeholt, es dauerte etwas länger als sonst, und dann haben wir auf dem Wege hierher eine Menge von Bekannten getroffen, mit denen wir zu sprechen hatten – es gibt ja so viel Neues; diesmal scheint es doch wirklich ernst zu werden mit dem Krieg, alles wird mobil gemacht, und wenn die Diplomatie nicht wieder im letzten Augenblick mit höflichem Danke über eine Ohrfeige quittiert, so muß es Wohl zum Schlagen kommen. Wenn man freilich die Dinge sieht, wie sie seit dem vorigen Jahre gehen, so kann das noch recht lange dauern. Man scheint zwar in Petersburg eifrig damit beschäftigt, genau bis auf den I-Punkt alles nachzumachen, was der preußische Hof in dem Kriege von 1870 tat; der Kaiser bereitet alles vor, um zur Armee zu gehen, das Hauptquartier wird ganz nach dem Muster des preußischen eingerichtet, alle Großfürsten sollen mit hinaus – aber ob man den Deutschen auch die gewonnenen Schlachten wird nachmachen können, das ist eine andere Frage, und vielleicht wird die vorsichtige Gicht des alten Reichskanzlers im letzten Augenblick noch die ganzen Proben unnütz machen und die Komödie wieder absagen lassen.«

Der junge Mann erhielt für diese kecken und aufrührerischen Reden einen streng verweisenden Blick seiner Tante. Er blickte mit verschmitztem Lächeln auf den Herrn von Dobbrodorow hin, welcher sonst bei ähnlichen kritischen Bemerkungen nicht verfehlte, eine feierliche Zurechtweisung zu erteilen und darauf hinzudeuten, daß die Regierung von ihrem höheren Standpunkte aus alles besser einzurichten verstehe, als es die Untertanen zu beurteilen vermöchten.

Der Kollegienrat aber rieb sich die Hände und sagte: »Das wollen wir nicht hoffen – das ist unmöglich! Die dunklen Wolken, welche jetzt noch über dem Schimmer der historischen Erleuchtung Rußlands schweben, werden verschwinden, Rußland wird den Weg der Wahrheit wiederfinden und die Labyrinthe der Diplomatie verlassen, in denen es zur Freude Europas umherirrt; das Blut unserer Brüder, die auf den serbischen Schlachtfeldern hingeschlachtet wurden, wird gerächt werden, – hinter uns steht das Volk, vor uns leuchten die Worte, welche der Zar vom Kreml herab gesprochen!«

Herr von Dobbrodorow hatte mit der Miene innerer Überzeugung diese verschiedenen Phrasen aus dem Artikel der Moskauer Zeitung, den er am Morgen hatte konfiszieren wollen, aneinandergereiht. Seine Frau sah ihn mit starrem Erstaunen an, seine Tochter Jewa schlug die Hände Zusammen, nahm ihre blaue Brille ab und rief, ihren Vater mit funkelnden Augen betrachtend:

»Was höre ich, Väterchen, was sagst du da, das ist ja, als ob man Katkow selbst hört! Nun, bei Gott, jetzt glaube ich auch, daß wir uns aus unserer Lethargie aufraffen werden, wenn du solche Worte aus deinem Bureau mitbringst.«

»Ich spreche,« sagte der alte Herr ernst und würdevoll, »wie jeder gute Patriot in diesem Augenblick sprechen muß, in welchem es sich um die Ehre und den Ruhm des Kaisers und des Vaterlandes handelt.«

Die Erörterungen wurden durch Jean abgeschnitten, welcher die Tür eines mittelgroßen Nebenzimmers öffnete, das man den Speisesaal zu nennen übereingekommen war, und mit lauter Stimme verkündete:

»Madame est servie.«

Herr von Dobbrodorow reichte seiner Gemahlin den Arm, Wallerjan Sebastianowitsch führte seine beiden Kusinen, und man setzte sich zu Tisch.

»Ich begreife eigentlich nicht,« sagte der Kollegienrat, während eine ziemlich dünne Bouillon serviert wurde, »warum wir diese kraftlose französische Küche nachmachen. Ich habe große Lust, einmal einen ordentlichen Tschi zu essen.«

»Ich begreife dich nicht, mon cher« erwiderte Frau von Dobbrodorow, »das ist gut für das rohe Volk, – ich glaube nicht, daß unsere Köchin imstande wäre, so etwas herzustellen.«

»Oh, ich verstehe es sehr gut, ich verstehe es, Mama,« rief Jewa, »der Jean dort hat es mir gezeigt, als ich noch kleiner war, und ich habe mir in der Küche zuweilen heimlich einen vortrefflichen Tschi gemacht mit kleinen Gurken und Heringen, – oh, wenn du willst, Väterchen, sollst du morgen einen Tschi haben.«

»Jean – ich begreife nicht –« sagte Frau von Dobbrodorow, indem sich ihre Stirn in bedenkliche Falten legte.

»Mein Kind,« unterbrach sie der Kollegienrat, »ich bitte dich, diesem armen Menschen nicht seinen ehrlichen Namen zu verstümmeln, das ist eine törichte Mode, die mir immer mißfallen hat; jetzt aber, da wir im Begriff stehen, vor ganz Europa zu zeigen, was Rußland in seiner eigenen nationalen Kraft vermag, sollen wir alle Nachahmung fremder Sitten von uns werfen, denn bald – das müssen wir hoffen – soll die ganze Welt stolz sein, uns nachzuahmen. Du sollst jetzt nicht mehr Jean heißen,« sagte er zu dem ganz freudig aufhorchenden Diener, »sondern Iwan – verstehst du wohl!«

»Ich begreife nicht, mon cher,« sagte Frau von Dobbrodorow, indem sie den Löffel aus der Hand legte, »ich begreife nicht –«

Aber sie konnte ihren Satz nicht vollenden, denn ein lautes Hurra des seines französischen Namens entkleideten Iwans unterbrach sie, und ihr Gemahl schien durchaus nicht wie sonst durch die Einleitung, mit welcher sie die Äußerungen ihrer Mißbilligungen zu beginnen pflegte, eingeschüchtert zu sein; er sah sie vielmehr ganz furchtlos mit einem jener Blicke an, vor denen seine Sekretäre zitternd die Augen niederschlugen, und auch sie senkte den Blick, im stillen darüber nachsinnend, was diesen rebellischen Widerspruchsgeist hervorgerufen haben möge, und als eine kluge Frau den Augenblick abwartend, in welchem sie die Zügel ihrer Herrschaft langsam, mit sicherer Hand wieder fest anzuziehen Gelegenheit finden würde.

Das ziemlich einfache Diner, dessen einzelne Teile möglichst voneinander getrennt serviert wurden, um eine vornehme Anzahl von Gängen herzustellen, näherte sich seinem Ende, als plötzlich die Tür ungestüm aufgerissen wurde und ein junger Offizier in der Uniform des in Moskau garnisonierenden Kürassierregiments ganz aufgeregt, mit glühenden Wangen und flammenden Blicken in das Zimmer stürzte. Der junge Offizier war groß und schlank gewachsen, von schönen, offenen Gesichtszügen, blond und blauäugig, er hätte für das Bild einer jener streitbaren Paladine gelten können, welche die alten russischen Großfürsten und Zaren umgaben, wenn sie hinauszogen, um die Tataren oder die deutschen Ritter in Livland von ihren Grenzen zurückzuwerfen.

Bei seinem Eintritt schrak die schöne Darja hocherrötend zusammen, Frau von Dobbrodorow schüttelte mißbilligend über diese so außerordentliche Verletzung aller Formen den Kopf, der Kollegienrat aber erhob sich artig, um den so plötzlich eintretenden Gast zu begrüßen. Der Leutnant Viktor Sacharjewitsch Rossianow drückte flüchtig die Hand des Kollegienrates und rief laut mit vor Aufregung zitternder Stimme:

»Ich bitte die Herrschaften um Verzeihung, daß ich so unangemeldet hier hereinbreche, aber der Augenblick, in welchem wir leben, mag mich rechtfertigen, – die ganze Stadt ist in Aufregung, soeben ist die Nachricht von der Kriegserklärung an die Türkei angelangt – alle Zeitungen verbreiten Extrablätter mit dem kaiserlichen Manifest, hier ist ein Exemplar davon, das ich mit Mühe erhalten – hören Sie«, sagte er, »die Freudenrufe auf den Straßen!«

In der Tat hörte man laute Stimmen in immer stärker anwachsendem Jubel von unten herauftönen.

Alle erhoben sich. Der Kollegienrat las mit lauter Stimme das Kriegsmanifest vor, und dann begab man sich in den Salon, wohin Frau von Dobbrodorow, welche selbst in diesem historischen Moment ihre Würde nicht vergaß, den Kaffee zu bringen befahl, den man, wenn man allein war, zu ökonomisieren pflegte, der aber nun erscheinen mußte, um dem so unwillkommen hereingebrochenen Leutnant gegenüber die Würde des vornehmen Hauses zu repräsentieren.

Der Leutnant Rossianow hatte sich einen Augenblick mit Darja angelegentlich unterhalten, welche, während der große, schlanke junge Mann zu ihr herabgebeugt eifrig sprach, hocherglühend und zitternd den Kopf schüttelte; er aber schien dies Zeichen nicht zu beachten, trat schnell zu dem Kollegienrat heran, welcher neben dem Diwan stand, auf dem seine Frau Platz genommen, und sagte mit offenem, edlem Freimut:

»Ich bitte den Herrn Kollegienrat und die gnädige Frau um Verzeihung, wenn ich am heutigen Tage ein Geständnis und eine Bitte ausspreche, welche ich sonst vielleicht noch länger zurückgehalten hätte: ich liebe Ihre Tochter Darja, und ich darf hoffen, daß sie meine Liebe nicht zurückweist. Der Krieg ist erklärt, mein Regiment ist marschfertig, morgen vielleicht schon werden wir gegen den Feind hinausziehen – lassen Sie mich in den Kampf die Gewißheit mitnehmen, daß Darjas Liebe mit dem Segen ihrer Eltern mir gehört, daß ihre Hand für mich der Preis des Kampfes sein wird, wenn wir siegreich zurückkehren, und daß ihre Gebete die Engel Gottes zu meinem Schutze anrufen werden.«

Er nahm die Hand des zitternden Mädchens, führte sie vor ihre Eltern und sagte:

»Segnen Sie den Bund unserer Liebe und lassen Sie mich als Darjas Verlobten, als Ihren Sohn der Todesgefahr des Krieges entgegengehen.«

Frau von Dobbrodorow schüttelte mit finster gefalteter Stirn den Kopf.

»Herr Leutnant Rossianow,« sagte sie mit kalter, würdevoller Zurückhaltung, »eine so wichtige, über das ganze Leben meiner Tochter bestimmende Entscheidung läßt sich nicht in solcher Übereilung treffen. Ich werde Ihren Wunsch mit meinem Mann überlegen,« fügte sie mit einem bedeutungsvollen Blick auf den Kollegienrat hinzu, »und wenn Sie nach dem beendeten Feldzuge zurückkehren, so –«

»Wozu überlegen!« rief Herr von Dobbrodorow zum starren Entsetzen seiner Frau, »dies ist wohl der Augenblick, um schnelle und gute Entschlüsse zu fassen. Dem tapferen Sohn des Vaterlandes, der zu dem heiligen Kampfe hinauszieht, haben wir Wohl die Pflicht, freudigen Mut und tröstliche Hoffnung mitzugeben, um so mehr, da sein Antrag uns ehrt und unserer Tochter eine glückliche Zukunft verspricht. Nehmen Sie Darja hin, Viktor Sacharjewitsch, – Gott erhalte Sie und führe Sie glücklich zu uns zurück, wir werden für Sie als für unseren Sohn beten.«

Darja blickte ganz erschrocken auf ihre Mutter, doch bereits hatte der Kollegienrat sie in des Leutnants Arme gelegt, der sie fest an seine Brust drückte.

»Aber Alexis Antippowitsch,« sagte die fassungslose Dame, – »ich begreife nicht –«

»Ich aber begreife,« rief der Kollegienrat, »daß alle Kinder Rußlands einig sein müssen in diesem großen Augenblick, und daß es unsere Pflicht ist, einen tapferen Soldaten des Vaterlandes nicht mit unerfüllter Sehnsucht im Herzen in den heiligen Kampf hinausziehen zu lassen.«

Iwan trat mit dem Kaffee ein. Der Kollegienrat nahm ihm die versilberte Platte ab und rief:

»Geh hin, Iwan, geh hin, hole Champagner vom nächsten Weinhändler – ich erinnere mich, daß wir keinen Vorrat mehr im Keller haben.«

Er nahm aus seinem Portefeuille eine Fünfzigrubelnote und drückte sie dem ganz erstaunten Diener in die Hand, der schnell davoneilte, um den Befehl seines Herrn auszuführen.

Jewa umarmte ihre Schwester und sagte:

»Das Leben wird langweilig hier sein, während die Armee draußen im Felde steht; ich habe mich gemeldet zum Dienst bei der Sanitätsabteilung, welche die Truppen begleiten soll – du wirst nichts dagegen haben, Väterchen, daß auch ich auf meine Weise, so gut es ein Mädchen vermag, dem Vaterlande diene.«

Herr von Dobbrodorow war einen Augenblick betroffen – dann aber umarmte er auch seine älteste Tochter und rief:

»Du hast recht, mein Kind, du hast recht, kein Opfer ist zu groß für das Vaterland; wenn jeder in Rußland denkt wie du, so ist der Sieg unser, – wir haben das Volk hinter uns und das Wort des Zaren vor uns, uns gehört die Zukunft!«

Wallerjan Sebastianowitsch blickte ganz verwirrt umher.

»Nun,« sagte er, »wenn alle hinausziehen, um dem Vaterlande ihre Opfer zu bringen, was bleibt für mich übrig? Ich bin nicht Soldat, und die Diplomatie, zu der ich mich wenden wollte, wird nun wohl für einige Zeit nichts zu tun haben; ich glaube, ich werde nach Petersburg gehen, um meinen Vater um Rat zu fragen.«

Frau von Dobbrodorow hatte ganz erstarrt dagesessen; sie schien der plötzlichen Aufwallung selbständiger Entschlossenheit ihres Mannes gegenüber jeden Widerstand aufgegeben zu haben; bei den Worten ihres Neffen blitzte es wie ein plötzlicher Gedanke in ihren Augen auf.

»Du hast recht, Wallerjan Sebastianowitsch,« sagte sie, »du kannst mich begleiten, ich stand ohnehin im Begriff, deine Mutter zu besuchen.«

Iwan erschien mit dem bestellten Champagner.

Die Gläser wurden gefüllt, bald fanden sich noch einige Freunde des Hauses ein, um ebenfalls die große Neuigkeit zu verkünden. Der Kollegienrat teilte auch ihnen die Verlobung seiner Tochter mit dem Leutnant Rossianow mit, und lauter, begeisterter Jubel erfüllte den Salon, während das junge Brautpaar leise flüsternd nebeneinander saß. Frau von Dobbrodorow aber schien gute Miene zum bösen Spiel zu machen und mit allem, was geschehen, einverstanden zu sein.

Iwan Aksakow hatte in dem Artikel der Moskauer Zeitung eine neue Ära für Rußland durch die große nationale Erhebung des slawischen Volksgeistes prophezeit, in dem Hause des Kollegienrates von Dobbrodorow war diese Prophezeiung zuerst in Erfüllung gegangen, der Aufschwung des nationalen Geistes hatte ihn plötzlich von der Vormundschaft seiner gestrengen Gemahlin befreit und zum Herrn in seinem Hause gemacht.


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