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18. Kapitel

Der Kaiser Alexander hatte sein Hauptquartier in dem Dorfe Bjäla aufgeschlagen, welches in einer Talschlucht an einem kleinen Nebenfluß der Jantra liegt. Das Dorf zeugte in seinen reinlichen, sauberen Häusern von der Wohlhabenheit der Einwohner, und auch die Männer und Frauen, welche nach dem Einrücken des Kaisers vertrauensvoll wieder aus ihren Verstecken zum Vorschein kamen, trugen nun im Gefühl der gesicherten Ordnung ihre kostbaren, goldgestickten Kleider als Zeichen ihres Reichtums zur Schau, so daß das ganze Dorf einen malerischen und schönen, ja sogar prachtvollen und glänzenden Anblick darbot durch den Verein der kleidsamen und prächtigen Volkstracht mit den verschiedenen Uniformen der Bedeckungsmannschaften und des Gefolges des Kaisers und der Hofdienerschaft. Auf der einen Seite des Dorfes hatten zwei große Häuser gestanden, in welchen die Steuerpächter Schifdschi Mehemed Bey und Soliman Bey gewohnt und einen üppig glänzenden Hof gehalten hatten; sie hatten von der türkischen Regierung das Recht der Erhebung der Abgaben, und damit willkürliche Herrschaft über Eigentum, Freiheit und Leben der Untertanen erkauft und von diesem Recht in rücksichtsloser Weise Gebrauch gemacht; bei der Annäherung der Russen waren sie geflohen und die Bewohner von Bjäla hatten die Häuser ihrer beiden Bedrücker zerstört.

Innerhalb der großen Umfriedigung, welche die Gärten des Mehemed Bey eingeschlossen, hatte nun der Kaiser sein Hauptquartier aufgeschlagen, dort stand sein einfaches Kriegszelt und der große, allgemeine Zeltpavillon, in welchem die Diners stattfinden, abends der Tee genommen wurde und in welchem auch während des übrigen Tages die Offiziere des kaiserlichen Gefolges ihre dienstfreien Stunden verbrachten, die Terrainkarten studierend und miteinander die Ereignisse besprechend. Das kaiserliche Hauptquartier war vielleicht der einfachste und mindest luxuriöse Ort in der ganzen Gegend. Rings nm die Umfriedigung befanden sich die früheren Wirtschaftshilfe Mehemed Beys, angefüllt mit Schutt und Dünger; Gänse und Schweine drangen häufig schnatternd und grunzend bis in die unmittelbare Nähe des kaiserlichen Zeltes, und die Offiziere des Gefolges, welche in den verschiedenen Häusern der Einwohner Quartier gefunden hatten, waren meist sehr viel besser und bequemer untergebracht als der Kaiser selbst.

Am Morgen des 21. Juni befand sich der Kaiser mit seinem ganzen Gefolge in dem großen Zeltpavillon. Das Frühstück war beendet, der Kaiser hatte sich eine Zigarette angezündet und befahl, in seinem hölzernen Lehnstuhl sitzend, dem Grafen Adlerberg, die Telegramme der »Agence Havas« in Paris und die bemerkenswertesten Stellen aus den neuesten Zeitungen vorzulesen, welche täglich durch Kuriere in das Hauptquartier gebracht wurden.

»Wir müssen doch ein wenig hören, was in der Welt vorgeht«, sagte der Kaiser; »sonst könnten wir«, fügte er hinzu, »den Faden der Politik verlieren.«

Die Herren des Gefolges drängten näher heran, und Graf Adlerberg begann einige bedeutende Telegramme von Havas vorzulesen. Der Kaiser hörte schweigend zu und schien ganz in seine Gedanken versunken – plötzlich aber richtete er den Kopf auf, sein Gesicht wurde sehr ernst, Graf Adlerberg las eine Stelle aus dem »Journal des Debats« vor, in welchem ausgeführt wurde, daß der Krieg gegen die Türkei, den Rußland jetzt führe, eigentlich ein Krieg gegen England sei.

»Sehr richtig, sehr richtig!« sagte der Kaiser seufzend; und halb leise fügte er hinzu: »Sie liegen im Anschlag, Gott beschütze uns vor einer Niederlage, sie würden mit allen Mitteln, die sie auftreiben können, über uns herfallen.«

Graf Adlerberg las weiter und betonte eine Zeile, in welcher der Politiker des Leitartikels ausführte, daß Rußland ein geheimes Bündnis mit Italien geschlossen habe, um bei einer zweifelhaften Haltung Österreichs einen mächtigen Druck durch den italienischen Angriff ausüben zu können.

Der Kaiser sah groß auf; dann machte er lächelnd eine spöttische Verbeugung gegen den Grafen Adlerberg und sagte:

»Ich bin in der Tat sehr erfreut, davon zu hören.«

Die ganze Gesellschaft lachte.

»Und doch,« sagte der Prinz Wittgenstein, welcher in der Nähe des Kaisers saß, »doch wäre die Sache so übel nicht. Wer mag Österreich trauen, und ein solcher Druck in der Hand wäre besser als alle Versprechungen.«

Die Worte des Prinzen waren in der nächsten Umgebung vernehmlich gewesen, in vielen Mienen zeigte sich billigende Zustimmung; der Kaiser aber blickte ernst auf, legte die Hand auf den Arm des Prinzen und sagte:

»Nein, nein, das wäre unrecht, ich mag auch in der Politik den Glauben und das Vertrauen nicht verlieren; wollte ich einen solchen Hinterhalt vorbereiten, so würde ich Österreich das Recht geben, sein Wort zu vergessen und den Lockungen zu folgen, die man immer wieder in Wien hören läßt. Ich will dem Worte des Kaisers glauben, das er mir und meinen Freunden gegeben; habe ich recht?« fragte er, indem er sich mit hellen, strahlenden Blicken zu dem neben ihm sitzenden preußischen General von Werder wendete.

»Ich glaube gewiß, daß Eure Majestät vollkommen recht haben,« erwiderte dieser mit feierlichem Ernst, »wo mein allergnädigster Herr die Vermittlung führt, da wird nichts Feindliches gegen Eure Majestät geschehen, da wird auch«, fügte er mit stolzer Zuversicht hinzu, »das Abgemachte und Versprochene gehalten werden.«

»Ich weiß es,« sagte Kaiser Alexander, indem er dem General die Hand drückte.

Einen Augenblick herrschte allgemeines Schweigen; Prinz Wittgenstein neigte den Kopf, aber seine Miene zeigte deutlich, daß er dennoch nicht ganz einverstanden war und lieber wohl eine sichere militärische Garantie als das edle Vertrauen seines Herrn gesehen hätte.

»Nun,« fragte der Kaiser, »was gibt es sonst noch?«

Graf Adlerberg hielt ein wenig zögernd ein Zeitungsblatt in der Hand und sagte:

»Kaum wage ich Eurer Majestät hier einen Artikel einer deutschen Zeitung vorzulesen, er strotzt von unerhörten Schmähungen, die uns deswegen kaum berühren können, weil sie in absoluter Unkenntnis der Verhältnisse geschrieben sind.«

»Nun,« sagte der Kaiser, »lesen Sie.«

Graf Adlerberg las in deutscher Sprache einen Artikel vor, der in der Tat das Unglaublichste an Schmähungen und Verdächtigungen enthielt und mit der sicheren Erwartung schloß, daß der Kaiser von Rußland bald mit seinem barfüßigen Heere werde davonlaufen müssen, um das nackte Leben zu retten.

Rufe der Entrüstung wurden laut.

Der Kaiser sagte achselzuckend:

»Wie höflich diese Herren Journalisten sind – doch«, fuhr er dann zu dem General von Werder gewendet fort, »sagen Sie mir, mein lieber General, woher kommt dieser giftige Haß, der sich so vielfach in Deutschland gegen uns zeigt; die Russen sind freilich früher einmal in einer beklagenswerten Verirrung unserer Politik dorthin als Feinde gekommen, aber das muß doch längst vergessen sein, dazwischen liegt die große Zeit, in der wir gemeinschaftlich die Franzosen schlugen, und mein Vater sowie ich haben doch wahrlich immer gezeigt, daß wir Freunde der Deutschen sind, und auch ihre großen Kämpfe der neuesten Zeit beweisen, daß die alte Freundschaft unvergessen ist.«

»Eure Majestät«, sagte General von Werder, »müssen nicht aus den Deklamationen solcher einzelnen Zeitungsschreiber auf die Gesinnung des preußischen oder des deutschen Volkes schließen; doch will ich nicht leugnen, daß in der Tat hier und da Antipathien gegen Rußland in Deutschland bestehen. Das kommt vom Jahre 1848 her, die damalige Revolution sah in dem hochseligen Kaiser Nikolaus das drohende Schreckgespenst der Reaktion, oder vielmehr das feste Bollwerk gegen den Sturmlauf der damaligen Bewegung, und seit jener Zeit ist es denn gewissermaßen eine liberale Modesache geworden, kopfschüttelndes Mißtrauen gegen Rußland zu zeigen; jeder liberale Theoretiker muß ja in dem absolut regierten russischen Staat alles schwarz sehen, während in dem konstitutionellen England ihm alles rosig erscheint, so bedenklich bröckelnd dort auch manche Zustände sein mögen.«

»Ja, ja,« sagte der Kaiser, »das muß es sein. Wie schwer ist es doch,« fügte er mit traurigem Kopfschütteln hinzu, »zu regieren; es ist so eine alte Redensart, wir, die Fürsten, kennten die Wahrheit nicht, und wie klar, wie schmerzvoll klar sehen wir doch, während all diese Leute, die so streng über uns richten, selbst das Feld ihres engen und beschränkten Horizonts immer noch durch eine gefärbte Parteibrille überblicken.

Doch nun«, sagte der Kaiser aufstehend, »lassen Sie uns hinausgehen, es ist die Stunde,« fügte er, auf seine Uhr blickend, hinzu, »zu welcher diese guten Leute von Bjäla ein Fest in ihrer Art vorbereitet haben zur Feier des glücklichen Balkanüberganges. Sie haben mich dazu eingeladen, und es wäre unrecht, nicht an ihrer Freude teilzunehmen.«

Er verließ mit der ganzen Suite das Zelt. Vor demselben stand bereits eine Deputation der Einwohner von Bjäla, geführt von den Geistlichen und dem Lehrer des Dorfes, um den Kaiser auf den Tanzplatz zu geleiten. Derselbe war auf einem in der Nähe des Hauptquartiers befindlichen weiten, freien Platz hergerichtet; rund umher stand die Bevölkerung, mit den russischen Truppen der umliegenden Abteilungen vermischt; in weitem Kreise schlossen die Tänzerinnen den freien Platz ein, sie trugen ihre Festgewänder, mit Gold und Seide gestickt, ihre Zöpfe waren mit bunten Bändern und Streifen von Silberstoff durchflochten, alle hielten sich bei den Händen und bildeten einen weiten Reigen, der den ganzen Platz umgab. Vor den Tänzerinnen im Innern des Kreises standen einzelne Violinspieler, ebenfalls in festlichen Gewändern, welche von Zeit zu Zeit wie zur Vorbereitung einige Takte einer einfachen Melodie hören ließen, welche die jungen Mädchen wie mit einem elektrischen Schlage zu berühren und in zitternde Bewegung zu versetzen schien.

In der Mitte des großen Platzes war auf einer viereckigen Estrade von zusammengefügten Brettern ein Lehnstuhl aufgestellt, welcher mit einem langen Teppich überdeckt war. Diese eigentümliche Vorrichtung machte einen fast komischen Eindruck, und man hätte glauben können, daß sie für einen Kapellmeister oder Ballettdirigenten bestimmt sei.

Brausender Jubelruf stieg zum Himmel auf, als der Kaiser mit seinem Gefolge am Rande des Festplatzes erschien. Die Geistlichen und der Lehrer schritten vor ihm her, überall dafür sorgend, daß das Volk den Weg frei ließ und nicht in seinem Wunsche, den Kaiser zu sehen, zu nahe herandrängte.

Der Kaiser blieb am Rande des Tanzplatzes stehen, warf einen freundlichen Blick auf diesen so dicht mit fröhlichen Menschen bedeckten Platz, auf welchem nichts an die Schrecken des Krieges erinnerte; dann wendete er sich lächelnd zu den nächststehenden Herren seines Gefolges und sagte, auf den sonderbaren Sitz in der Mitte des Platzes deutend:

»Ich verstehe, das ist für mich – nicht wahr, das ist mein Platz?« fragte er die beiden Geistlichen, und als diese ehrerbietig sich verneigend bestätigten, sagte der Kaiser, indem er sich ganz vergnügt die Hände rieb, zu dem neben ihm stehenden Kriegsminister Miljutin: »Sie sehen, daß ich mich zu orientieren weiß, und daß ich vielleicht auch beim Generalstabe zu brauchen wäre.«

Dann schritt er ganz allein über den weiten Platz hin, stieg auf die Estrade und setzte sich nicht ohne einige Schwierigkeit in den mit dem Teppich umhüllten Stuhl. Unbeschreiblicher Jubel begrüßte den Kaiser, als er auf dem Sessel Platz genommen und, mit der Hand winkend, ringsum dem Volk für seinen freudigen Empfang dankte. Sogleich begannen die Violinspieler ihre weiche und klagende, aber in scharfem Rhythmus taktierte Musik, indem sie zugleich im Innern des Kreises um den Stuhl des Kaisers herumschritten und dem Reigen der Tänzerinnen, der sich sogleich in Bewegung setzte, folgten.

Der nationale Festtanz der jungen Mädchen bestand in einer Reihe anmutig verschlungener Figuren, welche die Tänzerinnen in dem unaufhörlich sich weiter fortbewegenden Kreise bildeten, bald sich zu kleinen Ronden zusammenschließend, bald in einer großen Chaine durcheinandergleitend. Das alles wurde mit einer so großen Sicherheit und Gewandtheit ausgeführt, daß der Tanz der Dorfmädchen von Bjäla auf der größten Bühne als Ballett hätte seinen Platz behaupten können. Endlich lösten sich die Figuren wieder in eine einfache Kreislinie auf, welche sich nach dem Takte der Musik um den Kaiser bewegte. Die jüngsten und schönsten der Tänzerinnen, ohne Zweifel vorher dazu ausgesucht und bestimmt, traten aus dem Kreise und führten, während die übrigen sich fortwährend in gleichmäßig langsamem Tempo weiter im Kreise bewegten, einzelne pantomimische Touren vor dem Stuhle des Kaisers aus, welche symbolisch die dem Befreier dargebrachte Huldigung des Volkes ausdrücken sollten. Die jungen Mädchen näherten sich mit zierlich schwebenden Schritten dem Kaiser, zogen sich dann wieder zurück, beugten die Knie und schwebten endlich wieder mit ausgestreckten Armen heran. Sie warfen dann die Blumensträuße, welche sie an ihrer Brust trugen, zu den Füßen des Kaisers nieder, und eine nach der andern trat, immer im Takte der Musik sich bewegend, ganz nahe heran, um, die Knie auf den Rand der Estrade gebeugt, die Hände des Kaisers zu küssen. Der Kaiser war gerührt und erfreut, er reichte jedem der jungen Mädchen ein Goldstück aus seiner Tasche und winkte, als sein Vorrat zu Ende war, den Flügeladjutanten vom Dienst heran, um keine der Tänzerinnen, welche ihm in so anmutiger Weise den Dank des bulgarischen Volkes für seine Befreiung darbrachten, unbeschenkt zu entlassen.

Während noch die allgemeine Freude über des Kaisers leutselige Herzlichkeit sich in neuem Jubel Luft machte und die beschenkten Tänzerinnen voll Entzücken ihre große Schlußtour um den Stuhl des Kaisers ausführten, machte sich eine neue Bewegung nach der Seite des Dorfes hin unter der Menge bemerkbar, und man hörte von fernher Hurrarufe, welche nicht mit den Vorgängen auf dem Tanzplatz in Zusammenhang zu stehen schienen. Der Kaiser blickte verwundert nach der Richtung, von welcher her jene neue Bewegung kam; aber schon teilte sich die Menge an der Stelle, wo das kaiserliche Gefolge stand, und am Rande des Tanzplatzes erschienen mehrere Reiter, gefolgt von einer Kosakenbedeckung. Die Reiter sprangen von den Pferden, und allen übrigen voraus eilte ein schlanker, junger Mann, die weiße Mütze auf dem Kopf, das Georgskreuz im Knopfloch des Interimsrockes, über den Platz hin, während der Reigen anhielt und alle neugierig sich so nahe als möglich um den von den Tänzerinnen eingefaßten Platz zusammendrängten.

»Nikolai,« rief der Kaiser, »es ist Nikolai!« und er streckte mit freundlicher Herzlichkeit dem jungen Offizier beide Hände entgegen.

Es war in der Tat der Großfürst Nikolai Nikolajewitsch, der Sohn des Höchstkommandierenden. Der junge Prinz, von edlen und regelmäßigen, noch fast kindlichen Zügen, die in diesem Augenblick von Glück und Stolz strahlten, küßte die Hand des Kaisers, trat dann zurück und sagte, sich dienstlich militärisch aufrichtend:

»Ich komme, Eurer Majestät im Auftrage meines Vaters drei türkische Fahnen zu überbringen, welche bei den Kämpfen am Balkan erobert wurden. Eure Majestät wissen, daß der General Gurko durch seinen kühnen Zug die Türken auf dem Schipkapaß im Rücken faßte; nach kurzem, aber hartem Kampfe haben sie sich ergeben müssen, und jene drei Fahnen sind unsere Siegesbeute. Mein Vater war mit mir zufrieden, darum hat er mir erlaubt, diese Fahnen hierher zu geleiten; Eurer Majestät zu Füßen legen soll sie der Leutnant Viktor Sacharjewitsch Rossianow von den Moskauer Kürassieren, welcher sich bei dem Übergange über den Balkan ganz besonders durch die Führung der Avantgarde ausgezeichnet hat und in dem Gefecht verwundet wurde.«

Er winkte. Aus der Reihe seines Gefolges trat der Leutnant Rossianow hervor; unter seiner Mütze sah man einen Verband, welcher die Stirn und das eine Auge verdeckte; drei Kosaken trugen hinter ihm die türkischen Fahnen mit dem Halbmond und dem Stern. Der Leutnant Rossianow nahm eine der Fahnen nach der andern und legte sie vor dem Stuhle des Kaisers nieder, wobei er mit bewegter Stimme sprach:

»So möge der Halbmond überall zu Boden sinken vor Eurer Majestät und dem Kreuz, das siegreich über Ihrem erhabenen Haupte schwebt.«

Das ganze Gefolge des Kaisers war herangekommen und hatte sich um seinen Stuhl gruppiert. Der Kaiser war tief bewegt.

»Nikolai Nikolajewitsch,« sagte er zu dem Großfürsten, »du hast dir bei dem Übergange über die Donau das Georgskreuz verdient, ich verleihe dir daher jetzt das Georgsportepee am goldenen Ehrensäbel. Und dir, Viktor Sacharjewitsch«, fuhr er zu dem jungen Offizier gewendet fort, »sei das Georgskreuz eine freudige und aufmunternde Erinnerung an diesen Tag, du hast es verdient, sonst würde dich mein Bruder nicht mit diesen Fahnen zu mir geschickt haben.«

Er winkte, und einer der Adjutanten eilte davon, um die verliehenen Ehrenzeichen sogleich aus dem kaiserlichen Zelt herbeizuholen.

Der Kaiser umarmte den Großfürsten und reichte dem Leutnant Rossianow die Hand, der, unzusammenhängende Worte des Dankes stammelnd, seine Lippen auf die kaiserliche Rechte drückte.

»Meine Sendung ist noch nicht zu Ende«, sagte der Großfürst. Auf seinen Wink öffneten sich die Reihen der Kosaken seiner Eskorte, und hervor traten die jungen Bulgaren von Muschina, welche im Kampfe mit den Türken bis auf zwölf zusammengeschmolzen waren, an ihrer Spitze Pawjel Fjodorew und Stjepanida. Alle waren in reiche bulgarische Nationalkostüme gekleidet und blickten ehrfurchtsvoll und stolz zugleich zum Kaiser auf. Es war ein eigentümlicher Anblick, alle diese markigen, heldenkräftigen und dabei doch schlanken und anmutigen Gestalten, welche, von den Kosaken umgeben, zur Seite des jugendlichen Großfürsten standen; hoch über alle ragte Pawjel Fjodorew hervor, und an seiner Seite, ihre Hand in die seine gelegt, stand Stjepanida, den Kopf leicht gesenkt, scheu errötend, als sie alle Blicke auf sich ruhen fühlte, und doch wieder wie von stolzer Freude erhoben und getragen, daß sie hier an der Seite des von allen geehrten und bewunderten Geliebten vor dem großen Zaren stand, der im Geiste aller Bulgaren von Jugend auf in dem wunderbaren Nimbus eines märchenhaften Halbgottes lebte.

»Ein Mädchen?« fragte der Kaiser ganz erstaunt, während mit ihm die Blicke aller übrigen sich fragend und bewundernd auf Stjepanida richteten.

»Ja,« sagte der Großfürst, »dieses Mädchen hat tapfer ihren Platz behauptet inmitten der braven Bulgaren hier, welche in die Berge geflohen waren, um sich dem türkischen Dienst zu entziehen, und sich hoch verdient gemacht haben bei dem Übergang des Generals Gurko über den Seitenpaß des Balkans. Mein Vater hat befohlen, sie Eurer Majestät vorzustellen – sie wollen in die bulgarische Legion aufgenommen werden, und besonders hier ihren Führer, Pawjel Fjodorew, soll ich der Gnade Eurer Majestät empfehlen.«

Der Kaiser blickte wohlwollend auf die Bulgaren.

»Ich bin glücklich,« sagte er, »für die Befreiung eines Landes kämpfen zu können, dessen Kinder so würdig sind der Opfer, die das heilige Rußland für sie bringt.«

Der Adjutant war mit dem goldenen Ehrensäbel und einer großen Ledertasche, welche Dekorationen enthielt, herbeigekommen. Der Kaiser gab seinem Neffen und dem Leutnant Rossianow die beiden so hoch angesehenen und von jedem russischen Soldaten so heiß ersehnten Auszeichnungen; dann winkte er Stjepanida heran und sagte:

»Ein so tapferes und mutiges Mädchen wie du, mein Kind, verdient eine Belohnung; hier, nimm dieses Ehrenzeichen der Tapferkeit und hefte es an die Brust deines Landsmannes Pawjel Fjodorew, des Führers dieser Braven, von denen ich gewiß bin, daß sie sich in künftigen Kämpfen neue Verdienste um ihr Vaterland erwerben werden.«

Er zog ein Kreuz des Wladimirordens aus der Tasche hervor und reichte es Stjepanida, welche, erglühend und erbleichend, zitternd vor innerer Bewegung, zu Pawjel hineilte und das kostbare Ehrenzeichen aus der Hand des Kaisers an seiner Brust befestigte. Sie sah nur ihn in diesem Augenblick, den Geliebten, dem sie gefolgt war auf schwerem, finsterem und gefahrvollem Wege, an dessen Hand sie jetzt hinaufgestiegen war auf die blendenden Höhen nie geahnter Ehre, und auch Pawjel vergaß alles um sich her, es schien ihm, daß in dieser Stunde voll überwältigenden Glücks der Himmel sich öffne und die Schutzheiligen seines Landes sich zu ihm herabbeugten, aus goldenem Füllhorn alles auf ihn herabschüttend, was irdische Wünsche ersehnen und himmlische Gnade gewähren kann. Er breitete die Arme aus, Stjepanida sank an seine Brust, und in schweigender Glückseligkeit hielten sie sich umfangen, während ringsumher die Jubelrufe des versammelten Volkes in immer neuer Begeisterung erschallten.

»So steht es?« sagte der Kaiser lächelnd; »freilich, die Liebe durfte nicht fehlen in diesem wunderbaren Stück Romantik, das sich da vor mir erschlossen hat; das ist«, fügte er, mit sympathischer Bewunderung auf das schöne Paar blickend, zum Grafen Adlerberg gewendet hinzu, »wie in der Romanze vom jungen Dunois:

›Amour á la plus belle,
Honneur au plus vaillant!‹

Wenn man das Kostüm ändern würde, könnte man sich kein schöneres Bild des tapferen Dunois und der schönen Marie denken.«

Pawjel und Stjepanida erwachten aus dem ersten Rausch des Entzückens; hoch errötend trat sie zurück, Pawjel eilte zum Kaiser hin, und vor ihm auf die Knie sinkend, küßte er mit stummem Dankesblick, unfähig zu sprechen, die Hand des Monarchen.

»Nun,« sagte der Kaiser, »da ihr euch liebt und der Himmel euch so wunderbar beschützt und bis zu mir geführt hat, so soll die Sorge für eure Zukunft mein sein, und in meiner Gegenwart soll euch vor dem Altar der Kirche hier der priesterliche Segen vereinen.«

Mit strahlender Miene wendete sich Pawjel bittenden und fragenden Blicks zu Stjepanida; sie aber schlug furchtlos die Augen auf, trat dicht vor den Kaiser hin und sagte mit fester, ruhiger Stimme:

»Nicht so, erhabener, großmächtiger Zar, noch darf ich so große Gnade nicht annehmen und der Sehnsucht meines Herzens nicht folgen; ich muß meinen Vater finden, der in meinem Dorf zurückgeblieben ist, als ich entfloh.«

»Er hat sie den Türken verkaufen wollen,« rief Pawjel heftig, »er hat jedes Recht an sein Kind vor Gott verloren.«

»Nicht vor meinem Gewissen,« erwiderte Stjepanida, »und niemals würde ich ruhig sein, wenn der Fluch des Vaters meinem Leben folgte, immer würde ich fürchten müssen, daß dieser Fluch auch ihm, den ich liebe, Verderben brächte. Laß mich warten, erhabener, großmächtiger Zar, bis ich meinen Vater gefunden – vielleicht ist er in dem Dorfe meiner Heimat, und wäre er geflohen, so wird er wiederkommen in sein Haus, wenn Ruhe und Frieden zurückkehren, und wenn du dann, erhabener Zar, mit deinem mächtigen Wort zu meinen Gunsten sprechen willst, so werde ich dir danken bis zum Ende meines Lebens. Ich bin den blutigen Weg des Krieges gegangen, auf den ein Weib nicht gehört, jetzt laß mich hier bleiben und meinen Beruf erfüllen in der Pflege der Verwundeten; Pawjel, das weiß ich, wird nicht zurückbleiben, solange der Kampf noch geführt wird um die Freiheit des Vaterlandes und des Glaubens. Laß uns beide jetzt unsere Pflicht tun, ich weiß, Gott wird meinen Pawjel beschützen, und wenn dann der Friede gekommen ist, wird unser Glück erblühen unter dem Segen, den der Gehorsam gegen das Gebot des Himmels bringt.«

Pawjel neigte schweigend den Kopf; so schmerzlich ihn Stjepanidas Worte berührten, so fand er doch keinen Widerspruch gegen dieselben.

Die Augen des Kaisers wurden feucht.

»Und da hört man,« sagte er in französischer Sprache zum Grafen Adlerberg, »daß dieses Volk entartet sei, daß es nicht wert sei der Opfer, die wir für seine Befreiung bringen; wo findet man in unserer sogenannten Zivilisation so reinen, edlen und frommen Sinn, wie in diesen einfachen Herzen!

Es sei, wie du es gewünscht, mein Kind,« sagte er dann wieder in russischer Sprache zu Stjepanida, »du sollst deinen Platz in dem Lazarett hier einnehmen, und Pawjel Fjodorew soll mit seinen tapferen Freunden Gelegenheit finden, neuen Ruhm im heiligen Kampfe zu erwerben; aber nimm mein kaiserliches Wort, ich werde dich nicht vergessen, und wenn Gott uns zum Sieg und zum Frieden führt, so soll dein Glück meine Sorge sein.«

Er befahl dem Generaladjutanten Rylejew, Stjepanida zu den Krankenpflegerinnen des Lazaretts zu führen und den Damen zu sagen, daß das junge Mädchen unter seinem besonderen Schutz stehe und seine Pflegebefohlene sei. Zugleich befahl er dem General, die jungen Männer in die bulgarische Legion einreihen und Pawjel zum Offizier in derselben ernennen zu lassen.

Während sich Pawjel und Stjepanida, unbekümmert um die Anwesenheit des Kaisers, mit wundersam aus Schmerz und Glück gemischten Gefühlen umarmten, um voneinander Abschied zu nehmen, begann der Leutnant Rossianow, welcher neben dem Großfürsten stand, zu schwanken, er drückte die Hand an seinen Kopf und stieß einen leisen Schmerzensruf aus. Der Großfürst fing den Sinkenden in seinen Armen auf, mehrere Generale eilten heran, der Kaiser selbst stand auf und fragte besorgt und teilnehmend, was dem jungen Mann widerfahren sei. Man nahm dem Leutnant die Mütze ab, der Verband um seinen Kopf zeigte sich mit Blut getränkt.

»Mein Kopf – mein Kopf!« stöhnte er leise; dann brach er ohnmächtig in den Armen des Großfürsten zusammen, der ihn sanft auf den Boden niederließ.

»Die Wunde hat sich wieder geöffnet,« sagte der Prinz Wittgenstein, den Verband lösend, »es ist ein schwerer Hieb über den Kopf, das geronnene Blut mag eine Entzündung hervorgerufen haben, die das Gehirn affiziert hat.«

»Schnell ins Lazarett«, befahl der Kaiser; »man soll ihn auf das sorgfältigste pflegen. Begleite ihn,« sagte er zu Stjepanida, »und man soll alles aufbieten, um ihn zu retten.«

Rasch war eine Tragbahre hergerichtet, Stjepanida umarmte Pawjel, noch einmal flüsterte sie ihm ein inniges, vertrauensvolles Abschiedswort zu und schritt dann, von dem General Rylejew geleitet, dem Dorfe zu.

»Ich will hinausreiten«, sagte der Kaiser, »und den Truppen in der Nähe die eroberten Fahnen zeigen lassen; der General Tolstoi soll dieselben nach Petersburg bringen«, fuhr er, zu dem General gewendet, fort. Dieser dankte dem Kaiser für den ehrenvollen Auftrag, sagte aber dann mit finsterer Miene:

»Ich wollte, daß ich zugleich die Nachricht dorthin bringen könnte, Plewna wäre unser.«

»Plewna,« rief der Großfürst Nikolai, »was kümmert uns Plewna, das wir im Vorbeigehen nehmen können, der Weg nach Konstantinopel steht uns offen, wir haben sichere Nachricht, daß Adrianopel keinen Widerstand leisten kann. Es sollen, so berichteten Kundschafter, bereits zwei Paschas unterwegs sein, um die Friedensbedingungen zu erfahren; die Nachricht von dem Übergange über den Balkan hat in Konstantinopel wie ein Blitz getroffen.«

»Es wäre nicht unmöglich,« sagte Graf Adlerberg freudig bewegt, »die Türken sind fatalistisch in hohem Grade, und ein panischer Schrecken ist bei ihnen wirksamer als irgendwo sonst; auch die Deutschen sind im französischen Kriege rücksichtslos in das Herz des Feindes vorgedrungen, ohne sich um seitwärts gelegene Positionen zu kümmern.«

Graf Tolstoi blickte düster zur Erde und murmelte leise, unverständliche Worte vor sich hin.

Die Reitknechte hatten die Pferde vorgeführt, und der Kaiser trat zu seinem schwarzen Leibpferde, um den Fuß in den Bügel zu setzen, da kam in hastiger Eile, mit bleichem, unruhig bewegtem Gesicht der General Schtscholkow heran und reichte dem Kaiser einen großen beschriebenen Bogen.

»Ein Telegramm vom Baron Krüdener, Majestät,« sagte er mit zitternder Stimme, »das soeben dechiffriert worden ist.«

Der Kaiser warf, neben seinem Pferde stehend, einen Blick auf das Papier; er hatte so viel freudige Nachrichten erhalten, daß er glauben und hoffen mochte, auch diese Mitteilung müsse ihm die Kunde von einem Erfolge der russischen Waffen bringen – aber kaum hatte er einige Zeilen gelesen, als er bleich wurde und das Papier in seinen Händen zu zittern begann; bestürzt blickten die Herren des Gefolges auf den Kaiser, dessen Züge sich, während er weiterlas, immer mehr verfinsterten. Endlich faltete er das Blatt zusammen und stand einige Augenblicke in finsterem Sinnen, die Blicke zu Boden gerichtet, da, während der General Schtscholkow die leise an ihn gerichteten Fragen nur mit stummem Achselzucken beantwortete. Endlich rief der Kaiser den Kriegsminister Miljutin, den Grafen Adlerberg, den Prinzen von Wittgenstein und den preußischen General von Werder heran; die übrigen Herren traten sogleich weiter zurück, vermochten aber die bange Unruhe nicht zu verbergen, mit welcher sie forschend auf den Kaiser und die ihn umgebende Gruppe blickten.

»Eine böse Nachricht,« sagte der Kaiser zu den um ihn stehenden Generalen, »Plewna ist von den Türken in unerwarteter Stärke besetzt und in weitem Umkreise verschanzt. General Krüdener hatte drei Regimenter von der fünften Division unter dem Generalleutnant Schildner-Schuldner vorgeschickt, um die Positionen zu nehmen; derselbe ist auch bis in die Straßen der Stadt vorgedrungen, dann aber ist, wie aus der Erde emporgestiegen, eine ganze türkische Armee, welche man auf mindestens fünfzigtausend Mann schätzt, zum Vorschein gekommen, ein Hagel von Kartätschen hat unsere Truppen dezimiert, und mit ungeheurem Verlust ist der General zurückgeworfen. Die Türken stehen in ihren Verschanzungen und beantworten jede Annäherung mit furchtbarem Feuer.«

»Plewna,« rief der General Tolstoi, »Plewna, ich wußte es wohl, dort lauert unser böser Dämon.«

»Man wird einiger Tage bedürfen,« rief der Großfürst Nikolai Nikolajewitsch, »um den Ort zu säubern; ich weiß, daß mein Vater dazu Befehle gegeben; man hat eine zu kleine Macht vorgeschickt, so bald wir genügende Kräfte entwickeln, werden die versprengten türkischen Haufen weggefegt werden.«

»Jedenfalls ist die Sache ernst«, sagte der Kaiser. »Plewna bedroht uns am rechten Flügel und ist mitten in unsere Stellung hineingeschoben, es muß sofort etwas Ernstes und Nachdrückliches geschehen. – Graf Wladimir Ossipowitsch!« rief er mit lauter Stimme.

Der Graf Swiatowsky trat heran.

»Reiten Sie sogleich, so schnell Ihr Pferd Sie trägt, in das Hauptquartier meines Bruders und bitten Sie ihn, zu mir zu Tisch zu kommen; er soll Nepokoitschinsky mitbringen. Auf dem Rückwege bringen Sie auch dem Cäsarewitsch meine Einladung.«

Wladimir grüßte militärisch, sprang in den Sattel und jagte wie der Sturmwind davon.

Der Kaiser hatte sich gefaßt, ruhiger Ernst lag auf seinen Zügen; er stieg zu Pferde, grüßte noch einmal die herandrängende Volksmenge, und ritt dann, von seinem sehr verstärkten Gefolge begleitet, zu dem nächsten Truppenkantonnement hinaus. Hinter ihm trugen die Kosaken die eroberten türkischen Fahnen, und überall wurden diese Siegeszeichen mit brausendem Hurraruf begrüßt, helle Siegesfreude erfüllte das ganze Lager, während das Unheil wie eine zusammengeringelte Schlange in den Erdhöhlen von Plewna lauerte.


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