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2. Kapitel

In einiger Entfernung von Leonews Hause blieb die Menge, unter welcher sich die alte, lang gewohnte Scheu vor dem einflußreichen Freunde der türkischen Behörden bei der Annäherung an sein Gehöft wieder zu regen begann, flüsternd stehen. Der ganze Vorgang hatte sich so plötzlich vollzogen, daß man jetzt erst darüber nachzudenken anfing, und den meisten wurde es allmählich klar, daß man nicht nur der armen Stjepanida unrecht getan, sondern sich noch mehr gegen Pawjel Fjodorew unverzeihlich vergangen habe, der stets ein so treuer Freund und ein so kühner Verfechter der Rechte des Volkes gegen die türkische Willkür gewesen war, und wäre es noch Zeit gewesen, so hätte man gern die vorschnelle und unüberlegte Kränkung wieder gutgemacht – aber schon war Pawjel, ohne sich nur noch einmal umzusehen, immer Stjepanida an der Hand führend, in das Haus eingetreten, in das er noch niemals vorher seinen Fuß gesetzt hatte.

Stjepanida öffnete eine unmittelbar neben dem Eingänge befindliche Tür, und führte Pawjel in das Zimmer ihres Vaters. Dies war ein großer Raum, vor dessen Fenster von innen feste Eisengitter angebracht waren, die man von außen durch die etwas trübe angelaufenen Scheiben nicht bemerken konnte. Ringsumher an den Wänden standen große, eichene Schränke mit eisernen Beschlägen und mächtigen Riegeln und Vorhängeschlössern; einer dieser Schränke war halb geöffnet, und man sah in demselben kleinere, ebenfalls verschlossene Kisten und eine Anzahl von übereinandergehäuften großen Büchern. Einige dieser Bücher waren herausgenommen und lagen aufgeschlagen auf einem großen, eichenen Tisch, der in der Mitte des Zimmers stand, und vor welchem Theofil Leonew saß, über die Bücher gebückt und emsig die auf den Seiten derselben verzeichneten Zahlenreihen prüfend und miteinander vergleichend.

Leonew trug die Unterkleider des bulgarischen Kostüms, sein Rock von dunkelbraunem Tuch aber näherte sich in seinem Schnitt mehr der städtischen Mode, so daß man ihn, wie er so hinter seinem Tische dasaß, weniger für einen Bauern, als für einen städtischen Kaufmann hätte halten können, der mit scharf berechnendem Blick die Bilanz seiner Unternehmungen zieht.

Er hob beim Geräusch der geöffneten Tür den Kopf von seinen Büchern auf und blieb einen Augenblick in sprachlosem Erstaunen sitzen, als er seinen Feind in das Zimmer treten sah – dann aber verzog sich sein Gesicht zu einem feindlich höhnischen Ausdruck, schnell klappte er seine Bücher zu, als fürchte er, daß ein fremder Blick auf dieselben fallen könne, dann erhob er sich von seinem Stuhl und sah Pawjel mit lauernden, tückischen Blicken an, einem in seiner Höhle angegriffenen Raubtier ähnlich.

Stjepanida hatte sich in dem Augenblick, als sie das Zimmer ihres Vaters betrat, von Pawjels Hand losgemacht und war hinausgeeilt; im nächsten Augenblick aber schon kehrte sie wieder zurück, ehe noch Pawjel den Tisch erreicht hatte, hinter welchem Leonew, die Hand auf seine Bücher gestützt, stand. Sie trug auf einem irdenen Teller ein Stück Brot und ein Salzfaß, das sie Pawjel darbot. Dieser aß eine Brotkrume, nachdem er sie in das Salz getaucht, und sagte dann, indem er ganz nahe an den Tisch herantrat, mit ernster, voller Stimme, in welcher noch die Aufregung von der eben vorhergegangenen Szene nachklang:

»Fürchte nicht, Theofil Leonew, daß ich in feindlicher Absicht zu dir gekommen bin – du siehst, ich habe Salz und Brot in deinem Hause gegessen; alles, was dein ist, ist mir heilig, als wäre es mein eigen.«

»Ich fürchte mich nicht«, erwiderte Leonew mit rauher Stimme und bitterem, höhnischem Lachen, »vor niemand, und vor dir am wenigsten, Pawjel Fjodorew. Und was mein ist, wird mein bleiben auch ohne deinen guten Willen.«

Schüchtern, mit bittenden Blicken, näherte sich Stjepanida ihrem Vater, und bot ihm den Teller mit Salz und Brot.

»Fort damit,« rief Leonew, indem er den Teller so heftig zurückstieß, daß er zur Erde fiel und in Scherben zerbrach, »was soll das, ich bin nicht gesonnen, mit jenem da Gastfreundschaft zu halten, und wenn er wider meinen Willen mein Haus betreten hat, so wird er wohltun, so schnell als möglich dahin wieder zu gehen, woher er gekommen ist!«

Ganz erschrocken und totenbleich schwankte Stjepanida zurück, dann beugte sie sich auf die Erde nieder, um mit ängstlicher Sorgfalt das weithin verstreute Salz mit den Händen wieder zusammenzuscharren: denn verschüttetes Salz bedeutet nach slawischem Glauben schweres Unglück, und ihr Herz schnürte sich bei dem Gedanken zusammen, daß ihr Vater, der doch über ihr Schicksal zu bestimmen hatte, das Zeichen der Gastfreundschaft mit Pawjel zurückwies.

Ihre langsam und fast unbewußt erwachte und erwachsene Liebe, welche vielleicht ohne den heutigen Vorfall noch lange halb träumend in ihrem Herzen geschlummert haben würde, war plötzlich zu klarem Bewußtsein und flammender Leidenschaft aufgelodert, als der schöne, stolze Mann dem verachtenden Spott der Menge gegenüber seinen schützenden Arm um sie schlang, da, als er, wie einer plötzlichen Eingebung folgend, seine Liebe zu ihr offen vor aller Welt bekannte, war es auch ihr mit der Schnelligkeit des Blitzes klar geworden, daß sie zu ihm gehöre mit ihrem ganzen Wesen, daß sie nur an seiner Seite leben könne und daß die Trennung von ihm ihr den Tod bringen müsse. Im ersten Rausch des seligen Glücks hatte sie in seinem Arm und an seiner Hand nur die Wonne des Augenblicks gefühlt; er schien ihr so mächtig, so gewaltig, so alles beherrschend, daß sie ihr Schicksal für entschieden hielt, sobald er das Wort seines Willens gesprochen. In freudiger Zuversicht war sie glücklich an seiner Seite nach dem väterlichen Hause zurückgekehrt – der Anblick ihres Vaters aber, vor dem sie von Jugend auf zu zittern gewohnt war, der unversöhnliche Haß, den sie in seinen Augen las, erinnerte sie nun plötzlich in jähem Schreck daran, welch eine Kluft sich zwischen ihnen öffnete, und als ihr Vater das Salz zurückwies, als das heilige Zeichen der Gastfreundschaft und des häuslichen Friedens auf den Boden in den Staub fiel, da zuckte ihr Herz zusammen in schneidendem Weh, sie kniete vor den Scherben des Tellers, welche ihr wie die Trümmer ihres Glückes und ihrer Hoffnungen vorkamen, und blickte angstvoll zu ihrem Vater auf, der so bittere, feindliche Worte sprach.

Pawjel aber hatte diese Worte ruhig angehört; er, der sonst so heftig, aufbrausend, jede Beleidigung zurückgab, neigte den Kopf und warf Stjepanida einen innig liebevollen Blick zu, als wolle er ihr die beruhigende Versicherung geben, daß er sich zu keiner heftigen Erwiderung hinreißen lassen werde.

»Vielleicht hast du recht, Theofil Leonew,« sagte er, »mich so unfreundlich zu empfangen, wie du es tust, denn ich bin dir oft feindlich entgegengetreten, und habe dir Böses getan, wo ich konnte. Wohl mag es unrecht von mir gewesen sein – man soll ja nicht nach dem Scheine urteilen, und ich mag mich durch einen falschen Schein haben bestimmen lassen, dich für einen Feind unseres Glaubens und unseres Landes zu halten – ich hätte vielleicht längst zu dir kommen sollen, und manches würde sich aufgeklärt haben, das dich nur immer mehr verbitterte. Doch ich mache meinen Fehler gut. Wenn zwei Menschen sich feindlich gegenüberstehen, so haben wohl immer beide etwas schuld daran – laß uns die Vergangenheit vergessen, ich biete dir Versöhnung und Freundschaft; wir gehen wohl ernsten Zeiten entgegen, in denen es not tun wird, daß alle zusammenstehen und gemeinsam der Not und Gefahr die Stirn bieten.«

»Und du verlangst,« sagte Leonew immer in demselben feindlich höhnischen Ton, »daß ich deinen Worten trauen soll? Nein,« rief er, indem noch wilderer Haß aus seinen Blicken sprühte, – »nein, ich traue deiner Freundschaft nicht, und ich will sie nicht! Ich fürchte die Zukunft nicht, mag sie bringen, was sie will, und ich bin allein stark genug, um jeder Gefahr zu trotzen. Sieh du, wo du bleibst und wie du deinen Kopf rettest, wenn die Rebellion auch hier ihr Haupt erhebt, ich weiß, wohin ich mich zu wenden, und wo ich Schutz zu suchen habe. Man nennt mich den Juden, ich weiß es wohl, wegen des Blutes meiner Mutter, nun denn, eines habe ich mit jenem Blute in mich aufgenommen, das ist die Dankbarkeit gegen meine Freunde, und den Haß gegen meine Feinde; mein bitterster Feind aber bist du, und wer mich gekränkt und beleidigt hat, der wird meine Rache fühlen, früher oder später. Hüte dich, auch über dich wird meine Hand kommen, wie über alle die heimtückischen Feiglinge hier, die mit Grimm im Herzen vor mir gekrochen sind, so lange sie mich fürchteten. Geh hinaus, unter meinem Dache ist kein Platz für dich!«

»Theofil Leonew,« sagte Pawjel Fjodorew mit sanftem, fast bittendem Tone, »du glaubst nicht, daß ich dir aus aufrichtigem Herzen die Hand zur Versöhnung biete, und doch hättest du dich wohl überzeugen können, auch als ich dein Feind war, daß ich nicht zu heucheln und zu lügen verstehe und daß meine Lippen nur sprechen, was mein Herz fühlt. So höre denn, ich will dir beweisen, daß ich es treu und aufrichtig meine. Sieh hier Stjepanida, deine Tochter, dein einziges Kind – ich liebe sie – ich bitte dich um ihre Hand, sie soll an meiner Seite durchs Leben gehen, in meinem Hause soll dir der Ehrenplatz offen stehen, der dem Vater meines Weibes gebührt – glaubst du nun, daß ich es aufrichtig meine, wenn ich dir Versöhnung und Freundschaft biete? Laß uns zusammenstehen, laß mich die Stütze deines Alters sein, kehre zurück zum Volk, zu dem du gehörst, das dir seine Arme öffnet und dich ehren und lieben wird. Dafür stehe ich dir, und wehe dem, der Theofil Leonew, den Vater meines Weibes, beleidigen würde!«

Er hob Stjepanida vom Boden auf, und während das junge Mädchen sich zitternd an seine Seite schmiegte, streckte er die offene Hand über den Tisch hin, Leonew entgegen.

Dieser aber rief hohnlachend:

»Ah, wie freundlich, wie gütig du bist, Pawjel Fjodorew – ja, ja, man weiß es wohl, daß Theofil Leonew durch Fleiß und Arbeit seinen Besitz vermehrt und manchen Piaster erworben und erspart hat, da möchte es dir wohl gefallen, meine Erbschaft als Heiratsgut zu gewinnen und eine Frau dazu, die mehr wert ist, als alle eure Weiber zusammen! Aber die Rechnung ist zu plump, mein kluger Pawjel, meine Tochter da ist zu gut für einen Bauer wie du und, bei Gott, nicht für dich habe ich gearbeitet und gespart, und nichts soll es dir helfen, wenn du mit heuchlerischer List das verblendete Kind dort betörst hast. Fort von ihm, Stjepanida!« rief er heftig. »Ich sehe wohl, es ist Zeit, daß ich dich aus dem elenden Dorfe hier fortschaffe; ich war töricht, daß ich dich so lange hier ließ.«

Bebend und schluchzend wollte Stjepanida sich mit flehend ausgestreckten Armen ihrem Vater nähern, Pawjel aber schlang den Arm um sie und zog sie fester an sich, die Röte eines edlen Unwillens färbte sein Gesicht.

»Ich bedauere dich, Theofil Leonew,« sagte er, »wenn du in deinem Leben gelernt hast, von den Menschen so niedrig zu denken – mir aber tust du unrecht. Du weißt es, daß Gott mir der irdischen Güter mehr gegeben, als ich bedarf, und nicht um der Schätze willen, die du erworben haben magst, hat sich mein Herz deiner Tochter zugewendet; nur sie allein liebe ich, und du magst frei über alles verfügen, was du besitzest, du magst dir einen Erben suchen, wo du willst, ich werde kein Wort dagegen sprechen, ich verlange nichts von dir für die, welcher alles gehören wird, was ich habe – gib mir Stjepanida. Und kannst du den Groll nicht vergessen, kannst du mein Freund nicht sein, so laß wenigstens die Feindschaft ruhen, und überlaß der Fügung des Himmels und der Zeit die Versöhnung, zu der ich stets mit offenem Herzen bereit sein werde.«

»Nein,« rief Leonew, wild und heftig den Kopf schüttelnd, »nein, und tausendmal nein – und wenn ich nichts besäße, und wenn du noch tausendmal reicher wärest, ich würde lieber bettelnd das Land durchziehen, als mein Blut mit dem deinen verbinden. Geh also, jedes Wort ist vergeblich; du hättest früher daran denken sollen, daß man Theofil Leonew nicht ungestraft beleidigt und daß ich nicht der Mann bin, um wie ein Hund beim ersten freundlichen Wort die Mißhandlung zu vergessen.«

Schluchzend bedeckte Stjepanida das Gesicht mit den Händen. Pawjel stand bleich und finster mit zusammengepreßten Lippen und schwer atmender Brust da, seine ganze Natur bäumte sich zum Kampfe gegen den Widerstand auf, der seiner Liebe entgegentrat, und doch war es ihm selbst in diesem Augenblick erregter Leidenschaft klar, daß dieser Widerstand durch Gewalt nicht zu besiegen sei, denn das Recht des Vaters über seine Tochter war nach der Sitte des Volkes und dem Gesetz der Kirche heilig und unantastbar, und die ganze Macht der türkischen Regierung würde, so wenig sie sich auch sonst um die Volksrechte kümmerte, in diesem Falle sich wider ihn auf Leonews Seite stellen. Er fühlte sich ohnmächtig dem zähen Willen seines unversöhnlichen Feindes gegenüber und tief gedemütigt, daß die Hand der Versöhnung, die er bot, so höhnisch zurückgewiesen wurde; hätte es sich um irgendeinen anderen Gegenstand gehandelt, so würde er sich trotzig abgewendet und Leonew durch ein schneidendes Wort voll bitterer Verachtung niedergeschmettert haben – aber er blickte auf Stjepanida, ein unnennbares Weh durchzuckte sein Herz bei dem Gedanken, daß er sich von ihr trennen und sie einem ungewissen Schicksal überlassen sollte. Die Liebe überwand seinen Stolz, – er beugte das Haupt, um noch einmal ein bittendes Wort zu sprechen, da hörte man laute Stimmen draußen, die Hufschläge von mehreren Pferden klangen von der Straße her und hielten vor dem Hause an.

Lauschend streckte Leonew den Kopf vor, – ein Lächeln boshaften Triumphes flog über sein Gesicht. Im nächsten Augenblick wurde die Tür des Zimmers schnell geöffnet, und ein großer, hagerer, breitschulteriger Mann, den roten Fez auf dem Kopfe, in einem blauen, zugeknöpften Rocke mit Goldstreifen am Kragen, hohen Stiefeln an den Füßen und einen Säbel an der Seite, trat, sich unter dem Türpfosten leicht bückend, ein. Das dunkelgelbliche Gesicht dieses Mannes hatte scharfe und harte Züge, ein dichter, schwarzer Bart bedeckte seine Wangen und sein Kinn und ließ, wenn er den Mund zum Sprechen öffnete, nur die weißen Zähne sehen, welche lang und spitz unter den schmalen Lippen hervorragten; Hochmut und tückische Bosheit blitzten aus seinen kleinen, schwarzen, stechenden Augen, über welchen dichte Brauen sich bis zur Nasenwurzel zusammenzogen. Durch die geöffnete Tür sah man draußen vor dem Hause mehrere türkische Gendarmen mit Pferden.

Der Eingetretene warf einen schnellen, prüfenden Blick auf die im Zimmer befindlichen Personen, er schien betroffen, als er Pawjel Fjodorew hier erblickte, und es zuckte wie gehässige Schadenfreude über sein Gesicht.

Leonew kam schnell in demütig gebückter Haltung hinter seinem Tische hervor und rief:

»Glücklich ist mein Haus, daß der weise, tapfere und gerechte Achmed Uga, der hohe Kaimakam von Selwi, seine Schwelle betritt! Euer Eingang sei gesegnet, hoher Herr, gebietet über Euern demütigen Diener Theofil Leonew und alles, was er besitzt.«

Der Kaimakam neigte herablassend den Kopf. Pawjel Fjodorew begrüßte den türkischen Beamten mit stolzer und kühler Zurückhaltung; Stjepanida stand mit über der Brust gekreuzten Armen in sich zusammengesunken und leise weinend hinter ihrem Vater.

»Gott selbst führt Euch her,« fuhr Leonew fort, »um mir den Schutz Eurer Macht und Gerechtigkeit zuzuwenden. Pawjel Fjodorew hier, dessen trotzigen Sinn Ihr kennt, und der nur widerwillig der Regierung des erhabenen Padischah seine Steuern bezahlt, wie Ihr oft gesehen habt, ist wider meinen Willen bei mir eingedrungen, um mich zu schmähen und zu kränken. Mehrmals schon habe ich ihn aufgefordert, mein Haus zu verlassen, aber er trotzt meinem Willen, weil er jünger und stärker ist und weil das tückische Volk da draußen zu ihm steht, das mich haßt, weil ich auf Ordnung halte und Recht und ein treuer Untertan bin des großen und erhabenen Padischahs. Schützt mich vor ihm, hoher Herr, und befreit mein Haus von seiner verhaßten Gegenwart!«

»Ja, ja,« sagte Achmed Aga, indem seine Hand sich um den Griff seines Säbels spannte, »ich weiß es wohl, es lebt ein aufrührerischer Geist in diesem Volke, und es tut not, daß sie die Strenge fühlen, nachdem die milde, väterliche Hand der Regierung sie so lange verwöhnte. Ich werde das alles untersuchen, denn ich will einige Tage hierbleiben, um die neue Steuer zu erheben, welche der Padischah befohlen. Der freche Moskowiter zieht seine Truppen an den Grenzen des Reiches zusammen; bald soll ihr Blut die Erde düngen, unsere tapferen Soldaten werden sie niedermähen wie reife Garben, und die Pflicht aller guten Untertanen ist es, beizutragen zur Verpflegung der Heere des Padischahs. Darum ist eine Kopfsteuer ausgeschrieben, die jeder nach seinem Vermögen mit Freuden bezahlen wird, und ich bin hier, um die Schätzung vorzunehmen. – Ich weiß,« fuhr er zu Leonew gewendet fort, »daß du mir wie immer die Gastfreundschaft deines Hauses gern gewähren wirst.«

»Eine glückliche Sonne bescheint mein Dach,« sagte Leonew sich tief verneigend, »da ich gewürdigt bin, Euch zu beherbergen, hoher Herr.«

Achmed Aga warf einen hämischen Blick auf Pawjel Fjodorew und sagte:

»Der Padischah braucht auch Soldaten, um seine Heere zu verstärken, damit um so sicherer die nichtswürdigen Moskowiter zerschmettert werden; er hat befohlen, daß die kräftigsten und tüchtigsten Leute für den Dienst im Heere ausgehoben werden sollen. Es ist eine große Gnade, daß auch den Ungläubigen gestattet wird, die Waffen zu tragen und durch den Dienst für das Reich ihr sündhaftes Leben zu reinigen; denn wenn sie fallen im heiligen Kampfe, so wird der Prophet sich vielleicht ihrer erbarmen und für sie bei Allah bitten, daß sie in dem untersten Himmel der Gläubigen Aufnahme finden. Ich werde die Auswahl treffen,« fuhr er fort, »und hier Pawjel Fjodorew scheint mir vor allem tüchtig zum Dienst zu sein; ich werde ihn abliefern zum Regiment in Selwi, da mag er zeigen, ob sein trotziger Mut vor den Moskowitern standhält.«

Pawjel fuhr zusammen, helle Glut flammte in seinem Gesicht auf.

»Das ist wider das Recht, Herr«, rief er. »Ich habe pünktlich meinen Haradsch bezahlt und bin frei vom Dienst.«

»Es handelt sich nicht um den Haradsch,« erwiderte Achmed lachend, »der Padischah braucht Soldaten und hat befohlen, sie auszuheben, und wenn den Ungläubigen die Ehre zuteil wird, in die Reihen des ruhmvollen Heeres zu treten, so sollen sie dankbar sein für solche Gnade, und nur die Verräter werden sich ihrer Pflicht entziehen.«

»Ich habe meine Pflicht erfüllt wie jeder andere,« sagte Pawjel knirschend, »aber das dulde ich nicht, niemand kann mich zwingen, Soldat zu sein. Der Medschliß soll zusammentreten, wir werden uns an den Wesir, an den Padischah selbst wenden, um unser Recht zu fordern, denn es ist unmöglich, daß der Padischah einen solchen Befehl gegeben habe.«

»Wollt Ihr mich lehren,« rief Achmed Aga drohend, »was der Padischah in seiner Weisheit befohlen hat? – Nehmt Euch in acht, ich kenne Euch, Euer Maß ist voll! Und wenn der aufrührerische Geist sein Haupt zu erheben wagt, so werde ich den ganzen Medschliß in Ketten nach Selwi schicken, damit er lernt, was seine Pflicht ist. Morgen werde ich die Schätzung halten und meine Auswahl unter den Männern des Dorfes treffen – du weißt, was du zu tun hast, mache, daß du fortkommst, und halte dich bereit, mir zu folgen.«

Pawjels Lippen zuckten, seine Hände ballten sich – einen Augenblick schien er bereit, sich auf den Türken zu stürzen, aber er begriff, daß gewaltsamer Widerstand in diesem Augenblick nichts nützen könne, sondern ihn nur sicherer verderben müsse, nur gemeinschaftliches Handeln aller konnte die Gefahr des drohenden Rechtsbruches abwenden. Er unterdrückte die Drohung, die auf seinen Lippen schwebte, und wendete sich, um das Zimmer zu verlassen.

»Ich habe noch eine Bitte an Euch, hoher Herr,« sagte Leonew mit einem tückischen Seitenblick auf Pawjel, »die meine Tochter Stjepanida betrifft.«

Pawjel, der schon die Türschwelle erreicht hatte, blieb unruhig lauschend stehen.

»Ihr hattet früher die Gnade, hoher Herr,« fuhr Leonew fort, »mir zu versprechen, daß Ihr meine Tochter, wenn sie der Kindheit entwachsen sein würde, in Euer Haus aufnehmen wolltet, um Eure Diener anzuleiten und zu beaufsichtigen. Ich glaube, sie wird nun solchem Amte vorzustehen wissen, und wenn sie auch nicht Eures Glaubens ist, doch Eurem Hause nützlich sein. Die Zeiten sind unruhig, mich führen meine Geschäfte häufig vom Hause fort, und darum bitte ich Euch, nehmt sie jetzt mit Euch, damit ich sie sicher unter Eurem mächtigen Schutze weiß.«

Stjepanida stieß einen Angstruf aus und erhob flehend die Hände; sie blickte voll starren Entsetzens auf den Türken, der sie prüfend betrachtete.

Pawjel war totenbleich. Er drückte seine geballte Hand auf sein Herz, als wollte er dessen ungestüme Schläge zurückdrängen, und rief:

»Das ist unmöglich – unmöglich, Theofil Leonew, du darfst deine Tochter nicht von dir stoßen, du darfst ein christliches Mädchen nicht in ein türkisches Haus geben.«

»Ich darf nicht?« zischte Leonew, – »willst du die Gesetze geben darüber, was ein Vater mit seinem Kinde darf? Und ist ein christliches Mädchen nicht ehrenvoll und sicher aufgehoben im Hause des hohen Kaimakam, des Wächters der Gesetze, durch welche der erhabene Padischah den Untertanen jeden Glaubens gleichen Schutz und gleiches Recht verheißt? – Ihr hört, es, hoher Herr, er frevelt gegen die weise und gerechte Regierung.«

»Nun,« sagte Achmed Aga mit höhnischem Achselzucken, »er wird den Gehorsam lernen, wenn er erst im Regimente steht – hinaus, sage ich dir,« rief er, drohend die Hand gegen Pawjel erhebend, »ich will deine trotzigen Worte nicht gehört haben; aber bei Gott, wenn du noch ein Wort sprichst, so lasse ich dich in Ketten schließen und heute noch nach Selwi abführen!«

Einen Augenblick noch stand Pawjel mit schwer arbeitender Brust da, dann trat er schnell zu dem jungen Mädchen hin, dessen Blicke angstvoll flehend auf ihm ruhten, schloß sie in seine Arme, küßte sie auf die Stirn und rief:

»Vertraue auf mich, Stjepanida, noch lebt Gott, er wird uns schützen.«

Leonew wollte sich auf ihn stürzen, um Stjepanida aus seinen Armen zu reißen, aber Pawjel stieß ihn zurück und eilte, die Tür des Zimmers hinter sich schließend, aus dem Hause.

»Der Unverschämte,« sagte Achmed Aga, »ich sollte ihn durch die Gendarmen festhalten lassen – aber er entgeht uns nicht, ich werde ihn meinem Freunde Suleiman Bey, der das Regiment in Selwi kommandiert, empfehlen«, fügte er höhnisch hinzu; »wir brauchen christliche Freiwillige, damit die hohen Wesire in Stambul den Fremden beweisen können, wie freudig alle Untertanen für das Reich in den Kampf ziehen.«

»O mein Vater, mein Vater,« rief Stjepanida, indem sie sich zu Leonews Füßen niederwarf und seine Hand an ihre Lippen drückte, »verstoß mich nicht aus deinem Hause, sende mich nicht nach Selwi, ich beschwöre dich bei der Barmherzigkeit Gottes!«

»Verstoßen!« sagte Leonew rauh, – »törichte Närrin, was sprichst du von verstoßen! Es ist eine Ehre und ein Glück für dich, wenn du im Hause des hohen Kaimakam, meines weisen und gerechten Beschützers Achmed Aga, Aufnahme findest. Dort wirst du sicher sein vor den Zudringlichkeiten dieser tölpelhaften, trotzigen Bauern – kein Wort weiter – fort in deine Kammer! Ich selbst werde dich nach Selwi bringen, sobald der hohe Kaimakam dorthin zurückkehrt.«

»Fürchte dich nicht, mein Kind,« sagte Achmed Aga, indem er Stjepanidas Kinn emporhob und sie mit kalten, prüfenden Blicken betrachtete, wie ein Kaufmann die Ware mustert, »es wird dir bei mir an nichts fehlen. Du sollst meine Sklaven beaufsichtigen und meinen Haushalt führen, und du wirst in der Stadt mehr sehen und lernen als hier in dem öden, abgelegenen Dorfe.«

»Verzeiht ihre Torheit, Herr,« sagte Leonew, – »das wird sich geben, sie hat noch nie mein Haus verlassen, und selbst das Vieh«, fügte er mit rohem Lachen hinzu, »sträubt sich ja, wenn es aus dem Stall gehen soll, in dem es geboren wurde. – Jetzt fort!« rief er, Stjepanida heftig zurückstoßend, »ich habe keine Zeit, mich weiter mit deinen Albernheiten zu beschäftigen. Sage den Mägden, daß sie für die braven Gendarmen draußen sorgen, und sende uns hierher das Beste, was es im Hause gibt; der hohe Kaimakam wird müde und hungrig von der Reise sein und freundlich annehmen, was sein demütiger Diener ihm zur Erquickung zu bieten vermag.«

Stjepanida stand auf. Düstere Verzweiflung lag auf ihren Zügen, zugleich aber blitzte aus ihren großen, sonst so träumerisch schmachtenden Augen ein Strahl kühnen, entschlossenen Mutes aus; ohne ein Wort weiter zu sprechen, ging sie, dem Befehle ihres Vaters folgend, hinaus.

»Das Mädchen ist wirklich schön,« sagte Achmed Aga, indem er sich mit zufriedener Miene die Hände rieb, »und der erhabene Pascha wird entzückt sein, wenn ich sie ihm in seinen Harem bringe, vielleicht wird er sie gar würdig finden, sie dem großen Padischah, den Allah segnen und erhalten möge, zu senden, und ich werde nicht verfehlen, ihm zu sagen, daß sie dein Geschenk ist, Theofil Leonew, das wird dir mächtigen Schutz in allen deinen Unternehmungen bringen.«

»Ich danke Euch, Herr, ich danke Euch«, sagte Leonew. »Ich weiß ja, daß Ihr immer meiner gedenkt, und wenn Stjepanida Gnade findet vor den Augen des erhabenen Paschas, so werdet Ihr nicht vergessen zu sagen, daß sie meine Tochter ist und daß ich sie mit Freuden dem ruhmreichen, weisen und gerechten Vertreter des Padischahs, unseres Gebieters, übergebe. Es ist ja auch ihr Glück, denn wie kann ich, ein vielbeschäftigter Mann, ein Mädchen hüten; sie würde Torheiten begehen und sich selbst ins Elend, mich aber tausendfach in Sorgen und Verdruß stürzen. Auch will ich nicht hierbleiben,« fuhr er fort, »diese Bauern werden mit jedem Tage frecher und unverschämter, und wenn ihr trotziger Geist sie bis zur rebellischen Auflehnung treiben sollte, so wird wohl«, fügte er mit entsetzlichem Lachen hinzu, »hier wenig übrigbleiben, um Geschäfte zu machen. Ich möchte mit dem, was ich erworben, nach Stambul gehen, um dort ein Geschäft zu begründen, das mir vielleicht in einem Tage hundertfach den Gewinn abwirft, den ich hier, kaum in einem ganzen Jahre zusammenbringe; dazu müßt Ihr mir helfen, hoher Herr, und wenn der erhabene Pascha Wohlgefallen an Stjepanida findet, so werdet Ihr wohl von ihm einen Geleitbrief für mich an die großen Wesire in Stambul erlangen können, damit ich dort die Erlaubnis erhalte, mich niederzulassen und mein Geschäft zu betreiben – Ihr wißt, daß ich ein dankbarer Mann bin und daß ich gern von allem, was ich erwerbe, den schuldigen Anteil zu den Füßen meines großmütigen Beschützers und Wohltäters niederlegen werde.«

»Wir wollen sehen – wir wollen sehen, was sich tun läßt,« sagte Achmed Aga, indem er sich mit zufriedenem Lächeln die Hände rieb, »wenn Stjepanida Gnade findet vor den Augen des Paschas, daß er dir seinen Schutz gewähren wird. Ich weiß ja,« fuhr er mit einem eigentümlich durchdringenden Blick fort, »daß du die Dankbarkeit nicht vergessen wirst, wenn dir das Glück in Stambul günstig sein sollte, denn du bist ein kluger Mann und weißt wohl, daß die Undankbarkeit keinen Bestand hat und daß die Hand, welche schützt und erhöht, auch schlagen und zu Boden werfen kann.«

»Ihr kennt mich, Herr, Ihr, kennt mich,« sagte Leonew eifrig, »und niemals werdet Ihr bereuen, mir Euren Schutz gewährt zu haben. Doch jetzt, wenn es Euch gefällig ist, kommt hinüber und stärkt Euch an dem, was mein armes Haus Euch bieten kann.«

Er verschloß sorgfältig seine Schränke und führte, ehrerbietig gebückt voranschreitend, den Kaimakam über den Flur nach dem gegenüberliegenden Wohnzimmer des Hauses, wo bereits ein Nachtmahl bereitet stand.

Der eichene Tisch war, ein großer, Luxus für ein bulgarisches Dorf, mit einem weißen Leinentuch bedeckt. Auf demselben standen Teller von seinem Porzellan, welche Leonew für festliche Gelegenheiten von seinen Handelszügen aus den benachbarten Städten mitgebracht hatte. Geräucherte Schinken, Würste, kaltes Hammelfleisch, frisch gebackene Eierkuchen und marinierte Fische aus der Kuschitza bedeckten auf großen Schüsseln die Tafel. Achmed Aga ließ einen wohlgefälligen Blick über die zwar einfachen, aber lockenden Dinge schweifen, welche seinem durch den Ritt geschärften Appetit doppelt verlockend erschienen.

»Höre, Theofil Leonew,« sagte Achmed Aga, indem er auf einem mit Polstern bedeckten Diwan vor der Tafel Platz nahm, »meine Kräfte sind erschöpft von der Arbeit im Dienste des Padischahs, und mein Arzt hat mir geraten, von den stärkenden Getränken Gebrauch zu machen, welche die Franken aus den Beeren des Weinstocks zu bereiten verstehen, und in solchen Fällen erlaubt ja das Gesetz der heiligen Bücher, von diesem Getränk der Ungläubigen zu genießen.«

»Ich eile, Herr, ich eile,« rief Leonew, »das Beste, was ich besitze, soll sogleich für Euch bereitstehen.«

»Vergiß auch nicht,« rief ihm Achmed Aga zu, als er schon die Schwelle erreicht hatte, »jenen schäumenden Sorbet mitzubringen, welcher kühlt und belebt und so angenehm die Zunge kitzelt.«

»Seid unbesorgt, Herr, seid unbesorgt,« rief Leonew, geschäftig davoneilend, »Ihr sollt zufrieden sein.«

Nach kurzer Zeit und nachdem der Türke mit Behagen einen der duftenden Eierkuchen verzehrt hatte, erschien Leonew wieder mit einem großen Korbe, welcher mit bestäubten Flaschen alten Bordeaux und Burgunders gefüllt war, auch mehrere Champagnerflaschen mit silberschimmernden Köpfen ragten aus dem Korbe hervor, bei dessen Anblick Achmed Aga freundlich schmunzelnd seinen Beifall nickte.

Eine nach der anderen dieser Flaschen wurde entkorkt, und der Türke nahm die stärkende Medizin mit so viel Wohlbehagen und in so großen Quantitäten zu sich, daß er, als endlich die Pfropfen der Champagnerflaschen knallend emporstiegen und dem schäumenden Wein die Freiheit gaben, bereits mit dunkelgerötetem Gesicht und starr blickenden Augen dasaß und nur noch unzusammenhängende Worte hervorstieß, in welchen er bald den Moskowitern und den rebellischen Giaurs den Untergang schwor, bald dem geschäftig einschenkenden Leonew seinen gnädigen Schutz versicherte.

Endlich sank sein Haupt müde auf die Kissen des Diwans zurück. Die Nacht war hereingebrochen, Leonew führte mit einiger Mühe den Kaimakam nach der Kammer, in welcher für ihn ein Lager von weichen Kissen und feinen seidenen und wollenen Decken aufgeschlagen war, und halb entkleidet sank Achmed Aga laut schnarchend in tiefen Schlummer.

Obgleich Leonew gewohnt war, sich von allen geistigen Getränken mäßig zurückzuhalten, hatte er doch Achmed Aga, der ihm immer vergnügter und herablassender zutrank, so häufig Bescheid tun müssen, daß die schweren, feurigen Weine auch auf ihn seinen Einfluß ausgeübt hatten. Auch er suchte bald sein Lager auf und verfiel in festen Schlaf. Sein letzter Gedanke gehörte der Freude über die Rache an seinem verhaßten Feinde Pawjel Fjodorew, und ein häßliches Lächeln höhnischer Freude verschwand auch im Schlummer nicht von seinem Gesicht.


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