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14. Kapitel

Während der Kaiser Alexander dem Zuge seiner Truppen folgte, hatten die türkischen Korps, welche von der russischen Armee nach dem Übergange über die Donau zurückgeworfen waren, sich teils in geordneten Kolonnen, teils in wilder Auflösung südwärts nach dem Balkan zurückgezogen, um die Pässe zu gewinnen und sich mit den von Rumelien heraufrückenden Armeen zu vereinigen. Der große Strom dieser Truppenbewegungen drängte dem Schipkapasse, dem eigentlichen Übergangsweg über den Balkan, zu, und hier sammelten die Türken ihre bedeutendsten verfügbaren Kräfte, um einem möglichen russischen Übergangsversuch wirksamen Widerstand zu leisten; kaum indes erwartete man einen solchen Versuch, denn der Kern der russischen Armee war noch zu weit entfernt, die ganze russische Truppenaufstellung schien noch nicht genügend konzentriert, um den Übergang durch den schmalen Paß, der ungeheure Opfer an Menschen fordern mußte, zu erzwingen.

Während nun in der Richtung nach Schipka hin sich zahlreiche türkische Truppenabteilungen, von den russischen Vortruppen gefolgt, auf allen Straßen südwärts bewegten, um den Paß zu erreichen, herrschte in einiger Entfernung in den Abhängen und Schluchten die tiefste Ruhe und Stille, und niemand hätte vermuten können, daß man sich hier so nahe an dem Schauplätze eines furchtbaren, blutigen Krieges befinde.

Seitwärts von den großen Straßen lag an einem schmalen, durch Waldabhänge gedeckten und für den großen Verkehr niemals benutzten Bergpfad eine von Felsen eingeschlossene und von dichtem Gebüsch überragte Plattform; dieselbe war etwa fünfzehn Fuß über dem Bergpfad erhaben, eine steile Felswand machte von dieser Seite den Aufgang unmöglich. Am oberen Rande dieser Wand hatte sich ein Überhang von Rasen und Gebüsch gebildet, welcher den etwa unten auf der Straße Vorbeiziehenden den Blick auf die Plattform selbst verschloß; nach der anderen Seite hin stieg das Gebirge steil auf, während sich zugleich Schluchten zwischen den einzelnen Felshöhen öffneten, durch welche man auf gefahrvollen und nur den ganz Ortskundigen zugänglichen Wegen nach den Tälern hinabsteigen konnte.

Auf dieser Plattform zeigte sich, während weit unten hin das kriegerische Leben die Täler erfüllte, ein eigentümliches Bild, das trotz seiner engen Abgrenzung und seiner stillen, friedlichen Ruhe doch wieder auch seinerseits an den Krieg erinnerte, der das ganze Land ringsum erfüllte. Rückwärts von dem steil abfallenden Rande des kleinen Plateaus waren aus Baumästen kleine Hütten oder eigentlich nur Dächer aufgeschlagen, welche notdürftigen Schutz gegen den Regen gewährten, und unter diesen Hütten lagerten in bunten Gruppen, plaudernd, träumend oder ihre Waffen putzend, junge Männer, schön, schlank und kräftig gebaut, in der Tracht des bulgarischen Landvolkes. Man hätte sie für eine Bande kühner Räuber halten können, die in den wilden Bergschluchten den Reisenden auflauern, wenn nicht auf allen ihren Gesichtern so viel freie, harmlose Offenheit gelegen hätte.

Und doch mußte diese kleine Schar in Sorge vor Gefahr und in Bereitschaft zum Kampf leben, denn in all den kleinen Zelten sah man Waffenstücke jeglicher Art, sorgfältig vor der Witterung geschützt, hängen, und während die Kleider der Männer verwittert, abgeschabt und sogar vielfach zerrissen waren, zeigten die Waffen in ihrem hellen Glanz, daß die äußerste Sorgfalt auf sie verwendet war. Auch waren wie in einem militärischen Biwak Posten ausgestellt, welche, das Gewehr mit gespanntem Hahn im Arm, an dem nach dem Innern des Gebirges hin sich öffnenden Felspfad und an dem Rande der Plattform Wache hielten, obgleich man ringsum nichts hörte als das Rauschen des Windes in den Baumwipfeln, den Schrei eines Vogels, und zuweilen aus weiter Ferne her ein dumpfes Grollen, das man für ein aufsteigendes Wetter hätte halten können, wenn nicht einzelne kurze, hintereinander folgende Schläge ein kriegsgeübtes Ohr den Kanonendonner hätten erkennen lassen.

Rückwärts, wo diese kleine, vorspringende Plattform sich an die hochaufsteigenden Bergmassen anlehnte, öffnete sich unter einem großen Felsen eine von der Natur gebildete Höhle; vor dem Ausgange derselben war eine Art von Vordach von fest aneinandergefügten Baumzweigen gebildet, das auf starken Pfosten ruhte und Vorhänge von aneinandergenähten Wildfellen trug, welche den inneren Raum verschlossen. Die Morgensonne war eben über den Rand der nächsten Berghöhen heraufgestiegen und beleuchtete mit ihren ersten Strahlen die malerischen Gruppen auf dieser einsamen Höhe. Einzelne der unter den Laubzelten ruhenden Männer waren bereits erwacht und traten gähnend und die Glieder dehnend zu den Wachen hin, welche unermüdlich auf ihren Posten gestanden hatten, ohne einen Augenblick die Augen zu schließen, andere öffneten eben erst die Augen vor den blendenden Strahlen des aufsteigenden Tageslichtes – aber plötzlich erhoben auch diese noch halb vom Schlaf Befangenen sich schnell und mit einem gewissen ehrfurchtsvollen Eifer, denn die Vorhänge vor der Felsenhöhle wurden auseinandergeschlagen, und die schöne Stjepanida Theofilowna, die Tochter des alten Leonew aus dem Dorfe Muschina, trat aus dem Innern der Höhle hervor, deren Boden mit trockenem Laub und weichen Fellen bedeckt war.

Auch Stjepanidas Anzug zeigte die Spuren eines längeren Aufenthaltes in der Einsamkeit der Wälder und Berge, dennoch aber erschien sie schöner noch und reizender als jemals früher im Hause ihres Vaters oder auf dem Tanzplatz des heimatlichen Dorfes. Sie schien fast noch gewachsen und zu höherer Kraft und reinerem Ebenmaß in ihrer Gestalt entwickelt zu sein; ihr reiches Haar hing in losen Flechten über ihre Schultern herab, ihre großen Augen schienen Feuerstrahlen auszuströmen, ihre Wangen waren gebräunt, ohne doch den zarten Schmelz der lieblichen Jugendfrische verloren zu haben, und wie sie so aus der dunklen Höhle in das helle Morgenlicht heraustrat, glich sie einer jener Waldfeen der Märchen, welche die einsamen Schluchten beherrschen und die Wanderer bald in tückischer Laune necken und höhnen, bald zu unheilbarem Liebeswahnsinn betören.

Aber so schön und strahlend sie auch erschien, als sie in das helle Morgenlicht hinaustrat, so lag doch eine trübe Wolke auf ihrer Stirn, und bange Unruhe zitterte in dem Blick ihrer dunkelglühenden Augen. Sie reichte all den jungen Leuten, welche ehrerbietig und zugleich mit treuherziger Vertraulichkeit zu ihr herantraten, um ihr guten Morgen zu wünschen, nacheinander die Hand und fragte ängstlich umherspähend:

»Noch immer ist Pawjel nicht zurück? Um Gottes Willen, wenn ihm etwas geschehen, wenn er in einen Abgrund gestürzt wäre, oder wenn sie ihn gefangen hätten, was sollte aus mir werden ohne das Sonnenlicht meines Lebens?«

Sie schloß einen Augenblick schaudernd die Augen.

»Und was sollte aus euch allen werden ohne seine Führung, seine Umsicht, seine Sorge, die uns errettet und bisher vor allen Gefahren geschützt hat? – Sollten wir nicht Boten aussenden, seiner Spur zu folgen, ihn zu suchen, ihm Hilfe zu bringen, wenn er der Hilfe bedarf? Seit gestern morgen ist er fort, er müßte längst wieder da sein – oh, wir hätten es nicht leiden sollen, daß er selbst ging, um Nahrung zu suchen und Kundschaft einzuziehen.«

»Sei ruhig, Stjepanida,« sagte einer der jungen Leute, während sich auf manchen Gesichtern bei den ängstlichen Worten des Mädchens ebenfalls bange Besorgnisse zeigten, »sei ruhig, Pawjel Fjodorew ist nicht der Mann, der sich fangen läßt, auch kennt er, die Pfade genau, die Nacht wird ihn überrascht haben, es ist in der Dunkelheit unmöglich, die Felsen zu ersteigen, er wird den Tag erwartet haben und bald hier sein; wir müssen ihn ruhig erwarten, was würde es nützen, Boten auszusenden, da wir nicht wissen, wohin er sich gewendet.«

Stjepanida schien nur wenig durch diese Worte beruhigt, doch mochte sie einsehen, daß der Mann recht habe, und den Kopf auf die Brust gesenkt, schritt sie, schweigend auf und nieder, während die übrigen leise miteinander flüsterten.

Sie sollte die bange Qual der Erwartung nicht lange ertragen, bald ließ sich aus der Tiefe einer Bergschlucht ein leiser, lang ausgehaltener Pfiff, ähnlich dem Schrei eines Raubvogels, hören; der dort stehende Wachtposten erwiderte das Zeichen durch einen ganz ähnlichen Ton – das junge Mädchen blieb stehen, lauschend beugte sie den Kopf vor, heller funkelten ihre Augen, und sie drückte ihre Hände auf ihr höher schlagendes Herz. Die jungen Männer eilten nach der Öffnung der Schlucht hin, aus welcher sich jener Ton hatte hören lassen, und nach wenigen Augenblicken stieg auf dem mit stufenartig übereinanderliegenden Felsstücken bedeckten Pfade Pawjel Fjodarew aus der Tiefe empor, gefolgt von einem kräftigen, hochgewachsenen Jüngling, der ihn auf seinem Ausflug begleitet hatte. Beide trugen, an Riemen über ihre Schultern gehängt, mehrere Hasen, Kaninchen und Birkhühner, dazu vollgefüllte Leinenbeutel und Lederschläuche. Kräftig schwang sich Pawjel von dem letzten Felsenabsatz auf die Plattform, ein allgemeiner Freudenruf begrüßte ihn. Einen Augenblick stand er tiefaufatmend still, sein flammender Blick ruhte auf Stjepanida, welche von dunkler Purpurglut übergössen dastand und in ihrer Freude kein Wort und keine Bewegung zu finden schien, dann breitete er seine Arme aus – das junge Mädchen flog ihm entgegen und schmiegte sich zitternd an seine Brust, indem ihre Augen sich mit Tränen füllten, als ob jetzt erst, nachdem die peinliche Spannung vorüber, das volle Bewußtsein ihrer Angst und Sorge in ihr erwache.

»Du weinst, Stjepanida,« sagte Pawjel, indem er sanft ihren Kopf erhob und die Tränen von ihren Wimpern küßte, »du weinst, da ich wieder bei dir bin? Bereust du, dies Leben der Gefahr, der Unruhe und Entbehrung auf dich genommen zu haben, bereust du es,« fragte er mit fast hartem Ton, indem seine Blicke sich verfinsterten, »daß du mir in die Wildnis gefolgt bist, statt jenem Türken in seinen vergoldeten Käfig?«

»O mein Pawjel,« rief sie, »welche Frage? – Welche Entbehrung wäre mir zu schwer an deiner Seite! Nicht der Reue gehören diese Tränen, sie gehören der Freude über deine Rückkehr und«, fügte sie leise hinzu, indem sie sich fester an ihn schmiegte, »sie gehören auch dem Schmerze, der meine Seele durchbebte bei dem Gedanken, daß ich dich verlieren könnte, dich, das Licht meines Lebens, dich, meinen einzigen Schutz auf der weiten Erde. Was sollte aus mir werden, wenn du nicht mehr da wärest! Oh, ich schaudere, daran zu denken, und doch konnte ich den furchtbaren Gedanken nicht bannen, als deine Rückkehr sich verzögerte, als ich entsetzt die Gefahren mir ausmalte, die auf deinem Wege dich bedrohten. Ich bitte dich, mein Geliebter, um meinetwillen schone dich, setze nicht dein Leben tollkühn ein, das mein einziger Schutz ist, mein alles auf Erden.«

»Mich schonen, Stjepanida,« sagte er, sie sanft an sich drückend, »schont sich der Feige, der ängstlich die Gefahr flieht, um ehrlos von ihr niedergeworfen zu werden? Mein Schutz ist mein scharfer Blick, mein sicherer Fuß, mein starker Arm, und vor allem mein mutiges Herz, das sich niemals beugt – außer vor dir«, fügte er lächelnd, aber mit einem Ton voll inniger Wahrheit hinzu. »Was wäre dir mein Leben wert, wenn ich es zu sichern suchte in ruhmlosem Versteck, statt es hell ausleuchten zu lassen wie eine reine, edle Flamme, dem Feinde zum Schrecken, zum Wahrzeichen des Sieges den Freunden. Aber glaube mir, du wirst dennoch nicht verlassen, nicht schutzlos sein – ihr alle,« rief er, »die ich hierhergeführt zur Rettung aus der türkischen Sklaverei, ihr werdet meine Stelle vertreten, wenn Gott mein Leben im heiligen Kampfe fordern sollte; schwört mir alle,« fuhr er feierlich fort, ein silbernes Kruzifix aus den Brustfalten seines Wamses hervorziehend, »schwört mir bei dem heiligen Blut des Erlösers, daß ihr Pawjels Geliebte schützen wollt mit eurem eigenen Leben gegen jede Gefahr, daß ihr in ihr mein Andenken ehren wollt, wenn ich nicht mehr da bin!«

Die Männer traten heran, alle berührten mit den Spitzen ihrer Finger das heilige Zeichen, und jeder sagte mit lauter, fester Stimme:

»Ich schwöre es bei dem Blute des Erlösers.«

»Du siehst nun,« sagte Pawjel, indem er die Stirn der immer noch weinenden Stjepanida küßte, »daß du niemals verlassen sein wirst, keine Königin kann besser beschützt sein von ihren Leibwachen, als du es allezeit sein wirst von den tapferen Armen meiner treuen Freunde, die ihren Schwur nicht vergessen.

Doch nun genug davon«, rief er heiter; »ich bringe gute Beute und gute Nachrichten – da ist Wild,« sagte er, seine Jagdbeute auf die Erde niederwerfend, wohin bereits sein Begleiter seine Last gelegt hatte, »und hier«, fügte er, den Sack und die Schläuche von der Schulter nehmend, hinzu, »ist Brot und Branntwein und Zwiebel, wir haben Vorrat auf lange Zeit, auf länger vielleicht, als wir bedürfen. Ich habe mich weit vorgewagt, nach Gabrowa hin; die Russen stehen nahe heran, und ich hätte mich leicht durchfinden können zu ihnen, wenn ich allein gewesen wäre und nur an mich zu denken gehabt hätte. Alles, was noch von türkischen Truppen in der Gegend hier war, zieht sich nach Schipka hin, bald werden alle Wege frei sein, und wir werden uns hervorwagen können. Einige Tage müssen wir noch warten, denn wir sind zu wenig, und ein türkisches Streifkorps würde uns durch die Übermacht überwältigen. Es wird einen harten Kampf geben am Schipkapatz, denn nach allem, was ich gehört, wollen die Russen in schnellem Zuge vordringen, auch der Zar soll schon weit voran sein nach Süden. Mein Gott,« sagte er seufzend, »wenn man nur zu ihnen dringen könnte, die Straße dort unten führt uns sicher durch die Berge nach Hankioi hin, dann würden sie Schipka von beiden Seiten fassen, und was dort von Türken steht, müßte sich ergeben oder vernichtet werden, während sie von der einen Seite allein den Schipkapaß niemals nehmen werden, wenn sie nicht die Straße mit den Leichen ganzer Regimenter pflastern. Es wäre ein großes Verdienst, unseren Befreiern diesen Weg hier zu zeigen, und ich müßte mich wohl von neuem aufmachen, um ihnen Nachricht zu bringen und sie hierher zu führen.«

Stjepanida faßte erschrocken seine Hand und sah ängstlich bittend zu ihm auf.

»Nein, mein Pawjel,« riefen mehrere der jungen Leute, »du sollst nicht fortgehen, du bist hier nötig, die anderen zu führen und zu retten; wir wollen gehen, um den Russen Kunde zu bringen.«

»Gut denn,« sagte Pawjel nach kurzem Nachdenken, »die Aufgabe ist vielleicht nicht schwer, ich muß mein Leben für euch alle erhalten; aber einer allein darf so wichtige Sendung nicht übernehmen; wenn er fiele, wäre alles umsonst. Wir wollen Lose werfen, drei von euch müssen wenigstens ausziehen, um die Russen zu erreichen und ihnen zu sagen, daß sie auf diesem Wege hier leicht und gefahrlos der türkischen, Stellung bei Schipka in den Rücken kommen können. Ihr müßt am Abend durch die Felsklüfte herabsteigen, um in der Nacht die Ebene zu erreichen, und dann auf verschiedenen Wegen jeder für sich die Russen zu erreichen suchen.«

Alle stimmten freudig zu.

Es wurden so viel Steine, als Männer da waren, in einen der geleerten Säcke geworfen, drei dieser Steine hatte Pawjel mit der Spitze seines Dolches durch ein Kreuz bezeichnet. Einzeln traten die jungen Leute heran und zogen die Lose, und stolz und freudig funkelten die Blicke der drei Auserwählten, welche die gezeichneten Steine gezogen hatten.

»Nun aber«, rief Pawjel, »laßt uns das Mahl bereiten, wir haben lange schmale Kost gehabt und dürfen uns doppelt unseres Überflusses freuen, da bald die Erlösung naht.«

Schnell machten sich einige der Männer daran, einen Teil des erbeuteten Wildes zu enthäuten und zu zerlegen, während andere in der Mitte des freien Platzes ein Helles Feuer von trockenen Baumzweigen auflodern ließen. Noch andere füllten einen dreifüßigen Kessel mit dem Wasser eines Felsenquells, der in einer nahen Schlucht zum Tal herabrauschte, und trugen dann das einfache Kochgeschirr zum flackernden Feuer.

Stjepanida hatte sich vor den Eingang ihrer Schlafhöhle auf eine Moosbank gesetzt und untersuchte den Inhalt der mitgebrachten Säcke, um daraus die Bestandteile des primitiven Gerichts zu wählen, das sie dann in dem Kessel zubereiten wollte. Pawjel setzte sich, während die übrigen ihren verschiedenen Beschäftigungen nachgingen, an ihre Seite.

»Stjepanida,« sagte er, sich zu ihr herabbeugend, »du hast gebebt und geweint in der Furcht um mich, in der Sorge, mich zu verlieren – hast du denn nicht daran gedacht, wie anders es sein würde, wenn du mir gehörtest, ganz mir als mein Weib? Du hast das immer verweigert, und ich habe mich darein gefügt, aber schmerzlich habe ich es doch empfunden, denn auch hier in der Einsamkeit der Berge würden wir unseren Bund haben schließen können, ich hätte einen Priester aus einem der Dörfer im Tal auf meinen Schultern heraufgetragen, über die Klippen der Felsen, daß er uns hier vereinte mit dem Segen der heiligen Kirche. Du hast dich gefürchtet, schutzlos in der Welt dazustehen, nun, wenn wirklich einmal Gott über mein Leben verfügen sollte, so wird Pawjel Fjodorews Witwe überall Achtung und Ehrerbietung, überall Schutz finden.«

Sie blickte mit ihren glänzenden Augen zu ihm auf, mit wehmütigem Lächeln den Kopf schüttelnd, sagte sie:

»Ich würde dich ja doch nicht überleben, mein Geliebter, lange würde ich des Schutzes auf Erden nicht bedürfen ohne dich; vor Gefangenschaft und Schmach wäre ich sicher, denn deine Stjepanida wüßte stets deiner würdig zu sterben.«

Sie berührte leicht mit der Spitze ihres Fingers den Dolch in ihrem Gürtel.

Pawjel seufzte, dann faßte er ihre Hand und sagte, seinen glühenden Blick tief in ihre Augen senkend:

»Du denkst an den Tod, Stjepanida, und sollen wir denn mit unserem jungen, warmen Herzen nicht an das Leben denken – und wenn der Tod käme, sollten wir dahingehen, ohne des Lebens süßestes Glück genossen zu haben, ohne einander anzugehören für alle Ewigkeit, vor dem Angesicht Gottes?«

Ihre Hand zitterte in der seinigen, sie schlug die Augen nieder.

»Versprich mir, Stjepanida,« sprach er, mit seinem heißen Atem ihre Wange streifend, »versprich mir, daß du mein sein willst, sobald der Weg frei ist von den Bergen herab, versprich mir, daß du mir die Hand reichen willst vor dem Altar der ersten Kirche, die wir finden. Die Gefahr wird nicht aufhören, wenn wir wieder herabsteigen können in das Tal; ich kann, ich darf nicht müßig bleiben in dem großen Kampfe für unseren Glauben und unser Vaterland; ich werde meinen Platz verlangen in den Reihen der russischen Heere – aber wenn ich dann hinausziehe zum heiligen Entscheidungskampfe, so will ich die Erinnerung mit mir tragen an deine ganze Liebe, die Gewißheit, daß ich, wenn ich falle, dir alles hinterlasse, was mein war auf Erden, meinen Besitz und meinen Namen, und daß vielleicht«, fügte er leiser hinzu, »dennoch mein Blut fortlebt durch dich.«

»O mein Pawjel,« erwiderte sie, seine Hand an ihr Herz drückend, »glaubst du, daß ich mich weniger danach sehne, dir ganz zu gehören vor Gott und Menschen, in Zeit und Ewigkeit! Aber ich bitte dich um deiner Liebe willen, laß mich, dringe nicht in mich, damit der Friede meiner Seele, die Ruhe meines Gewissens nicht gestört werde. Du weißt, daß Gottes Gebot lautet: ›Wir sollen Vater und Mutter ehren‹, und immer würde ich den Fluch des Himmels fürchten, wenn ich gegen den Willen meines Vaters dir die Hand reichte. Laß uns warten, bis alles wieder ruhig geworden ist, laß mich jenem heiligen Gebot Gottes gehorchen, damit dann der Segen des Himmels auf unserem Glück ruhe.«

Zornig blitzten seine Augen, zu einem bitteren Lachen verzogen sich seine Lippen.

»Und du glaubst, daß jemals dein Vater unseren Bund segnen wird, er, der es mit den Türken hält, er, der mich haßt; du willst meine Liebe geringer achten als die Pflicht gegen ihn, der dich den Türken verkaufen wollte?«

»Muß denn nicht«, erwiderte sie, »die Pflicht gegen Gott höher stehen, als das Glück des eigenen Herzens? Oh, ich bin gewiß, wenn die schwere Zeit, die auch meinen Vater hart trifft, vorübergegangen sein wird, so wird er anders denken, er wird uns seinen Segen geben.«

»Er wird es nicht!« sagte Pawjel finster. »Ich glaube an Gottes Macht,« sagte Stjepanida, »der die Liebe beschützt, und höre mich, mein Geliebter, ich bin heimlich meinem Vater entflohen, vielleicht bereut er schon seine Härte, darum zwingt mich mein Gewissen, ihn noch einmal um mein Glück zu bitten – aber ich schwöre dir, wenn er es mir abermals verweigert, dann, mein Pawjel, dann wird mich mein Gefühl freisprechen von jedem weiteren Opfer, dann werde ich dir meine Hand reichen und den Vater verloren geben, der kein Herz für sein Kind hat. Bis dahin aber laß mich meinem Gefühl folgen, wenn ich nicht das Glück, das ich so gern rein genießen möchte, mit bitteren Vorwürfen erkaufen soll.«

Pawjel blickte finster vor sich nieder; er widersprach ihr nicht, vielleicht war er zu stolz, um noch weiter zu bitten, aber finster preßte er die Lippen aufeinander, und wie unmutig wendete er sich von ihr ab.

Sie aber schmiegte sich an ihn, strich sanft mit der Hand über seine Wangen und wendete schmeichelnd seinen Kopf zu sich zurück; dann, als er finster und zögernd die Augen zu ihr aufschlug, sah sie ihn so innig liebevoll, so lieblich bittend an, daß seine Züge sich aufklärten und er, die Arme ausbreitend, sie an seine Brust zog, ihre Lippen küßte und leise flüsterte:

»Es sei, wie du willst, meine Stjepanida; für kein Glück der Erde möchte ich den Frieden deiner reinen Seele trüben.«

Das Wasser kochte im Kessel, in welchen bereits das zerlegte Wildbret geworfen war.

Stjepanida trat heran, warf Brot und Zwiebeln und was sie sonst noch an Nahrungsmitteln und Gewürz in den Säcken vorgefunden hatte, in den Kessel und überwachte, neben dem Feuer stehend, die Herstellung des einfachen und doch so kräftig duftenden Gerichts, indem sie von Zeit zu Zeit dessen einzelne Teile mit einem sauber abgeschälten Baumzweig umrührte.

Pawjel aber öffnete einen der Schläuche, aus welchem sich der würzige Duft des Sliwowitz, dieses aus den wilden Pflaumen gezogenen Branntweins, entwickelte. Bald waren alle Vorbereitungen getroffen.

Der Kessel wurde vom Feuer genommen, man lagerte sich um denselben, und mit kunstlos aus wildem Holz geschnittenen Löffeln aßen alle gemeinschaftlich aus dem großen Kessel, während zugleich der Schlauch mit dem würzigen Getränk die Runde machte.

Plötzlich erhob Pawjel lauschend den Kopf.

»Horcht,« sagte er, »horcht, das sind Stimmen und Waffengeklirr, auch die Tritte von Pferden – es kommen Soldaten auf dem Pfade dort unten her, auf dem, solange wir hier sind, niemand vorüberzog als einige Hirten, die ihre Herden in die Berge trieben.«

Pawjels Worte verursachten ein augenblickliches, tiefes Stillschweigen, jeder blieb in seiner Stellung unbeweglich, alle lauschten mit angehaltenem Atem.

In der Tat hörte man ziemlich nahe schon laute Stimmen, dazwischen, wie Pawjel gesagt, das Klirren von Waffen und die Tritte von Pferdehufen auf dem steinigen Pfad.

»Das sind Türken,« sagte Pawjel, »ich höre deutlich ihre Worte; es wird ein versprengter Trupp sein, der vor den Russen flieht. Sie müssen aus der hiesigen Gegend sein, oder jemand muß ihnen diesen Pfad gezeigt haben, den man sonst nicht kennt; laßt uns beobachten.«

Er erhob sich und schritt dem Rande der Plattform zu, die übrigen folgten ihm; alle legten sich auf den Boden nieder und spähten vorsichtig durch das Strauchwerk auf den am Fuße der steilen Felswand vorbeiführenden Weg hinab. Es war nur eine kleine Strecke von diesem Wege sichtbar, da derselbe bald eine Wendung machte und sich in die dichte Waldung verlor. Der Weg war hier etwa sechs bis sieben Fuß breit, und wer denselben passieren wollte, mußte fast unmittelbar unter den Lauschenden der Plattform vorüber, welche in höchster Spannung auf die immer näher kommenden Stimmen horchten. Auch Stjepanida war ganz an den Rand der Plattform herangekommen, sie lehnte sich an den Stamm einer jungen, über den Fels herabhängenden Birke, deren Laubwerk sie vollständig verbarg, und spähte ebenso aufmerksam wie die übrigen hinab, während ihr Herz höher schlug, als sie die türkischen Worte aus der Tiefe vernahm und die klirrenden Waffen der Todfeinde ihres Volkes hörte.

»Sollen wir nicht Steine abbrechen und sie zerschmettern, oder sie einzeln niederschießen, während sie vorbeiziehen?« fragte einer der jungen Leute.

»Es wäre überflüssig,« sagte Pawjel, »noch ist die Vorsicht unsere beste Waffe; es könnten ihrer zu viele sein, und wir dürfen unser Versteck nicht verraten. Laßt sie ruhig vorübergehen, sie werden ihrem Schicksal nicht entrinnen; die Hauptsache für uns ist, daß unser Land von ihnen gesäubert wird.«

Schon hörte man die Stimmen ganz nahe, noch einen Augenblick, und die ersten Türken erschienen auf dem Wege unter der Plattform. Es waren versprengte Soldaten verschiedener Waffen, auch einige mohammedanische Bewohner der nächsten Dörfer.

Einige ritten, andere gingen zu Fuß, mehrere verschleierte türkische Weiber saßen auf Maultieren, die Männer zogen kleine Handwagen, in denen jammernde Kinder auf zusammengeworfenem Hausgerät saßen; der ganze Zug bot ein Bild wilder Verwirrung – die Soldaten stießen grimmige Verwünschungen aus, die türkischen Bauern blickten ängstlich und scheu rückwärts.

»Sie fliehen,« flüsterte Pawjel, »die Erlösung winkt, die Russen müssen ganz nahe sein. Laßt sie ruhig vorüberziehen, dann wollen wir unseren Befreiern entgegeneilen, um ihnen den Weg zu zeigen, der sie über die Berge und in den Rücken der Feinde führt.«

Bald war der türkische Zug im Walde verschwunden, alle kehrten zu ihrem unterbrochenen Mahl zurück. Pawjel befahl den drei durch das Los bestimmten Boten, sich bereitzuhalten, und erklärte trotz Stjepanidas bittendem Blick, sie selbst begleiten zu wollen, um mit der sinkenden Sonne in das Tal hinabzusteigen und dann, von dunkler Nacht geschützt, die russischen Vorposten aufzusuchen.

Unter fröhlichen Gesprächen ging der Schlauch von Hand zu Hand, alle freuten sich der Befreiung ihres Landes, welche die Flucht der Türken ihnen verkündete, und von dem feurigen Sliwowitz immer mehr erregt, machten alle diese im Hasse gegen die Mohammedaner aufgewachsenen Männer ihre Pläne, wie sie sich den russischen Heeren anschließen wollten, um mit ihnen nach Stambul vorzudringen und den Halbmond, unter dessen grausamer Herrschaft sie so lange geseufzt, in den Staub zu treten, und wie sie Rache nehmen wollten an allen denen, die es mit den Türken gehalten und ihren Glauben und ihr Vaterland verraten hätten.

Pawjel und Stjepanida allein saßen still Hand in Hand nebeneinander; Pawjel machte seinen Plan, wie er sich zu den Russen durchschleichen wolle, um ihnen sichere Kunde zu bringen über den Weg, auf dem sie den gefahrvollen und stark befestigten Schipkapaß umgehen könnten – Stjepanida aber dachte bei den drohenden Reden der jungen Männer schaudernd an ihren Vater, denn auch er hatte es ja mit den Türken gehalten, auch ihm galten ja die Rachepläne, welche hier besprochen wurden und welche gewiß von vielen Tausenden in dem befreiten Lande geteilt wurden; auch lag es ihr schwer auf dem Herzen, daß Pawjel sich abermals von ihr trennen sollte zu solchem gefahrvollen Beginnen, durch ihre Seele zitterte es wie bange Ahnung, mühsam nur unterdrückte sie die schmerzlichen Seufzer, welche ihre Brust schwellten, und kaum vermochte sie die Tränen zu verbergen, welche immer und immer wieder ihre Augen füllten.

Eine Stunde mochte vergangen sein, das Mahl war beendet, die jungen Männer, auf welche das Los gefallen war, untersuchten ihre Waffen, schärften noch einmal sorgfältig die Klingen ihrer Dolchmesser und füllten ihre Taschen mit Patronen. Pawjel führte Stjepanida zu der Moosbank vor der Höhle, um in traulichem Gespräch den Abend zu erwarten – da gab die am Rande der Plattform aufgestellte Wache ein Zeichen, sogleich verstummten alle Anwesenden, und abermals hörte man den Schritt eines Pferdes und leises Waffenklirren. Alle nahmen augenblicklich wieder ihre Beobachtungsposten ein; auch Stjepanida trat wieder hinter den Birkenbusch, um auf den Talweg hinabzublicken. Bald erschien unter der Plattform ein einzelner Reiter, es war ein Baschi-Bozuk von wildem Aussehen, den Yatagan an der Seite, die Flinte über der Schulter; er ritt langsam, finster vor sich hinblickend, auf einem kleinen, kräftigen Berberpferde.

»Ha,« flüsterte einer der jungen Bulgaren, indem er den Hahn seiner Flinte spannte, »dieser Elende soll nicht lebendig vorüberkommen, er soll für alles Böse büßen, das er und seine Genossen unseren Brüdern getan hat.« Er zog sein Gewehr schußgerecht heran.

Stjepanida hatte seine Worte gehört, schaudernd machte sie eine rasche Bewegung, um den Schützen zurückzuhalten und eine Tat zu verhüten, die ihr wie ein frevelhafter Meuchelmord erschien.

Da schwankte das lose über den Felsen hervorragende Erdreich unter ihren Füßen, knisternd rissen sich die Wurzeln des Birkenbaumes, auf den sie sich stützte, aus den Felsenspalten los, und einen angstvollen Schrei ausstoßend, sank sie mit dem Rasenstück, auf dem sie stand, und dem ganzen Baum, der ihr als Stütze diente, in die Tiefe hinab.

Sie fiel unmittelbar vor dem Pferde des Türken nieder, die Erde und die belaubten Baumzweige hatten die Schwere des Falles gemildert, dennoch aber war das Mädchen von dem Schreck und der Erschütterung betäubt und blieb mit geschlossenen Augen regungslos ohne Bewußtsein inmitten der grünen Zweige liegen.

Das Pferd fuhr zurück, der Türke blickte in starrem Erstaunen auf diese so plötzlich wie vom Himmel herab vor ihm niederfallende schöne Gestalt; im nächsten Augenblick aber zog ein lauter Schrei des Entsetzens, den Pawjel ausstieß, seine Blicke nach der Plattform hinauf – er sah den über den Rand derselben vorgebeugten Kopf, er sah alle diese Gewehrläufe, deren Mündungen sich auf ihn richteten – schnell wie der Blitz glitt er an der Seite seines Pferdes herab, faßte Stjepanida in seine Arme und hob sie zu sich hinauf, so daß ihr Körper ihn bedeckte.

»Schießt,« rief er mit lautem Hohnlachen, indem er über die Schulter des Mädchens hervorblickte, »schießt, ich habe einen guten Schild gegen eure Kugeln, die nicht bis zu mir dringen werden durch den Leib dieser Tochter eines Hundes!«

»Halt!« rief Pawjel entsetzt, indem er aufsprang und, an den Rand der Plattform vortretend, die Arme ausstreckte, »halt, um Gottes willen, schießt nicht, ihr würdet sie töten. Und du dort unten, höre mich, laß sie los, tue ihr kein Leid an, reiches Lösegeld soll dein sein, und kein Haar auf deinem Haupte soll dir gekrümmt werden, wenn du kommst, es zu holen, ich schwöre es dir bei allem, was einem Christen heilig ist!«

Alle Gewehrläufe hatten sich aufwärts gerichtet, die Männer blickten voll Entsetzen in atemlosem Schweigen hinab.

Der Türke hielt die noch immer bewußtlose Stjepanida fest in seinem Arm, sich hinter ihrem Körper bergend; tückisch blickte er hinauf.

»Allah hat mir eine gute Beute zugeworfen,« rief er, »soll ich dem Schwure eines Giaurs trauen? Ich will euer Lösegeld nicht, ich behalte, was ich habe.«

Mit laut gellendem Triumphgeschrei gab er seinem Pferde einen Schenkeldruck, in raschem Trabe griff das Tier aus, und im nächsten Augenblick war er, Stjepanida vor sich über den Sattel werfend, an der Biegung des Waldweges verschwunden.


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