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27. Kapitel

Immer unruhiger wurde die Stimmung im Hauptquartier. Alle einzelnen Stürme gegen die Erdredouten um Plewna waren trotz der heldenmütigen Tapferkeit der russischen Truppen mit ungeheuren Verlusten zurückgeschlagen, und man überzeugte sich immer mehr, daß diese verhängnisvolle feindliche Position nur durch eine regelrechte Einschließung werde genommen werden können, zu welcher eine so große Truppenzahl erforderlich war, daß außer den dazu kommandierten Garden das Eingreifen der rumänischen Armee in hohem Grade wünschenswert erschien. Diese hatte bisher noch immer an der Grenze gestanden, und trotz der zuerst durch den General Ghika überbrachten und seitdem dringend wiederholten Aufforderung zu tätigem Eingreifen hielt sich der Fürst von Rumänien immer noch vorsichtig zurück. Zugleich erregte die russische Stellung auf dem Schipkapaß wachsende Besorgnisse. Nach der durch die Ereignisse vor Plewna notwendig gewordenen Zurückziehung des über den Balkan vorgedrungenen Korps des Generals Gurko waren zwar die Positionen jenseits des Gebirges wieder aufgegeben, allein es kam alles darauf an, den Hauptübergangspaß über den Balkan um jeden Preis festzuhalten. So vortrefflich die Position auf der Höhe nun an sich auch war, so wurden dennoch die Russen dort von der immer wieder sich ergänzenden türkischen Übermacht schwer bedrängt, und es war fast unmöglich, erhebliche Verstärkungen dorthin zu senden, wenn nicht die übrigen Positionen zu sehr geschwächt werden sollten. Die ganze Bewegung des bisher so außerordentlich glücklichen Feldzuges geriet ins Stocken, und immer bedenklicher und trüber wurde die Stimmung in der Umgebung des Kaisers und des Höchstkommandierenden, wenn auch die Offiziere des Gefolges sich alle mögliche Mühe gaben, äußerlich heiter zu erscheinen, um den Mut der Truppen nicht niederdrücken zu lassen.

An einem hellen Tage gegen Ende des August hatte der Großfürst Nikolaus den Kaiser und sein Gefolge zum Frühstück eingeladen. In einem Garten rechts von dem auf der Höhe liegenden Hauptquartier war das kaiserliche Zelt aufgestellt und der Kaiser hatte sich dort mit seinem Bruder im Kreise des beiderseitigen Gefolges zu Tisch gesetzt. Der Platz war ungemein schön gewählt, man übersah weithin das ganze Tal und den gegenüberliegenden Abhang, überall dehnten sich Truppenlager aus und die Natur schimmerte in ihrer schönsten sommerlichen Pracht. Dessenungeachtet war der Kaiser ernster als sonst. Der Prinz Wittgenstein bemühte sich vergeblich, die allgemein gedrückte Stimmung durch Anekdoten und launige Einfälle heiterer zu machen.

Als die einfache Tafel sich ihrem Ende näherte, richtete der Großfürst, über das Tal hinblickend, sein Augenglas auf den von den gegenseitigen Abhängen herabführenden Weg; er hatte dort einen einzelnen Reiter erblickt, welcher im vollen Lauf seines Pferdes auf der Straße nach Gorny-Studen heranjagte. Obwohl häufig Adjutanten und Ordonnanzen zwischen den einzelnen Truppenstellungen hin und her ritten, so erregte doch die außergewöhnliche Schnelligkeit dieses Reiters seine Aufmerksamkeit; er zeigte denselben dem Kaiser, und bald richteten sich die Blicke der ganzen Gesellschaft dorthin. Nach wenigen Augenblicken war der Reiter zwischen den am Talabhange liegenden Gärten und Häusern des Dorfes verschwunden.

»Es muß eine eilige Meldung sein,« sagte der Großfürst, »die hierher kommt; hoffen wir, daß es eine gute Nachricht ist, die uns gebracht wird.«

»Nehmen wir vielmehr an.« sagte der Kaiser düster, »daß es eine neue Unglücksbotschaft ist; wir werden dann gefaßter sein, sie zu vernehmen und dem Schlage zu begegnen, zu einer freudigen Überraschung bedarf es keiner Vorbereitung.«

Tiefe Stille herrschte einige Augenblicke in dem ganzen Kreise; der dumpfe, traurige Ton, in welchem der Kaiser gesprochen, ließ jeden die Gefahren der Lage noch schwerer empfinden, und in der Tat glaubte fast niemand an irgendeine günstige Wendung.

Bald erschien der Reiter, immer in derselben Eile vorwärts sprengend, diesseits des Dorfes und jagte nun die zum kaiserlichen Hauptquartier aufsteigende Höhe hinauf.

»Es ist Blagonow,« rief Graf Wladimir Ossipowitsch, »jetzt erkenne ich ihn genau; er kommt von Petersburg, er kann kaum Schlimmes bringen!«

Ein wenig erschrocken über diesen lauten Ruf, welcher die durch die allerhöchste Gegenwart bedingte Zurückhaltung überschritt, blickte Wladimir wie um Entschuldigung bittend, auf den Kaiser; dieser aber nickte ihm freundlich zu, gab dann, aufstehend, das Zeichen zur Aufhebung der Tafel und trat an den von einer kleinen Hecke umzäunten Garten, von wo aus man den vom Dorfe heranführenden Weg übersehen konnte.

Schon war Blagonow herangekommen. Er sprang von seinem schweißbedeckten Pferde und trat, da der Kaiser winkte, näher zu kommen, in dienstlicher Haltung vor den Monarchen.

»Der General Gurko«, meldete er, noch atemlos vom scharfen Ritt, »hat mich gesendet, um Eurer Majestät anzuzeigen, daß die Garde marschbereit ist, und den Marschplan zu übergeben. Der General bittet zugleich um möglichst genaue Befehle über die Stellungen, in welche die verschiedenen Korps hier einzurücken haben werden, damit er danach seine Position treffen kann.«

Der Kaiser nahm das ihm überreichte Papier, warf einen Blick darauf und gab es dann seinem Bruder mit den Worten:

»Gott gebe, daß sie Flügel hätten, um bald einzutreffen!«

»Ich bitte Eure Majestät um Erlaubnis,« fuhr Blagonow fort, »noch melden zu dürfen, daß Seine Hoheit der Fürst von Rumänien sich auf dem Wege hierher befindet. Ich habe denselben auf der letzten Station begegnet, wohin er seine Relais vorausgeschickt hatte, und bin vorausgeeilt, um Eurer Majestät die Ankunft des Fürsten zu melden.«

Der Kaiser atmete tief auf, ein glückliches Lächeln erhellte einen Augenblick seine finsteren Züge.

»Ah,« sagte er, »das ist eine gute Nachricht, es war wohlgetan, auf ein Unglück gefaßt zu sein, um so freudiger ist nun die Enttäuschung. Ich danke dir, Feodor Michaelowitsch,« fügte er hinzu, dem jungen Mann mit freundlich wohlwollenden Blicken die Hand reichend, »man soll ein Quartier für den Fürsten in Bereitschaft stellen; da er kommt, wird seine Armee ihm folgen!«

Während der Kommandant des Hauptquartiers und die diensttuenden Adjutanten sich beeilten, den kaiserlichen Befehl auszuführen, vernahm man auf der anderen Seite des Hauptquartiers, wo der Weg vom Balkan heranführte, unruhige Stimmen. Einen Augenblick lauschend, winkte der Kaiser, und sogleich eilte der Graf Adlerberg dorthin, um nach der Ursache der unruhigen Bewegung zu forschen; nach wenigen Augenblicken schon kehrte der Graf zurück und führte einen noch jungen Mann mit vornehm kräftigen Gesichtszügen und scharfblickenden, geistvollen Augen in dem schwarzen Überrock der preußischen Offiziere mit dem karmoisinroten Kragen der Generalstabsoffiziere heran, dessen Gesicht und Kleidung von Pulverdampf geschwärzt und mit Staub bedeckt waren.

»Unser Preußchen,« rief Graf Adlerberg ganz freudig, »er kommt von Schipka, – er muß gute Nachrichten bringen, die Gefahr muß vorüber sein, denn sonst wäre er nicht hier!«

Der Kaiser war dem preußischen Offizier rasch entgegengegangen und sagte, demselben herzlich die Hand schüttelnd:

»Es scheint in der Tat heute ein Glückstag zu sein, die preußische Uniform kann mir nichts Schlimmes bringen, und der Major von Lignitz verläßt niemals einen Kampfplatz, so lange dort noch Gefahr ist.«

»Die Gefahr ist vorüber, Majestät,« erwiderte der Major von Lignitz mit so klarer, ruhiger Stimme, daß man ohne seine von Pulver und Staub geschwärzte Kleidung hätte glauben können, er kehre von einem leichten Spazierritt zurück, »die Gefahr ist vorüber – aber sie war in der Tat groß und bedenklich.«

»Sprechen Sie, sprechen Sie,« rief der Kaiser, »was machen meine braven Truppen, denen der Schlüssel unserer Zukunft anvertraut ist?«

»Sie haben«, erwiderte der Major von Lignitz, »die türkischen Angriffe so nachdrücklich abgeschlagen, daß diese den Sturm aufgegeben, überzeugt, daß sie gegen die heldenmütigen Truppen Eurer Majestät nichts auszurichten vermögen. Aber die Türken hatten eine Maßregel getroffen, welche trotz aller tapferen Gegenwehr dennoch den Paß in ihre Hände bringen mußte; sie begannen die einzige Quelle, welche dem Schipkapaß Wasser zuführt, auf einer naheliegenden Höhe abzugraben.«

»Entsetzlich,« rief der Kaiser, »meine armen Soldaten – wie grausam!«

»Die Maßregel war geschickt,« erwiderte der Major von Lignitz, »und jedenfalls auch nach den Grundsätzen zivilisierter Kriege erlaubt, ebenso wie man einer belagerten Festung die Zufuhr abschneidet, um sie durch Hunger zur Übergabe zu zwingen, – das ist der Krieg.«

»Der Krieg,« sagte der Kaiser seufzend, »warum kann alles Große und Erhabene nur durch die Schrecknisse des Krieges erreicht werden, warum muß jeder Bau, den die Herrscher zum Wohl ihrer Völker aufführen, mit Blut gekittet werden!«

»Der General Radetzki,« fuhr Herr von Lignitz fort, »dessen wachsamen Blicken nichts entgeht, entdeckte den türkischen Plan; er stellte sich selbst an die Spitze einer Kompagnie, übertrug dem Regimentskommandeur den Befehl über eine andere und griff von der Flanke her die Türken so nachdrücklich an, daß er den Berg, an dessen Fuß die Quelle liegt, in seine Hände brachte und sofort stark befestigte. Die Gefahr ist vorüber, das Wasser wird Eurer Majestät Truppen nicht mehr abgeschnitten werden, und auch neue Stürme werden erfolglos sein; Eure Majestät dürfen gewiß sein, daß der Schipkapaß bis zur Entscheidung des übrigen Feldzuges in ihren Händen bleibt.«

»Ich wußte es,« rief der Kaiser ganz glücklich, »daß unser Preußchen mir gute Nachrichten bringen mußte! – Bei Ihnen«, fügte er, zu dem englischen Obersten Wellesley gewendet, hinzu, »wird man darüber weniger erfreut sein.«

»Ich bin Soldat, Majestät«, erwiderte der Oberst Wellesley, »und habe keine Meinung; hier in Eurer Majestät Hauptquartier habe ich nur den Krieg zu beobachten, und als Soldat freue ich mich über jede tapfere Tat, gleichviel, was die Politik dazu sagt.«

»Doch wäre es besser,« murrte Wladimir Ossipowitsch, »wenn man hier im russischen Hauptquartier keine englische Uniform sähe.«

Er unterdrückte einen kräftigen Fluch und führte dann Blagonow zur Seite, um ihn nach der Heimat und seinen Lieben dort zu fragen.

Während der Kaiser, um den sich das ganze Gefolge lauschend zusammendrängte, den Major von Lignitz noch nach verschiedenen Einzelheiten der glücklich ausgeführten Kämpfe auf dem Schipkapaß befragte, kam von dem gegenüberliegenden Abhang ein seltsamer Zug in rasender Eile dahergefahren. Voran fuhr eine offene Kalesche mit neun Pferden, drei vor einandergespannten Dreigespannen. Alle diese in so eigentümlicher Weise lang gespannten Pferde waren schwarz ohne Abzeichen; auf dem Bock stand aufrecht ein Kutscher in einem schwarzen Rock, lange, schwarze Locken quollen unter einem breitkrämpigen Hut hervor und flogen im Winde um das dunkelbraune Gesicht. Er hielt in der einen Hand die vielen, zu den neun Pferden gehörenden Zügel und schwang in der anderen eine unendlich lange, bis zum vorderen Dreigespann hinreichende Peitsche. Einige andere ähnliche Wagen, aber nur mit zwei Dreigespannen, folgten. In vollem Lauf jagte das sonderbare Gefährt den jenseitigen Abhang hinunter und kam bald diesseits des Dorfes zum Vorschein, um in ebenso unaufhaltsamer Eile unter dem lauten Peitschenknallen des phantastischen Kutschers die Höhe hinaufzufahren.

»Der Fürst von Rumänien!« rief Blagonow – der Kaiser unterbrach sein Gespräch und ging langsam mit seinem Bruder nach dem Eingange des Gartens hin.

Bereits hatte der Kutscher des fürstlichen Wagens mit einem einzigen Ruck die neun Pferde zum Stehen gebracht. Der Fürst Karl warf seinen Militärmantel ab, sprang schnell, ohne das Öffnen des Schlages abzuwarten, zur Erde und eilte dem Garten zu; der Offizier, der mit ihm im Wagen gesessen, folgte, und das aus den übrigen Wagen aussteigende Gefolge kam allmählich nach.

Der Fürst Karl hatte eine mittelgroße, schlanke, elegante Gestalt; sein schwarzes Haar war kurz geschnitten, das edle Gesicht mit adlerartigem Profil und scharfen, klar und stolz blickenden Augen war von einem kurzen, schwarzen Vollbart umrahmt; seine Haltung zeigte die Leichtigkeit des vornehmen Weltmannes, sichere, ruhige Würde und fürstlicher Stolz. Er trug die nach französischem Muster geschnittene rumänische Uniform, ein goldgesticktes Käppi und einige kleine militärische Ordenszeichen.

Der Kaiser reichte ihm mit verbindlicher Artigkeit die Hand und sagte in französischer Sprache: »Ich freue mich, endlich Eure Hoheit hier begrüßen zu können. Sie müssen entschuldigen, wenn ich Ihnen keine besonders bequeme Unterkunft bieten kann, – wir leben im Kriege.«

»Ich komme,« erwiderte der Fürst, »um Krieg zu führen, und bin glücklich, in ehrenvollem Kampfe an der Seite Eurer Majestät für mein rumänisches Volk den Preis seiner vollen Selbständigkeit und Unabhängigkeit erringen zu dürfen.«

Der Fürst stellte dem Kaiser den französischen Oberst Gaillard vor, der sich in seiner Begleitung befand und sein militärischer Ratgeber war, ebenso dann seine Adjutanten und endlich seinen Minister Bratiano, einen unter dieser militärischen Umgebung in seinem schwarzen Anzuge eigentümlich abstechenden Mann von etwa fünfundfünfzig Jahren. Er war klein von Gestalt, sein ausdrucksvolles Gesicht mit etwas starken Backenknochen war stark gebräunt, seine kleinen, schwarzen Augen funkelten von lebhaftem Geist, und die lockigen schwarzen Haare zeigten bereits eine starke graue Färbung; seine Haltung und seine Bewegungen waren gewandt und sicher, aber ohne die leichte Eleganz der vornehmen Gesellschaft, man sah diesem Manne an, daß er mehr gewohnt war, Volksversammlungen zu leiten und zu beherrschen, als sich auf dem Parkett der Höfe zu bewegen.

Der Kaiser sagte jedem der rumänischen Herren einige freundliche Worte, und zog sich nach der Vorstellung mit dem Fürsten Karl und dem Großfürsten Nikolaus in das Innere des Hauses zurück, und die Herren des Gefolges unterhielten sich artig und zuvorkommend, wenn auch immer noch ein wenig mißtrauisch, mit ihren rumänischen Gästen. Der Besuch des Fürsten bewies zwar, daß derselbe nun endlich tätig in den Kampf einzugreifen gesonnen sei, doch wies namentlich der Minister Bratiano jede forschende Äußerung ausweichend zurück, und die russischen Offiziere konnten nicht vergessen, daß das Unglück vor Plewna kaum hätte geschehen können, wenn die Rumänen rechtzeitig die Grenze überschritten und sich den russischen Operationen angeschlossen haben würden. Diese gegenseitig etwas gezwungene Unterhaltung dauerte indes nicht lange. Nach kurzer Zeit erschien ein Flügeladjutant des Kaisers, um den Minister Bratiana und den Obersten Gaillard zum Kaiser zu rufen, ebenso wurden dorthin der General Nepokoitschinski und zwei Offiziere des Generalstabes berufen. Als die Herren, von den neugierigen Blicken des ganzen übrigen Gefolges verfolgt, in das Zimmer des kleinen Hauses traten, welches dem Großfürsten zum Arbeits- und meistens auch zum Empfangszimmer diente, fanden sie den Kaiser vor einem mit einer großen Kriegskarte bedeckten Tisch sitzend. Neben ihm stand der Großfürst Nikolaus, und ihm gegenüber der Fürst von Rumänien, auf die Lehne eines Stuhles gestützt und den Blick auf die Karte geheftet. Auf dem Gesicht des Kaisers lag jener tiefe, melancholische Ernst, welcher ihm stets eigentümlich war, und sich während des Krieges häufig bis zu dem Ausdruck düsterer Schwermut steigerte. Er winkte den Eintretenden, sich zu setzen, doch da der Großfürst Nikolaus und der Fürst Karl neben ihren Stühlen stehen blieben, so stellten sich die übrigen Herren im Kreise um den Tisch.

»Seine Hoheit der Fürst von Rumänien«, sagte der Kaiser mit einem leichten Klange von Ungeduld in seiner Stimme, »hat sich entschlossen, unserem im April geschlossenen Vertrage gemäß seine Truppen mit uns zu vereinigen und zunächst die festen Stellungen des Feindes bei Plewna einzuschließen und zu nehmen. Arthur Abrahamowitsch,« fuhr er zum General Nepokoitschinski gewendet fort, »es handelt sich darum, die Stellungen zu bezeichnen, in welche die rumänischen Truppen einzurücken haben werden, um die Gesamtoperationen wirksam zu unterstützen.«

Der General Nepokoitschinski warf einen Blick auf die Karte und sagte:

»Wie mir berichtet, steht die Spitze der rumänischen Armee bei Kerabia in der Nähe von Nikopolis. Von dort heranmarschierend, werden die rumänischen Korps am richtigsten ihre Stellung vor Grivitza nehmen und sich dort dem vierten Korps anschließen.«

»Es ist dies«, sagte Fürst Karl leichthin, »eine der wichtigsten und schwierigsten Stellungen, denn vor Grivitza liegt die stärkste Redoute der türkischen Verschanzung; indes freue ich mich, meinen Truppen diesen gefährlichen und ehrenvollen Platz anzuweisen, sie treten frisch in den Kampf ein, und es ist billig, daß ihnen auch der schwerste Teil der Arbeit zugewiesen werde.«

Über das Gesicht des Kaisers flog eine leichte Röte; der Großfürst Nikolaus biß in seinen Schnurrbart und sagte:

»Es ist zu bedauern, daß die rumänische Armee jetzt erst in den Kampf eintritt; wenn dies früher geschehen wäre, als Osman Pascha noch bei Widdin stand, so würde diese ganze Affäre von Plewna unseren Vormarsch nicht aufgehalten haben.«

Die Augen des Fürsten Karl flammten höher auf, aber ehe er antworten konnte, fügte Herr Bratiano mit seiner klaren, scharfen Stimme:

»Seine Majestät wird mir erlauben, für meinen gnädigsten Fürsten zu antworten, denn dieser hat mir die Ehre erwiesen, meinen Rat zu hören, und an mir ist es deshalb auch, die bisherige Politik unseres Landes, welche die Haltung der rumänischen Armee bestimmte, zu erklären und –« fügte er mit scharfer Betonung hinzu, »wenn es sein muß, zu verteidigen.«

»Rumänien«, sagte er, während der Kaiser den Kopf in die Hand stützte, »ist in diesem Kriege der natürliche Bundesgenosse Rußlands, verbunden mit demselben durch die Notwendigkeit, den gemeinsamen Feind zu bekämpfen; aber die Lage des großen Rußland, das auch nach einer Niederlage immer seinen Platz unter den europäischen Großmächten behalten wird, und des kleinen Rumäniens, dessen Aufgaben in der Zukunft liegen und in ihrer Erfüllung von dem guten Willen der Großmächte abhängig sind, ist eine verschiedene. Rußland will viel gewinnen und kann im Grunde wenig verlieren, Rumänien spielt um seine Existenz und darf dieselbe nicht einsetzen, ohne die möglichste Bürgschaft eines sicheren Gewinnes.«

»Und ist«, rief der Großfürst Nikolaus, »die Freundschaft Rußlands nicht eine solche Bürgschaft?«

Bratiano verneigte sich und erwiderte fest und ruhig: »Gewiß, Kaiserliche Hoheit. Allein jede Freundschaft und jedes Bündnis, wenn sie dauerhaft und fruchtbringend sein sollen, müssen auf Leistungen und Gegenleistungen beruhen. Bisher fand in dieser Beziehung zwischen dem großen Rußland und dem kleinen Rumänien nicht das richtige Gleichgewicht statt. Hätten wir Osman Pascha an unseren Grenzen bei Widdin festgehalten, während die russischen Armeen siegreich nach Konstantinopel vordrangen, so hätte man leicht sagen können – man urteilt ja oft obenhin über die Kleinen – daß wir nur unsere Grenze verteidigt hätten, und nach dem großen Siege wäre dann vielleicht das vergossene rumänische Blut nicht zu seinem vollen Werte geschätzt worden.«

»Rußland wird nie seine Freunde vergessen!« rief der Kaiser lebhaft.

Fürst Karl senkte mit einer gewissen Verlegenheit den Blick, Bratiano aber fuhr ebenso ruhig wie vorher fort: »Davon war mein gnädigster Herr völlig überzeugt, Majestät. Er ist Soldat und gehört einem Hause an, dessen Namen die Geschichte auf vielen ruhmvollen Schlachtfeldern verzeichnet; wäre Seine Hoheit seinem Gefühle gefolgt, so stände er mit seinen tapferen Truppen längst im Felde, mein Rat hat ihn zurückgehalten, denn es handelt sich nicht nur um den Ruhm des Fürsten und der Armee, sondern auch um die Zukunft des Landes, das ihn zu seinem Herrscher erkor. Diese Zukunft, Majestät, glaube ich nicht von den Zufälligkeiten edler Gefühle abhängig machen zu dürfen, und deshalb habe ich es für nötig gehalten, mit den Notwendigkeiten einer folgerichtigen Politik zu rechnen und die heldenmütige Aufwallung meines Herrn zurückzuhalten. Heute steht die Sache anders, heute wird man nicht sagen können, daß wir einfach unsere Grenzen verteidigen, heute hat das kleine Rumänien ein wertvolles Gewicht auch dem großen Rußland gegenüber in die Wagschale zu werfen, heute können wir für das Blut der Söhne unseres Landes eine sichere Bürgschaft der Zukunft gewinnen, denn heute ist unsere Hilfe von hohem Werte und wird bei dem künftigen Siegespreise in Rechnung gestellt werden müssen.«

»Eure Majestät werden zugeben,« sagte Fürst Karl mit freier Offenheit, »daß Herr Bratiano recht hat. Wäre ich ein einfacher Prinz, so würde ich um einen ehrenvollen Platz in den Reihen Ihres Heeres bitten: aber ich habe die heilige Verantwortung für das Land übernommen, das mich zu seinem Fürsten gemacht, und habe die Pflicht, seine Zukunft sicher zustellen.«

Des Kaisers Blick ruhte wohlgefällig auf dem lebhaft bewegten, edlen Gesicht des Fürsten.

»Eure Hoheit hüben recht«, sagte er. »Es handelt sich also nun, bevor wir weiter über die militärischen Operationen sprechen, darum, die Grundlagen eines festen Bündnisses zwischen Rußland und Rumänien festzustellen und«, fügte er hinzu, indem ein fast unmerklicher Ausdruck seiner Ironie um seine Lippen spielte, »Herr Bratiano wird die Güte haben, uns die Bedingungen desselben zu sagen.«

»Sie sind einfach«, erwiderte Bratiano, »und ergeben sich aus der Lage der Verhältnisse. Rumänien ist arm, die Armee ist mit Mühe und Opfern geschaffen, und es fehlt hier und da an Kriegsmaterial.«

»Lassen wir jetzt«, unterbrach ihn der Kaiser, »die materiellen Fragen, sie werden nach Ihren Bedürfnissen die Summen bestimmen, welche erforderlich sind, ebenso das Kriegsmaterial, das Sie notwendig haben; das alles ist im voraus bewilligt.«

Bratiano verneigte sich.

»Es handelt sich sodann«, sagte er, »um die Zukunft unseres Landes. Die Keime seiner wirtschaftlichen Entwicklung können nur gedeihen in voller Selbständigkeit und Unabhängigkeit. Wir haben«, fuhr er bitter fort, »wenig Freunde in dem christlichen Europa, in Wien und London würde man uns gern wieder unter das türkische Joch zurücktreiben; wir bedürfen dagegen einer festen Stütze in dem Rat der Großmächte, um das höchste, heiligste Ziel zu erreichen, für welches jeder Rumäne sein Herzblut zu opfern bereit ist, die Unabhängigkeit und Selbständigkeit. Wenn wir jetzt in den Kampf eintreten für die Größe, den Ruhm und die Macht Rußlands, so werden Eure Majestät uns auch Ihren festen, nachdrücklichen Beistand zusagen, um jenes Ziel allem Neide und aller Mißgunst zum Trotz zu erreichen.«

»Eure Hoheit«, sagte der Kaiser, lebhaft sich zum Fürsten wendend, »können auf mich zählen. Wenn der Zorn des Himmels nicht das Schwert Rußlands in Stücke zerbricht, so soll Rumänien künftig frei von jeder Abhängigkeit unter den europäischen Staaten dastehen, mein Wort darauf.«

Er reichte dem Fürsten über den Tisch hin die Hand, die dieser ehrerbietig und herzlich drückte.

»Die Unabhängigkeit«, sagte Bratiano, »verlangt noch ein äußeres Zeichen. Rumänien ist größer, als es einst Preußen zu jener Zeit war, in der auch ein Hohenzoller sich dort die Königskrone aufs Haupt setzte, um seinen Nachfolgern den Weg zur wachsenden Größe zu öffnen.«

Schnell ihn unterbrechend, sagte der Kaiser:

»Auf dem Haupte eines Hohenzollern wird die Königskrone stets einen würdigen Platz finden. Ich habe keine Macht, Kronen Zu verleihen, aber Eure Hoheit dürfen gewiß sein, daß Rußlands Anerkennung dem Königreiche Rumänien sicher ist, und daß ich meinen ganzen Einfluß aufbieten werde, die gleiche Anerkennung bei den übrigen Mächten zu gewinnen.«

Der Fürst neigte dankend das Haupt, Bratiano fuhr fort:

»Ich war gewiß, daß die gerechten Wünsche des rumänischen Volkes bei Eurer Majestät hochherzige Unterstützung finden würden; es handelt sich nun aber auch darum, für das Opfer des rumänischen Blutes den Anteil an dem Preise des Sieges zu sichern. Eure Majestät werden es bei einem Blick auf die Karte nicht verkennen, daß das Gebiet der Dobrudscha naturgemäß zu Rumänien gehört und uns gesichert sein muß, wenn wir uns zu gesundem und kräftigem Leben entwickeln wollen.«

Der Kaiser schwieg einen Augenblick, er schien von einem Gedanken bewegt, den er auszusprechen zögerte; gespannt hingen die Blicke des Großfürsten an den Lippen seines Bruders. Nach kurzem Besinnen sagte der Kaiser:

»Rußland hat kein Recht auf jenes Gebiet und keinen Wunsch, dasselbe zu besitzen; ich werde beim Friedensschluß dafür eintreten, daß die Dobrudscha für immer mit Rumänien vereinigt wird.«

Unmutig senkte der Großfürst Nikolaus den Kopf.

Der Fürst Karl warf einen Blick auf Bratiano und dieser fuhr fort:

»Eure Majestät haben also den wesentlichsten Bedingungen für die militärische Mitwirkung Rumäniens in dem gemeinsamen Kriege Ihre Zustimmung erteilt, und es wird nur noch nötig sein, diese Bedingungen in einem Vertrage zu formieren, der selbstverständlich bis zur Ausführung in allen Punkten geheim bleiben muß, da er ja nur die Beteiligten angeht. Es bleibt nur noch übrig, auch die Form der militärischen Mithilfe festzustellen.«

»Seine Hoheit«, sagte der Kaiser ein wenig verwundert, »war mit dem Vorschlag des General Nepokoitschinski einverstanden, die rumänische Armee in die Stellungen bei Grivitza einrücken zu lassen.«

»Ganz recht, Majestät,« erwiderte Bratiano, »dies ist eine rein strategische Frage, über welche ich meinem gnädigsten Herrn keinen Rat zu erteilen mich für berechtigt halte. Allein Eure Majestät werden mir allergnädigst zugestehen, daß ich als Rumäne auch mein Nationalgefühl und meinen nationalen Stolz habe; in diesem Augenblick ist die Unabhängigkeit und Selbständigkeit meines Landes besiegelt, denn Eurer Majestät Wort bürgt für dieselben. Mein gnädigster Herr ist der souveräne Begründer des Königreichs Rumänien – Eure Majestät sind selbst Souverän und Kriegsherr und werden es begreifen, daß mein Fürst seine Truppen nicht unter fremdem Kommando in den Kampf führen kann.«

Dunkle Röte flammte in dem Gesicht des Großfürsten Nikolaus auf. Der Kaiser warf stolz den Kopf empor und sagte: »Mein Bruder führt den Oberbefehl über die ganze Armee, ich selbst bin im Hauptquartier anwesend und –«

»Verzeihung, Majestät,« fiel der Fürst Karl ein, welcher stolz und fest den drohenden Blick des Großfürsten Nikolaus erwiderte – »es kann mir nicht in den Sinn kommen, in die Rechte Seiner Kaiserlichen Hoheit, des Höchstkommandierenden, eingreifen zu wollen. Es versteht sich von selbst, daß die großen Operationen des ganzen Krieges nach Eurer Majestät Willen und Befehl geführt werden; ich ordne mich gern dem großen Ganzen ein, aber da, wo ich mit meinen rumänischen Truppen im Felde stehe, kann ich kein Kommando über mir – kein Kommando neben mir dulden. Ich habe noch keine Proben im Felde abgelegt, aber ich bin es den Fahnen meiner braven Armee schuldig, ich bin es dem Volke schuldig, dem ich mein Leben gewidmet habe, ebenbürtig an die Seite der ruhmvollen russischen Armee zu treten.«

Der Großfürst Nikolaus atmete unruhig; ein heftiges Wort schien auf seinen Lippen zu schweben, doch erwartete er die Antwort seines Bruders, der den Kopf auf die Brust gesenkt, einige Augenblicke in tiefem Schweigen dasaß.

Endlich stand der Kaiser auf.

»Eure Hoheit haben recht,« sagte er, »Sie sind mir ein Freund in der Not, und Rußland kennt keine halbe Freundschaft. Der souveräne Fürst von Rumänien, dessen Haupt, so Gott will, die Königskrone schmücken wird, soll vor seiner und meiner Armee seiner Zukunft würdig dastehen. Ich bitte Eure Hoheit, von dem Augenblicke an, in welchem Sie in die Stellungen bei Grivitza einrücken werden, den Oberbefehl über die sämtlichen bei Plewna vereinigten russischen und rumänischen Truppen zu übernehmen.«

Stolze Freude erhellte das Gesicht des Fürsten, ein zufriedenes Lächeln umspielte Bratianos Lippen; der Großfürst blickte finster vor sich nieder.

»Eure Hoheit werden«, fuhr der Kaiser fort, »einen meiner Generale als Chef Ihres Stabes annehmen, da Sie eines Ratgebers bedürfen werden, der mit der Organisation und Taktik meiner Armee vollkommen vertraut ist. Der General Sotow, welcher das vierte Korps kommandiert, wird sich für diese Stellung besonders eignen, da ihm die Verhältnisse vor Plewna genau bekannt sind, und,« fuhr er zum General Nepokoitschinski gewendet fort, »der General Krylow soll vorläufig das Kommando des vierten Korps übernehmen.«

»Ich danke Eurer Majestät ehrerbietigst«, sagte Fürst Karl; »ich und meine Rumänen werden Ihr Vertrauen rechtfertigen, und ich hoffe, daß Gott mir beistehen wird, Eurer Majestät Truppen mit den meinen vereint zum Siege zu führen.«

»Die Geschäfte sind also abgemacht«, sagte der Kaiser heiter in leichtem Konversationston. »Herr Bratiano und der General Nepokoitschinski werden die politischen und militärischen Ausfertigungen besorgen; ich habe Eure Hoheit nur noch zu bitten, sich so gut als möglich in dem mangelhaften Quartier, das ich Ihnen bieten kann, von der Anstrengung der Reise zu erholen.«

Der Fürst verabschiedete sich herzlich vom Kaiser, reichte dem Großfürsten die Hand, der seinen Gruß mit kühler Höflichkeit erwiderte, und verließ dann mit den übrigen Herren das Haus, um sich, von dem General Rylejew und dem zu seinem Ehrendienst bestimmten Flügeladjutanten begleitet, nach dem für ihn und sein Gefolge eingerichteten Hause zu begeben.

»Welche Demütigung!« rief der Großfürst, als er mit seinem kaiserlichen Bruder allein war. – »Er schreibt uns Bedingungen vor, und wir müssen sie annehmen! – Er, der Fremde, will russische Truppen kommandieren?«

»Sotow ist sein Generalstabschef,« sagte der Kaiser, »das Kommando ist nur eine ehrenvolle Form, die wir ihm wohl zugestehen mußten – vielleicht hätte ich es dennoch verweigert – aber er ist ein Hohenzoller, und an diesem Namen haftet der Sieg.«

Der Großfürst schüttelte den Kopf, er schien dennoch seinem Bruder nicht recht geben zu wollen.

»Und die Dobrudscha,« sagte er dann – »du hast ihm die Dobrudscha versprochen – sollen wir denn an den Ufern der Donau alles verlieren?«

»Alles?« sagte der Kaiser erstaunt – »werden wir nicht Bessarabien haben?«

»Bessarabien,« rief der Großfürst, »Bessarabien, das wir den Rumänen abtreten mußten!«

»Sei ruhig, mein Bruder,« sagte der Kaiser mit feierlichem Ernst, »Bessarabien wieder zu nehmen, ist eine Ehrenschuld gegen das Andenken unseres Vaters; ich werde diese Schuld tilgen, Bessarabien wird wieder unser sein, und sollte die ganze Welt sich dagegen stellen.«

»Ah, Sascha, mein Bruder,« rief der Großfürst, indem er den Kaiser stürmisch umarmte, »dann ist alles gut – aber was wird dieser künftige König von Rumänien«, fügte er mit leicht spöttischem Lächeln hinzu, »sagen, wenn er Bessarabien abtreten soll?«

»Er muß wissen,« erwiderte der Kaiser, »daß das eine Ehrenfrage für Rußland ist. Ich habe ihm die Dobrudscha versprochen, ist das nicht Ersatz genug? Doch nun komm, ich sehne mich hinauszureiten in das Lager, die dumpfe Schwüle hier erstickt mich,« fügte er, mit dem Taschentuch die Stirn trocknend, hinzu, »ich muß mir frische Kraft holen im Anblick meiner braven Soldaten.«

Der Großfürst eilte voran, um die Pferde vorführen zu lassen, und bald ritt der Kaiser mit seinem Bruder durch das Lager hin, überall begrüßt von den jubelnden Hurrarufen der Soldaten, unter denen bereits die Nachricht von den ruhmvollen Kämpfen am Schipkapaß verbreitet war, und welche der Anblick des Kaisers mit neuen Siegeshoffnungen erfüllte.


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