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30. Kapitel

Der General von Tottleben war angekommen und hatte den Plan zur vollständigen Einschließung der Armee von Plewna entworfen, denn trotz verschiedener siegreicher Einzelunternehmungen, trotz der so über alles Beispiel heldenmütigen und ruhmvollen Erstürmung der türkischen Redoute bei Grivitza durch die rumänischen Truppen hatte man sich mehr und mehr überzeugt, daß nur durch die vollständige Einschließung die türkische Armee bei Plewna überwunden werden könne; langsam aber nur rückten die Korps der Garden und der Grenadiere heran, um ihre Stellungen in der Umzingelung der Befestigungen von Plewna einzunehmen. Immer noch war es nicht gelungen, die nach Sofia führende Straße vollständig zu verlegen, und Chefket Pascha, welcher in der Richtung von Sofia mit einer bedeutenden Truppenmacht stand, hatte mehrfach Provianttransporte unter starker Bedeckung trotz des tapferen Widerstandes einzelner russischer Korps nach Plewna durchgeführt, so daß es Osman Pascha weder an Munition noch an Lebensmitteln fehlte; man mußte also warten, bis die genügende Truppenzahl angekommen sein würde, um auch in der Richtung nach Sofia hin die vollständige Einschließung der türkischen Armee durchzuführen.

Inzwischen standen hier so viel Streitkräfte, als man irgend entbehren konnte, namentlich starke Kavallerieabteilungen unter dem General Lowaschef, um die Proviantzufuhr so viel als möglich abzuschneiden oder zurückzuwerfen; zugleich streiften stets Patrouillen auf der Straße nach Sofia und in den Schluchten und Wäldern, welche diese Straße umgaben, um auch die einzelnen Botschaften abzufangen, welche fortwährend von den südwestwärts stehenden türkischen Stellungen an Osman Pascha gesendet wurden. Er wurde durch diese Botschaften unausgesetzt mit Nachrichten über die an anderen Punkten stattfindenden Kämpfe versehen, ebenso mußte auch um die russische Armee herum ein ausgedehnter türkischer Spionendienst organisiert sein, denn wohin auch immer die russisch-rumänischen Truppen ihre Sturmangriffe richteten, da fanden sie gewiß jedesmal die Türken vollständig vorbereitet und gerüstet, und fast immer war auf solchem Punkt eine überwältigende Übermacht vereinigt.

An einem trüben Novembertage ritt auf der breiten Straße nach Sofia eine Abteilung von etwa fünfzig Mann der bulgarischen Legion nahe gegen die ersten türkischen Stellungen bei Plewna heran. Pawjel Fjodorew befand sich an der Spitze der bulgarischen Reiter, er spähte sorgsam vorwärts nach den gegen Plewna hin sanft aufsteigenden bewaldeten Hügel; niemand in der kleinen Truppe sprach eim Wort, man hörte nur die Hufschläge und das Schnauben der Pferde und das leise Klirren der Waffen.

Pawjel Fjodorew schien noch kräftiger und männlich schöner geworden zu sein, sein Gesicht war dunkel gebräunt, er trug die geschmackvolle, nach der Nationaltracht geschnittene Uniform der bulgarischen Freikorps, Pistolen in dem breiten Gürtel, bis zum Knie heraufreichende Reitstiefel und eine dem türkischen Fes ähnliche Kopfbedeckung auf dem dunklen, lockigen Haar. Auf seiner Brust glänzte das russische Georgskreuz. Er ritt ein schwarzes Pferd von edelster türkischer Rasse, und es wäre schwer möglich gewesen, eine männlich schönere kriegerische Erscheinung zu sehen, als diesen jungen Mann an der Spitze des kleinen Trupps seiner Landsleute, unter denen sich auch die Genossen seiner Flucht aus Muschina befanden, welche den blutigen Kampf im Balkanpaß überlebt hatten. Pawjel Fjodorew war unermüdlich im Kampf gegen die Türken. Er hatte mit ausgewählten Freiwilligen der bulgarischen Legion an fast allen Stürmen gegen die Redouten von Plewna teilgenommen und meldete sich, wenn dort kein Kampf stattfand, zu allen gefährlichen Patrouillenritten, die er mit ebensoviel Geschicklichkeit und List als tollkühnem Mut ausführte. Seine Liebe zu Stjepanida und die Sehnsucht nach dem Glück seiner Zukunft machte ihn niemals für sein Leben besorgt, im Gegenteil suchte er immer begeisterter und siegesgewisser alle Gefahren auf, bei denen Ruhm und Ehre zu erringen war; Stjepanida sollte auf ihn stolz sein, als auf den Besten und Tapfersten von allen, und er war gewiß, daß sie ihn lieber im heldenmütigen Kampf gefallen beweinen würde, als daß sie die Augen niederschlagen sollte, wenn er sich um seiner Liebe willen vorsichtig zurückgehalten hätte – es schien, als ob ein besonderer Schutzgeist über Pawjels Haupt schwebte, denn, so oft er auch allen übrigen voran war, allen Gefahren trotzend, niemals hatte ihn eine feindliche Kugel auch nur gestreift, niemals die Klinge eines Säbels oder die Spitze eines Bajonetts berührt, seine Landsleute blickten zu ihm wie zu einer Art von höherem Wesen auf, das gegen alle Waffen durch überirdischen Schutz gesichert sei, und die russischen Offiziere behandelten ihn mit hoher Achtung und Auszeichnung.

So war er denn wieder, da gegen die Redouten von Plewna alle Angriffe bis zur Ankunft der Verstärkungen ruhten, mit einer Anzahl ausgewählter Freiwilligen ausgeritten, um auf der Straße nach Sofia hin zu patrouillieren; er war weit gegen die Stellungen Chefket Paschas hin vorgeritten, ohne irgend etwas zu entdecken, und zog nun zurückkehrend bis ganz in die Nähe der Armee Osman Paschas, um womöglich irgendeinen von demselben abgesandten Boten abzufangen. Er war mit seiner Truppe bis an den Fuß eines Hügels gekommen, hinter welchem ganz nahe schon türkische Truppen stehen mußten; die breite Straße führte diesen Hügel hinauf, links von derselben dehnte sich ein Gehölz aus, das den ganzen Hügel einschloß. Am Fuße der aufsteigenden Höhe hielt Pawjel sein Pferd an.

»Es wäre töricht und zwecklos,« sagte er, sich zu seinen Leuten umwendend, »hier weiter vorzugehen, wir könnten auf eine Übermacht stoßen und würden ohne Nutzen und Erfolg aufgerieben werden. Unser Ritt war vergeblich,« sagte er seufzend, »es bleibt uns nichts übrig, als hier rechts über die Felder nach dem Lager hin zurückzukehren und zu melden, daß wir nichts gesehen.«

Während er bei diesen Worten noch einmal seine Blicke ringsumher schweifen ließ, bemerkte er plötzlich, daß einige Schritte vor ihm ein sandiger, schmaler Weg aus dem Gehölz auf die Straße einmündete. Er ritt vor und blickte prüfend in die Lichtung.

»Halt,« sagte er, »dieser Weg führt dort herum in der Richtung nach Sofia, es verlohnt sich vielleicht der Mühe, hier noch ein wenig vorzudringen.«

In der Tat ritt er, langsam lauschend und vorwärts spähend, auf dem Seitenwege weiter, der sich bald hinter einer Gruppe dichten Gebüsches scharf wendete. Nahe dieser Wendung hielt Pawjel plötzlich mit scharfem Ruck sein Pferd an und erhob die Hand wie zum warnendem Zeichen, indem er sich zugleich lauschend vorbeugte.

»Hört ihr,« sagte er leise, sich zu seinen Leuten zurückwendend – »hört ihr dort hinter der Wendung des Weges Stimmen und Waffenklirren?«

Atemlos lauschten die Bulgaren; man hörte in der Tat noch fern, aber doch deutlich vernehmbar, menschliche Stimmen und den eigentümlichen Ton von klirrendem Eisen.

»Wir sind nicht umsonst geritten,« sagte Pawjel strahlenden Blickes, »haltet eure Säbel fest und folgt mir.«

Er kehrte, im Schritt reitend, auf die breite Straße zurück und befahl seinen Leuten, sich seitwärts derselben unmittelbar neben der Einmündung des Sandweges hinter dem Gebüsch aufzustellen. Etwa eine Viertelstunde warteten sie hier, keiner bewegte sich im Sattel, und nur in nächster Nähe vernahm man die zurückgehaltenen Atemzüge.

Immer näher kamen die Stimmen aus dem Walde, die Herankommenden schienen sorglos zu plaudern und hier so nahe an den türkischen Stellungen keine Vorsicht mehr für nötig zu halten. Endlich bog aus dem sandigen Seitenwege hervor ein kleiner Zug auf die Straße ein. In der Mitte desselben fuhr ein leichter, zweirädriger, mit zwei kräftigen Pferden bespannter Wagen, welchen ein Mann in einem über den Kopf gezogenen Kapuzenmantel lenkte; neben und hinter demselben ritten etwa zwanzig Mann türkischer Dragoner, welche sich laut und heiter miteinander unterhielten. Als der letzte dieser Reiter aus dem Walde hervorgekommen war, sagte Pawjel zu seinen Leuten:

»Jetzt vorwärts, sie können uns nicht entrinnen; umzingelt sie, doch keiner darf einen Schuß tun, damit uns die Türken nicht über den Hals kommen – wir müssen den Wagen haben.«

Er zog seinen Säbel, und wie eine Wetterwolke brausten die Bulgaren gegen die langsam und sorglos auf dem Wege hinziehenden Türken heran; ehe dieselben sich von ihrem ersten Schrecken erholt hatten, waren sie überholt und sahen von allen Seiten die hochgeschwungenen Säbel der Bulgaren über ihren Köpfen blitzen. Einige versuchten ihre Säbel zu ziehen oder ihre Karabiner zu ergreifen, aber mit sicheren, wuchtigen Hieben auf Arm und Hände wurden sie kampfunfähig gemacht, und in wenigen Augenblicken waren sie sämtlich gefangen.

Der Wagen hatte einen Augenblick in der Mitte dieses Knäuels von Menschen und Pferden gehalten. Als die Bedeckung überwunden war und die Bulgaren den türkischen Dragonern ihre Säbel und Pistolen abnahmen, peitschte der Mann auf dem Wagen, zu dem Pawjel nun heranritt, um ihn zu durchsuchen, plötzlich seine Pferde an, und in rasender Eile jagte das leichte Gefährt die Anhöhe hinauf nach Plewna hin. Die meisten der bulgarischen Reiter waren mit ihren Gefangenen beschäftigt, die sie nicht verlassen konnten, einige versuchten, dem Wagen zu folgen, aber schon nach wenigen Sekunden hatte derselbe, von dem edlen Gespann fortgerissen, einen solchen Vorsprung gewonnen, daß es unmöglich schien, ihn einzuholen.

»Haltet die Gefangenen!« rief Pawjel, »jenen übernehme ich.«

Er drückte seinem Pferde die Sporen ein, hochauf bäumte sich das edle Tier und flog dann pfeilschnell dem Wagen nach. Pawjel hatte seinem Pferde, das er kannte, nicht zu viel zugetraut. In rasender Schnelligkeit flog der Wagen und sein Verfolger die Straße hinauf – aber bald war Pawjel herangekommen – einige gewaltige Sätze seines Pferdes und er hatte den Wagen überholt – schnell und sicher sein Pferd an das Gespann herandrängend, fiel er demselben in die Zügel – mit kräftigem Ruck riß er die Pferde seitwärts, der Wagen stand.

»Steig ab und gib her, was du bei dir hast!« rief Pawjel, indem er seine Säbelklinge über dem Haupt des Mannes im Wagen durch die Luft sausen ließ – »du siehst, daß kein Entkommen möglich ist.«

Der Mann schlug die Kapuze seines Mantels zurück. Mit einem leisen Schreckensruf erkannte er Theofil Leonew, der ihn mit Blicken voll wilden Hasses ansah. Einen Augenblick zuckte seine Hand, der Säbel blitzte in der Luft, und schon hob Leonew seinen Arm, um den tödlichen Streich mit dem dicken Ärmel seines Filzmantels abzuschwächen.

Langsam aber ließ Pawjel seine Waffe wieder sinken.

»Er ist ihr Vater«, sagte er leise.

Eine hämische Freude blitzte in Leonews Gesicht auf, schnell aber nahmen dann seine Blicke einen ruhig kalten Ausdruck an, und mit dem Ton ruhiger Ergebung sagte er:

»Du bist es, Pawjel Fjodorow – ich bin in deiner Gewalt – du hast recht, jeder Widerstand wäre töricht, auch sehne ich mich selbst lange danach, von den Türken befreit zu werden, die mich gezwungen haben, ihnen zu dienen. Ich war zornig auf dich, weil du meine Tochter entführt hattest, nun aber ist es geschehen, und es läßt sich nicht ändern, und vielleicht ist es besser so. Führe mich in das russische Lager, ich bin dein Gefangener; du wirst mir Schonung meines Lebens und Eigentums erwirken, wenn« – fügte er mit schnell aufblitzender Wut in seinen Augen hinzu – »von meinem Eigentum noch etwas anderes übrig ist, als der zertretene Erdboden.«

Freudig bewegt erwiderte Pawjel:

»Da du so sprichst, Theofil Leonew, so glaube ich, daß Gott mich hier auf deinen Weg geführt hat. Komm mit mir, ich bürge für dein Leben und dein Eigentum, du sollst empfangen werden, wie es dem Vater von Pawjel Fjodorews Braut geziemt. Gib mir deine Briefe, denn ich bin gewiß, daß du Botschaften nach Plewna bringen sollst; sind sie wichtig, so soll dir guter Lohn werden.«

»Sie sind hier im Gesäß«, sagte Leonew, indem er seitwärts rückte und das tückische Funkeln seiner Blicke unter den niedergesenkten Augenlidern verbarg. »Steig ab und sieh selbst zu, daß nichts weiter hier versteckt ist.«

Schon war Pawjel im Begriff, aus dem Sattel zu springen, als ein Rest von Mißtrauen in ihm zu erwachen schien.

»Laß sie da,« sagte er, »wir werden sie im Lager herausnehmen – jetzt folge mir, ich werde neben dir reiten, wir haben noch einen weiten Weg zu machen und dürfen hier nicht so lange in der Nähe der Türken bleiben.«

Leonew warf einen schnellen, forschenden Blick nach den Höhen hin, dann wendete er langsam seine Pferde und fuhr, während Pawjel unmittelbar an seiner Seite ritt, auf dem Wege rückwärts den Bulgaren zu, welche die gefangenen Türken umringten. Er hatte wie fröstelnd seinen Mantel zusammengezogen, nach wenigen Schritten aber zog er schnell wie der Blitz einen, Revolver unter dem Mantel hervor und feuerte unmittelbar hintereinander aus nächster Nähe mehrere Schüsse auf Pawjel und dessen Pferd ab.

Das Pferd bäumte sich in wildem Satze auf, Pawjel fühlte einen stechenden Schmerz in seiner rechten Schulter, der Säbel entsank seiner Hand, und nur mit Aufbietung all seiner Kraft vermochte, er sich auf dem wildschnaubenden Pferde zu halten, dessen Hals sich blutig färbte.

»Nichtswürdiger Verräter,« rief er, »so dankst du mir für dein Leben, das in meiner Hand war –«

Aber schon hatte Leonew seinen Wagen gewendet und jagte, die Peitsche schwingend, im vollen Lauf seiner Pferde die Anhöhe hinauf – ein gellendes Hohnlachen schallte von seinem Wagen zu Pawjel herüber, der kaum sein Pferd zu bändigen vermochte und mit seinem verwundeten Arm an keine Verfolgung denken konnte.

Entsetzt hatten die Bulgaren den Vorgang gesehen; einige von ihnen sprengten zu Pawjel heran, aber schon erschien oben auf der Höhe des Weges, durch die Schüsse alarmiert, eine Abteilung von türkischen Zeibecks, welche, mit lautem Allahruf ihre Lanzen schwingend, an Leonews Wagen vorbei heransprengten.

Die Wunde des Pferdes war nicht tötlich, Pawjel war des Tieres, das seine Stimme kannte, wieder Herr geworden, und schnell hatte er seine Leute erreicht.

»Schneidet die Sattelgurte der Gefangenen durch und laßt ihre Pferde laufen.«

In wenigen Sekunden war sein Befehl ausgeführt, die Pferde der Türken sprengten nach allen Richtungen, die Dragoner blieben ohne Waffen auf dem Wege stehen.

»Nun gebt den anderen eine Salve,« befahl Pawjel, »und dann fort über die Felder, es gilt einen Ritt um das Leben.«

»Feuer!« kommandierte er jetzt.

Eine Salve aus den Karabinern, welche die Bulgaren den türkischen Dragonern abgenommen hatten, krachte den Zeibecks entgegen, welche bereits ganz nahe herangekommen waren; einige derselben stürzten von ihren Pferden, die übrigen hielten erschrocken an und wagten den Kampf mit der überlegenen Anzahl der Bulgaren nicht aufzunehmen.

»Nun vorwärts!« rief Pawjel. Mit einem mächtigen Satz sprengte er über den Graben am Rande des Weges, und in wildem Jagen stürmten die Bulgaren über das Blachfeld hin nach der Richtung, in welcher das russische Lager sich befand. Schon rückte auf der Höhe des Weges, von den Zeibecks mit wildem Freudengeschrei begrüßt, türkische Kavallerie heran, zugleich erschienen überall auf den Hügeln Abteilungen von türkischer Infanterie. Die letzteren eilten den fliehenden Bulgaren nach, und Salve auf Salve krachte über das Feld hin, aber sie waren zu weit entfernt, einige Kugeln zwar zischten über ihre Köpfe hin, doch ohne einen der Flüchtigen zu verwunden – die türkischen Reiter aber waren ebenfalls vom Wege abgebogen und stürmten dem Fliehenden mit furchtbarem Wut- und Rachegeheul nach, sie durchschnitten das Feld in schräger Linie, und immer kürzer wurde die Entfernung, welche die Bulgaren von ihren Verfolgern trennte.

Immer unruhiger wurde das Schnauben der Pferde, weißer Schaum bedeckte die Tiere, und das Blut perlte von ihren Flanken unter den Sporen der Reiter – aber trotz aller Anstrengung kamen die Türken immer näher, sie waren wenigstens in der vierfachen Überzahl, und rückwärts blickend, erkannte Pawjel die Unmöglichkeit, ihnen zu entrinnen.

Man war an den Vorsprung eines Gebüsches gekommen, eine halbe Meile hinter demselben mußten die Vorposten des russischen Lagers stehen, aber es war unmöglich, dieselben zu erreichen, denn bereits fingen die Pferde an zu zittern, und ihre unsicheren, schwankenden Bewegungen zeigten, daß der Augenblick nahe war, in welchem ihre Kräfte sie verlassen würden.

»Halt!« sagte Pawjel, sein Pferd parierend – »es ist aus. Schließt euch fest aneinander, es gilt nur noch, unser Leben teuer zu verkaufen; niemand soll lebendig in die Hände jener Ungeheuer fallen; wer vom Sattel sinkt, dem soll sein Nebenmann ohne Zögern eine Kugel durch den Kopf schießen.«

Er ließ den Zügel auf den Hals seines Pferdes sinken, zog mit seiner linken, unverwundeten Hand eine Pistole aus der Satteltasche und richtete die Mündung derselben gegen seine Schläfe.

»Jetzt vorwärts,« sagte er – »gebt Feuer, ich werde der letzte sein – leb wohl, Stjepanida!« flüsterte er leise.

Eine Salve aus den wieder geladenen Karabinern krachte den türkischen Reitern entgegen – einen Augenblick hielten dieselben in ihrem Anlauf an, Menschen und Pferde wälzten sich, von den Kugeln der Bulgaren getroffen, vor den ersten Gliedern am Boden – dann aber sprengte die ganze Schar in gelösten Gliedern mit verdoppeltem Wutgeschrei über die Gefallenen vorwärts.

Jeder der Bulgaren hielt seine Pistole in der Linken, den Säbel in der Rechten; ruhig, ein kurzes Stoßgebet auf den Lippen, erwarteten sie den Ansturm der erbarmungslosen Feinde – da plötzlich ertönte hinter ihnen russischer Schlachtruf, und hinter dem Gebüsch hervor sprengte ein Kürassierregiment, das zur Rekognoszierung ausgeschickt und durch das Geschrei und die Schüsse herangezogen war, den Türken entgegen. Mit lautem Freudenruf begrüßten die Bulgaren diese Hilfe in der äußersten Not, und statt den Angriff abzuwarten, sprengten sie nun ihren Feinden entgegen, in deren aufgelöste Reihen zu gleicher Zeit von der Seite her die Kürassiere eingriffen.

Der Zusammenstoß war furchtbar. Einen Augenblick sah man nichts als einen wild durcheinanderwirbelnden Knäuel von Menschen und Pferden, einzelne Schüsse krachten, die Waffen klirrten aufeinander, und die wilden Streitrufe der Kämpfenden mischten sich mit dem Jammergeschrei der Verwundeten. Bald aber hatten die Bulgaren von der einen Seite und die festgeschlossenen Kürassiere von der anderen den türkischen Haufen durchschnitten und sich in der Mitte desselben vereinigt. Der eine Teil der Türken wendete sich zur Flucht und jagte quer über das Feld hin nach den Höhen von Plewna zurück; unter den anderen, welche von der Flucht abgeschnitten waren, fand ein entsetzliches Blutbad statt, sie wehrten sich mit der hartnäckigen Tapferkeit wilder Raubtiere. Nach kurzer Zeit war der Boden mit Leichen bedeckt, denn wenige der Türken nur hatten ihre Waffen fortgeworfen und sich der Gefangenschaft ergeben, auch von den Bulgaren und den Kürassieren waren nicht wenige Opfer gefallen. Der Kommandeur der Kürassiere ritt zu Pawjel heran.

»Ah, Pawjel Fjodorew,« sagte er, ihm die Hand reichend, »der tapfere Georgsritter – kaum freilich konnte es ein anderer sein, der hier so tollkühn herumschwärmte. Nun, ich danke Gott, daß er uns hergeführt hat, um Euch zu retten – aber Ihr seid verwundet, reitet schnell zurück ins Lager und meldet im Hauptquartier, was hier geschehen ist. Sagt, daß man Wagen hersende, die Toten und Verwundeten fortzubringen; ich muß hierbleiben und Wache halten, die Barbaren würden wiederkommen, um die Verwundeten zu morden und die Toten zu beschimpfen.«

Pawjel untersuchte den Hals seines Pferdes, es war nur ein Streifschuß, der das Tier getroffen hatte; er freute sich, daß ihm der treue Gefährte so mancher Kämpfe erhalten blieb. Er selbst war freilich schwerer getroffen, sein Arm war stark geschwollen, er empfand quälende Schmerzen und vermochte keine Bewegung zu machen. Pawjel wählte zwei von seinen Leuten zu seiner Begleitung aus – auf dem Wege bis zum Lager hatte er keine gefährliche Begegnung mehr zu fürchten – und ritt dann schnell davon.

Der Kaiser hatte inzwischen sein Hauptquartier nach Poradin, nahe vor den Befestigungen vor Plewna, verlegt. In einer kleinen Entfernung davon befand sich das Dorf Bogot, in welchem sich das Hauptquartier des Großfürsten Nikolaus befand. Die Garden, soweit sie bereits angekommen waren, hatten ihre Biwaks bei dem Dorfe Dolnij-Dubnjak genommen, nachdem sie bei Gornij-Dubnjak sich in heißem Kampfe ihre Stellung in der Plewim umschließenden Kette errungen hatten.

Pawjel war, um sein Pferd und seine eigene, immer heftiger schmerzende Wunde zu schonen, langsam weitergeritten und hatte fast das Hauptquartier des Höchstkommandierenden in dem Dorfe Bogot erreicht, als auf der von Poradin herführenden Straße ein Reiterzug in schnellem Trabe sich näherte. Bald hatte dieser Zug, der eine Abteilung Kavallerie zu sein schien, Pawjel erreicht; dieser ritt auf die Seite der Straße, um die Truppe vorüberzulassen, und erkannte, als er sich umblickte, die Kosaken des kaiserlichen Konvois. Unmittelbar hinter denselben folgte eine vierspännige Kalesche, in welcher der Kaiser mit dem Großfürsten Nikolaus saß, der ihm entgegengeritten und nun vor Bogot in seinen Wagen gestiegen war. Das zahlreiche Gefolge der beiden kaiserlichen Brüder folgte hinter dem Wagen. Pawjel drängte sein Pferd ganz an die Seite des Weges und erhob zum Gruß die linke Hand an den Fes. Der Kaiser, welcher ernst und traurig im Wagen saß, trug einen Flor am Arm, denn kurz zuvor war sein Neffe, der Herzog Sergei von Leuchtenberg, im Kampfe gefallen.

Als er grüßend gegen Pawjel den Kopf neigte, bemerkte er das Blut an dessen Pferd und an dessen rechten Arm; sogleich befahl er zu halten und winkte Pawjel an den Wagenschlag heran.

Der junge Mann war von Schmerz und Blutverlust erschöpft; mit einiger Anstrengung erzählte er das Vorgefallene und machte dem Großfürsten Nikolaus die Meldung, welche der Oberst des Kürassierregiments ihm aufgetragen.

Der Großfürst gab sogleich einem seiner Adjutanten den Befehl, eine Anzahl von Krankenwagen unter starker Bedeckung nach dem von Pawjel bezeichneten Ort zu senden; der Kaiser aber sagte:

»Ich erinnere mich deiner Wohl, mein Sohn. Du hast dich des Georgskreuzes, das ich dir gegeben, von neuem würdig gezeigt, aber jetzt mußt du an dich selbst denken, um dich deinem Vaterlande zu erhalten. Ich bin auf dem Wege nach Bogot, um in dem Lazarett, das die Gemahlin meines Sohnes, des Cäsarewitsch, dort errichtet hat, die braven Verwundeten von Gornij-Dubnjak zu besuchen. Komm mit mir, ich selbst werde dafür sorgen, daß es dir an keiner Pflege fehle.«

Pawjel errötete vor Freuden, er fühlte die Schmerzen seiner Wunde nicht mehr, und ganz stolz ritt er neben dem Wagen des Kaisers her, der während der kurzen Fahrt noch verschiedene Fragen über seine Abenteuer an ihn richtete.

Bald hatte man das Dorf erreicht, fast am Eingange desselben, neben dem vom Großfürsten bewohnten Hause, dehnte sich ein großes, von Brettern aufgerichtetes Gebäude aus, auf welchem die Flagge des roten Kreuzes wehte. Der Kaiser stieg aus und befahl Pawjel, an seiner Seite zu bleiben. Die Ärzte und Pflegerinnen des Lazaretts traten dem Kaiser in dem geräumigen Vorhof entgegen, in welchem auch mehrere in der Rekonvaleszenz befindliche Verwundete auf und nieder gingen, die sich beim Eintritt des Monarchen zu militärischem Gruß aufstellten.

»Hier,« sagte der Kaiser zu dem Oberarzt des Lazaretts, auf Pawjel deutend, »bringe ich Ihnen einen tapferen Offizier. Ich empfehle ihn Ihrer besonderen Sorgfalt, untersuchen Sie seine Wunde, ich hoffe, daß sie nicht gefährlich sein wird.«

Der Oberarzt verbeugte sich gegen den Kaiser und wollte, um dessen Befehl auszuführen, Pawjel sogleich in das zur Untersuchung der Verwundeten bestimmte Zimmer führen – da aber stieß eine der Pflegerinnen, welche zur Begrüßung des Kaisers in den Vorhof getreten war, einen lauten Schrei aus, in welchem sich Freude und Schreck miteinander vermischten – im nächsten Augenblick eilte sie aus dem Kreise hervor, die Gegenwart des Kaisers vergessend, schlang sie ihre Arme um den jungen bulgarischen Offizier und rief:

»Mein Pawjel, du bist verwundet! Wie lange habe ich eine Nachricht von dir ersehnt, Gott sei Dank, daß du hier bist, niemand soll dich Pflegen als ich!«

»Stjepanida!« rief Pawjel entzückt, indem er seinen linken Arm um die Schultern des Mädchens schlang und ihre Stirn küßte – dann aber trat er erschrocken zurück, auch Stjepanida schien sich nun erst der Gegenwart des Kaisers zu erinnern und stand hoch erglühend, die Augen zu Boden gesenkt, neben ihrem Geliebten. Mit seinem weichen, melancholischen Lächeln sah der Kaiser das schöne Paar an.

»Das trifft sich glücklich,« sagte er freundlich, »ich darf nun keine Sorgen um dich haben, besseren Händen hätte ich dich nicht übergeben können, Gott wolle uns bald den Frieden schenken, damit auch euer Glück begründet werde.«

Stjepanida senkte erbleichend den Kopf, Pawjel aber faßte ihre Hand und drückte dieselbe so fest in der seinen zusammen, als wolle er hier vor dem Kaiser das Gelöbnis ablegen, daß keine Macht der Welt sich mehr zwischen ihn und seine Liebe stellen sollte.

Der Kaiser schritt freundlich grüßend weiter.

In einiger Entfernung stand in dem Vorhof der Leutnant Rossianow, welcher zur besseren Pflege in seiner Rekonvaleszenz von Gornij-Studen in dies von der Cäsarewna errichtete und mit allen Bedürfnissen reichlich ausgestattete Lazarett gebracht worden war; nun sah der junge Mann blaß und abgemagert aus, wenn auch in seinen Blicken wieder das Feuer der neu erwachenden Lebenskraft aufzuflammen begann. Unter seinen kurz geschnittenen Haaren hervor lief eine breite rote Narbe in seine Stirn hinein, er stützte sich mit der Linken auf einen Stock, seine Rechte ruhte in dem Arm von Jewa Alexiewna; er war noch zu schwach, um allein gehen zu können, und hatte, auf seine treue Pflegerin gestützt, einen Spaziergang in dem Vorhof des Lazaretts gemacht. An seinem weiten Militärüberrock war das Georgskreuz befestigt. Der Kaiser blieb vor ihm stehen:

»Auch deiner erinnere ich mich wohl, Viktor Sacharjewitsch – du hast die Ingenieure des Generals Gurko in den Balkan geführt, ich freue mich, daß du wieder geheilt bist. Es scheint,« fügte er scherzend hinzu, »daß du ebensoviel Glück gehabt hast, wie dein tapferer Kamerad von der bulgarischen Legion, und daß auch deine Wunde von liebevollen Händen gepflegt wurde.«

Iewa stand ebenso hoch errötend vor dem Kaiser wie vorher Stjepanida, aber nicht wie bei jener zitterte liebliche Verwirrung auf ihrem Gesicht, finster zogen sich ihre Züge zusammen, das Wort des Kaisers schien sie mit Schmerz und Schrecken zu erfüllen.

Der Leutnant Rossianow aber zog sie mit der auf ihren Arm gestützten Hand näher zu sich heran, ein schneller, kühner Entschluß blitzte in seinen Augen auf, und mit lauter, fester Stimme antwortete er:

»Zu befehlen, Majestät, ich liebe meine Pflegerin, deren treue und unermüdliche Sorge mich dem Tode entrissen hat, mit ganzer Seele. Ich bin gewiß, daß sie es mir nicht versagen wird, meinem Leben, das ich ihr danke, sein schönstes Glück zu geben, und ich bitte Eure Majestät um die gnädige Erlaubnis, nach Beendigung des Feldzuges dem Fräulein Jewa Alexiewna, der Tochter Allerhöchst ihres Kollegienrates Dobbrodorow in Moskau, meine Hand reichen zu dürfen.« Freundlich neigte der Kaiser den Kopf.

»Die Bitte eines so tapferen Offiziers, wie du, ist meiner Gewährung gewiß. Ich wünsche Ihnen Glück, Fräulein Jewa Alexiewna, zu einem Manne, der sich um mich und Rußland so verdient gemacht hat. Sie können Ihrem Vater schreiben, daß die Sache abgemacht ist und daß er auf seinen Schwiegersohn stolz sein kann.«

Mit freundlichem Gruß wendete er sich ab und trat mit dem Großfürsten und von den Ärzten begleitet, in das Innere des Lazaretts.

Der Oberarzt hatte einem seiner Gehilfen den Befehl gegeben, die Sorge für Pawjel zu übernehmen. Pawjel trat mit Stjepanida zu Rossianow heran; er schüttelte dem jungen Offizier herzlich die Hand und sprach ihm seine Freude aus, daß auch er hier das Glück seines Lebens gefunden; Stjepanida umarmte ihre Freundin Iewa innig, und dann folgten beide dem jungen Arzt, um für den verwundeten Pawjel, dessen Gesicht sich vom Fieber zu röten begann, zu sorgen. Der Vorhof war fast leer geworden, da alle Anwesenden dem Kaiser folgten, der später durch den Ausgang auf der anderen Seite das Lazarett verließ, um sich in das Haus seines Bruders zu begeben.

Iewa stand starr und bleich da, ihre Blicke waren auf den Boden geheftet, ein leises Zittern flog durch ihre Glieder.

»Jewa,« sagte Rossianow, indem er ihre Hand faßte – »meine Iewa, zürnst du mir – ich konnte nicht anders! Lange, lange schon liebe ich dich, diese Liebe ist mit meiner wiedererwachenden Lebenskraft in mir groß geworden, sie füllt meine ganze Seele aus, und ich kann mir nicht denken, daß es einst eine Zeit gegeben hat, in der ich dich nicht liebte und gleichgültig neben dir herging.«

Sie zog ihre Hand zurück und schüttelte, ohne die Augen aufzuschlagen, traurig den Kopf.

»Jewa,« rief er erschrocken, »wäre es möglich, hättest du kein Verständnis für mein Gefühl, hatte ich falsch gelesen in deinen Augen, aus denen mir so oft die süße Hoffnung entgegenleuchtete, daß du mich Wiederlieben könntest?«

»Und meine Schwester?« fragte sie tonlos, indem sie mit einem starren, schmerzlichen Blick zu ihm aufsah – »was soll aus Darja werden? Soll ich das Herz der Schwester brechen, soll man von mir sagen,« rief sie bitter, »daß ich ihr diebisch das Glück ihres Lebens entwendet habe?«

»War es ihr Glück,« sagte Rossianow – »ich glaube es nicht; Darin ist ein schönes Bild, ihre Schönheit blendete mich, aber hat dies Bild eine Seele, hat es ein Herz? – Oh, ich habe oft schon früher daran gezweifelt! Jetzt, meine Iewa, seit ich dich kenne, seit ich in die Tiefen deines Herzens und deiner Seele geblickt habe, jetzt weiß ich es, ich habe Darja niemals geliebt, und sie auch mich nicht. Öde und leer wäre mein Leben an ihrer Seite gewesen, nur mit dir kann ich leben, nur mit dir glücklich sein. Iewa, meine Jewa, antworte mir, willst du mir die Hoffnung nehmen, den Wert des Lebens nehmen, das deine treue Sorge mir wieder geschenkt hat?«

Iewa sah ihn lange an.

»Darja – Darja,« sagte sie leise – »es kann nicht sein – es darf nicht sein.«

Sie wollte ihre Hand, die er wieder erfaßt hatte, zurückziehen, aber sie sah, daß er schwankte, er bedurfte ja ihrer Stütze, und er mußte Wohl in ihrem Blick etwas gelesen haben, was dem abweisenden Wort ihrer Lippen widersprach, denn ganz glücklich beugte er sich zu ihr herab, küßte ihre Stirn und rief:

»Ich wußte es, Jewa, ich wußte es, du liebst mich dennoch!«

Jewa stand in sprachloser Verwirrung da.

Ehe sie ein Wort der Erwiderung fand, trat schnell ein junger Mann in elegantem Reisekostüm in die Vorhalle; er blickte prüfend umher, dann aber eilte er auf die beiden zu und rief:

»Das ist gut, da finde ich euch ja gleich. Man sagte mir, daß ihr hier wäret, und daß der arme Viktor Sacharjewitsch noch immer nicht völlig von seiner Krankheit wiederhergestellt sei.«

»Wallerjan Sebastianowitsch, du hier!« sagte Rossianow fast erschrocken.

»Ich komme von Petersburg«, erwiderte Prottrubin, der die beiden zuletzt beim Ausbruch des Krieges im Hause des Kollegienrates Dobbrodorow gesehen hatte. »Es ist mir besser gegangen wie dir, armer Viktor Sacharjewitsch, in dieser Zeit, ich bin im Ministerium angestellt und jetzt der Kanzlei des Fürsten Tscherkasky, des Zivilgouverneurs von Bulgarien, zugeteilt. Ich bin auf dem Wege zu ihm und habe euch beide aufgesucht, um euch Briefe zu bringen«, fügte er mit einiger Verlegenheit hinzu. »Deine Mutter, Jewa, und deine Schwester sind mit mir in Petersburg gewesen; ich habe sie jetzt nach Moskau zurückgebracht, und hier sind Briefe für dich, Jewa, von deiner Mutter, und für dich, Viktor Sacharjewitsch, von Darja, du wirst überrascht sein,« sagte er, den beiden die für sie bestimmten Briefe übergebend, »doch es ist nun einmal so gekommen, und ich hoffe, wir bleiben Freunde.«

Jewa führte Rossianow zu einer Bank, er setzte sich nieder und erbrach mit Zitternder Hand Darjas Brief. Prottrubin blieb vor ihm stehen und blickte mit unruhiger Spannung in sein Gesicht, während Jewa ihrerseits den Brief ihrer Mutter öffnete.

Kaum hatte Rossianow einige Zeilen gelesen, als helle Freude sein Gesicht erleuchtete, der Brief zitterte in seiner Hand, hastig durchflog er ihn bis zu Ende, dann erhob er sich trotz seiner Schwäche und schloß Prottrubin stürmisch in seine Arme.

Jewa hatte den sehr langen Brief ihrer Mutter eben erst zu lesen begonnen und blickte ganz erstaunt auf die Gruppe vor ihr.

Rossianow sank erschöpft wieder auf die Bank zurück und rief jubelnd:

»Alles ist gut, alles ist gut, Gott segne' dich, Wallerjan Sebastianowitsch, daß es so gekommen ist! Hörst du, Jewa, hörst du – Darin hat es eingesehen, daß sie sich getäuscht, als sie mir ihre Hand zusagte, sie gibt mir mein Wort zurück, sie ist die Braut dieses teuren Wallerjan Sebastianowitsch. Und hier«, rief er, Jewas Hand ergreifend und sie zu sich auf die Bank herabziehend, zu Wallerjan gewendet, »siehst du meine geliebte Braut, Jewa Alexiewna, der Kaiser selbst hat sie mir gegeben, und niemand mehr soll sie mir entreißen.«

Er schlang seinen Arm um Jewa, sie ließ ihr Haupt an seine Schulter sinken, und auch aus ihren Blicken leuchtete seliges Glück.

Wallerjan stand einen Augenblick ganz verwundert vor ihnen, er mochte kaum eine solche Aufnahme seiner Botschaft erwartet haben – dann aber faßte er ihre Hände, schüttelte sie kräftig, und während die drei glücklichen Menschen stumm nebeneinander standen, erschallte von draußen der laute Ruf, mit welchem die Truppen den aus dem Lazarett heraustretenden Kaiser begrüßten.


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