Carl May
Scepter und Hammer
Carl May

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Wirklich ließ sich in diesem Augenblicke nahendes Pferdegetrappel vernehmen und ein Trupp Reiter erschien, an dessen Spitze sich der Major befand. Er sprengte heran, sprang vom Pferde und trat zu Zarba.

»Mutter!« rief er, sie umarmend und küssend.

»Mein Sohn!« antwortete sie, ihn mit stolzen Blicken musternd. »So hat also unser guter König meinen Wunsch erfüllt?«

»Wie Du siehst!«

»Es ist auch hohe Zeit, daß Du kommst. Ich weiß genau, daß die Süderländer in einer Stunde hier sein werden.«

»Habt Ihr schon ein Rencontre mit ihnen gehabt?«

»Nein. Ihre Spione kamen nicht bis ganz herauf, und so weit sie kamen, haben wir uns nicht blicken lassen.«

»Sehr gut! Die Überraschung wird sehr viel thun.«

Er musterte mit Kennermiene den Verhau.

»Wie viele Verhaue hast Du anlegen lassen?«

»Fünf.«

»Ah! Aber auch richtig?«

»Wie?«

»Der Feind darf nicht durch; wir aber müssen sie passiren können. Wie könnten wir sonst mit den Geschützen hinunter zur ersten Barrikade kommen. Dort, bei der ersten und zweiten, je nachdem das Terrain es gebietet, werde ich sie auffahren lassen.«

»Keine Sorge! Der Bergwirth hier ist ein alter Artillerist, der noch nichts vergessen hat. Er hat den Baumeister gemacht und die Verhaue so eingerichtet, wie Du es haben willst.«

»Gut; ich muß sie besichtigen. Gieb mir einen Mann mit!«

»Ich führe Dich selbst.«

Sie führte ihn durch eine schräg gelegene Lücke des Verhaues und verschwand mit ihm hinter demselben. Die Männer hatten sich beim Erscheinen des Majors verwundert angesehen.

»Ihr Sohn!« flüsterte der Nachbar des Bergwirthes.

»Du hasts ja gehört und gesehen!«

»Ein prächtiger Kerl!«

»Und gar nicht stolz. Ein Anderer hätte sich gehütet, sie vor uns in dieser Weise zu begrüßen.«

»Wer muß der Vater sein?«

»Geht uns nichts an!«

Nach einiger Zeit kehrte der Major mit Zarba zurück und ließ das Verhau zum Durchgange der Geschütze öffnen.

»Gibt es vielleicht hier nahe einen Weg, der noch über das Gebirge führt?« frug er.

»Ja; aber er ist beschwerlich, nicht leicht zu finden und nur den Paschern bekannt.«

»Dennoch fatal! Er kann drüben auch bekannt sein.«

»Ich glaube es nicht. Übrigens habe ich ihn besetzen lassen.«

»Das ist klug. Du bist ja ein ganz richtiger Feldherr, Mutter!«

Ein dumpfes Rollen und Knarren ertönte. Die Geschütze nahten. Wallroth dirigirte sie vorwärts, bat Zarba zurückzubleiben und folgte ihnen nach.

Die Verhaue waren mit wirklicher Sachkenntniß an den geeignetsten Punkten angelegt. Der unterste derselben lag an einer Stelle, von welcher die unten im Thale sich halbkreisförmig windende Straße ganz ausgezeichnet beherrscht und bestrichen werden konnte, obgleich es von unten aus unmöglich war die Befestigung zu bemerken. Und zugleich war er so fest angelegt, daß Wallroth kein Bedenken trug, sämmtliche Geschütze hier zu plaziren.

Noch war man bei dieser Beschäftigung, als ein Mann sehr eilig die Straße heraufgelaufen kam.

»Wer da?« frug der auf dem Verhaue stehende Posten.

»Tschemba!«

Es war also jener Zigeuner, welcher mit Horgy und dem Bergwirthe damals die beiden Irrenärzte gefangen genommen hatte.

»Unser Späher, Herr Major,« berichtete der Posten.

Tschemba stieg über das Verhau und erblickte die Artillerie.

»Ah, gut, daß die Kanonen da sind. Sie kommen.«

»Wer?« frug Wallroth.

»Die Süderländer.«

»Viel?«

»Ein ganzes Heer, so breit wie es die Straße erlaubt. Sie haben jedenfalls Pascher von drüben als Führer bei sich.«

»Wie nahe sind sie?«

»In zehn Minuten füllen sie unten das Thal.«

»Freiwillige Schützen vor?«

Auf diesen Ruf kamen wohl fünfzig Pascher herbei.

»Hört, Männer, ich muß eine Anzahl von Euch unter der Führung des Herrn Hauptmanns vorschicken, denn ich darf keine Feindseligkeiten beginnen, ehe ich nicht das Recht dazu habe. Wer geht mit?«

»Wir Alle!« rief es.

»Brav! Macht Eure Sache gut. Vorwärts!«

Sie rückten ab, der Hauptmann an ihrer Spitze. Er hatte Degen, Waffenrock und Helm abgelegt und sich den Hut und die Joppe sammt dem Stutzen eines Paschers geborgt. Er ging so weit vor, bis der Paß eine scharfe Krümmung machte, und dieser Punkt schien ihm für sein Vorhaben der geeignetste zu sein, zumal der wirklich scharfsinnige Bergwirth ungefähr fünfzig Schritte unter demselben eine der größten Tannen quer über den Weg hatte fällen lassen.

Von hier aus sah man im Mondscheine bereits die Helme der Anrückenden blinken, und der leicht zu vernehmende Hufschlag verrieth, daß Kavallerie an der Spitze sei.

»Bleibt hier und haltet Euch schußbereit!« gebot er; dann schritt er weiter, bis er die Tanne erreichte.

Hinter derselben versteckt erkannte er bald mehrere Offiziere, welche, von zwei Männern geführt, voranritten.

»Halt!« rief er, als sie ihm nahe genug schienen. »Wer da?«

Man hielt und schien sich kurz zu berathen. Dann ertönte es:

»Gut Freund! Wer bist Du?«

»Ein guter Norländer. Seit wann rückt man in ein fremdes Gebiet ohne vorherige Verhandlung und Kriegserklärung ein?«

»Kecker Bursche! Mache Dich fort, sonst wirst Du weggeputzt!«

»Ich stehe hier als Beauftragter meines Königs. Euer Vordringen ist gegen das Völkerrecht. Geht zurück, sonst könnt Ihr erfahren, wer weggeputzt wird! Das ists, was ich Euch zu sagen habe. Dieses Land, diese Straße gehört unser. Wir werden Beide zu behalten wissen. Gute Nacht!«

Er ging mit lautem langsamen Schritte zurück. Nach einiger Zeit, während welcher jedenfalls Meldung abgegangen und der betreffende Befehl zurückgekommen war, hörte man, daß die Tanne weggeräumt werden sollte.

»Könnt Ihr genug sehen?« frug der Hauptmann.

»Besser als Sie,« klang die Antwort. »Unsereiner ist die Nacht gewohnt.«

»So gebt Feuer, aber immer zehn und zehn!«

Die ersten Schüsse krachten. Drüben ertönte ein wüthiger Schrei. Dann wieder zehn und noch zehn. Als die Letzten Feuer gaben, hatten die Ersten bereits wieder geladen. Einen solchen Empfang hatte der Feind nicht erwartet; er wußte nicht, wen er vor sich hatte und beschloß, das Morgengrauen zu erwarten. Gefährlich konnte diese Zögerung nicht werden, da man nach seiner Meinung in Norland nicht kriegsbereit war und genug mit der Unterdrückung des Aufstandes zu thun hatte.

Nur eine Stunde später hellten sich bereits die Höhen auf, während das Thal noch im Dunkel lag. Der Major stand hinter einem Baume und blickte hinab. Die Nebel wirbelten und wallten unten wie eine unruhige See, und es war bereits genug Licht vorhanden, um ein sicheres Ziel zu nehmen. Er konnte die Straße unten auf eine ganze Viertelstunde ihrer Länge bestreichen. Sein Feuer mußte dem Feinde geradezu fürchterlich werden, und wer zwischen dem Thale und der Schanze war, konnte unmöglich wieder zurück. Er ließ sechs Geschütze hinunter und die übrigen zwei gegen die letzte Krümmung der Straße richten.

Da ertönte von den Vorposten her lebhaftes Gewehrfeuer. Der Hauptmann war angegriffen worden. Der Feind hatte in den Gegnern nur Gebirgsbewohner erkannt und einen so scharfen Vorstoß unternommen, daß sich der Hauptmann, allerdings ohne Verlust, zurückziehen mußte. Kaum hatte er sich mit seinen Leuten hinter die Schanze geflüchtet, so erschien der Feind, jetzt Schützen an der Spitze. Er stutzte beim Anblicke des Verhaues einen Augenblick, rückte dann aber zum Angriffe vor. Wallroth ließ ihn so nahe wie möglich herankommen; dann flogen die Masken von den Geschützen und der Adler Norlands erhob sich über der Schanze.

»Feuer!« kommandirte er.

Die acht Geschütze krachten zu gleicher Zeit. Ein Hagel von Kartätschen riß die Jäger, so weit sie um die letzte Biegung erschienen waren, förmlich nieder, und unten vom Thale empor schallte ein Geheul, welches nur zu sehr bewies, daß die Kugeln ihre Schuldigkeit gethan hatten. Der Krieg hatte begonnen! –

Am andern Morgen tönte Glockengeläute durch ganz Norland. Wie durch einen Zauberschlag hatte sich selbst bis in das kleinste Dorf die Nachricht verbreitet, daß der König die bisherige Regierungsform aufgegeben, die verhaßten Räthe und Minister entfernt habe und seinem Volke eine Konstitution geben werde. Dieses Volk solle seine selbstgewählten Vertreter an den Hof schicken, um die Konstitution zu berathen. Und bereits wurde überall Max Brandauer genannt, dem diese hohe Errungenschaft zu verdanken sei. Die Proklamationen des Königs waren an allen Ecken angeschlagen und unter dem Namen desselben mit "Max Brandauer, Geheimerath," unterzeichnet. Der König selbst hatte es so befohlen. Im ganzen Lande war keine einzige Stimme zu hören, welche eine feindselige Äußerung hätte thun mögen oder dürfen, und als man nun auch erfuhr, welche Gefahr dem Staate gedroht habe und mit welchen Mitteln dieselbe abgewendet worden sei, war an allen Ecken und Enden eine Entrüstung zu spüren, in welche selbst Diejenigen mit einstimmen mußten, welche geheimen Antheil an den revolutionären Umtrieben gehabt hatten.

Am Nachmittage erschien eine zweite Proklamation des Königs, in welcher er den Einfall der Süderländer bekannt machte und seine Streiter zu den Waffen rief. Dies fachte den Patriotismus zu doppelter Höhe an. Alles eilte freudig zu den Fahnen und noch im Laufe des Tages liefen von verschiedenen Orten telegraphische Petitionen ein, in denen um die Erlaubniß zur Bildung von Freiwilligenregimentern gebeten wurde. Der König und sein "Geheimerath" hatten ganz gewiß eine außerordentliche Menge von Arbeiten zu überwältigen. – –

Der Tag, an dem die beiden Sternburgs Tremona verlassen hatten, war vergangen, und der andere Morgen brach an. Ganz in der Frühe hielt ein Reiter auf Schloß Sternburg zu. Es war ein Offizier. Er mußte am Thore klopfen, da dasselbe noch gar nicht geöffnet war.

Der Kastellan erschien und ließ ihn ein.

»Nurwan-Pascha?« frug der Ankommende.

»Ist da, schläft aber noch.«

»Wecken Sie ihn und melden Sie mich. Hier ist meine Karte. Ich gehe einstweilen in den Garten.«

Nach zehn Minuten erschien Horn dort, um ihn zum Pascha zu führen. Dieser stand im Empfangszimmer.

»Ich komme direkt von Sr. Majestät, dem Könige,« meinte der Offizier nach der ersten Begrüßung, »und habe Ihnen dieses Couvert zu übergeben.«

Der Pascha runzelte die Stirn.

»Es enthält jedenfalls meine Instruktionen. Sie sind Flügeladjutant des Königs und kennen jedenfalls den Inhalt dieses Schreibens, nicht?«

»Ja. Es ist mir in die Feder diktirt worden.«

Katombo erbrach das Couvert und überflog den Inhalt.

»Es ist so, wie ich dachte, aber bitte, Herr Generalmajor, kommen Sie!«

Er führte ihn hinaus auf den Balkon, von welchem aus man den Hafen überblicken konnte.

»In diesem Schreiben werden meine gestrigen Bedingungen acceptirt; Seine Majestät sind so gütig, mir den Oberbefehl über die im Hafen von Tremona liegende Flotte zu übertragen; aber nun frage ich Sie, wo diese Flotte ist. Bemerken Sie vielleicht eine einzige Spur von derselben?«

»Ah! Wie kommt das?«

»Noch gestern Abend lagen vierzehn Kriegsschiffe hier; über Nacht sind sie verschwunden. Kehren Sie zurück, melden Sie es dem Könige und ersuchen Sie ihn in meinem Namen um Aufklärung!«

»Ich verstehe, ich begreife das nicht!«

»Ich noch weniger. Es ist nicht nur hier im Reiche, sondern auch in Norland bekannt, daß ich den Oberbefehl über Ihre Marine übernehmen soll; ich trete in Verhandlung; ich sage zu; ich erhalte die Instruktion sofort, noch heute Morgen auszulaufen, Süderhafen zu nehmen und die norländische Küste zu blockiren, und gerade in diesem Augenblicke erhalten die Fahrzeuge den Befehl, zu verschwinden.«

»Ich weiß von keinem Befehle, Excellenz!«

»Können die Kapitäns ohne einen solchen handeln?«

»Allerdings, nein!«

»Sie gestehen dies selbst zu. Fragen Sie den König; ich kann nichts thun, als die Antwort abwarten.«

»Wäre es nicht besser, Excellenz, Sie begleiteten mich?«

Der Pascha schüttelte stolz den Kopf.

»Ich habe die Weisung auszulaufen, nicht aber, bei Hofe anzulaufen oder den König zu überlaufen. Ich habe mich nicht um das Kommando beworben, sondern ich wurde hierher gerufen und folgte zugleich dem Willen des Großherrn, meines Gebieters. Erhalte ich nicht bis heut Abend Aufklärung, so reise ich ab. Leben Sie wohl, Herr Generalmajor!«

Er machte eine Verbeugung und wandte sich ab. Der höchst betretene Offizier verließ das Schloß.


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