Carl May
Scepter und Hammer
Carl May

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XI.
Paroli.

Es war am Abende. Ein feiner, dichter Regen fiel vom Himmel nieder, so daß auf den Straßen der Residenz nur Diejenigen verkehrten, welche die Nothwendigkeit aus ihren Wohnungen trieb. Der Posten, welcher vor dem Polizeigebäude auf und ab patrouillirte, hatte sich fest in seinen Mantel gehüllt und murmelte zuweilen ein zorniges Kraftwort über das unfreundliche Wetter, dem er sich in Folge seiner dienstlichen Obliegenheiten preisgeben mußte.

Ein hochgewachsener Mann, der einen weiten Gummirock mit Kapuze trug, kam die Straße heraufgeschritten und trat durch das Portal in das Gebäude. Der diensthabende Polizist im Flure desselben trat ihm einen Schritt entgegen.

»Was wünschen Sie?«

»Ist der Inspektor zu Hause?«

»Der Herr Inspektor, wollen Sie wohl sagen! Er ist zwar da, aber nicht mehr zu sprechen.«

Statt aller Antwort drehte sich der Mann um und schritt auf die Treppe zu. Der Polizist eilte ihm nach und faßte ihn am Arme.

»Ich sagte, daß der Herr Inspektor nicht zu sprechen sei.«

Der Andere schlug jetzt die Kapuze zurück und frug:

»Kennen Sie mich?«

Der Beamte trat erschrocken einen Schritt zurück.

»Durchlaucht Excellenz! Verzeihung, ich konnte Ew. Hoheit ganz unmöglich erkennen!«

Der Herzog von Raumburg, denn dieser war es, nickte kurz und stieg dann zur ersten Etage empor, in welcher sich die Wohnung des Inspektors befand. Dort angekommen, öffnete er ohne Weiteres eine Thür und befand sich seinem Untergebenen gegenüber, den über den unvermutheten Besuch eine sichtliche Überraschung befiel.

»Durchlaucht!«

»Schon gut; lassen wir alle Komplimente! Sie kennen meine Gewohnheit, Alles selbst zu sehen, mich von Allem so viel wie möglich selbst zu überzeugen. Ich komme, die Polizeigefängnisse zu revidiren. Ist Alles in Ordnung?«

»Alles,« antwortete der Inspektor, nach einem Schlüsselbunde greifend.

»Lassen Sie die Schlüssel! Sie wissen, daß ich einen Hauptschlüssel für die Schlösser sämmtlicher Landesanstalten besitze. Ist bereits abgespeist?«

»Ja.«

»Die Gefangenen haben die Strohsäcke in ihre Zellen bekommen und werden nun eigentlich nicht mehr gestört?«

»So ist es, Excellenz!«

»Sind alle Schließer da?«

»Nur der wachthabende; die andern haben frei.«

»Gut. Er wird mich führen, und Ihre Begleitung ist also nicht nöthig.«

Der Herzog verließ das Zimmer und schritt dem ihm wohlbekannten Theile des Gebäudes zu, in welchem sich die mit Nummern versehenen Gefängnißzellen befanden. Sie lagen an den Seiten von zwei Korridoren, welche den ersten und zweiten Stock des Hinterhauses bildeten. Der Jour habende Schließer erkannte ihn sofort und stellte sich in devotester Haltung zur Disposition.

»Revidiren!« klang es kurz und befehlshaberisch.

»Wo, Excellenz?«

»Zunächst oben!«

Sie stiegen eine zweite Treppe empor. Der Schließer öffnete eine Zellenthür nach der andern und leuchtete in die engen Räume, in welche der Herzog einen kurzen Blick warf. Fast waren sie damit fertig, als Raumburg frug:

»Haben Sie Trinkwasser oben?«

»Nein; es befindet sich im unteren Korridore.«

Der Herzog hatte dies bereits bemerkt und gerade deshalb dieses Mittel gewählt, den Beamten auf eine kurze Zeit zu entfernen.

»Es gibt hier eine Luft, welche in Folge des Zellendunstes beinahe unerträglich ist. Holen Sie mir ein Glas frisches Wasser!«

Der Schließer beeilte sich, diesem Befehle schleunigst nachzukommen. Kaum hatte er den Gang verlassen, so trat der Herzog zu einer Thür, welche eine nach dem Boden führende Treppe verschloß. Mit Hilfe seines Hauptschlüssels war sie in drei Sekunden geöffnet; dann schloß er ebenso die Zelle auf, in welcher Helbig detinirt war, und zog ein Bündel unter seinem Rock hervor.

»Schnell, schnell! Hier ist der Strick. Dort hinauf!«

Helbig ergriff das Bündel und huschte die dunklen Stufen empor. Der Herzog verschloß die beiden Thüren hinter ihm und war damit vollständig fertig, als der Schließer das Wasser brachte. Die Revision wurde fortgesetzt.

Als der Herzog vorhin auf das Polizeigebäude zuschritt, war ihm von weitem ein Mann gefolgt, welcher sich ungesehen von ihm und dem Militärposten so plazirte, daß er den Eingang des Gebäudes im Auge zu behalten vermochte. Es war Max, der Sohn des Hofschmiedes Brandauer. Aus dem belauschten Gespräche zwischen Raumburg und Helbig hatte er mit Sicherheit geschlossen, daß heut etwas gegen ihn, Zarba und den Hauptmann unternommen werde, und daher den Palast des Herzogs aufgesucht, um das Nöthige zu beobachten. Seine Vermuthung bestätigte sich; er sah den Herzog seine Wohnung verlassen und folgte ihm auf dem Fuße bis hierher.

Er nahm als gewiß an, daß Helbig sein Gefängniß heimlich verlassen werde; da er aber die Art und Weise nicht kannte, in welcher dies bewerkstelligt werden sollte, so konnte er nicht den Mörder beobachten, sondern mußte sich begnügen, seine Aufmerksamkeit auf den Herzog zu richten.

Er hatte beinahe eine volle Stunde gewartet, als er den Letzteren endlich aus dem Portale treten und die Straße hinabschreiten sah. Er folgte ihm. Raumburg bog in die nächste Seitenstraße ein und folgte dann einigen engen Gassen, die ihn an die hintere Seite des Polizeigebäudes führten. Dieses lag außerhalb der inneren Stadt, und seine Rückfront stieß an das offene Feld, welches hier die Spuren einiger alter Festungsgräben zeigte, die nicht zugeschüttet worden waren. In den Vertiefungen wucherte ein üppiges Weidengebüsch, zu welchem der Herzog seine Schritte lenkte. Dort angekommen, stieß er einen leisen Pfiff aus, und sofort tauchte die Gestalt Helbigs vor ihm empor.

»Helbig!«

»Hier!«

»Alles gut?«

»Ja.«

»Wo ist das Seil?«

»Es hängt noch.«

»Wirst Du wieder hinaufkommen?«

»Ja, wenn ich wirklich wieder in die Zelle muß. Aber ich denke, Sie wollen mir die Freiheit schenken!«

»Du sollst sie auch haben, aber auf anderem Wege. Du kehrst in Deine Zelle zurück, und ich werde dafür sorgen, daß durch ein Alibi Deine Unschuld bewiesen wird.«

»Es ist finster, und Niemand wird das Seil bemerken, mit dessen Hilfe ich wieder hinauf zum Bodenfenster klettere; aber wie komme ich von dort oben wieder in meine Zelle?«

»Sobald Du oben bist, wirfst Du das Seil herab; ich werde es dann selbst entfernen. Natürlich kann ich Gründe haben, gegen Morgen das Gefängniß nochmals zu revidiren; Du wartest hinter der Bodenthür, bis ich diese öffne. Es wird morgen Niemand ahnen, daß Du während der Nacht das Gefängniß verlassen hast.«

»Und nun meine Aufgabe, gnädiger Herr?«

»Du gehst zunächst in meinen Garten. In derjenigen hinteren Ecke, welche nach dem Flusse zu liegt, findest Du ein Paket. Es enthält einen vollständigen Handwerksburschenanzug, den Du anlegst. Hast Du Geschick genug, für einen Schmiedegesellen zu gelten?«

»Wird mir nicht schwer fallen, Durchlaucht.«

»Schön! Hier hast Du ein Wanderbuch, in welchem Du natürlich vorher die Visa nachsehen mußt. Kennst Du Brandauers Hofschmiede?«

»Ja.«

»Dorthin gehst Du und sprichst um ein Nachtlager an.«

»Sie werden mich in die Herberge weisen.«

»Ich habe Erkundigung eingezogen und erfahren, daß der Meister sehr oft wandernde Gesellen bei sich behält, wenn ihm ihr Äußeres und ihre Legitimation gefällt. Dein Wanderbuch wird Dich ihm empfehlen; das Übrige ist Deine eigene Sache. Du mußt auf alle Fälle versuchen, bleiben zu dürfen; halte Dich an die Gesellen; Hier hast Du Geld, ihnen ein Gratial zu geben. Und solltest Du partout gehen müssen, so benütze Deine Zeit wenigstens dazu, Dich mit der Örtlichkeit vertraut zu machen, damit es Dir gelingt, Dich heimlich einzuschleichen.«

»Und was kommt dann?«

»Der Schmied hat einen Sohn, Namens Max, welcher in der Stube über der Schmiede schläft. Auf der andern Seite wohnt eine Zigeunerin und ein verabschiedeter Artilleriehauptmann; das sind drei Personen, für welche ich Dir hier dieses Messer und diesen Revolver gebe; er ist geladen. Weiter kann ich nichts sagen.«

»Ist auch nicht nöthig! Sie können sich darauf verlassen, daß ich stets vollbringe, was ich mir einmal vorgenommen habe. Geht es im Stillen mit dem Messer, so ist es mir um so lieber; gelingt es aber nicht, so schieße ich die Drei ganz einfach vor Aller Augen nieder. Für meine Person ist keinerlei Gefahr dabei.«

»Du kleidest Dich dann in meinem Garten wieder um, wo ich in der hintersten Laube auf Dich warten werde. Gelingt Dir Alles gut, so bist Du in wenigen Tagen frei und ich statte Dich so aus, daß Du ohne Sorgen leben kannst. Jetzt geh!«

Helbig verschwand. Der Herzog wartete noch einige Minuten und entfernte sich dann auch. Jetzt erhob sich kaum einige Fuß von dem Platze, an welchem die Beiden gestanden hatten, Max vom Boden. Er hatte jedes Wort der für ihn so gefahrdrohenden Unterredung vernommen.

»Ein sauberes Paar! Der Plan ist wahrhaftig so verwegen, daß wir sehr bedeutende Personen sein müssen, von deren Entfernung höchst Wichtiges abzuhängen scheint. Diesen Helbig werde ich bekommen, und den Herzog später auch, trotzdem ihm sein Rang den besten Schutz gewährt!«

Er kehrte nach der Schmiede zurück.

Dort saßen heut die Gesellen nicht wie an schönen Abenden im Freien, sondern sie hatten sich in der Werkstatt plazirt. Thomas fehlte; es waren also nur Baldrian, Heinrich und die Lehrlinge anwesend.

»Wenn ich nur wüßte, warum der Thomas verreist ist!« meinte Heinrich, der Artillerist. »Es muß das einen ganz besonderen Grund haben.«

»Das ist am Den!« nickte Baldrian, der Grenadier.

»Kannst Du Dir nichts denken?«

Baldrian schüttelte mit dem Kopfe, und Heinrich fuhr fort:

»Erst eine Depesche und dann der Obergeselle auf Reisen – es geht Etwas vor. Meinst Du nicht auch, Baldrian?«

»Das ist am Den!«

»Droben die Zigeunerin und der Hauptmann; dann der junge Herr immer auf dem Sprunge – es geht Etwas vor! Hast Du das Gesicht gesehen, welches er machte, als er jetzt kam?«

Baldrian nickte.

»Das sah aus, als hätte er etwas ganz Außerordentliches erlebt. Er war fadennaß, und der Schmutz lag so dick auf seinen Hosenbeinen, als hätte er draußen auf dem Felde gelegen. Nun ist er mit dem Meister hinauf zu der Zigeunerin, wo sie Allerlei verhandeln, als ob großer Kriegsrath abgehalten würde, gerade wie damals, als wir vor Hochberg lagen und kein Mensch Rath wußte, bis ich endlich der ganzen Generalität aus der Patsche half.«

»Du?« frug Baldrian verwundert.

»Ja, ich. Das war nämlich so: Wir belagerten Hochberg schon sechs Wochen lang und konnten doch das Nest nicht bekommen. Der Oberstkommandirende war ganz grimmig darüber, hielt einen Kriegsrath nach dem andern und konnte doch zu keinem Ziele kommen. Eines schönen Tages saßen sie wieder beisammen, und ich hatte den Zimmerpostendienst. Jeder hatte eine andere Meinung; der Generalissimus fluchte und wetterte, daß es krachte, und sagte endlich: »Die Schuld liegt daran, daß wir weder von der Befestigung noch von der Vertheidigung etwas Genaues wissen. Ich wollte der Sache bald ein Ende machen, wenn ich drin Jemand hätte, der mir Alles sagte.«

Die Rede leuchtete mir ein; ich konnte mich nicht halten und trat vor.

»Zu Befehl, Herr Generalissimus; schicken Sie mich hinein. Ich werde auf den Thurm steigen und mir Alles genau ansehen.«

»Du?« frug er. »Ja so, Du bist ja der Heinrich Feldmann, der berühmteste und gescheidteste Artillerist in meinem ganzen Heere! Getraust Du Dir das wirklich zu Stande zu bringen?«

»Zu Befehl, ja!«

»Gut; ich gebe Dir jetzt sofort Urlaub. Laß Dich ablösen und handle ganz nach Deinem Ermessen; ich weiß, daß Du ein guter strategischer Kopf bist und mir meinen Feldzugsplan nicht verderben wirst. Wenn es Dir wirklich gelingt, so bekommst Du eine lebenslängliche Pension von jährlich fünfhundert Thalern.«

»Ich ließ mich also ablösen, setzte mich auf meinen Fuchs, denn ich war doch reitender Kanonier und durfte mich zu Fuße nicht blamiren, und ritt im Galopp gegen die Festung. Sie hielten mich für einen Parlamentär und dachten schon, wir wollten uns ihnen ergeben; darum machten sie schnell das Thor auf und kamen in hellen Haufen herbei, um mich zu empfangen. Indem ich mir nun die Leute ansehe, erblicke ich unter ihnen den ganz obersten Festungskommandanten. Da fährt mir ein kühner, gewaltiger Plan durch den Kopf, denn ich hatte bemerkt, daß die Kirchthür offen stand. Ich reite also auf den Kerl zu, packe ihn bei der Gurgel, reiße ihn zu mir herauf auf den Fuchs und sprenge mit ihm nach der Kirche. Hinter uns ertönt ein ungeheures Wuthgeheul; ich aber kehre mich nicht im Geringsten daran, sondern galoppire die vier Thurmtreppen hinauf bis auf den Glockenboden. Dort steige ich ab und werfe den Kommandanten vom Pferde; er war in eine Ohnmacht gefallen, und da ich keine ästhetischen Tropfen mit hatte, konnte ich ihm nicht helfen. Im Nu habe ich die Fallthüre zugeworfen und schiebe den Riegel vor. Aber das ganze Heer der Belagerten war mir nachgestiegen und wollte die Fallthür sprengen. Was ist da zu thun? Ich schraube also die drei Glocken los und wälze sie auf die Thür. Das war meine Rettung. Nun binde ich dem Kommandanten die Hände und Füße und gucke durch das Schallloch hinaus. Ich kann da die ganze Befestigung überblicken und gebe unsern Leuten durch Zeichen zu verstehen, was sie machen sollen. Auf diese Weise dauerte es nur fünf Tage, und die Festung war unser. Der Feind wußte natürlich, daß ich die Hauptrolle dabei spielte, und ich wurde darum von der obersten Treppe aus ganz fürchterlich belagert; aber die Glocken waren so schwer, daß ich keine Sorge zu haben brauchte. Gehungert habe ich während dieser fünf Tage auch nicht, denn der Kommandant war gerade als ich kam, beim Konditor gewesen, um seiner Frau fünf Pfund Chokolade und drei Pfund Marzipan mitzunehmen; davon haben wir gelebt, und es schmeckte gar nicht übel. Der Fuchs aber steckte von Zeit zu Zeit den Kopf zum Schallloche hinaus und fraß das Stroh und Heu aus den Dohlen- und Schwalbennestern, die es da draußen in Menge gab. Als die Unsrigen die Festung erstürmt hatten, bauten sie mir auf jeder Treppe einen Triumphbogen mit allerlei Fahnen und Guirlanden, und ich bin wieder hinuntergeritten, daß es puffte.«

»Das ist am Den!« nickte Baldrian mit einem Gesichte, als ob er an der fürchterlichsten Kolik litte.

»Willst Du es etwa nicht glauben? Für die Gefangennahme des Festungskommandanten bekam ich extra eine goldene Medaille geschlagen, die mir aber auch irgendwo abhanden gekommen ist, und die Pension beziehe ich noch heut; Ihr seht nur nichts davon, weil ich das Geld stehen lasse, bis es mir einmal gefallen wird, mich zur Ruhe zu setzen.«


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