Carl May
Scepter und Hammer
Carl May

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Zarba war von dem Vorgange tief erschrocken, und dennoch ging eine tiefglühende Röthe über ihr braunes Angesicht. Der Fremde trat zu ihr und faßte ihre Hand.

»Wer ist der Mensch, der es wagt, Dich zu umarmen?« frug er.

»Katombo.«

»Katombo –? Das ist sein Name, und mir nicht genug!«

»Er ist – mein – – Bruder,« antwortete sie stockend.

»Dein Bruder? Nichts weiter?« frug er, den am Boden Liegenden mit finsterem Auge musternd.

»Nichts weiter!«

»Ah! Umarmt und küßt man einen Bruder in dieser Weise?«

Sie schwieg, sichtlich in tiefer Verlegenheit. Er legte den Arm um sie und zog sie trotz ihres Widerstrebens an sich.

»Wenn er wirklich nur Dein Bruder ist, so mag er auch sehen, was ich thue.«

Er näherte seine Lippen ihrem Munde, kam aber nicht zum Kusse, denn ein lauter Schrei des Hundes ließ ihn hin nach diesem blicken. Trotz der Gefährlichkeit eines solchen Vorhabens hatte Katombo dem über ihm stehenden Thiere mit einer blitzschnellen Bewegung beide Hände um den Hals geschlagen und ihm die Kehle so zusammengedrückt, daß es machtlos zu Boden sank.

»Mensch, was wagst Du!« rief der Jäger, nach seiner Büchse fassend. »Laß ab vom Hunde, oder ich schieße Dich nieder!«

Katombo lag noch immer am Boden. Er lächelte ruhig.

»Vom Hunde lassen, daß er mich dann zerreißt?« frug er. »Mensch, Du bist außerordentlich klug!«

Mit der Linken den Hund festhaltend, zog er mit der Rechten sein Messer hervor und stieß die Klinge desselben dem Thiere bis an das Heft zwischen die Rippen.

»So stirb!« schnaubte der Jäger, das Gewehr zum Schusse erhebend.

Er drückte auch wirklich ab. Der Zigeuner warf sich gedankenschnell zur Seite; die Kugel bohrte sich hart neben seinem Kopf in den Boden. Im Nu sprang er jetzt auf, stürzte sich auf den Gegner, riß diesen nieder und schwang sein Messer über ihm.

»Stirb Du jetzt!«

Der Stoß wäre unbedingt tödtlich gewesen, wenn nicht Zarba den hoch erhobenen Arm gefaßt und mit Aufbietung aller Kraft gehalten hätte. »Thue ihm nichts, Katombo, es ist der Herzog!«

»Und wenn er der König wäre! Warum hast Du vorher nicht auch ihm gesagt, daß er mir Nichts thun soll?«

Er versuchte, seinen Arm aus ihren Händen zu befreien, während er mit dem andern den sich bäumenden Gegner fest am Boden hielt. Es gelang ihm, und sicher hätte er seine Drohung wahr gemacht, wenn nicht ein zweites und viel nachhaltigeres Hinderniß eingetreten wäre.

»Halt!« erscholl es laut und gebieterisch von der Seite her, nach welcher hin sich das Lager der Zigeuner befand.

Es war die Vajdzina, welche den Schuß gehört hatte und mit den Ihrigen herbeigeeilt war. Sie schlug bei dem Anblicke des zu Boden Gerissenen vor Schreck die Hände zusammen.

»Der Herzog! Der hohe, gute, schöne, blanke Herr, der uns erlaubt hat, hier im Gehege zu lagern und so viel Wild zu verspeisen, wie wir wollen! Bist Du wahnsinnig, Katombo? Laß ihn los!«

Der Zigeuner gehorchte und erhob sich, doch ohne das Messer wegzuthun. Auch der Jäger stand auf; sein Angesicht glühte vor Grimm und Beschämung. Die Zigeunermutter ließ sich vor ihm auf das Knie nieder und zog den Saum seines Rockes an die Lippen.

»Verzeiht ihm, großmächtigster Herr! Er ist sanft und gut, und Ihr müßt ihn sehr gereizt haben, daß er es gewagt hat, sich an Euch zu vergreifen.«

»Gereizt? Kann ein solcher Bube sich erfrechen, sich für gereizt zu erklären von dem Herzog von Raumburg?«

»Er wollte Zarba küssen und schoß auf mich!« entschuldigte sich Katombo.

»Er erstach meinen besten Hund!« knirschte der Herzog. »Hund um Hund, Blut um Blut!«

Er griff nach der Büchse, die ihm entfallen war. Ihr zweiter Lauf war noch geladen. Er erhob sie, um gegen Katombo loszudrücken. Da aber trat Einer aus der Zahl der Zigeuner hervor und stellte sich vor die Mündung des Gewehres.

»Legt die Waffe weg, Herr! Mein Name ist Karavey; Katombo ist mein Bruder, und wenn Ihr nicht von ihm laßt, so ist es sehr leicht möglich, daß es Euch wie Eurem Hunde geht!«

»Oho! Wollt Ihr Beide des Todes sein? Ich pflege nicht zu spassen, am allerwenigsten aber mit Gesindel von Eurer Sorte!«

Die Vajdzina trat nochmals zwischen die Streitenden.

»Seid gnädig, Herr General! Der Zorn spricht oft Worte, von denen das Herz Nichts wissen mag. Der Gitano kennt keinen andern Richter als seinen Vajda und seine Vajdzina; jedem andern weiß er sich zu entziehen; das gebietet ihm sein Gesetz. Wenn Katombo Euch beleidigt hat, so klagt ihn an, und ich werde ihn zu strafen wissen.«

Der Grimm des Herzogs schien einer entgegengesetzten Gesinnung Platz zu machen; er lächelte satyrisch und meinte:

»Ihr wollt die Richterin sein? Nun wohl; ich werde mich Eurem Gebrauche fügen. Dieser Mensch hat meinen Hund getödtet und mir nach dem Leben getrachtet; womit werdet Ihr ihn bestrafen?«

»Welche Strafe verlangt Ihr?«

»Ich verlange sein Leben, fünfzig Hiebe für Denjenigen, der sich seinen Bruder nannte, und dann die Räumung des Geheges. Ich habe Euch aus Gnade und Barmherzigkeit die Erlaubniß ertheilt, hier sein zu dürfen, und es kann nicht meine Absicht sein, dafür in Lebensgefahr zu schweben.«

»Hoher Herr, Eure Güte war groß, aber die Dankbarkeit der Vajdzina war auch so, wie Ihr sie verlangtet,« antwortete die Alte mit einem unwillkürlichen Seitenblick auf Zarba. »Ihr hetztet den Hund auf Katombo, daher wurde er von diesem getödtet; Ihr wolltet Katombo erschießen, daher suchte er sich zu vertheidigen. Wählt eine mildere Strafe!«

»Nun wohl, Alte, ich will mich auch jetzt noch gnädig finden lassen. Ich hetzte den Hund auf diesen Burschen, der sich von Zarba küssen ließ, und er tödtete ihn, weil dann ich sie küssen wollte. Wenn jetzt Zarba vor allen Euren Augen mich dreimal küßt, soll Alles vergeben sein.«

Das Mädchen erglühte und Niemand antwortete,

»Nun?« frug der Offizier. »Es steht in Eurer Wahl, meine Gnade zu haben oder vor einem andern und strengen Gerichte zu stehen!«

Die Vajdzina erhob die Hand gegen Zarba:

»Gehe hin und küsse ihn!«

»Halt!« rief Katombo. »Zarba ist meine Braut; ihr Kuß darf keinem Andern gehören, als nur mir allein!«

Der Offizier lächelte verächtlich.

»Ich gebe Euch nur eine Minute Zeit; dann ist es zu spät, und ich lasse die beiden Burschen arretiren.«

»Küsse ihn!« gebot die Mutter zum zweiten Male.

Obgleich tief verlegen und mit verschämtem, glühendem Angesichte, that Zarba doch einen Schritt nach dem Herzog hin.

»Bleib, Zarba,« rief ihr Bruder Karavey. »Eine Gitana küßt nur den Zingaritto!«

»Und mich wirst Du verlieren, wenn Du ihn küssest,« fügte Katombo hinzu.

»So seid Ihr Alle verloren,« entschied der Herzog. »Räumt sofort das Gehege! Wer in einer Viertelstunde in demselben noch betroffen wird, wird als Wilddieb behandelt. Und für die beiden stolzen Gitani werde ich noch extra Sorge tragen.«

»Küsse ihn!« befahl die Mutter zum dritten Male.

»Ich muß, denn die Vajdzina gebietet es!« klang die Entschuldigung Zarba's.

Sie trat schnell auf den Herzog zu, legte die Arme um seinen Nacken und drückte drei flüchtige Küsse auf seine Lippen. Katombo stieß einen Schrei des Schreckens und der Wuth aus und wollte sie zurückreißen; der Vajda aber ergriff ihn am Arme.

»Halt, Katombo! Die Vajdzina hat es geboten, und was sie befiehlt, das wird ohne Widerrede befolgt. Können wir nun bleiben, hoher Herr?«

»Bleibt!« antwortete der Befragte. »Doch hütet Euch in Zukunft sehr, etwas gegen meinen Willen zu unternehmen. Habt Ihr einen Wunsch, so soll ihn mir Niemand sagen, als nur Zarba allein. Merkt Euch das!«

Er wandte sich und ging, ohne Jemand noch eines Blickes zu würdigen. Am Ausgange des Geheges traf er auf einen Wildhüter, welcher mit der Miene tiefster Unterthänigkeit militärisch grüßte.

»Wer hat heut Dienst, Stephan?«

»Alle, Excellenz, da keiner Urlaub nahm.«

»Kennst Du sämmtliche Zigeuner?«

»Ja.«

Seine Miene ließ errathen, daß die Anwesenheit der Genannten nichts weniger als seine Billigung hatte.

»Auch den, welchen sie Katombo nennen?«

»Auch den. Er ist noch das beste Mitglied der ganzen Sippschaft.«

»Warte, bis ich ein solches Urtheil von Dir verlange! Übrigens sollt Ihr die Leute baldigst loswerden; sie haben sich gröblich gegen mich vergangen und werden ihre Strafe erhalten, doch wünsche ich nicht, daß hiervon gesprochen wird. Kannst Du schweigen?«

»Excellenz kennen mich wohl!«

»Allerdings. Getraust Du Dich, diesen Katombo gefangen zu nehmen?«

»Ich werde jedem Befehle Eurer Excellenz gehorchen.«

»Es soll jedes Aufsehen dabei vermieden werden!«

»Sehr wohl!«

»Besonders soll Niemand wissen, wer den Befehl gegeben hat und wohin der Gefangene kommt.«

»Werde es so einzurichten wissen.«

»Ich komme heut Abend in den Forst. Katombo wird sich dann gefesselt im Blößenhause befinden.«

»Wie viel Uhr?«

»Elf.«

»Werde pünktlich sein, Excellenz. Doch wenn er sich wehrt oder zu laut wird, welche Mittel darf ich in Anwendung bringen?«

»Jedes beliebige, welches dazu dient, ihn zum Schweigen zu bringen.«

»Und wenn dann dieses Schweigen etwas länger dauern sollte, als man vorher annehmen konnte?«

»So wird Dir nicht der geringste Schaden daraus erwachsen. Ich will heut Abend Punkt elf Uhr den Zigeuner im Blößenhause haben, das Übrige zu arrangiren ist lediglich meine eigene Sache. Du hast Dich zu der vierten Unterförsterstelle gemeldet?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Weil ich mich der Protektion des Oberförsters nicht zu erfreuen scheine und weil ich auch noch nicht eine solche Dauer mich im Dienste befinde, daß ich auf Berücksichtigung rechnen könnte.«

»Melde Dich!«

»Wenn Durchlaucht befehlen, werde ich es thun!«

»Du wirst die Stelle haben und Deine weitere Zukunft steht ebenso in meiner Hand, wie Du wohl wissen wirst. Nur merke Dir, daß ich strikte Erfüllung meiner Befehle und die strengste Verschwiegenheit liebe.«

Er ging.

Stephan trat zum Thore des Geheges zurück, welches er zuvor offen gelassen hatte, und verschloß es.

Es war früher stets streng verwahrt gewesen, damit das Wild nicht aus dem Gehege zu entfliehen vermochte. Vor einigen Wochen jedoch hatte der Herzog den Befehl ertheilt, eine Zigeunerbande in das Letztere aufzunehmen, ihr den nöthigen Aus- und Eingang zu gestatten und es nicht zu bemerken, wenn diese Leute zuweilen ein Wildpret für ihren eigenen Bedarf verwenden sollten. Diese sonderbare Ordre hatte böses Blut unter dem sämmtlichen Aufsichtspersonale hervorgerufen. Zigeuner im Wildgehege, welches sonst auch dem höchsten Staatsbeamten, dessen Ressort sich nicht auf die Forstwirthschaft erstreckte, verschlossen blieb! Hierzu mußte es eine sehr dringende und vielleicht auch eigenthümliche Veranlassung geben. Man forschte nach ihr und fand sie auch sehr bald.

Unter der Bande befand sich ein Mädchen von so seltener, wunderbarer Schönheit, daß sie Jeden entzückte, der sie zu Gesichte bekam. Auch der Herzog hatte sie gesehen und kam nun täglich in das Gehege, um mit ihr zusammenzutreffen; dies geschah theils in Gegenwart der Zigeuner, theils aber auch heimlich, wie die Forstleute beobachteten, und nun war das Räthsel gelöst. Die Bande durfte ihren Aufenthalt im Wildgarten nehmen und sich sogar an den gehegten Thieren vergreifen, damit der Herzog Gelegenheit finde, mit der schönen Zarba zu verkehren. Das Mädchen schien in ihrer Unerfahrenheit von einem Rausche ergriffen zu sein. Man hatte sie oft an der Seite, ja in den Armen des Herzogs gesehen, und daher kam es dem Forstwart Stephan ganz unerwartet, daß so gewaltthätige Maßregeln gegen ein Mitglied ihrer Familie ergriffen werden sollten, und ebenso war er über die unverhoffte Mittheilung erstaunt, welche sich auf die Entfernung der Zigeuner bezog.

Allerdings frug er sich nicht nach den näheren Gründen des ihm gewordenen Auftrages; der Herzog war sein höchster Vorgesetzter, von dessen Wohlwollen seine ganze Zukunft abhing, und da er ein keineswegs empfindsames Gemüthe besaß, so konnte es bei ihm nichts anderes als den blindesten Gehorsam geben. Den Eingang hatte er verschlossen, um der Gegenwart Katombo's sicher zu sein; jetzt schritt er der Richtung zu, in welcher sich das Zigeunerlager befand.

In der Nähe desselben vernahm er eine zornige Stimme und erkannte, vorsichtig näher tretend und hinter dem Stamme eines Baumes Posto fassend, Katombo, welcher mit zorniger Miene vor Zarba stand.

»Sagte ich Dir nicht, daß ich Dir verloren sei, wenn Du ihn küßtest? Und dennoch hast Du es gethan!« warf er ihr vor.

»Ich habe es gethan, doch nur um Deinet- und um Karaveys willen,« antwortete sie.

»Das glaube ich nicht! Warum verweigertest Du mir den Kuß, als wir noch alleine waren? Warum schickt die Vajdzina mich stets zur Stadt, wenn dieser Herzog in das Gehege kommt? Sollst vielleicht Du das Fleisch, welches wir genießen, bezahlen und die Erlaubniß, hier im Walde bleiben zu dürfen?«

»Bist Du eifersüchtig?« frug sie mit einem Lächeln, in welchem sich doch ein gewisser Grad von Verlegenheit zeigte, welchen er bemerken mochte.

»Eifersüchtig? Ein verständiger Mann kann nie eifersüchtig sein, und ich glaube sehr, daß ich meinen Verstand habe. Der Mann eines treuen Weibes und der Verlobte eines braven Mädchens, Beide haben keine Veranlassung zur Eifersucht; welches Weib aber diese Veranlassung gibt, die ist nicht mehr werth, daß sich das Herz des Mannes mit ihr beschäftigt.«

»Ich mußte thun, was mir die Vajdzina gebot!«

»Du mußtest thun, was ich Dir gebot, denn Deine Lippen waren mein Eigenthum seit dem Tage, an welchem Du mir sagtest, daß Du mich liebtest und meine Braut wurdest. Du hast mir dies Eigenthum zurückgeraubt und an einen Andern verschenkt, der nur ein schnödes Spiel mit Dir treibt; ich lasse es ihm, denn ich verzichte auf jeden Mund, den ein Zweiter nach mir küßte; aber dieser Herzog wird einst besser glauben als vorhin Du, daß ich ein ächter Boinjaare bin, der einen solchen Raub zu vergelten weiß. Meine Schwester wirst Du bleiben, meine Braut aber bist Du gewesen, und mein Weib wirst Du niemals sein!«


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