Carl May
Scepter und Hammer
Carl May

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Er winkte den beiden Alten und schritt von dem Lager weg in den Forst hinein. Sie folgten ihm und bemerkten nicht, daß Karavey hinter ihnen gleichfalls den Ort verließ. In einer genügenden Entfernung blieb der Herzog stehen und wandte sich zu den Beiden zurück.

»Ich habe Euch einige Fragen vorzulegen. Von der Wahrheit Eurer Antworten hängt Euer Glück oder Unglück ab!«

»Sprecht, Herr!« bat die Alte. »Wir werden Euch Alles sagen, was Ihr begehrt.«

»Wer ist der Vater und die Mutter dieses Katombo?«

»Ich bin der Vater,« antwortete der Vajda.

»Und ich die Mutter,« die Vajdzina.

»Behauptet Ihr wirklich, die richtigen natürlichen Eltern zu sein? Man sieht es ja dem Manne an, daß er kein Zigeuner ist.«

Die beiden Alten warfen sich einen Blick des Verständnisses zu; dann antwortete die Vajdzina:

»Er ist ein Zigeuner, Herr, und mein leibhaftiger Sohn.«

»Wo habt Ihr ihn geboren?«

»Weit im Süden auf einer Insel, welche man Sizilien nennt.«

»Und wer war sein Vater?«

»Dieser hier, mein Mann.«

»Ihr lügt!«

»Könnt Ihr mir beweisen, daß ich die Unwahrheit sage?«

»Ich kann es und werde Euch zu diesem Zwecke kurz eine Geschichte erzählen. Habt Ihr den Namen Raumburg nicht bereits früher schon einmal gehört?«

»Wie sollte ich?«

»So waret Ihr auch noch niemals in diesem Lande?«

»Nie.«

»So! Es gab einen Herzog von Raumburg, welcher von den Reizen einer jungen Zigeunerin so hingerissen wurde, wie ich von Zarba's Schönheit. Sie verließ ihren Stamm und ging zu ihm, bis sie uneinig wurden und sie zu den Ihrigen zurückkehrte. Der Herzog verheirathete sich; seine Gemahlin schenkte ihm einen Sohn, welcher einst, als er kaum zwölf Monate zählte, spurlos verschwand. Niemals wurde etwas von dem Knaben gehört, doch erfuhr der Herzog, daß gerade zur betreffenden Zeit Gitani in der Nähe gewesen waren, eine der Zigeunerinnen hatte man mit einem Pakete aus dem herzoglichen Garten kommen sehen. Der Mann, welcher dies erzählte, hatte, als sie vorüber war, sogar die unterdrückte Stimme eines Kindes gehört, so daß er annehmen mußte, daß das Weib ein solches bei sich getragen habe. Wißt Ihr, wer diese Frau war?«

»Nein.«

»Es war die frühere Geliebte des Herzogs, die sich durch den Kinderraub an ihm rächen wollte.«

»Zu einer solchen Behauptung müßten Beweise sein, hoher Herr.«

»Diese sind da, und zwar so deutlich und bestimmt, daß ich Euch sogar den Namen und jetzigen Aufenthaltsort der Thäterin nennen könnte.«

»Man redet den Gitani so viel Böses nach, was nicht wahr, sondern Lüge ist!«

»Ich aber sage die Wahrheit: Ihr waret das Weib, und das geraubte Kind befand sich bis heute bei Euch!«

Er blickte ihr drohend in das Angesicht; sie schien nicht im Mindesten zu erschrecken und antwortete ruhig:

»Wollt Ihr mit zwei armen, alten Leuten einen solchen Spaß treiben, Herr?«

»Spaß? Es ist mein Ernst, der Euch an den Hals gehen kann. Der Herzog, von dem ich Euch erzählte, ließ seinem Kinde sein Familienwappen in den Arm tätowiren, wie es seit uralten Zeiten Familiengebrauch gewesen war. An diesem Zeichen wird man den Geraubten erkennen. Vielleicht befindet er sich schon in diesem Augenblicke vor dem Richter, welcher die Angelegenheit zu untersuchen hat. Ihr werdet das Gehege auf keinen Augenblick verlassen und seid Gefangene des Forstpersonals, bis ich ein Weiteres verfüge.«

Er machte Miene, sich zu entfernen; da ergriff ihn die Alte beim Arme und hielt ihn zurück.

»Bleibt, Herr! Ich will Euch sagen, daß Katombo nicht unser natürlicher Sohn ist. Wir fanden ihn halb verschmachtet im Walde und nahmen ihn zu uns, damit er nicht verhungern sollte.«

»Wo war das?«

»Hier.«

»Ihr kanntet also den Herzog von Raumburg, meinen hochseligen Vater?«

»Ja,« antwortete sie, indem trotz ihres unterwürfigen Tones etwas in ihrem Auge leuchtete, was nicht die mindeste Ähnlichkeit mit Demuth hatte.

»Katombo ist sein Sohn?«

»Wie kann ich das wissen, Herr?«

»Höre Alte, ich will Dir sagen, daß ich hier kein amtliches Verhör anstelle, sondern mir nur die allervertraulichsten Mittheilungen unter dem Siegel der größten Verschwiegenheit ausbitte. Es kann mir nicht gleichgültig sein, ob ich einen Bruder am Leben habe oder nicht, der mich in meinem Erbe und meinen Rechten schmälern könnte. Ihr seht, ich bin aufrichtig. Nur Gewißheit will ich haben. Wenn Ihr ein offenes Geständniß ablegt, soll Euch nichts geschehen, vielmehr habt Ihr dann eher eine Belohnung als eine Strafe zu erwarten.«

Die Beiden blickten sich gegenseitig an, und ihre Augen sagten, daß sie sich verstanden.

»Herr, laßt Ihr uns frei ziehen, wenn wir Euch die Wahrheit sagen?«

»Ja.«

»Wollt Ihr das beschwören?«

»Ich beschwöre es.«

»Daß Katombo Euer Bruder ist, könne wir nicht sagen und nicht gestehen, aber – – halt, Herr, wißt Ihr, wo er sich befindet?«

»Ja.«

»Wo?«

»Bei mir, also in Sicherheit.«

»Ihr werdet ihm kein Leid thun?«

»Nein.«

»Wollt Ihr es beschwören?«

»Ja.«

»Kommt er wieder zu uns?«

»Ja, wenn er will. Will er aber nicht so kann ich ihn nicht halten.«

»Dann will ich Euch sagen: Katombo ist Euer erstgeborener Bruder. Es soll auf Euch ankommen, ob es die Leute erfahren oder nicht.«

Er griff in die Tasche und zog die Börse hervor, welche er ihr entgegenstreckte.

»Hier, nehmt! Es wird Euch Niemand aus dem Gehege treiben; bleibt hier, so lange es Euch beliebt. Vergeßt aber nicht, daß es Euer Verderben ist, wenn ein Mensch erfährt, daß Ihr einen raumburg'schen Prinzen raubtet!«

Zufrieden mit dem Ergebnisse dieses Gespräches, wandte er sich ab. Die beiden Alten kehrten zum Lager zurück, wo die Vajdzina sofort ihrer Tochter Zarba winkte.

»Weißt Du, wo Katombo ist?«

»Nein.«

»Bei dem Herzoge.«

»Beim Herzoge? Wie ist er zu ihm gekommen?«

»Ich weiß es nicht; aber ihm droht Gefahr. Ich glaube, der Herzog will ihn verschwinden lassen.«

»Weshalb?«

»Weil er Dein Bräutigam ist und weil – doch das ist ein Geheimniß, welches nur der Vajda wissen darf. Du kannst ihn retten.«

»Wie?«

»Durch den Herzog. Als dieser Mann zum ersten Male bei uns erschien, habe ich Dir gesagt, daß ich einst seinen Vater liebte, er verstieß mich, und die Liebe des Sohnes zu Dir soll meine Rache sein. Diese Liebe ist auch das Werkzeug, mit welchem Du Katombo retten oder rächen kannst. Du wirst Manches noch nicht verstehen, aber es kommt die Zeit, in welcher Alles klar vor Deinen Augen liegt. Gib Dir den Anschein, als ob Du ihn liebtest!«

»Und Katombo, der mein Bräutigam ist?«

»Wird einige Zeit lang eifersüchtig sein, dann aber verzeihen, denn des Gitano höchstes Gut ist die Rache, und Deine Zärtlichkeit soll mir den Weg zur Vergeltung öffnen. Er liebt Dich, aber wie der Schmetterling die Blume liebt, von welcher er zu einer andern flattert, wenn er die vorige gekostet hat. Wahre daher Dein Herz, aber seine Liebe laß wachsen, indem Du freundlich mit ihm bist, ihm aber Alles versagst, was eine Braut einem Andern nicht gewähren darf. Ich weiß, daß er noch nicht fort ist, vielmehr wird er im Gehege bleiben, um Dich zu treffen. Gehe und versuche ihm zu begegnen, und dann forsche bei ihm nach Katombo, damit wir erfahren, was er mit ihm vorhat!«

Zarba gehorchte. Sie sollte das Werkzeug der Rache sein, aber sie fühlte, daß das Spiel zum Ernst geworden sei. Sie brauchte dem Herzoge gegenüber keine Liebe zu heucheln, nein, sie liebte ihn wirklich, mit aller Gluth ihres kleinen, wilden Herzens. Der hohe, stolze Mann mit seinem sichern, imponirenden Auftreten hatte es ihr angethan, und die Liebe, welche er ihr empfinden und bemerken ließ, machte sie so selig, wie die Zuneigung Katombos es niemals vermocht hatte.

Sie ging um ihn aufzusuchen, aber nicht der Befehl der Vajdzina trieb sie mehr allein dazu, sondern ihr eigenes Herz flog hin zu dem Manne, dem die Liebe der schönen Zingaritta gehörte. Sie traf ihn wirklich sehr bald; er kannte ja den Ort, an welchem sie so oft gesessen hatten, um zu plaudern und zu kosen, ohne daß irgend Jemand eine Ahnung davon gehabt hatte. Er legte die Arme um sie und zog sie an sich.

»Zarba, schon glaubte ich, daß Du nicht kommen würdest.«

»Hast Du schon einmal vergebens auf mich gewartet?«

»Nein. Ich weiß, Du hast mich lieb, und die Liebe ist eine pünktliche Gebieterin. Doch warum erfüllst Du mir den größten Wunsch nicht, den ich habe?«

»Daß ich hin zu Dir komme, wo Du wohnest? Die Vajdzina erlaubt mir nicht, in die große Stadt zu gehen, wo die Menschen so fremd, so stolz und so bös sind.«

»Bin auch ich bös und Dir fremd?«

»Nein.«

»Also warum kommst Du nicht zu mir?«

»Ich darf nicht; ich müßte mich des Nachts fortschleichen, und dennoch würde Katombo es bemerken.«

»Katombo? Ich denke, er ist verschwunden!«

»Er ist bei Dir.«

»Wer sagte es?«

»Die Vajdzina. Warum hältst Du ihn fest?«

»Nicht ich halte ihn, sondern der Richter.«

Sie erschrak.

»Der Richter? Was hat Katombo verbrochen?«

»Viel, sehr viel! Seinen gestrigen Angriff hätte ich ihm verziehen um Deinetwillen, aber er ist dann in die Stadt gekommen, hat sich in meine Wohnung geschlichen und mich meuchlings zu tödten versucht. Er ist dabei ergriffen worden und wird seine Bosheit mit dem Tode büßen.«

»Herr, das ist nicht möglich! Katombo hat noch keinem Menschen ein Leid gethan; er ist es nicht gewesen, der Euch tödten wollte!«

»Er war es, kein Anderer. Wollte er mich nicht bereits gestern tödten?«

»Ihr habt ihn gereizt; vergebt ihm und laßt ihn frei.«

»Das steht nun nicht mehr in meiner Macht.«

»Und dennoch vermögt ihr es! Ihr seid nach dem Könige der mächtigste und gewaltigste Mann im ganzen Lande, und was Euer Wille ist, das muß geschehen.«

»Soll ich einen Menschen retten, den Du freiwillig küssest?«

»Er ist mein Bruder, und ich thue es nicht mehr. Gebt ihn frei!«

»Hätte ich ihn gefangen, so könnte ich dies leicht thun; aber er befindet sich in den Händen der Justiz und es sind so viele Zeugen seines Mordversuches da, daß es beinahe unmöglich ist, die That auf sich beruhen zu lassen.«

Sie schmiegte sich inniger an ihn.

»Du sagst, Du habest mich lieb?« schmeichelte sie.

»Ja.«

»Und willst mir diese Bitte nicht erfüllen? Willst meinen Bruder tödten! Geh, Deine Liebe ist nicht wahr!«

»Dann ists die Deinige auch nicht. Du verlangst von mir, was kein Anderer zu verlangen wagte, und versagst mir doch die Erfüllung des kleinen Wunsches, einmal zu mir zu kommen.«

»Gebiete, Herr, und ich werde gehorchen; nur laß Katombo frei!«

»Wirklich wirst Du kommen? Wann?«

»Wann Du es befiehlst.«

»Dann heut Abend.«

»Aber ich finde den Weg und Deine Wohnung nicht.«

»Ich werde Befehl ertheilen, daß das Gehege nicht verschlossen wird. Gerade eine Stunde vor Mitternacht wirst Du auf der Straße, welche nach der Stadt führt, einen Wagen finden; Du brauchst ihm nur das Wort »Vajda« zu sagen, so nimmt er Dich auf und bringt Dich zu mir. Willst Du?«

»Ja.«

»Er wird nicht mit Dir sprechen, und auch Du sagst nur dies eine Wort, denn es soll Niemand wissen, wer Du bist.«

Sie nickte zustimmend. Sein Auge leuchtete auf, endlich befand er sich jetzt nahe an dem Ziele, welches er sich schon längst in Beziehung auf das schöne Mädchen gesteckt hatte. Noch lange saßen sie in süßer, inniger Umarmung, dann verließ er heimlich das Gehege, und Zarba kehrte zu den Ihrigen zurück. Die Vajdzina winkte sie sofort zu sich.


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