Carl May
Scepter und Hammer
Carl May

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Sechstes Kapitel.
Der Beginn des Kampfes.

Es war am Abende. Der Herzog von Raumburg Excellenz saß an seinem Schreibtische. Zur Seite desselben hatte auf einem Sammtfauteuil sein Sohn, der Erbprinz von Raumburg, Platz genommen. Ihre Unterhaltung war eine lebhafte, aber nicht sehr freundliche.

»Und wie weit bist Du mit dieser famosen Prinzessin Asta?« frug der Vater.

Der Sohn zuckte die Achseln.

»Sie wissen ja, Papa, daß ich diese zarte Angelegenheit nicht als eine gewöhnliche Liaison zu behandeln habe. Ein Projekt von solch eminenter Wichtigkeit muß Zeit finden, sich langsam aus sich selbst heraus zu entwickeln.«

»So! Das heißt doch mit anderen Worten, daß Du gerade noch auf dem Punkte stehst, von welchem auszugehen ich Dir befahl?«

»So ziemlich, chèr Papa. Unsere Dame scheint nicht den Willen zu besitzen, ihre Gefühle der Politik oder den Traditionen irgend eines Herrscherhauses zu opfern. Lassen wir also ihrem Herzchen Zeit, unseren Intentionen entgegen zu kommen, ohne eine Ahnung von ihnen zu haben!«

»Zeit? Heißt das sprechen wie ein Offizier, welcher gewohnt sein soll, jede und also auch diese Art von Eroberung im Fluge zu vollbringen?«

»Sie vergessen, Papa, daß es Festungen gibt, welche nicht durch einen kühnen Handstreich, sondern nur nach langwieriger Belagerung genommen werden können!«

»Ich glaube nicht, daß Prinzeß Asta zu dieser Art befestigter Plätze gehört, ganz abgesehen davon, daß wir nicht die Zeit zu einer langsamen Cernirung und Aushungerung besitzen. Ihre Vorzüge und die glücklichen Chancen einer solchen Allianz fallen nicht blos uns in das Auge, das weißt Du genau wie ich. Daher habe ich allen politischen Scharfsinn angestrengt und kein Opfer gescheut, diesen Besuch, welcher Dir alle möglichen Vortheile bietet, zu Stande zu bringen, und ich habe natürlich das Recht, zu erwarten, daß Du den Moment so viel wie möglich benutzest.«

»Das thue ich ja, Papa, aber unsere Dame ist – ist – nun ja, sie ist, was ich bei einem Pferde obstinat oder maulhart nennen möchte. Es hilft weder Trense noch Schenkeldruck. Scheint sie nichts zu ahnen, oder will sie nichts ahnen, kurz und gut, sie zeigt nicht die mindeste Spur eines auch nur leisen Verständnisses für die liebenswürdigen Absichten, welche wir ihr entgegenbringen.«

»So bist Du in dieser Angelegenheit zu zart, was doch sonst in ähnlichen Dingen ganz und gar nicht Deine Art und Weise ist. Ich erwarte von Dir, binnen wenigen Tagen einen positiven Erfolg verzeichnen zu können. Die Interessen beider Staaten sind bisher aus einander gegangen; ich habe mir Mühe gegeben, sie wenn auch nur scheinbar zu vereinigen, und darf erwarten, daß Du das Ziel aller meiner Bestrebungen kennst und mich auch nach Kräften unterstützest, es zu erreichen. Seine Majestät beginnt zu altern; das Übrige brauche ich wohl nicht näher zu dokumentiren.«

Ein Diener trat ein und überreichte auf einem silbernen Teller eine Karte. Der Herzog ergriff sie mit den Spitzen zweier Finger und warf einen Blick darauf.

»Doktor Max Brandauer? Kenne den Namen nicht. Was will der Mensch zu so ungewöhnlicher Zeit? Es muß wohl etwas Wichtiges sein, was einen Unbekannten zu dem Wagnisse bestimmt, mich jetzt zu stören.«

Durch die dargereichte Hand wurde der Prinz entlassen, während ein leises Neigen des Hauptes dem Diener sagte, daß die Audienz gewährt werde. Die eine Thür schloß sich hinter dem Prinzen, und die andere öffnete sich, um den Schmiedesohn einzulassen, welcher sich nach einer höflichen Verbeugung in aufrechte Stellung emporrichtete, um die Anrede des Herzogs zu erwarten.

»Was wünschen Sie?« frug dieser stolz. »Ich erwarte natürlich, daß die Seltsamkeit Ihres Erscheinens durch die Natur Ihrer Angelegenheit entschuldigt werde. Es ist jetzt nicht die Zeit, in welcher ich unwichtige Besuche zu empfangen pflege.«

»Ich komme im Auftrage Seiner Majestät, Excellenz.«

»Ah! Ich kannte Sie bisher nicht als einen Beamten meines königlichen Vetters!«

»Das bin ich auch gegenwärtig nicht. Ich bin der Sohn des Ihnen wohl wenigstens dem Namen nach bekannten Hofschmiedes Brandauer.«

Die strengen Züge des Herzogs nahmen einen deutlichen Ausdruck ungewöhnlicher Spannung an.

»Ich kenne diesen Namen. Was kann der König mir durch den Sohn eines Schmiedes zu sagen haben. Jedenfalls sind Sie im Besitze irgend einer Legitimation, da Sie begreifen werden, daß ich nicht so ohne Weiteres jede obskure Persönlichkeit als Vermittler zwischen der Majestät und mir anerkennen kann.«

»Hier, Durchlaucht!«

Er überreichte ein Billet, welches der Herzog überflog, um seinen Blick dann fragend wieder auf Max zu richten.

»Ich ersehe aus diesem Handschreiben nicht den Zweck Ihres Kommens.«

»Dann haben Majestät jedenfalls gemeint, daß es zuweilen Schmiedesöhne und andere obskure Menschen gibt, welchen es nicht schwer fällt, sich einer Botschaft mündlich zu entledigen,« antwortete der Doktor mit einer sehr leisen Verbeugung seines Hauptes.

Die Züge des Herzogs verfinsterten sich.

»Vergessen Sie nicht, vor wem Sie stehen, Herr Brandauer, und kommen Sie zur Sache!«

»Durchlaucht befehlen und ich gehorche. Es verlautete nämlich das Gerücht, daß ein gewisser Herr von Wallroth, Hauptmann der Artillerie, von gewisser Seite und aus gewissen Gründen für wahnsinnig erklärt worden sei und auf eine unverantwortliche, ja sogar geradezu verbrecherische und unmenschliche Weise im Irrenhause festgehalten und zu Tode gepeinigt werde.« –

Der Herzog erhob sich. Sein Gesicht war um einen Schatten bleicher geworden.

»Wirklich ein höchst interessantes Gerücht, Herr Brandauer. Wer hat es erfunden und weiter kolportirt?«

»Dem Ursprunge und der Verbreitung eines Gerüchtes läßt sich gewöhnlich nur schwer nachforschen. Allerdings liegt hier eine Ausnahme vor, doch bin ich leider nicht ermächtigt, die Fragen Ew. Durchlaucht zu beantworten.«

»So werde ich Sie zu zwingen wissen. Dieses Gerücht tangirt mich natürlich im höchsten Grade –«

»Ah –!« klang die halb ironische Unterbrechung.

»Was unterstehen Sie sich, Herr! Ich sage, dieses Gerücht tangire mich im höchsten Grade, da die Verwaltung der betreffenden Anstalt meiner obersten Leitung unterstellt ist, und ich wiederhole, daß ich Sie nöthigenfalls zwingen werde, mir das Vorhandensein und die Entstehung des Gerüchtes, von welchem Sie sprechen, ausführlich nachzuweisen.«

»Eine solche Zwangsmaßregel dürfte wohl außerhalb des Machtbereiches Ew. Durchlaucht liegen, da Seine Majestät –«

»Wohl die Macht besitzen, zu begnadigen, nicht aber in den Lauf einer Klage oder Untersuchung einzugreifen. Was hindert mich, Sie festnehmen zu lassen?«

»Ich, der obskure Schmiedesohn, Excellenz!«

»Ah! Der Umstand, daß mein königlicher Vetter die seltsame Passion besitzt, sich zuweilen an dem Ambose Ihres Vaters zu erlustiren, ist für mich kein Grund zu irgend einer Nachsicht gegen Sie. Ich befehle Ihnen also, mir den Erfinder dieses Gerüchtes mitzutheilen!«

»Ich kenne keinen zwingenden Grund, diesem Befehle gehorsam zu sein, und wenn ich demselben trotzdem nachkomme, so geschieht es nur, um meinerseits einer unangenehmen Erledigung meines Auftrages überhoben zu werden. Ich könnte mich recht gut hinter andere Persönlichkeiten verbergen, doch gibt es auch obskure Leute, welche stolz genug sind, eine solche Feigheit zu verschmähen. Der Erfinder und Verbreiter des Gerüchtes steht vor Ihnen, Durchlaucht.«

Der Herzog trat überrascht einen Schritt zurück.

»Und das – das wagen Sie zu sagen?«

»Ich sage es einfach; ein Wagniß ist dabei nicht zu erkennen, da jeder gegen mich gerichteten Gewaltmaßregel durch meinen königlichen Pathen vorgebeugt worden ist. Allerdings habe ich mich eines falschen Ausdruckes bedient, als ich sagte, daß ich der Erfinder des Gerüchtes sei; es wurde nicht erfunden, sondern es erzählte die lautere Wahrheit.«

»Ich wäre begierig, den Beweis zu hören!«

»Die Einlieferungsakten des Hauptmanns befinden sich bereits in den Händen Seiner Majestät –«

»Unmöglich!«

»Nicht nur möglich, sondern sogar Thatsache. Diese Akten bestehen außerordentlicher Weise nur in einem kurzen Befehle, dessen Unterschrift ich wohl nicht näher zu bezeichnen brauche.«

»Wer hat das Schriftstück ausgehändigt?«

»Der Anstaltsvorstand natürlich. Er wurde sogar gezwungen, eine andere Akte auszuliefern, welche ihm durch einen Expressen übermittelt wurde, um der Mutter des Hauptmanns ganz dasselbe Schicksal zu bereiten, welches ihren Sohn in die Nacht des Wahnsinns oder des Todes stürzen sollte.«

Der Herzog mußte sich sammeln. Er stützte sich mit der Hand auf den Schreibtisch und frug dann mit belegter Stimme:

»Die Mutter des Hauptmanns? Er ist mir bei meinen Besuchen in der Anstalt vollständig entgangen. Hat er eine Mutter?«

»Allerdings, und natürlich wohl auch einen Vater.«

»Wie heißt sie?«

»Es ist eine Zigeunerin Namens Zarba, und der Vater, welcher auch noch lebt, ist ein –«

»Pah, wir haben es hier wohl nur mit der Mutter zu thun!«

»Ganz, wie Excellenz wünschen! Also das Gerücht fand bei mir seinen Ausgang und wurde –«

»Ich begreife nicht, wie Sie auf eine solche Absurdität fallen konnten!«

»Ich pflege weder absurd zu denken, noch abgeschmackt zu handeln, Excellenz. Also das Gerücht wurde von mir dem Könige mitgetheilt, welcher mich mit dem Auftrage beehrte, als Regierungskommissär die Anstalt zu besuchen. Ich fand die Bestätigung meiner Vermuthungen, befreite sofort den Hauptmann sammt seiner Mutter und erstattete meinem hohen Auftraggeber Bericht über den Sachverhalt. Die Folge davon ist eine gegen den Leiter des Irrenhauses und den Oberarzt einzuleitende Untersuchung. Sie können dem Schicksale, in Haft genommen zu werden, wohl nicht entgehen.«

Die Züge des Herzogs wurden noch bleicher als vorher, doch seine Augen blitzten zornig, als er frug:

»Und dies Alles geschah ohne meine Genehmigung?«

»Ich habe noch nie gehört, daß ein unumschränkter Herrscher zu irgend einer Handlung der Genehmigung eines seiner Diener, und wenn es der erste und oberste derselben ist, bedarf. Auch blieb wohl keine Zeit übrig, Excellenz zu benachrichtigen. Leider scheint sich herauszustellen, daß eine sehr hochgestellte Person bei der bevorstehenden Untersuchung leicht kompromittirt werden könnte; Majestät haben die gnädige Absicht, dies zu vermeiden, und wünschen daher, eine Andeutung an die betreffende Adresse gelangen zu lassen. Außer dem Könige, den beiden aus der Anstalt Befreiten und mir ist bisher Niemand in die Angelegenheit eingeweiht, und ich erkenne es als eine Huld des Herrschers, daß er keine andere Persönlichkeit als mich beauftragte, diese Andeutung zu überbringen.«

»Und welchen Zweck hat diese Andeutung?«

Der Doktor zuckte mit den Achseln.

»Keinen andern, als den bereits erwähnten. Es scheint mir nicht unmöglich, daß sich der Hauptmann nebst seiner Mutter dahin bringen lassen, von einer Untersuchung abzustehen. Ein Äquivalent für die ausgestandenen Leiden müßte allerdings geleistet werden.«

»In wessen Händen befinden sich die aus der Anstalt mitgenommenen Schriftstücke?«

»In denen des Königs.«

»Sie bedurften einer Legitimation von Seiten des Ministers?«

»Allerdings, doch wurde diesem Herrn nicht die mindeste Mittheilung über den Zweck meiner Visitation gemacht.«

Der Herzog wandte sich dem Fenster zu und blickte einige Minuten lang hinaus in die Nacht. Dann fuhr er plötzlich scharf auf dem Absatze herum.

»Sie sind nicht im Besitze einer amtlichen Stellung, Herr Doktor?«

»Nein.«

»Aber ein Mann von Ihrem Wissen sollte sich doch unbedingt nützlich zu machen suchen. Ich würde bereit sein, Ihnen eine Bahn zu eröffnen, falls Sie gesonnen wären, irgend eine Art des staatlichen Dienstes zu betreten.«

Max verbeugte sich so tief wie möglich.

»Ich danke, Excellenz! Noch habe ich diese Absicht nicht; sollte sie sich aber einst einstellen, was ich keineswegs bezweifele, so bin ich bereits an die Adresse meines Pathen gewiesen, der es übel vermerken würde, einen Mangel an unterthänigem Vertrauen bei mir zu entdecken. Darf ich erwarten, daß unsere gegenwärtige Konferenz beendet ist?«

»Gehen Sie!«

Die Thür schloß sich hinter dem Doktor; der Herzog blieb allein zurück. »Welch ein unvorhergesehenes Ereigniß!« murmelte er. »Dieser Brandauer ist ein höchst gefährlicher Mensch. Wie konnte er wissen, daß – hier stoße ich auf ein Räthsel, welches so bald wie möglich gelöst werden muß. Persönlich ergreifen darf ich ihn nicht; er ist ein Protégé des Königs, der ihn nachhaltig schützen würde. Aber die Andern? – Gütlich ausgleichen mit ihnen? Nun und nimmermehr!«

Er schritt erregt in dem Zimmer auf und ab, dann faßte er nach dem Glockenzuge.

»So wird es gehen. Sie müssen verschwinden; sie müssen stumm gemacht werden!«

Auf sein Zeichen kam ein Diener herbei.

»Eile in Civil nach dem Seidenmüllerschen Gasthofe. Dort wohnt ein Herr Aloys Penentrier, den Du schleunigst zu mir entbietest. Dann schickst Du mir den – den – ja, den Polizeikommissär Hartmann, und endlich gehst Du nach dem königlichen Schlosse und suchst ohne Aufsehen den Kammerlakaien Grunert zu finden. Ihn bringst Du nach meinem Garten, wo er auf der Terrasse auf mich zu warten hat!«

»Zu Befehl, Excellenz!«

Der Diener entfernte sich, warf in seiner Wohnung einen Mantel über, setzte eine Civilmütze auf und verließ den Palast seines Gebieters. Am Flusse löste er einen Kahn von der Kette, stieg ein und ruderte sich aus allen Kräften stromauf, dem andern Ufer entgegen.

Als er dort ankam, stieg eben Max aus seiner Gondel. Er hatte keine Veranlassung zur Eile gehabt und war also von dem Diener, der ihm jetzt keine weitere Beachtung schenkte, eingeholt worden.

»Der Lakai des Herzogs, der mich eingelassen hat,« murmelte er überrascht; »und in solcher Eile! Jedenfalls hat er Aufträge erhalten, welche die Folge meines Besuches sind. Ich muß ihn beobachten!«

In vorsichtiger Distanz folgte er dem Diener bis an den Gasthof der ehrsamen Wittfrau und Kartoffelhändlerin Barbara Seidenmüller. Unter einer Thür an der gegenüberliegenden Straßenseite stehend bemerkte er zwei Fenster des ersten Stockes erleuchtet und konnte zwischen den Gardinen hindurch deutlich den kleinen Rentier erkennen, welcher den Auftrag des Dieners entgegennahm. Dieser Letztere verließ das Haus und schritt der nächsten Polizeiwache zu, aus welcher er bald mit dem Kommissär Hartmann trat, welcher dem Doktor nicht unbekannt war.

»Der Jesuit und der Polizist?« frug sich Max. »Da ist irgend eine Teufelei im Werke. Sie trennen sich. Der Kommissär geht nach dem Flusse und der Diener in der Richtung des Schlosses. Folge ich dem Einen oder dem Anderen? Ich kehre zum Herzoge zurück und wage es, durch den verborgenen Weg seine Bibliothek zu erreichen. Dort kann ich Alles hören und brauche, selbst wenn ich ertappt werden sollte, keine ernstliche Gefahr zu befürchten.«


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